„Ernst X.“ und sein Deutsches Armeemesser

Abu

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Über das Messer:
Kurz und knapp: Ein „Deutsches Armeemesser“ gab es als offiziellen militärischen Ausrüstungsgegenstand nicht. Es war privater Besitz.
Die Manufakturen ritten im 1. Weltkrieg auf der patriotischen Welle. Kutschermesser wurden zu „Armeemessern“, mit und ohne Prägung. (Böhmisches J. Pilz mit Ring.) Deutsche Hersteller ließen per Stempel auf dem Rück-(Gepäck-)haken keine Zweifel: „Deutsches Armeemesser“.
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Die Werkzeuge waren nützlich, besonders Korkenzieher und Champushaken entsprachen ganz dem patriotischen Wahnwitz: Kurz nach Frankreich rein, den Franzmännern was auf den Kopp geben, Weihnachten wieder daheim - und en passant die Korken ploppen lassen. Es kam anders, wie wir wissen. Am Ende wurde die Lochstanze für Leder für alle nützlich, „den Gürtel enger schnallen“.

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Das Messer von „Ernst X.“ mit originalem Etui, stärkster Haken!, trägt keinen Herstellernachweis auf dem Rikasso, nur auf der Klinge ist die Ätzung „….gleder Berlin“ noch schwach sichtbar.
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Beim Vergleich der Backen mit meinem „Dittert“ bin ich sicher, dass es ebenfalls aus dieser sächsischen Manufaktur kommt.
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Der Berliner Betrieb war vermutlich ein Händler militärischer Effekten. Damals sehr üblich, da z.B. die Offiziere ihren ganzen glänzenden Paradiesvogelputz privat erwerben mussten.


Über „Ernst X.“

Das Highlight dieses Armeemessers liegt unter der Lochstanze verborgen, ein feiner Schriftzug „Ernst X.“
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Personalisierte Dinge finde ich sehr reizvoll, zeigen sie doch immer eine besondere Beziehung zum Besitzer. Ernst hat auch weitere Spuren hinterlassen.

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Ein improvisierter Nagelhau zur Spitze des Hakens sollte sicher das Öffnen bei Feuchtigkeit erleichtern. Und in der Lederstanze findet sich noch ein Rest Leder, er also auch „Gürtel enger schnallen“?

Überhaupt liegt die Frage nahe: „Wer war Ernst, was wurde aus ihm?“ Nähern wir uns mal an….
„X.“, da fällt mir nur Xaver ein, womit wir im Vor-/Alpenraum wären. Er bzw. seine Familie muss betucht gewesen sein, sonst hätte er sich das Messer kaum leisten können. Offizier?, dann auch Adeliger „von“. Der Zustand des Messers lässt ggf. auch den Rückschluss auf Etappe zu: Im Dreck und Graben hätte es mehr gelitten - und der Schriftzug wäre bei Reinigungen sicher verloren gegangen. Erstaunlich genug, dass er überstanden hat. Und fraglich, mit welcher Art Farbe das möglich war?

Für „Ernst X.“ nehme ich mal das Beste an: er hat den 1. WK überlebt. Genau wie SEIN Messer, denn davon trennt man sich nicht freiwillig.

Abu


PS: „Ernst X.“ kam vom Kollegen @boogerbrain im Tausch zu mir. 🙏 Danke!
 
@Abu - Ich danke Dir, meinen Vorschlag zum Tausch angenommen zu haben, und für die (@lvk: Deine Angaben ist absolut korrekt!) wunderbare Vorstellung! Bei mir wäre höchstens mal wieder eher eine nüchterne Bildvorstellung bei rausgekommen ... :LOL: Deine Beiträge lassen einen miterleben, was bei den alten Klassikern (finde ich) einen Teil der Faszination ausmacht: Es sind in der Regel gebrauchte und Gebrauchsstücke, die Ihre eigene Geschichte erzählen können - wenn sie jemand rauskitzelt.
 
@Abu: Und nun auch noch Armeemesser! 😎
Eine tolle kleine Sammlung. Und wie stets unterhaltsam, kenntnisreich und mit der richtigen Portion Ernst vorgetragen. Toll was wieder im Vintage-Forum los ist 😃👍
 
Zu der tinte:
Ich könnte mir vorstellen das eisengallustinte verwendet wurde. Ist wasserfest und schwer abzubekommen. Ob sowas auf horn gut haftet, weis ich nicht.
 
Wieder mal ein vortrefftlich gelungener Thread zu diesen phänomenalen Oldtimern.
Danke, dass du uns diese Schätze so gekonnt in Wort und Bild präsentierst, @Abu.
 
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Reaktionen: Abu
Kompliment zur Präsentation der eindrucksvollen "Armeemesser"-Sammlung und die interessant geschriebene Geschicht, Abu!

"Deutsche Armeemesser" mit der ungewöhnlichen Ausführung der Backen mit einer "V"-förmigen "Verzierung"(?) haben neben Dittert diverse Hersteller und Handelshäuser in ihren Musterbüchern / Verkaufskatalogen angeboten.

... Das Messer ... trägt keinen Herstellernachweis auf dem Rikasso, nur auf der Klinge ist die Ätzung „….gleder Berlin“ noch schwach sichtbar.

... Der Berliner Betrieb war vermutlich ein Händler militärischer Effekten. ...

Abu

Die Fragmente der Händlermarkieung aus Berlin lassen sich wohl eindeutig zuordnen, jedoch hatte diese Firma zumindest in den 1920er Jahren keinen spezifischen Bezug zu militärischer Ausrüstung: es handelt sich um eine Gewehrfabrikmit Produktion in Suhl / Thüringen und Vertrieb mit einer Niederlassung und Versand an Endverbraucher in Berlin.
Ein umfassender, undatierter Endverbraucherkatalog (ca. 1920er Jahre) illustriert und beschreibt auf 70 Seiten vorrangig Schusswaffen unterschiedlichster Art, dazu Munition sowie jagdliche Ausrüstung einschließlich einem eindrucksvollen Sortiment an Taschen- und Jagdmessern, Standhauern und Hirschfängern:

Steigleder undatiert c.1920.cut.mefo.jpg


Grüße
cut
 
Das wäre (für Leute, die nicht online sind und in diesem schönen Forum Bilder und Beiträge geniessen können) ein toller Artikel im Messermagazin.
Schon mal dran gedacht, soetwas weitergehend zu veröffentlichen?
Viele Grüße
Tomcat
Der sich wundert, nichts von der Existenz dieser Messer gewusst zu haben
 
Danke, 🙏 🙏 @cut! Mit Steigleder dürftest du recht haben! Eine Frage geklärt.

Unklar der Hersteller!?!? Das „V“ auf den Backen hatten mehrere Hersteller, auch das von mir gezeigte Julius Pilz Böhmen. Die Anzahl der Querverzierungen sind beim Dittert umfangreicher. Wäre aber nur ein Indikator. Vielleicht liegt ein Vergleich der Federmesser näher. Ich hatte einst ein weiteres Dittert, HIER in #1 gezeigt. Beide haben diesen Buckel auf dem Federmesser. (Obwohl Dittert auch da andere Formen eingesetzt hat.)

Abu
 
Ist das wirklich ein "X"? ich würde da eine 8 lesen, bzw. 8. (Achte) lesen, viellelicht eine Einheit und "Ernst" ein Nachnahme?
Auch möglich. Präzise auf dem rauen Untergrund zu schreiben, war ja bereits eine Kunst. Aber privater Besitz und militärische Einheit, die ja auch wechseln kann???
Andererseits war „Ernst“ damals ein ziemlich häufiger Vorname, Nachname immer noch. Eine weitere Präzisierung sicher zweckmäßig. Um deinen Hinweis des Nachnamens aufzugreifen: Ich denke, dass das naheliegend ist. ERNST der Familienname und X. vom Vornamen. So würde man Besitz vermutlich deklariert haben.
XAVER, viel mehr bleibt nicht, und damit blieben wir im bajuwarischen.

Klingt wie eine Bagatelle, scheint mir aber wichtig zum Verständnis. Danke!

Abu
 
Ich möchte nur wegen der zeitlichen Einordnung kurz auf die Schrift eingehen: Dabei würde ich auch auf 8 „plädieren“ weil das E am Beginn ein „Kurrentschrift-E“ ist, was bis 1941 die offizielle deutsche Schrift war;

Ein großgeschriebenes Kurrentschrift-X würde daher anders aussehen, daher spricht es meiner bescheidenen Meinung nach für eine 8.
Auch in der zeitlich möglichen Sütterlinschrift würde ein X anders geschrieben sein…

Tolles Messer, tolle Vorstellung -Danke!
Und schön, dass es ein kleines Geheimnis hat!

BG, Claus
 
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Ein großgeschriebenes Kurrentschrift-X würde daher anders aussehen, daher spricht es meiner bescheidenen Meinung nach für eine 8.
Danke! Interessant, dem „Ernst“ irgendwie näher zu kommen. Ich hatte die Schriftarten auch verglichen und ja, das X sah anders in Kurrent aus. Auch jeder andere Buchstabe. Hab es improvisiert auf der minimalen Fläche gedeutet. 8 gab für mich keinen Sinn - muss ich vllt auch nicht erkennen. 🤔 Bleibt also offen…..

@Caligula Minus Ich hab einen Hersteller dieser Tinte angeschrieben, vllt gibt es ja eine Antwort.

Abu
 
@enrico Das war fein und klug beobachtet und gewusst. Allerdings ist bei genauer Betrachtung das Ernst überhaupt nicht gesetzt. Lediglich das E scheint mir sicher.
Ein. 78. könnte da stehen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ihr bringt mich 😵‍💫 durcheinander. Ja, auch das „st“ weicht ab, ist vllt die niederbajuwarische Kurzschriftvariante (Spaß muss sein). Bisher sind der vorbesitzende @boogerbrain und ich in der Folge von ERNST als Vornamen ausgegangen. Als Nachname gäbe es vllt noch andere Varianten mit „E“. Ich bitte um Angebote 😀
Immer im Auge behalten, dass wir es mit wenigen mm Breite zutun haben und keinem linierten Papier. Ich werde kriminalistisch einen Schriftprobenvergleich mit dem Schulheft meines Opas aus d3n 1910ern vornehmen.

Abu
 
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