Rock'n'Roll
MF Ehrenmitglied
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Bear in mind that you often achieve more by doing less.
Josef Albers, Bauhaus Dessau
Moin,
es ist schon eine Weile her, daß mir ein einfacher Jäger von Daniel ins Auge fiel. Einer, der mir ob seiner Schlichtheit und der Materialwahl nicht mehr aus dem Kopf ging. Doch als ich bei Daniel anfragte, wurde ich enttäuscht. Er hatte zu jener Zeit keinen Bock auf eine derartige Version.
Die Zeit verging. Das Messer blieb in meinem Kopf. Und im vergangenen Jahr tauchten wieder einige Exemplare mit Backen auf. Ich habe nachgefragt. Daniel bot mir zwei, drei Alternativen an. Ich hätte gern alle genommen …
Habe mich aber nicht verführen lassen und an meiner über längere Zeit gepflegten Vorstellung festgehalten: Keine exotischen Griffschalen, kein filigranes Filework - ein “einfacher” Jäger sollte es werden: Dunkelbraunes Holz, schlichte Kupferbacken, Wolframstahl. Funktionalität und Schnörkellosigkeit. Bauhaus kam mir in den Sinn. Der Jäger hatte seinen Arbeitstitel: Das Bauhausblatt !
A Plain Hunter
Daniel baut Messer - und Scheiden, bei deren Anblick es einem Knifenerd erst einmal die Sprache verschlägt. Und mehr als das. Die man voller Ehrfurcht bestaunt und gar nicht oder nur mit größter Überwindung ihrer ureigentlichen Bestimmung - dem Gebrauch - zuzuführen wagt, weil man nicht für die Zerstörung eines Kunstwerks verantwortlich sein möchte. Ich verweise hier repräsentativ mal auf den Warrior Monk …
Aber er baut auch “einfache” Messer - Plain Hunter - wie er sie nennt. Der Betrachter wird beim ersten Blick nicht wie beim Warrior Monk von einer Überforderung des Aufnahmevermögens übermannt und zunächst - wie auf einer Entdeckungsreise - von einem spektakulären Detail von Klinge und Scheide zum anderen geleitet, bevor er begreift, um was es sich hier handelt.
Stattdessen erfaßt das Auge beim Bauhausblatt (kurz Blatt) das Objekt auf Anhieb als das, was es ist - als einfaches Messer. Das in sich selbst ruht. Aber so einfach ist das nicht. Die Spezialität des Jägers liegt im Detail, das sich nach genauer Einsichtnahme und im reflektierten Gebrauch nach und nach erschließt. Ganz abgesehen von seiner grundlegenden formalen Ästhetik kann von einem “einfachen” Jäger nicht die Rede sein.
Das wunderbar erdige Ceylon-Eisenholz ist von einem tiefen Dunkelbraun, daß im prallen Sonnenlicht - je nach Blickwinkel - leicht rötlich aufscheint. Die flachovalen, mit drei Kupferpins je Seite befestigten Griffschalen sind überlappend ausgeführt und strecken dem Betrachter am Ende - fast schon obszön - die Arschbacken entgegen.
Schmucklose, dunkel brünierte Kupferbacken verleihen dem Jäger ästhetisch und faktisch Gewicht, das mit 172 Gramm zu Buche schlägt. Der Schwerpunkt ist gut abgestimmt und liegt auf der Grenze zwischen Backen und Eisenholz, was dem Messer eine leichte Hecklastigkeit verleiht - eine Tatsache, die in eine sehr gut definierbare Klingenführung mündet. Zugleich bilden die Backen eine bequeme und äußerst willkommene Daumencouch.
Das Herzstück des Messers - die 3,2 mm starke und 10,4 cm lange Klinge - beginnt mit einem ebenfalls brünierten und dem Jeremiah-Bussard gestempelten Ricasso und entfaltet sich im Verlauf in gewohnt Bollscher Ästhetik zu einem hochfunktionellen, ausladenden Blatt mit - unterstrichen durch den Schor - bösartiger Spitze. Das Penetrationsvermögen der Klinge ist beeindruckend gut!
Sie ist - ausgehend von ihrem Rücken - minimal ballig auf 0,25 mm hinter der Wate ausgeschliffen und dann mit einer winzigen Mikrofase ballig abgezogen. Der Gesamtschneidenwinkel beträgt 20 Grad. Die Qualität des Klingenschliffs und des Abzugs erschließt sich dem Auge des Betrachters bei einem Blick durch das Lichtmikro: Exzellent!! Die Schneidfähigkeit out of the box ist entsprechend. Die Klinge läßt sich ohne Zug im reinen Druckschnitt in beliebigen Kurven durch ein Blatt Papier schieben. Häärchen auf dem Handrücken springen beim geringsten Kontakt mit der Schneide davon. Reinster Rock’n’Roll …
Erwähnenswert ist die Tatsache, daß die scharfe Schneide etwas tiefer ansetzt als das Ricasso, was verhindern hilft, daß sich beim Abziehen alsbald ein unerwünschter Recurve entwickelt. Sehr begrüßenswert auch die bereits erwähnte Brünierung, die sich über das Ricasso ein Stück weit in die Klinge hineinzieht. Im Ergebnis entwickelt sie im Lauf der Zeit, wenn sich durch Gebrauch eine Patina herausbildet, ein optisch durchgehend ansprechendes Klingengemälde.
Besondere Bedeutung kommt dem Stahl zu, der dem Blatt seine besondere Note verleiht. Meine diesbezügliche Präferenz gilt den niedrig legierten Wolframstählen, von deren Qualitäten ich mich im Lauf der Jahre anhand verschiedenster Alternativen überzeugen konnte. Zwei haben sich dabei ganz besonders in den Vordergrund gedrängt - 1.2516 und 1.2552.
Beide lassen sich auf konventionelle Weise auf das Schärfste ausschleifen und vertragen die von mir bevorzugten filigranen Geometrien gut. Insbesondere den 1.2516 - auch bekannt als Silberstahl - habe ich anhand des “Sündenbock” in umfangreichen Versuchen (siehe z.B. hier) sehr schätzen gelernt. Und widme ihm hier im folgenden noch einmal besondere Aufmerksamkeit.
Silberstahl - ein Exkurs
1.2516 aka 120WV4: C: 1,2 Si: 0,2 Mn: 0,3 Cr: 0,2 V: 0,1 W: 1,0 (Silberstahl)
„Man kann wohl sagen, daß kein Legierungsmetall für Werkzeuge so wertvoll ist wie das Wolfram; …“
F. Rapatz, Die Edelstähle 5. Auflage 1962, Seite 218
„Die für feinschneidige Werkzeuge besonders günstigen Legierungselemente sind: Kohlenstoff, Stickstoff, Chrom, Wolfram, Niob/Tantal (als Karbidbildner). ….. In jedem Fall ist Wolfram dem Vanadium vorzuziehen, da es bei gleicher Mengenzugabe wesentlich kleinere und besser verteilte Karbide fast gleicher Härte bildet.“
Roman Landes, Messerklingen und Stahl, 2. Auflage 2006, Seite 88
„Die Bezeichnung "Silberstahl" hat nichts mit der Legierung, sondern mit der blank gezogenen Oberfläche zu tun. Früher wurde meist der Stahl 1.2516 so be- und gehandelt, aus Kostengründen wurde er durch den für unsere Zwecke nicht ganz so geeigneten 1.2210 ersetzt. 1.2516 ist aber noch im Handel - allerdings in der Regel in Rundmaterial.“
U.Gerfin
Daniel meint dazu:
„Der Chrom-Vanadium legierte Silberstahl 2210 ist für Messerklingen meiner Meinung nach etwas spröde. Trotzdem ist er für stärkere Winkel geeignet. Körner, Schlagstempel und ähnliches werden in Deutschland hauptsächlich daraus gefertigt. Er bietet ein gutes Preiss-Leistungs-Verhältnis.
Der 2516 ist in jeder Hinsicht deutlich besser aber wesentlich teurer als der 2210 (Wolfram ist teuer). Also klar warum der 2516 nicht grossflächig verwendet wird, der billigere 2210 tut‘s ja auch.
Beide Stähle schmieden sehr einfach, was besonders beim von Hand schmieden ins Gewicht fällt. Der 2516 schweißt auch sehr einfach und ist eine ausgezeichnete Damast-Komponente. Meiner Meinung nach, außer für drei Lagen Stahl viel zu schade für Damast. Auf jeden Fall eine Legierung die seit 120 Jahren verwendet wird .....“
Daniel ist begeistert vom 2516, meint, daß er die beeindruckendste Schärfe der Wolframstähle annimmt. Trotzdem ist er in der Verwendung bei ihm etwas in den Hintergrund geraten, da er - bedingt durch das Schmieden - mit hohem Aufwand verbunden ist.
Die Klinge des Bauhausblatts entstammt einer Stahlwelle von 20 mm Durchmesser, die von Hand runtergeschmiedet und dann mit dem Bandschleifer auf Endstärke geschliffen worden ist.
Arbeit mit dem Bauhausblatt
Ich habe es nach dem Auspacken erst einmal mit Papier versucht ! Wie eingangs schon erwähnt, schiebt die Klinge dabei im reinen Druckschnitt Kurven durch die ALDI-Produktübersicht. Häärchen auf dem Handrücken poppen bei geringstem Kontakt erschrocken davon. Ein Barthaar läßt sich willig “beschneiden” …
Und eine Wasserflasche aus Plastik zeigt deutlich das Penetrationsvermögen der akzentuierten Spitze. Während das Material bei den meisten Messern zunächst eine Beule wirft, bis die Klinge schließlich - mehr oder weniger widerwillig - eindringt, verschwindet das Blatt annähernd ungehindert in der Flasche. Um anderenorts genau so bereitwillig wieder auszutreten.
Schnell steht fest, daß Daniel mit der Geometrie meinen Nerv wieder einmal voll getroffen hat. Das reinste Vergnügen! Die schneidfreudige Geometrie sollte aber auch keinen Anlaß zur Sorge geben, was den anspruchsvolleren Gebrauch anbetrifft. Meine Erfahrungen mit Daniels Messern haben gezeigt, daß da was geht.
Das Zusammenspiel von niedrig legierten Wolframstählen, balliger Geometrie und gekonnter Wärmebehandlung mündet in Werkzeugen von hohem Gebrauchswert. Kein Messer verläßt Daniels Schmiede, ohne daß es auf Tauglichkeit hin getestet worden ist. Die Klinge hat ihre Bewährungsprobe bereits an Eisenholz, Knochen und Bambus bestehen müssen.
So ist es kein Wunder, daß meine weiteren Versuche mehr als erfreulich verlaufen. Das Abschälen von Rinde, Wegschneiden und Abschlagen kleiner Verästelungen, Kürzen und Anspitzen diverser Hölzer aus Eukalyptus und Olivenholz geht gut von der Hand und läßt die Klinge unbeeindruckt. Auch den obligatorischen Schilfrohrtest absolviert das Blatt mit Bravur. Absolut unabgelenkt geradeaus geht die Klinge durch das Rohr und hinterläßt fein saubere Schnittflächen.
Die im Verhältnis zum Griff deutlich nach unten geneigte Klinge ermöglicht kraftvolle Schnitte bei gleichzeitig entspannter Handhaltung, da man das Handgelenk nicht nach rechts wegdrehen muß. Was sich bei längerer Arbeit - insbesondere an widerspenstigem Material - als äußerst angenehm erweist. Die flachovalen Eisenhölzer nebst Kupferbacken gewähren allen vier Fingern einen soliden Hammer- oder Reversgriff. Kräftigen Schnitten verleiht der Daumen auf der sieben Millimeter breiten Daumencouch Nachdruck, wobei für denselben der anderen Hand vor dem Schor noch etwa drei Zentimeter gerader Klingenrücken für die Unterstützung zur Verfügung stehen.
Nach etwa drei Stunden intensiver Arbeit gleitet das Messer nach wie vor leicht durch Papier, zieht seidenweich und ruckelfrei über den Daumennagel und zeigt bei einem Blick durchs Lichtmikro keinerlei Beeinträchtigung. Was mich allerdings nicht davon abgehalten hat, die Klinge kurz auf Mousepad und Schleifleinen abzuziehen (2.400, 4.000). Das erhält die Schärfe dauerhaft auf einfachste Art und Weise.
Leder und Futter der - wie üblich grundsoliden, paßgenauen und formstabilen - Bollscheide bestehen aus einem deutschen Altbestand eichenlaub-grubengegerbten Rindleders, der Klemmer aus wärmebehandeltem Ck101 (1.1274). Die Scheide - mittlerweile meine vierte - bewährt sich auf vielfache Weise als sicheres Aufbewahrungsmittel und gestattet das Tragen eines Messers hinter dem Gürtel, dem Hosenbund, eingeclipt in einer großen Hosentasche / Beintasche einer Cargohose oder im Stiefel. Da sie trotz Klemmer nicht aufträgt, läßt sie sich ebenso gut in einem stillen Winkel des Rucksacks verstauen.
Alles in allem wieder mal vom Feinsten :distracted::distracted: …
Das „Bauhausblatt“ - Plain Hunter aus der Schmiede von Daniel Jeremiah ‚Wolfram‘ Boll
1.2516 aka 120WV4: C: 1,2 Si: 0,2 Mn: 0,3 Cr: 0,2 V: 0,1 W: 1,0 (Silberstahl)
Fixed
Gesamtlänge: 217 mm (237 mm inkl. Scheide)
Klingenlänge: 104 mm (100 mm scharf entlang der Schneidfase gemessen)
Klingenhöhe: von 24,5 am Ricasso auf 27,5 max. zunehmend
Klinge: 3,2 mm 1.2516 (120WV4), 60-61 HRC, Ricasso zwischen 8 & 12 mm mit Bussard, keine Schleifkerbe; 0,25 mm hinter der Wate, Gesamtschneidenwinkel 20 Grad
Griff: 113 mm Kupferbacken & Ceylon Eisenholz, 3 Kupferpins je Seite
Griffdicke: Backen 14,22 mm, Eisenholz durchgehend 16 mm
Griffhöhe: Backen 22,9 mm, Mitte 27,3 mm, Hinten 30,8 mm
Gewicht: 172 Gramm (mit Scheide 271 Gramm)
Formstabile schwarze Scheide aus deutschem Rindleder („Edelgerbung“) mit Klemmer aus Federstahl CK 101 (1.1274), für Gürtel bis 4,5 cm oder Einklemmen in den Hosenbund, max. Breite 49 mm, max. Dicke inkl. Klemmer 29,6 mm
Die Bildergalerie …
Die Jukebox mit Bauhaus - Ziggy Stardust
Aus dem tiefenberuhigten Monte Gordo
R’n’R
Josef Albers, Bauhaus Dessau
Moin,
es ist schon eine Weile her, daß mir ein einfacher Jäger von Daniel ins Auge fiel. Einer, der mir ob seiner Schlichtheit und der Materialwahl nicht mehr aus dem Kopf ging. Doch als ich bei Daniel anfragte, wurde ich enttäuscht. Er hatte zu jener Zeit keinen Bock auf eine derartige Version.
Die Zeit verging. Das Messer blieb in meinem Kopf. Und im vergangenen Jahr tauchten wieder einige Exemplare mit Backen auf. Ich habe nachgefragt. Daniel bot mir zwei, drei Alternativen an. Ich hätte gern alle genommen …
Habe mich aber nicht verführen lassen und an meiner über längere Zeit gepflegten Vorstellung festgehalten: Keine exotischen Griffschalen, kein filigranes Filework - ein “einfacher” Jäger sollte es werden: Dunkelbraunes Holz, schlichte Kupferbacken, Wolframstahl. Funktionalität und Schnörkellosigkeit. Bauhaus kam mir in den Sinn. Der Jäger hatte seinen Arbeitstitel: Das Bauhausblatt !
A Plain Hunter
Daniel baut Messer - und Scheiden, bei deren Anblick es einem Knifenerd erst einmal die Sprache verschlägt. Und mehr als das. Die man voller Ehrfurcht bestaunt und gar nicht oder nur mit größter Überwindung ihrer ureigentlichen Bestimmung - dem Gebrauch - zuzuführen wagt, weil man nicht für die Zerstörung eines Kunstwerks verantwortlich sein möchte. Ich verweise hier repräsentativ mal auf den Warrior Monk …
Aber er baut auch “einfache” Messer - Plain Hunter - wie er sie nennt. Der Betrachter wird beim ersten Blick nicht wie beim Warrior Monk von einer Überforderung des Aufnahmevermögens übermannt und zunächst - wie auf einer Entdeckungsreise - von einem spektakulären Detail von Klinge und Scheide zum anderen geleitet, bevor er begreift, um was es sich hier handelt.
Stattdessen erfaßt das Auge beim Bauhausblatt (kurz Blatt) das Objekt auf Anhieb als das, was es ist - als einfaches Messer. Das in sich selbst ruht. Aber so einfach ist das nicht. Die Spezialität des Jägers liegt im Detail, das sich nach genauer Einsichtnahme und im reflektierten Gebrauch nach und nach erschließt. Ganz abgesehen von seiner grundlegenden formalen Ästhetik kann von einem “einfachen” Jäger nicht die Rede sein.
Das wunderbar erdige Ceylon-Eisenholz ist von einem tiefen Dunkelbraun, daß im prallen Sonnenlicht - je nach Blickwinkel - leicht rötlich aufscheint. Die flachovalen, mit drei Kupferpins je Seite befestigten Griffschalen sind überlappend ausgeführt und strecken dem Betrachter am Ende - fast schon obszön - die Arschbacken entgegen.
Schmucklose, dunkel brünierte Kupferbacken verleihen dem Jäger ästhetisch und faktisch Gewicht, das mit 172 Gramm zu Buche schlägt. Der Schwerpunkt ist gut abgestimmt und liegt auf der Grenze zwischen Backen und Eisenholz, was dem Messer eine leichte Hecklastigkeit verleiht - eine Tatsache, die in eine sehr gut definierbare Klingenführung mündet. Zugleich bilden die Backen eine bequeme und äußerst willkommene Daumencouch.
Das Herzstück des Messers - die 3,2 mm starke und 10,4 cm lange Klinge - beginnt mit einem ebenfalls brünierten und dem Jeremiah-Bussard gestempelten Ricasso und entfaltet sich im Verlauf in gewohnt Bollscher Ästhetik zu einem hochfunktionellen, ausladenden Blatt mit - unterstrichen durch den Schor - bösartiger Spitze. Das Penetrationsvermögen der Klinge ist beeindruckend gut!
Sie ist - ausgehend von ihrem Rücken - minimal ballig auf 0,25 mm hinter der Wate ausgeschliffen und dann mit einer winzigen Mikrofase ballig abgezogen. Der Gesamtschneidenwinkel beträgt 20 Grad. Die Qualität des Klingenschliffs und des Abzugs erschließt sich dem Auge des Betrachters bei einem Blick durch das Lichtmikro: Exzellent!! Die Schneidfähigkeit out of the box ist entsprechend. Die Klinge läßt sich ohne Zug im reinen Druckschnitt in beliebigen Kurven durch ein Blatt Papier schieben. Häärchen auf dem Handrücken springen beim geringsten Kontakt mit der Schneide davon. Reinster Rock’n’Roll …
Erwähnenswert ist die Tatsache, daß die scharfe Schneide etwas tiefer ansetzt als das Ricasso, was verhindern hilft, daß sich beim Abziehen alsbald ein unerwünschter Recurve entwickelt. Sehr begrüßenswert auch die bereits erwähnte Brünierung, die sich über das Ricasso ein Stück weit in die Klinge hineinzieht. Im Ergebnis entwickelt sie im Lauf der Zeit, wenn sich durch Gebrauch eine Patina herausbildet, ein optisch durchgehend ansprechendes Klingengemälde.
Besondere Bedeutung kommt dem Stahl zu, der dem Blatt seine besondere Note verleiht. Meine diesbezügliche Präferenz gilt den niedrig legierten Wolframstählen, von deren Qualitäten ich mich im Lauf der Jahre anhand verschiedenster Alternativen überzeugen konnte. Zwei haben sich dabei ganz besonders in den Vordergrund gedrängt - 1.2516 und 1.2552.
Beide lassen sich auf konventionelle Weise auf das Schärfste ausschleifen und vertragen die von mir bevorzugten filigranen Geometrien gut. Insbesondere den 1.2516 - auch bekannt als Silberstahl - habe ich anhand des “Sündenbock” in umfangreichen Versuchen (siehe z.B. hier) sehr schätzen gelernt. Und widme ihm hier im folgenden noch einmal besondere Aufmerksamkeit.
Silberstahl - ein Exkurs
1.2516 aka 120WV4: C: 1,2 Si: 0,2 Mn: 0,3 Cr: 0,2 V: 0,1 W: 1,0 (Silberstahl)
„Man kann wohl sagen, daß kein Legierungsmetall für Werkzeuge so wertvoll ist wie das Wolfram; …“
F. Rapatz, Die Edelstähle 5. Auflage 1962, Seite 218
„Die für feinschneidige Werkzeuge besonders günstigen Legierungselemente sind: Kohlenstoff, Stickstoff, Chrom, Wolfram, Niob/Tantal (als Karbidbildner). ….. In jedem Fall ist Wolfram dem Vanadium vorzuziehen, da es bei gleicher Mengenzugabe wesentlich kleinere und besser verteilte Karbide fast gleicher Härte bildet.“
Roman Landes, Messerklingen und Stahl, 2. Auflage 2006, Seite 88
„Die Bezeichnung "Silberstahl" hat nichts mit der Legierung, sondern mit der blank gezogenen Oberfläche zu tun. Früher wurde meist der Stahl 1.2516 so be- und gehandelt, aus Kostengründen wurde er durch den für unsere Zwecke nicht ganz so geeigneten 1.2210 ersetzt. 1.2516 ist aber noch im Handel - allerdings in der Regel in Rundmaterial.“
U.Gerfin
Daniel meint dazu:
„Der Chrom-Vanadium legierte Silberstahl 2210 ist für Messerklingen meiner Meinung nach etwas spröde. Trotzdem ist er für stärkere Winkel geeignet. Körner, Schlagstempel und ähnliches werden in Deutschland hauptsächlich daraus gefertigt. Er bietet ein gutes Preiss-Leistungs-Verhältnis.
Der 2516 ist in jeder Hinsicht deutlich besser aber wesentlich teurer als der 2210 (Wolfram ist teuer). Also klar warum der 2516 nicht grossflächig verwendet wird, der billigere 2210 tut‘s ja auch.
Beide Stähle schmieden sehr einfach, was besonders beim von Hand schmieden ins Gewicht fällt. Der 2516 schweißt auch sehr einfach und ist eine ausgezeichnete Damast-Komponente. Meiner Meinung nach, außer für drei Lagen Stahl viel zu schade für Damast. Auf jeden Fall eine Legierung die seit 120 Jahren verwendet wird .....“
Daniel ist begeistert vom 2516, meint, daß er die beeindruckendste Schärfe der Wolframstähle annimmt. Trotzdem ist er in der Verwendung bei ihm etwas in den Hintergrund geraten, da er - bedingt durch das Schmieden - mit hohem Aufwand verbunden ist.
Die Klinge des Bauhausblatts entstammt einer Stahlwelle von 20 mm Durchmesser, die von Hand runtergeschmiedet und dann mit dem Bandschleifer auf Endstärke geschliffen worden ist.
Arbeit mit dem Bauhausblatt
Ich habe es nach dem Auspacken erst einmal mit Papier versucht ! Wie eingangs schon erwähnt, schiebt die Klinge dabei im reinen Druckschnitt Kurven durch die ALDI-Produktübersicht. Häärchen auf dem Handrücken poppen bei geringstem Kontakt erschrocken davon. Ein Barthaar läßt sich willig “beschneiden” …
Und eine Wasserflasche aus Plastik zeigt deutlich das Penetrationsvermögen der akzentuierten Spitze. Während das Material bei den meisten Messern zunächst eine Beule wirft, bis die Klinge schließlich - mehr oder weniger widerwillig - eindringt, verschwindet das Blatt annähernd ungehindert in der Flasche. Um anderenorts genau so bereitwillig wieder auszutreten.
Schnell steht fest, daß Daniel mit der Geometrie meinen Nerv wieder einmal voll getroffen hat. Das reinste Vergnügen! Die schneidfreudige Geometrie sollte aber auch keinen Anlaß zur Sorge geben, was den anspruchsvolleren Gebrauch anbetrifft. Meine Erfahrungen mit Daniels Messern haben gezeigt, daß da was geht.
Das Zusammenspiel von niedrig legierten Wolframstählen, balliger Geometrie und gekonnter Wärmebehandlung mündet in Werkzeugen von hohem Gebrauchswert. Kein Messer verläßt Daniels Schmiede, ohne daß es auf Tauglichkeit hin getestet worden ist. Die Klinge hat ihre Bewährungsprobe bereits an Eisenholz, Knochen und Bambus bestehen müssen.
So ist es kein Wunder, daß meine weiteren Versuche mehr als erfreulich verlaufen. Das Abschälen von Rinde, Wegschneiden und Abschlagen kleiner Verästelungen, Kürzen und Anspitzen diverser Hölzer aus Eukalyptus und Olivenholz geht gut von der Hand und läßt die Klinge unbeeindruckt. Auch den obligatorischen Schilfrohrtest absolviert das Blatt mit Bravur. Absolut unabgelenkt geradeaus geht die Klinge durch das Rohr und hinterläßt fein saubere Schnittflächen.
Die im Verhältnis zum Griff deutlich nach unten geneigte Klinge ermöglicht kraftvolle Schnitte bei gleichzeitig entspannter Handhaltung, da man das Handgelenk nicht nach rechts wegdrehen muß. Was sich bei längerer Arbeit - insbesondere an widerspenstigem Material - als äußerst angenehm erweist. Die flachovalen Eisenhölzer nebst Kupferbacken gewähren allen vier Fingern einen soliden Hammer- oder Reversgriff. Kräftigen Schnitten verleiht der Daumen auf der sieben Millimeter breiten Daumencouch Nachdruck, wobei für denselben der anderen Hand vor dem Schor noch etwa drei Zentimeter gerader Klingenrücken für die Unterstützung zur Verfügung stehen.
Nach etwa drei Stunden intensiver Arbeit gleitet das Messer nach wie vor leicht durch Papier, zieht seidenweich und ruckelfrei über den Daumennagel und zeigt bei einem Blick durchs Lichtmikro keinerlei Beeinträchtigung. Was mich allerdings nicht davon abgehalten hat, die Klinge kurz auf Mousepad und Schleifleinen abzuziehen (2.400, 4.000). Das erhält die Schärfe dauerhaft auf einfachste Art und Weise.
Leder und Futter der - wie üblich grundsoliden, paßgenauen und formstabilen - Bollscheide bestehen aus einem deutschen Altbestand eichenlaub-grubengegerbten Rindleders, der Klemmer aus wärmebehandeltem Ck101 (1.1274). Die Scheide - mittlerweile meine vierte - bewährt sich auf vielfache Weise als sicheres Aufbewahrungsmittel und gestattet das Tragen eines Messers hinter dem Gürtel, dem Hosenbund, eingeclipt in einer großen Hosentasche / Beintasche einer Cargohose oder im Stiefel. Da sie trotz Klemmer nicht aufträgt, läßt sie sich ebenso gut in einem stillen Winkel des Rucksacks verstauen.
Alles in allem wieder mal vom Feinsten :distracted::distracted: …
Das „Bauhausblatt“ - Plain Hunter aus der Schmiede von Daniel Jeremiah ‚Wolfram‘ Boll
1.2516 aka 120WV4: C: 1,2 Si: 0,2 Mn: 0,3 Cr: 0,2 V: 0,1 W: 1,0 (Silberstahl)
Fixed
Gesamtlänge: 217 mm (237 mm inkl. Scheide)
Klingenlänge: 104 mm (100 mm scharf entlang der Schneidfase gemessen)
Klingenhöhe: von 24,5 am Ricasso auf 27,5 max. zunehmend
Klinge: 3,2 mm 1.2516 (120WV4), 60-61 HRC, Ricasso zwischen 8 & 12 mm mit Bussard, keine Schleifkerbe; 0,25 mm hinter der Wate, Gesamtschneidenwinkel 20 Grad
Griff: 113 mm Kupferbacken & Ceylon Eisenholz, 3 Kupferpins je Seite
Griffdicke: Backen 14,22 mm, Eisenholz durchgehend 16 mm
Griffhöhe: Backen 22,9 mm, Mitte 27,3 mm, Hinten 30,8 mm
Gewicht: 172 Gramm (mit Scheide 271 Gramm)
Formstabile schwarze Scheide aus deutschem Rindleder („Edelgerbung“) mit Klemmer aus Federstahl CK 101 (1.1274), für Gürtel bis 4,5 cm oder Einklemmen in den Hosenbund, max. Breite 49 mm, max. Dicke inkl. Klemmer 29,6 mm
Die Bildergalerie …
Die Jukebox mit Bauhaus - Ziggy Stardust
Aus dem tiefenberuhigten Monte Gordo
R’n’R