Rock'n'Roll
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"Egal wie, Thomas baut Messer der vordersten Ränge der ersten Liga. Extraklasse, und schön ballig auf null!"
Aus der Email eines Forenkollegen
Boas,
dergleichen Einschätzung bezüglich Thomas Froberg haben wir nicht zum ersten Mal gelesen. Und folglich nach Einsichtnahme der auf seiner Homepage gezeigten sieben beliebtesten Messermodelle und vieler weiterer angefertigter Folder hier im Forum und sonstwo im Netz vor uns hin sinniert, welches Messer in welcher Ausführung es denn wohl werden soll. Schlank und scharf sehr gern. Allerdings nicht so gern ein direkter Konkurrent für unseren Padouk-Klapper von seinem langjährigen Freund Daniel Boll. Man hat es aber auch wirklich nicht leicht …
Wir wurden nicht schlüssig. Wußten nur, daß wir eines wollten. Des nicht zu überlesenden guten Rufs wegen - nicht zuletzt bezüglich der fabelhaften Klingengeometrie. Bei „auf Null“ klingeln bei uns sowieso immer die Sirenen. Umso lauter, wenn es sich um Carbon handelt.
Nun begab es sich kürzlich - wieder einmal völlig unerwartet :emmersed: - daß ein Mit-Messerist hier in diesem Forum einen - gerade erst bei ihm eingeflogenen - niegelnagelneuen Froberg-Klapper zum Kauf anbot. Er brauchte unerwartet „Spielgeld“. Das Leben halt, wie er meinte …
Eine fette Seekuh mit 3,6 mm 1.2442 und einer Klingenlänge von 104 mm, bewußt stabil ausgelegt. Noch ganz im Rausch des „El Patron“ von Jeremy Robertson dachten wir. Hmmmmh, warum nicht dieser?! Ein „Nobel-Workhorse“!! Die Klingenform „stach“ uns regelrecht ins Auge. Wir haben Thomas mal angerufen und nach Details gefragt.
Der hat uns aufgeklärt: „Ich habe von oben runter einen Flachschliff angelegt, der auf 3/10 läuft. Von da an geht es leicht ballig auf NULL. Das halte ich für die beste aller Geometrien.“ Damit war für uns die Sache klar. Wir wußten, daß wir das Messer mögen würden. Zwar haben wir eine „In der Hauptsache ballige Veranlagung“. Aber wir wissen ebenso eine flachgeschliffene Klinge, die ballig auf Null läuft, zu schätzen. Nicht zuletzt auch deswegen, weil sie sich wie eine insgesamt ballige schärfen läßt.
Ein gutes Beispiel für diese Art Schliff haben wir in unserem Zsolt Silverstar Kompakt - der über eine 3,75 mm starke flachgeschliffene Klinge mit V-Fase verfügte - und den wir (neben anderen) ballig auf Null umgeschliffen haben. Das Arbeiten mit dem Messer hat sich drastisch verbessert. Unsere heimliche Sorge war nur, daß die Seekuh möglicherweise so einen „Angst-Bevel“ aka „Kummerspeck“ haben würde. So eine aus Sicherheitsgründen „zurückgelassene“ Verdickung hinter der Wate, die es uns erschweren würde, das Messer problemlos auf unsere beliebte Art und Weise per Micro Mesh scharfzuhalten. Sind wir doch diesbezüglich gebrannte Kinder …
Wir müssen nun zu allererst Abbitte tun wegen dieser insgeheimen Befürchtung (besser gesagt Unterstellung). Die Frobergsche Klingengeometrie ist in ihrer Gesamtheit herausragend. Von 3/10 an verdünnisiert sich die Klinge übergangslos in gestrecktem Bogen down to zero. Strop it! Die Schärfe der Klinge ist dabei unverschämt. Hanging Hair out of the box! Respekt!!!
Das erste NEUE Messer, daß wir mit so einem Schliff in den Fingern halten. Wir kennen Hohlschliff mit balligem Secondary Bevel à la Chris Reeve, feist ballig à la Bark River oder Fällkniven und exzellent schlank ballig auf Null à la Daniel Boll. Von einem Flachschliff mit balligem Ausgang „ab Werk“ hatten wir bisher keine bewußte Kenntnis. Nur, daß einige Messerfreunde gelegentlich - wie auch wir - flachgeschliffene Klingen mit V-Bevel in ballig umschleifen.
Umso mehr freuen wir uns, daß ein gelernter Werkzeugmacher und passionierter Messerbauer mit 30 Jahren Erfahrung diese Art Schliff präferiert, ihn an seinen Messern in - noch nie gesehener - höchster Perfektion anbringt und uns damit nicht zuletzt weiter in unserem Gefühl bestärkt, daß eine ballige Fase auch in einem solchen Fall der Weg ist.
Was ja nichts wirklich Neues ist. Wir zitieren hierzu gern noch einmal aus dem Buch Messerklingen und Stahl von Roman Landes: „ … die ideale Form für eine gleichmäßige Druckausübung - die wiederum bewirkt, daß die erforderliche Kraftausübung für einen Schnitt möglichst gering ist - entspricht einer quadratischen Parabel, d.h., einer balligen Schneide; der Schneidenwinkel selbst ist wesentlich abhängig vom Werkstoff - wobei ein kleiner (möglichst spitzer) Schneidenwinkel (geringstmöglich etwa 10 Grad) zu einem besseren Eindringungsvermögen in das Schnittgut bzw. besserer Schneidfähigkeit führt …“
Am zweiten Tag - diese Anekdote gehört hierhin - hatten wir das Messer einem holländischen Freund - der damit umzugehen weiß und mit dem wir häufiger bei Augusto unseren Café einnehmen - zur Begutachtung in die Hand gedrückt. Er faßte auf die Schneide, sah mich an und zog dann mit breitem Grinsen eine satte Schneise in seinen stark behaarten Unterarm. So macht Messer Spaß!!
Und überhaupt - der Seekuh-Knochen. Sehr schön auch diese polierte und in der Sonne vor sich hinglimmernde - dezent längssatinierte - Klinge. Zu schade, um sie zu benutzen. Welch herrlicher Glanz in unserer Hütte!! Ein Vitrinenmesser !!! Doch das Ende der Unschuld kam schnell. In dieser Manier: Entrinden, entasten, Käse-Obstsalat …
Der Apfel bringt es an den Tag …
Da wir zur Zeit aus Gründen der Selbstkasteiung und Gesundheitsvorsorge eine Obstorgie abfeiern - wir sitzen diesbezüglich ja erfreulicherweise direkt an der Quelle - fangen wir gleich DAMIT an. Morgens Apfel mit etwas Sahne und Körnern, abends Käse-Obst-Salat aus 2 Apfelsinen, einem Apfel, ein paar Käsewürfeln und ebenfalls etwas „Vogelfutter“. Ein Spritzer bestes Bio-Olivenöl aus dem Alentejo rundet die Sache ab.
Wir haben in den letzten 10 Tagen 20 Äpfel und 20 Apfelsinen geschält und aufgeschnitten (gegessen auch). Alle mit der Seekuh. Das hat der Klinge erstens zu einer mittlerweile fabelhaften Patina verholfen. Etwa drei Äpfel haben sich btw anfangs an ein paar Stellen leicht schwarz gefärbt, seitdem kein Metallgeschmack und keine Verfärbung mehr.
Was allerdings ganz besonderer Erwähnung bedarf, ist zweitens die Tatsache, wie perplex wir beim Schälen des ersten Apfels waren. Wie eins unserer besten Küchenmesser gleitet die Klinge ohne Kraftaufwand unter der Schale entlang und hebt sie hauchdünn ab. Beeindruckender noch - sie schneidet überraschender Weise durch den ganzen Apfel und spaltet ihn nicht. DAS nennen wir Klingengeometrie. Die schlank ballige Schneide von höchster Schärfe mit einem Gesamt-Schneidenwinkel von an die 20 Grad liefert trotz 3,6-mm-Klingenrückenstärke und Flachschliff ein Ergebnis, das zu Erstaunen und Begeisterung Anlaß gibt.
Die Handlage ist dazu bestens geeignet für den Küchendienst. Da es keine „vorformulierten Handlungs-Anweisungen“ gibt, sondern ein schlicht gehaltener, gerader und feinstens abgerundeter Griff vorliegt, läßt sich das Messer in der Hand drehen und wenden, wie es gefällt. Sonst hätten wir ganz sicher am zweiten Tag wieder zu unserem Herder 1922 Office gegriffen .
Jensh hat es hier im Forum mal so zusammengefaßt: „Nach allem Hin und Her sind für mich, im Querschnitt, flachovale Griffe ohne Mulden die flexibelsten und bequemsten. Und ohne all die Fingermulden sind, in Summe, auch die elegantesten Messerkonturen möglich.“
Um die Sache zu verifizieren, haben wir an einem Tag ein Vergleichs-Schälen-und-Schneiden mit unserem Para-Mili 2 und dem Titan-Military angestellt. Beide ebenfalls Flachschliff - aber mit V-Fase. Klingenstärke Military ebenfalls 3,6 mm. Insbesondere beim gleichgroßen Military bricht man sich beim Apfelschälen echt einen ab. Auch das Para-Mili 2 ist kein Spaß-Schäler. Nun könnte man sagen: Wurscht. Ein Military ist kein Schälmesser. Die Seekuh auch nicht.
Das ist sicher richtig. Aber beim Schälen und Schneiden eines knackigen Apfels kann man eine Menge über Messer lernen. Ergos, Haptik, Schneidfähigkeit ganz allgemein! Und dazu haben wir im Vergleich zur Seekuh beim Para-Mili 2 noch eine sehr interessante Entdeckung gemacht, die den Vorteil der balligen Schneide unterstreicht.
Während die Klinge der Seekuh quasi widerstandslos unter die Schale des Apfels gleitet, verspürt man bei der V-Fase Gegendruck. Und - was besonders ins Auge sticht - kleine Spritzer von Fruchtsäure fliegen durch die Gegend. So stark ist der Widerstand, den die „Kante“ erzeugt, die am Übergang von V-Fase zum Rest der Klinge zu überwinden ist. Es bremst/stottert ständig leicht im Vergleich zur Seekuh beim Schälen.
Im ersten Ergebnis haben wir mit der Frobergschen Seekuh also schon mal ein Feldküchen-taugliches Messer mit einer Klinge zur Hand, die für unsere Belange eines quasi-vegetarischen Ein-Personen-Haushalts (sorry Johnny) hinreicht. Ausgestattet mit dieser 10,4-cm-Klinge und ihrer exzellenten Schneidfähigkeit könnten wir outdoor (wie indoor) gut überleben …
Schneiden …
Schneiden sieht für die Frobergsche Seekuh im wesentlichen allerdings auch bei uns anders aus. Waren wir schließlich höchst interessiert, herauszufinden, wie sich das Messerchen bei der Holzbearbeitung schlägt. Wir können es kurz machen.
So, wie sich ein Messer beim Apfelschälen verhält, verhält es sich im Prinzip auch bei allen anderen Schneidaufgaben. Je sperriger das Schnittgut wird, desto stärker treten die individuellen Begebenheiten zutage. Der Kraftaufwand beim Schneiden in Holz ist folglich bei der Seekuh geringer als bei einem vergleichbaren Flachschliff mit V-Fase.
Zudem läßt sich - wir haben eine Weile im Vergleich mit dem Titan Military gearbeitet - mit Frobergs Seekuh feinerer Span abheben. Der exzellent flache Schneidenwinkel in Tateinheit mit der hohen Schärfe zahlt sich aus. Das Messer gleitet dazu flach über ein Holz, während die Klinge des Military steiler gehalten werden muß und es weniger leicht ist, den exakten Winkel zu halten. Schnell schneidet man tiefer „ins Fleisch“ als gewollt.
Was den Stahl angeht, müssen wir nicht diskutieren. Der 1.2442 ist dem S30V IMHO klar überlegen. Die Standzeit ist hervorragend. Nach 10 Tagen Nutzung haben wir das erste Mal Micro Mesh und Mousepad aufgelegt. Ohne zwingenden Grund wohlgemerkt. Und - was u.E. entscheidender ist - der wolframlegierte Carbonstahl chippt nicht. Diese Erfahrung haben wir mittlerweile beim vierten Messer gemacht.
Ein einziges Mal hat sich bei einer dünneren (2,4 mm), nagelgängig ausgeschliffenen Klinge beim groben Abtrennen eines zwei Zentimeter dicken Astes die Schneide leicht umgelegt. Wir konnten sie mühelos durch moderaten Druck wieder aufrichten, indem wir die Stelle einige Male akzentuiert flach über den Ast haben laufen lassen. Das ist on the road ein deutlicher Vorteil.
Mit CPM S30V hatten wir bei starker Beanspruchung (Schneiden von in der Sonne gedörrtem Schilfrohr) bereits mehrfach Mikro-Chipping-Probleme. Auch jetzt wieder. Nach nur einem Tag mit insgesamt keiner Stunde Nutzung an zwei daumendicken Hölzern mit Wegschneiden von Verästelungen beim Military ein fetter Ruckler auf dem Daumennagel und mehrere kleine Mikro-Chips, die man mit bloßem Auge im Sonnenlicht sehen konnte.
Die kleinen Chips ließen sich mit Micro Mesh entfernen. Für den dicken Ruckler mußten wir erst den Sinter vom Haken nehmen. Sandvik 12C27 hat sich schon vor längerer Zeit in einem ähnlichen Vergleich deutlich besser geschlagen. Zudem läßt sich der 1.2442 sehr fein ausschleifen, verträgt einen kleinen Schneidenwinkel - und bildet eine sehr schöne Patina aus!! Er ruckelt nicht :love_heart: …
Wir haben Rinde entfernt, Verästelungen in Serie weggeschnitten, die Hölzer fein „poliert“. Wir könnten einen Laden aufmachen mittlerweile. Aber so geht die Zeit angenehm dahin, wir lernen Stahl und Messer kennen. Lieben oder hassen ! Obwohl - so ein richtig schlechtes Messer haben wir eigentlich gar nicht. Und überhaupt ist ja alles relativ. Und Geschmacksache.
Wenn wir zum Vergleich den Padouk-Klapper von Daniel Boll heranziehen (ebenfalls 1.2442), ist festzuhalten, daß Daniels Klinge - die in Gänze ballig und 1,2 mm dünner ist - leichter schneidet. Beispielsweise von oben in die Wand eines stabilen Kartons. Oder durch einen Apfel. Wie groß der Anteil des insgesamt balligen Schliffs daran ist, da sind wir uns nicht mehr so ganz sicher nach diesem ausgiebigen Schneidvergnügen mit der Frobergschen Seekuh. Rein theoretisch sollte die Balligkeit durch den geringeren Kontakt mit dem Schnittgut hier aber schon von Vorteil sein.
Um es genau zu wissen, müßte man dazu eine von Thomas Froberg flachgeschliffene und geschärfte 2,4-mm-Klinge aus 1.2442 der gleichen Länge wie das Boll-Padouk verfügbar haben. Und dann mal sehen …
Finish …
Was Materialwahl, Verarbeitung und das Finish der Seekuh angeht, vergeben wir 10 von 10 möglichen Punkten. Titan Grade 5 (nicht koloriert), Seekuhknochen, alle Kleinteile inkl. Schrauben VA, die Schrauben (alle Torx-T10!!) im Seekuh-Teint hitzekoloriert, Klinge aus 1.2442. Diese 100 % zentriert. 100 % symmetrischer Anschliff. Eine Traum-Haptik durch die Seekuh und ihre Oberflächenbehandlung. Alles very smooth. Die Titan-Platinen innen sowie die Verschluß-Feder innen und außen tragen einen Sonnenschliff. Kein Heber, kein Klemmer, kein Lanyardhole. Keine Schmiedemarke. No Nonsense. Messer pur.
Liebe zum Detail vereinigt sich hier mit Perfektionismus und verleiht dem gewählten Material höhere Weihen. Man kann stundenlang mit dem großen Messer arbeiten, ohne daß irgendetwas nervt. Ob grob oder fein - das kann das!! Es liegt bequemer in der Hand als Jeremy Robertsons „El Patron“. Von der Leistungsfähigkeit her gesehen steht es ihm dabei in so gut wie nichts nach. Der Patron ist etwas mehr Pitbull. Was den Piranha angeht, kann ihm die Frobergsche Seekuh allerdings locker das Wasser reichen …
Frobergsche Seekuh 1.2442
1.2442 aka 115 W 8: C: 1,15 Si: 0,25 Mn: 0,35 Cr: 0,2 W: 1,8-2,1
Länge geöffnet: 228 mm
Länge geschlossen: 124 mm
Klinge: 1.2442, angelassen auf 60-61 HRC (Finish: dezent längssatiniert)
Klingenlänge: 104 mm (99 mm scharf - die Schneidfase entlang gemessen)
Klingenhöhe: 27,95 mm maximal am Ricasso, langsam auf die „Speer“- Spitze zulaufend
Klingenstärke: 3,6 mm an der Wurzel, erst im vorderen Drittel auf Null zulaufend
Klingenschliff: beidseitig sehr schön gleichmäßig flach von fast oben, auf 3/10 mm ausgeschliffen und von da an schlank ballig auf NULL, Gesamt-Schneidenwinkel etwa 20 Grad
Alle Schrauben aus VA-Stahl, hitzekoloriert im Seekuh-Teint
Alle Kleinteile aus VA-Stahl
Die Titanplatinen (2,5 mm) inkl. separat verschraubten Griffschalen (6 x Torx T10) ruhen auf 1 Stand-Off (Abstandhalter), dem Stoppin und der Achsschraube (Achse, Stoppin und Stand-Off je 5mm)
Arretierung: Auswechselbare Verschlußfeder mit integriertem (ebenfalls wechselbaren) Detent
Titanplatinen aus federhartem 6AL4V (Grade 5) mit gewölber, fein abgerundeter und polierter Auflage aus Seekuh-Knochen
Griffstärke: von 18,5 mm am Griffanfang über 20,5 mm max. in der Griffmitte auf 18,5 mm am Griffende
Griffhöhe: 29,7 mm max. am Ricasso, abnehmend auf 24,5 mm und langsam wieder ansteigend auf 26,7 mm in der Mitte, am Griffende erneut 24,5 mm
Gewicht: 171 Gramm
Kein Klemmer, kein Heber, kein Lanyardhole
Sonnenschliff unter den Titanplatinen und auf beiden Seiten der Verschlußfeder
Es ist angerichtet …
Im Zeichen des Sonnenschliffs die Jukebox mit George Harrison: "Here comes the sun"
Aus dark Monte Gordo
Johnny & Rock’n’Roll
Aus der Email eines Forenkollegen
Boas,
dergleichen Einschätzung bezüglich Thomas Froberg haben wir nicht zum ersten Mal gelesen. Und folglich nach Einsichtnahme der auf seiner Homepage gezeigten sieben beliebtesten Messermodelle und vieler weiterer angefertigter Folder hier im Forum und sonstwo im Netz vor uns hin sinniert, welches Messer in welcher Ausführung es denn wohl werden soll. Schlank und scharf sehr gern. Allerdings nicht so gern ein direkter Konkurrent für unseren Padouk-Klapper von seinem langjährigen Freund Daniel Boll. Man hat es aber auch wirklich nicht leicht …
Wir wurden nicht schlüssig. Wußten nur, daß wir eines wollten. Des nicht zu überlesenden guten Rufs wegen - nicht zuletzt bezüglich der fabelhaften Klingengeometrie. Bei „auf Null“ klingeln bei uns sowieso immer die Sirenen. Umso lauter, wenn es sich um Carbon handelt.
Nun begab es sich kürzlich - wieder einmal völlig unerwartet :emmersed: - daß ein Mit-Messerist hier in diesem Forum einen - gerade erst bei ihm eingeflogenen - niegelnagelneuen Froberg-Klapper zum Kauf anbot. Er brauchte unerwartet „Spielgeld“. Das Leben halt, wie er meinte …
Eine fette Seekuh mit 3,6 mm 1.2442 und einer Klingenlänge von 104 mm, bewußt stabil ausgelegt. Noch ganz im Rausch des „El Patron“ von Jeremy Robertson dachten wir. Hmmmmh, warum nicht dieser?! Ein „Nobel-Workhorse“!! Die Klingenform „stach“ uns regelrecht ins Auge. Wir haben Thomas mal angerufen und nach Details gefragt.
Der hat uns aufgeklärt: „Ich habe von oben runter einen Flachschliff angelegt, der auf 3/10 läuft. Von da an geht es leicht ballig auf NULL. Das halte ich für die beste aller Geometrien.“ Damit war für uns die Sache klar. Wir wußten, daß wir das Messer mögen würden. Zwar haben wir eine „In der Hauptsache ballige Veranlagung“. Aber wir wissen ebenso eine flachgeschliffene Klinge, die ballig auf Null läuft, zu schätzen. Nicht zuletzt auch deswegen, weil sie sich wie eine insgesamt ballige schärfen läßt.
Ein gutes Beispiel für diese Art Schliff haben wir in unserem Zsolt Silverstar Kompakt - der über eine 3,75 mm starke flachgeschliffene Klinge mit V-Fase verfügte - und den wir (neben anderen) ballig auf Null umgeschliffen haben. Das Arbeiten mit dem Messer hat sich drastisch verbessert. Unsere heimliche Sorge war nur, daß die Seekuh möglicherweise so einen „Angst-Bevel“ aka „Kummerspeck“ haben würde. So eine aus Sicherheitsgründen „zurückgelassene“ Verdickung hinter der Wate, die es uns erschweren würde, das Messer problemlos auf unsere beliebte Art und Weise per Micro Mesh scharfzuhalten. Sind wir doch diesbezüglich gebrannte Kinder …
Wir müssen nun zu allererst Abbitte tun wegen dieser insgeheimen Befürchtung (besser gesagt Unterstellung). Die Frobergsche Klingengeometrie ist in ihrer Gesamtheit herausragend. Von 3/10 an verdünnisiert sich die Klinge übergangslos in gestrecktem Bogen down to zero. Strop it! Die Schärfe der Klinge ist dabei unverschämt. Hanging Hair out of the box! Respekt!!!
Das erste NEUE Messer, daß wir mit so einem Schliff in den Fingern halten. Wir kennen Hohlschliff mit balligem Secondary Bevel à la Chris Reeve, feist ballig à la Bark River oder Fällkniven und exzellent schlank ballig auf Null à la Daniel Boll. Von einem Flachschliff mit balligem Ausgang „ab Werk“ hatten wir bisher keine bewußte Kenntnis. Nur, daß einige Messerfreunde gelegentlich - wie auch wir - flachgeschliffene Klingen mit V-Bevel in ballig umschleifen.
Umso mehr freuen wir uns, daß ein gelernter Werkzeugmacher und passionierter Messerbauer mit 30 Jahren Erfahrung diese Art Schliff präferiert, ihn an seinen Messern in - noch nie gesehener - höchster Perfektion anbringt und uns damit nicht zuletzt weiter in unserem Gefühl bestärkt, daß eine ballige Fase auch in einem solchen Fall der Weg ist.
Was ja nichts wirklich Neues ist. Wir zitieren hierzu gern noch einmal aus dem Buch Messerklingen und Stahl von Roman Landes: „ … die ideale Form für eine gleichmäßige Druckausübung - die wiederum bewirkt, daß die erforderliche Kraftausübung für einen Schnitt möglichst gering ist - entspricht einer quadratischen Parabel, d.h., einer balligen Schneide; der Schneidenwinkel selbst ist wesentlich abhängig vom Werkstoff - wobei ein kleiner (möglichst spitzer) Schneidenwinkel (geringstmöglich etwa 10 Grad) zu einem besseren Eindringungsvermögen in das Schnittgut bzw. besserer Schneidfähigkeit führt …“
Am zweiten Tag - diese Anekdote gehört hierhin - hatten wir das Messer einem holländischen Freund - der damit umzugehen weiß und mit dem wir häufiger bei Augusto unseren Café einnehmen - zur Begutachtung in die Hand gedrückt. Er faßte auf die Schneide, sah mich an und zog dann mit breitem Grinsen eine satte Schneise in seinen stark behaarten Unterarm. So macht Messer Spaß!!
Und überhaupt - der Seekuh-Knochen. Sehr schön auch diese polierte und in der Sonne vor sich hinglimmernde - dezent längssatinierte - Klinge. Zu schade, um sie zu benutzen. Welch herrlicher Glanz in unserer Hütte!! Ein Vitrinenmesser !!! Doch das Ende der Unschuld kam schnell. In dieser Manier: Entrinden, entasten, Käse-Obstsalat …
Der Apfel bringt es an den Tag …
Da wir zur Zeit aus Gründen der Selbstkasteiung und Gesundheitsvorsorge eine Obstorgie abfeiern - wir sitzen diesbezüglich ja erfreulicherweise direkt an der Quelle - fangen wir gleich DAMIT an. Morgens Apfel mit etwas Sahne und Körnern, abends Käse-Obst-Salat aus 2 Apfelsinen, einem Apfel, ein paar Käsewürfeln und ebenfalls etwas „Vogelfutter“. Ein Spritzer bestes Bio-Olivenöl aus dem Alentejo rundet die Sache ab.
Wir haben in den letzten 10 Tagen 20 Äpfel und 20 Apfelsinen geschält und aufgeschnitten (gegessen auch). Alle mit der Seekuh. Das hat der Klinge erstens zu einer mittlerweile fabelhaften Patina verholfen. Etwa drei Äpfel haben sich btw anfangs an ein paar Stellen leicht schwarz gefärbt, seitdem kein Metallgeschmack und keine Verfärbung mehr.
Was allerdings ganz besonderer Erwähnung bedarf, ist zweitens die Tatsache, wie perplex wir beim Schälen des ersten Apfels waren. Wie eins unserer besten Küchenmesser gleitet die Klinge ohne Kraftaufwand unter der Schale entlang und hebt sie hauchdünn ab. Beeindruckender noch - sie schneidet überraschender Weise durch den ganzen Apfel und spaltet ihn nicht. DAS nennen wir Klingengeometrie. Die schlank ballige Schneide von höchster Schärfe mit einem Gesamt-Schneidenwinkel von an die 20 Grad liefert trotz 3,6-mm-Klingenrückenstärke und Flachschliff ein Ergebnis, das zu Erstaunen und Begeisterung Anlaß gibt.
Die Handlage ist dazu bestens geeignet für den Küchendienst. Da es keine „vorformulierten Handlungs-Anweisungen“ gibt, sondern ein schlicht gehaltener, gerader und feinstens abgerundeter Griff vorliegt, läßt sich das Messer in der Hand drehen und wenden, wie es gefällt. Sonst hätten wir ganz sicher am zweiten Tag wieder zu unserem Herder 1922 Office gegriffen .
Jensh hat es hier im Forum mal so zusammengefaßt: „Nach allem Hin und Her sind für mich, im Querschnitt, flachovale Griffe ohne Mulden die flexibelsten und bequemsten. Und ohne all die Fingermulden sind, in Summe, auch die elegantesten Messerkonturen möglich.“
Um die Sache zu verifizieren, haben wir an einem Tag ein Vergleichs-Schälen-und-Schneiden mit unserem Para-Mili 2 und dem Titan-Military angestellt. Beide ebenfalls Flachschliff - aber mit V-Fase. Klingenstärke Military ebenfalls 3,6 mm. Insbesondere beim gleichgroßen Military bricht man sich beim Apfelschälen echt einen ab. Auch das Para-Mili 2 ist kein Spaß-Schäler. Nun könnte man sagen: Wurscht. Ein Military ist kein Schälmesser. Die Seekuh auch nicht.
Das ist sicher richtig. Aber beim Schälen und Schneiden eines knackigen Apfels kann man eine Menge über Messer lernen. Ergos, Haptik, Schneidfähigkeit ganz allgemein! Und dazu haben wir im Vergleich zur Seekuh beim Para-Mili 2 noch eine sehr interessante Entdeckung gemacht, die den Vorteil der balligen Schneide unterstreicht.
Während die Klinge der Seekuh quasi widerstandslos unter die Schale des Apfels gleitet, verspürt man bei der V-Fase Gegendruck. Und - was besonders ins Auge sticht - kleine Spritzer von Fruchtsäure fliegen durch die Gegend. So stark ist der Widerstand, den die „Kante“ erzeugt, die am Übergang von V-Fase zum Rest der Klinge zu überwinden ist. Es bremst/stottert ständig leicht im Vergleich zur Seekuh beim Schälen.
Im ersten Ergebnis haben wir mit der Frobergschen Seekuh also schon mal ein Feldküchen-taugliches Messer mit einer Klinge zur Hand, die für unsere Belange eines quasi-vegetarischen Ein-Personen-Haushalts (sorry Johnny) hinreicht. Ausgestattet mit dieser 10,4-cm-Klinge und ihrer exzellenten Schneidfähigkeit könnten wir outdoor (wie indoor) gut überleben …
Schneiden …
Schneiden sieht für die Frobergsche Seekuh im wesentlichen allerdings auch bei uns anders aus. Waren wir schließlich höchst interessiert, herauszufinden, wie sich das Messerchen bei der Holzbearbeitung schlägt. Wir können es kurz machen.
So, wie sich ein Messer beim Apfelschälen verhält, verhält es sich im Prinzip auch bei allen anderen Schneidaufgaben. Je sperriger das Schnittgut wird, desto stärker treten die individuellen Begebenheiten zutage. Der Kraftaufwand beim Schneiden in Holz ist folglich bei der Seekuh geringer als bei einem vergleichbaren Flachschliff mit V-Fase.
Zudem läßt sich - wir haben eine Weile im Vergleich mit dem Titan Military gearbeitet - mit Frobergs Seekuh feinerer Span abheben. Der exzellent flache Schneidenwinkel in Tateinheit mit der hohen Schärfe zahlt sich aus. Das Messer gleitet dazu flach über ein Holz, während die Klinge des Military steiler gehalten werden muß und es weniger leicht ist, den exakten Winkel zu halten. Schnell schneidet man tiefer „ins Fleisch“ als gewollt.
Was den Stahl angeht, müssen wir nicht diskutieren. Der 1.2442 ist dem S30V IMHO klar überlegen. Die Standzeit ist hervorragend. Nach 10 Tagen Nutzung haben wir das erste Mal Micro Mesh und Mousepad aufgelegt. Ohne zwingenden Grund wohlgemerkt. Und - was u.E. entscheidender ist - der wolframlegierte Carbonstahl chippt nicht. Diese Erfahrung haben wir mittlerweile beim vierten Messer gemacht.
Ein einziges Mal hat sich bei einer dünneren (2,4 mm), nagelgängig ausgeschliffenen Klinge beim groben Abtrennen eines zwei Zentimeter dicken Astes die Schneide leicht umgelegt. Wir konnten sie mühelos durch moderaten Druck wieder aufrichten, indem wir die Stelle einige Male akzentuiert flach über den Ast haben laufen lassen. Das ist on the road ein deutlicher Vorteil.
Mit CPM S30V hatten wir bei starker Beanspruchung (Schneiden von in der Sonne gedörrtem Schilfrohr) bereits mehrfach Mikro-Chipping-Probleme. Auch jetzt wieder. Nach nur einem Tag mit insgesamt keiner Stunde Nutzung an zwei daumendicken Hölzern mit Wegschneiden von Verästelungen beim Military ein fetter Ruckler auf dem Daumennagel und mehrere kleine Mikro-Chips, die man mit bloßem Auge im Sonnenlicht sehen konnte.
Die kleinen Chips ließen sich mit Micro Mesh entfernen. Für den dicken Ruckler mußten wir erst den Sinter vom Haken nehmen. Sandvik 12C27 hat sich schon vor längerer Zeit in einem ähnlichen Vergleich deutlich besser geschlagen. Zudem läßt sich der 1.2442 sehr fein ausschleifen, verträgt einen kleinen Schneidenwinkel - und bildet eine sehr schöne Patina aus!! Er ruckelt nicht :love_heart: …
Wir haben Rinde entfernt, Verästelungen in Serie weggeschnitten, die Hölzer fein „poliert“. Wir könnten einen Laden aufmachen mittlerweile. Aber so geht die Zeit angenehm dahin, wir lernen Stahl und Messer kennen. Lieben oder hassen ! Obwohl - so ein richtig schlechtes Messer haben wir eigentlich gar nicht. Und überhaupt ist ja alles relativ. Und Geschmacksache.
Wenn wir zum Vergleich den Padouk-Klapper von Daniel Boll heranziehen (ebenfalls 1.2442), ist festzuhalten, daß Daniels Klinge - die in Gänze ballig und 1,2 mm dünner ist - leichter schneidet. Beispielsweise von oben in die Wand eines stabilen Kartons. Oder durch einen Apfel. Wie groß der Anteil des insgesamt balligen Schliffs daran ist, da sind wir uns nicht mehr so ganz sicher nach diesem ausgiebigen Schneidvergnügen mit der Frobergschen Seekuh. Rein theoretisch sollte die Balligkeit durch den geringeren Kontakt mit dem Schnittgut hier aber schon von Vorteil sein.
Um es genau zu wissen, müßte man dazu eine von Thomas Froberg flachgeschliffene und geschärfte 2,4-mm-Klinge aus 1.2442 der gleichen Länge wie das Boll-Padouk verfügbar haben. Und dann mal sehen …
Finish …
Was Materialwahl, Verarbeitung und das Finish der Seekuh angeht, vergeben wir 10 von 10 möglichen Punkten. Titan Grade 5 (nicht koloriert), Seekuhknochen, alle Kleinteile inkl. Schrauben VA, die Schrauben (alle Torx-T10!!) im Seekuh-Teint hitzekoloriert, Klinge aus 1.2442. Diese 100 % zentriert. 100 % symmetrischer Anschliff. Eine Traum-Haptik durch die Seekuh und ihre Oberflächenbehandlung. Alles very smooth. Die Titan-Platinen innen sowie die Verschluß-Feder innen und außen tragen einen Sonnenschliff. Kein Heber, kein Klemmer, kein Lanyardhole. Keine Schmiedemarke. No Nonsense. Messer pur.
Liebe zum Detail vereinigt sich hier mit Perfektionismus und verleiht dem gewählten Material höhere Weihen. Man kann stundenlang mit dem großen Messer arbeiten, ohne daß irgendetwas nervt. Ob grob oder fein - das kann das!! Es liegt bequemer in der Hand als Jeremy Robertsons „El Patron“. Von der Leistungsfähigkeit her gesehen steht es ihm dabei in so gut wie nichts nach. Der Patron ist etwas mehr Pitbull. Was den Piranha angeht, kann ihm die Frobergsche Seekuh allerdings locker das Wasser reichen …
Frobergsche Seekuh 1.2442
1.2442 aka 115 W 8: C: 1,15 Si: 0,25 Mn: 0,35 Cr: 0,2 W: 1,8-2,1
Länge geöffnet: 228 mm
Länge geschlossen: 124 mm
Klinge: 1.2442, angelassen auf 60-61 HRC (Finish: dezent längssatiniert)
Klingenlänge: 104 mm (99 mm scharf - die Schneidfase entlang gemessen)
Klingenhöhe: 27,95 mm maximal am Ricasso, langsam auf die „Speer“- Spitze zulaufend
Klingenstärke: 3,6 mm an der Wurzel, erst im vorderen Drittel auf Null zulaufend
Klingenschliff: beidseitig sehr schön gleichmäßig flach von fast oben, auf 3/10 mm ausgeschliffen und von da an schlank ballig auf NULL, Gesamt-Schneidenwinkel etwa 20 Grad
Alle Schrauben aus VA-Stahl, hitzekoloriert im Seekuh-Teint
Alle Kleinteile aus VA-Stahl
Die Titanplatinen (2,5 mm) inkl. separat verschraubten Griffschalen (6 x Torx T10) ruhen auf 1 Stand-Off (Abstandhalter), dem Stoppin und der Achsschraube (Achse, Stoppin und Stand-Off je 5mm)
Arretierung: Auswechselbare Verschlußfeder mit integriertem (ebenfalls wechselbaren) Detent
Titanplatinen aus federhartem 6AL4V (Grade 5) mit gewölber, fein abgerundeter und polierter Auflage aus Seekuh-Knochen
Griffstärke: von 18,5 mm am Griffanfang über 20,5 mm max. in der Griffmitte auf 18,5 mm am Griffende
Griffhöhe: 29,7 mm max. am Ricasso, abnehmend auf 24,5 mm und langsam wieder ansteigend auf 26,7 mm in der Mitte, am Griffende erneut 24,5 mm
Gewicht: 171 Gramm
Kein Klemmer, kein Heber, kein Lanyardhole
Sonnenschliff unter den Titanplatinen und auf beiden Seiten der Verschlußfeder
Es ist angerichtet …
Im Zeichen des Sonnenschliffs die Jukebox mit George Harrison: "Here comes the sun"
Aus dark Monte Gordo
Johnny & Rock’n’Roll
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