Grundverständisfragen zur WB/Stahlhärtung

Assassin

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Hallo,

ich habe mich ein wenig (auch im Zuge des Studiums) mit Stählen und Gefügen beschäftigt.
Allerdings sind kleine Fragen geblieben, vielleicht könnt ihr mir helfen.
Falls es schonmal irgendwo steht, bitte Link, bin leider hier nicht fündig geworden.

Fall 1:
Ich habe 2 untereutektische Stähle, nehmen wir einmal einen unlegierten C45 und einen niedrig legierten Vergütungstahl, nehmen wir einmal 34CrNiMo6 (auch wenn der jetzt nicht unbedingt was für Messer ist, aber das tut jetzt nichts zur Sache).
Fürs Härten werden beide über die Ac3-Linie erwärmt, (komplett in Austenit umgewandelt) um alle Legierungsbestandteile zu lösen, und je nach Stahl im entsprechenden Medium (Wasser, Öl) abgeschreckt.
So, da beide <0,6% C enthalten, und ich im Idealfall 100% Martensit bekommen möchte, was passiert mit den restlichen Legierungsbestandteilen? Beim C45 müsste alles C ins Martensit gehen, viel anderes ist auch nicht drin. Wie aber beim 34CrNiMo6? Da ist neben 0,4-0,8% Mn noch 1,3-1,7% Cr drin, Mo und Ni auch. Was geschieht damit? Greifen die sich ebenfalls einen C-Anteil um Karbide zu bilden oder geht die Martensit-Bildung vor Karbid-Ausscheidung?

Fall 2:
Ich nehme der Einfachheit halber wieder einen unlegierten, sagen wir C80, und einen 80CrV2, also 2 eutektische Stähle.

Das ganze wird zum Härten über Ac1 erhitzt, sodass ich Austenit und Sekundärzementit habe. Wieder Abschrecken im entsprechenden Medium, Umwandlung in Martensit und was noch?
Bleibt bei (über)-Eutektischen Stählen der Sekundärzementit erhalten? Und formt sich aus dem Zementit noch was? In verschiedenen Gefügebildern gehärteter Stähle habe ich bisher nur Martensit und eventuell Karbide vorfinden können. (Da tut sich jetzt bei mir eine Wissenslücke auf).

Wie schaut es jetzt hier mit dem Gefüge aus? Habe ich jetzt weiterhinn gesättigtes Martensit, da ich ja >0,6% C habe. So, wohin fließen jetzt die restlichen 0,2% C, vor allem beim C80? Viele Carbidbildner sind da nicht drin. Habe ich Zementit? Beim 80CrV4 sind ja noch etwa 0,5% Cr und 0,2% V drin, die sich jetzt mit dem restlichen C ausscheiden können.

Irgendwo habe ich gelesen, dass bis 0,8% C, also bis zum Eutektikum, die mögliche Härte eines Werkstoffs ansteigt. Da im Martensit allerdings nur 0,6% C gelöst werden können, müssen die anderen Prozente, falls man mehr hat, irgendwo landen (im Zweifel in Karbiden). Warum wirken sich dann diese 0,2% in Karbiden positiv auf die Härte aus? (Weil sie fein verteilt sind, eine ähnliche Härte wie die Grundmasse haben und deshalb mehr Halt haben?)


Kann sein, dass ich jetzt dumm frage, und einfach das System nicht verstehe. Aber ich habe mich schon etwas eingelesen in die Thematik und würde gern die nicht verstandenen Passagen nachvollziehen können.
Vielleicht ist ja einer von euch so nett, und hilft mir weiter.

Grüße
Micha



Edit: Habe im Fall 1 mal einen Stahl geändert, da ein bisschen zu wenig C drin war, mit 0,35% C sind wir dann doch eher im Bereich dessen, was man Härten kann, anstatt durch Aufkohlen eine Randschichthärtung hinzurkriegen...
 
Zuletzt bearbeitet:
Deine Fragen zeigen, daß Du Dich ernsthaft mit der Materie beschäftigst. Sie können daher auch nicht so ganz auf die Schnelle umfassend beantwortet werden.
Die Antwort auf Deine Fragen findest Du bei Franz Rapatz "Die Edelstähle", um nur ein Standardwerk zu nennen. Insbesondere die sehr komplexe Problematik des Verhaltens der Karbide im Stahl ist dort vorzüglich dargestellt.
Hier also nur ein paar kurze Bemerkungen, um einige Deiner Fragen zu klären.
1. Zur Rolle der Legierungselemente im Stahl: Ich gehe davon aus, daß Du den Gitteraufbau der Elementarzelle-Ferrit-kubisch-raumzentriert, Austenit-kubisch-flächenzentriert kennst (Wenn nicht-nachlesen, sonst kommst Du nicht weiter, wenn schon Grundbegriffe fehlen).
So gut wie alle bewusst eingesetzten Legierungselemente können in der Gitterstruktur sowohl des Ferrits, wie auch des Austenits an Stelle eines Eisenatoms eingebaut sein (sie substituieren = ersetzen ein Eisenatom).
Anders ist es beim Kohlenstoff (und Stickstoff- den lassen wir der Einfachheit halber jetzt mal weg), der im Ferrit überhaupt nicht (oder nur in Promilleanteilen) gelöst sein kann, im Austenit aber auf Zwischengitterplätzen-inter stitium-also interstitiell gelöst ist.
Dadurch, daß der Kohlenstoff beim Abschrecken von Härtetemperatur auf diesen Gitterplätzen eingesperrt wird, verzerrt er das Gitter und führt zur Bildung des Härtegefüges Martensit.
2. Du hast richtig die Begriffe untereutektoidisch und eutektoidisch eingeführt.
Sie bezeichnen das Verhältnis von Ferrit und Zementit = Eisenkarbid.
Eutektoidisch ist ein Stahl, bei dem nach langsamer Abkühlung aus der Lösungstemperatur allein das Gefüge Perlit auftritt. bei untereutektoidischen Stählen tritt daneben noch Ferrit, bei übereutektoidischen eben noch freier Zementit.
Über die genaue Lage des Eutektikums streiten die Gelehrten: Früher ging man von etwa 0,9 % C aus, heute eher von 0,78 %. Die von Dir angenommenen 0,8 % liegen also richtig.
3. Richtig ist, daß in reinen C-Stählen schon ca 0,6 % C zur Erreichung der Höchsthärte von 65-67 HRC ausreichen können.
Das gilt für Behandlungen mit üblichen Zeiten, Dimensionen und Temperaturen.
Bei der Härtung sehr kleiner Teile, schnellem Aufheizen und Überschreiten der üblichen Härtetemperatur unlegierter Stähle-etwas über AC 1- lassen sich wesentlich höhere Härten erreichen. Es gibt darüber von Rose und Rademacher eine Veröffentlichung in der Zeitschrift "Stahl und Eisen" aus den Sechziger Jahren. Die hohen Härtewerte beim Induktionshärten von Sägezahnspitzen deuten das ebenfalls an.
4. Warum im Martensit nur 0,6 % C gelöst sein können, kann ich mir nicht denken. Diese Information halte ich für falsch und Du solltest sie überprüfen.
Bei Übereutektoidischen Stählen, die aus dem Gebiet der vollen Karbidlösung gehärtet werden (aus dem Eisen- Kohlenstoffdiagramm abzulesen) ergibt sich eine oft geringere Härte als bei einer Härtung, die sich nach der Behandlung für eutektoidische Stähle richtet. Dies liegt an dem dann vermehrt auftretenden Restaustenit.
5. Hier scheint mir der springende Punkt Deines Problems zu liegen- die Wirkung der Legierungselemente, insbesondere solcher, die Sonderkarbide bilden.
Sämtliche substituierenden Elemente-wohl mit Ausnahme des Kobalts- verringern die Löslichkeit des Kohlenstoffs im Austenit, wirken also im Sinne der Erhöhung des C-Gehalts. Als Beispiel: Die Zulegierung von 2 % Wolfram senkt den eutektischen Punkt um ca, 0,15-0,2 % C. Gehen wir also vom Eutektikum bei 0,8 % C aus, läge es bei einem Wolframstahl mit 2 % W bei etwa 0,6 % C.
Hinzukommt, daß Legierungselemente sich nicht nur im Eisenkarbid Fe 3 C als Ersatz für einen Teil des Eisens einlagern können, sondern eigene und Mischkarbide bilden können. Insbesondere sind das die Elemente Chrom, Wolfram, Molybdän und Vanadium. Die unter Beteiligung dieser Elemente gebildeten Karbide sind wesentlich stabiler als das einfache Eisenkarbid, so dass sie erst bei deutlich höherer Temperatur gelöst werden können, als dieses.
Was mit diesen Karbiden beim Härten geschieht, ist eine Frage der Temperatur. Bleibt man unter der Lösungstemperatur dieser Karbide so bleiben sie als solche auch im Austenit bestehen und sind dann auch im Martensit als selbständige, sehr harte Partikel enthalten, wie Sand, den man in Gips eingestreut hat.
Das kann dazu führen, daß ein Stahl mit einem höheren Prozentsatz von Sonderkarbidbildnern überhaupt nicht mehr härtet, weil der Kohlenstoff eben in den Karbiden enthalten ist, und zur Härtung nicht mehr zur Verfügung steht.
Als Beispiel: Vanadium bindet pro Prozent etwa 0,16 % C im sehr stabilen Vanadiumkarbid. Ein Stahl mit 1 % C und 10 % Vanadium wäre also von üblicher Härtetemperatur überhaupt nicht mehr härtbar, weil sämtlicher Kohlenstoff im Vanadiumkarbid enthalten wäre. Er würde aber wieder härtbar, wenn man die Härtetemperatur so hoch wählen würde, daß das Vanadiumkarbid aufgelöst würde. Da das erst bei etwa 1100 Grad C der Fall wäre, hat man einen solchen Stahl nicht hergestellt, weil er zuviele Nachteile ohne rechten Nutzen hätte.
Der höchst verschleißfeste Stahl CPM 10 V ist aber nach diesen Grundsätzen aufgebaut. Man hat als Grundlegierung den Stahls 1.2363 = A 1 der amerikanischen Bezeichnung genommen und ihm 10 % Vanadium zulegiert. Um die gewünschte Härtbarkeit zu erhalten, mußte man deshalb den C-Gehalt um 1,6 % erhöhen.
Ich hoffe, ich konnte Dir einen Einstieg in die zwar nicht ganz unkomplizierte, aber auch faszinierende Welt der Behandlung des Stahls geben.
MfG U. Gerfin
 
Vielen, vielen Dank. Das hilft mir wirklich weiter.
Das mit dem 0,6% C im Martensit habe ich in dieser Woche irgendwo gelesen (muss da nochmal nachschauen), als ich im Zuge eines Versuchs für das Fach Werkstofftechnik (Härteprüfung und WB) noch einmal die Begriffe für mich klären wollte.
Ich habe mich bereits zuvor damit beschäftigt, und lese alles, was ich dazu bekommen kann :irre:
(Und ab nächstem Semester sitze ich in der Fakultät der Werkstoffwissenschaften, da ich diese Fach als Wirtschaftsingenieur vertiefen werde)

Noch einmal vielen Dank, ich werde mir jetzt weiter führende Literatur zulegen, Roman Landes hat ja in seinem Buch "Messerklingen und Stahl" im Anhang einige Bücher aufgelistet.

Wenn ich dann noch eine Frage habe, nerv ich wieder!

Grüße
Micha
 
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