Inspektions-Service: Solinger Kochmesser

Besserbissen

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Die Messer meiner Schwester fristen zur Zeit ein trauriges Dasein. Neben Thermomix und Essen-Gehen müssen sie sich unglaublich unterfordert fühlen. Da dachte ich mir, ich mach die mal fitt, vielleicht bekommt das Schwesterchen dsdurch wieder Lust auf richtiges Kochen.

Hier geht es um ein Güde Messer, dass vor ca. 15 Jahren bei Lidl im Set mit 4 Messern und einem Magnetbrett für schon damals unschlagbare 90 € angeboten wurde. Die Messer sind solide Arbeitspferde.

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Griff ist aus POM, ob der Stahl dem der übrigen Serien entspricht, kann ich nicht genau sagen. Vermutlich schon, das Messer ähnelt, abgesehen vom Griffmaterial, schon sehr dem Franz Güde Kochmesser. Wird also auf ca. 56 HRC gehärteter 1.4116 oder ähnlich sein.

Inspektion / Bestandsaufnahme:

1. Spitze verrundet, abgebrochen und auch leicht verbogen.

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Die Spitze werde ich auch etwas ausdünnen.

2. Schneide größtenteils leicht deformiert mit zahlreichen kleinen Ausbrüchen. Dadurch reflektiert sie bei Draufsicht im Licht.

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3. Overgrind unterhalt des Logos. Hier ist das Klingenblatt leicht verbogen (welllig), so dass man beim Schärfen auf der Seite, an der die Welle nach außen geht, immer etwas mehr Material wegnimmt. Dadurch schleift man diesen Bereich schnell hohl.

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Es ist aber genug Fleisch an der Schneide, um das Problem mit Ausdünnen der Klinge behebt.

4. „Beule“ an der Schneide. Man sieht sehr schön, was zähes Material aushält, ohne zu brechen. Ist trotzdem blöd und muss weg.

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Wer Interesse hat, bleibt dran. Es geht in lockerer Folge weiter, wenn ich zwischendurch Gelegenheit dazu habe.
 
Was bis jetzt geschah:

Am wassergekühltem Bandschleifer mit Korn 160 ausgedünnt. Dabei habe ich den Bart hochgesetzt, um den Overgrind rauszubekommen. Der Klingenstahl ist recht weich, daher nehme ich kein zu grobes Band:
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Beim Ausdünnen der Klinge muss man darauf achten, das die Schneide mittig sitzt, damit beim späteren Nachschärfen nicht wieder ein Overgrind entsteht. Nach dem Bandschleifer checke ich das mit einer Diaplatte, mit der ich zudem den Bereich über der Schneide weiter ausdünne:
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Die Spitze ist jetzt gerade und dünner, damit auch Zwiebeln Spaß machen:
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Nach einem ersten Hand-Längsfinish (Korn 80 + 120) poliere ich den Bereich über der Schneide mit Naniwa SS 800, um gröbere Kratzer zu entfernen:
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Die Schneide ist auf 0 geschliffen und hat von der bisherigen Arbeit hier und da einen Grat sowie feine Ausbrüche. Das ist zu diesem Zeitpunkt aber egal, denn die finale Schneidfase lege ich natürlich erst ganz zum Schluss an:
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Bei einem schrägen Blick auf den Schneidenverlauf kann man sehr gut beurteilen, ob das Profil zum Wiegen geeignet ist. So ist es perfekt:

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Jetzt geht es nur noch um ein schönes Finish an Klinge und Griff sowie um das Anlegen der finalen Schneidfase. Fortsetzung folgt…
 
Auch wenn dein Nassschleifgerat den Vorgang sicherlich vereinfacht so ist so ein Tuning, wie du es beschreibst, kein Hexenwerk.
Zwar braucht es ohne dein Gerät etwas länger, aber so eine Aufarbeitung eines alten Messers kann grundsätzlich jeder angeben, der in der Lage ist Messe zu schleifen.

Ich finde es daher toll, dass du den Arbeitsablauf und dessen Hintergründe beschrieben hast. Das macht es für eventuelle Nachahmer bestimmt einfacher. :)
 
Das stimmt. Anfangs habe ich auch nur einfache Diaplatten zum Ausdünnen genommen und mit einer leichten Wellenbewegung beim Schleifen den Bereich über der Schneide dann ballig geschliffen.
Das geht allerdings mit dem Bandschleifer und einem frei hängenden Band wesentlich schneller und einfacher.
 
Was für einen Bandschleifer hast du da?
In der Werkstatt in der ich manchmal Holzbastelei mache steht im Metallbereich aller möglicher Kram rum. Hatte überlegt mein mittlerweile recht ungenutzt rumstehendes Wüsthof Santoku mal zum Bastelobjekt zu machen.
Tormek T7 habe ich jetzt Einweisung und Zugriff, aber scheint mir eher ungeeignet für sowas!?
 
Ich habe einen relativ kleinen Bandschleifer von Mado mit (800x50 mm Bändern.
Wenn ich mich richtig erinnere, hat @Bukowski ein Messer mit einer Tormek (o.ä.) ausgedünnt. Könnte also auch gehen.
 
So ein kleines Ding was im Bereich von 1000€ anfängt. :ROFLMAO:
Also einen Bandschleifer ohne Kühlung haben wir da. Wenn nicht probier ich es vielleicht doch mal händisch, aber etwas maschinelle Hilfe wäre schon angenehmer.
Tormek T7 ist zwar ein Wasserstein (gekühlt) aber schon sehr gemütlich (nicht regulierbar) unterwegs...wobei es vielleicht einfach den Versuch wert wäre.
 
Finale:
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Ich habe es mit dem Finish nicht übertrieben, das Ganze sollte nicht zu Aufwändig werden. Längsfinish mit 240er Körnung:
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Die Schneidfase habe ich diesmal mit der kleinen Tormek T-1 angelegt. Das dauert nur ein paar Minuten.
3 Durchgänge je Seite und danach je Seite 1-2x abziehen. Das ergibt eine sehr ordentliche Küchenschärfe.

 
Servus,

toller Workflow! Mich interessiert, wieviel Klingenhöhe beim Überarbeiten verloren gegangen ist? Ich finde ein 240er Finish oder etwas feiner, an einem großen Messer am schönsten.

 Greetz
 
Zuletzt bearbeitet:
Das hält sich im Rahmen. Den Kehl / Bart habe ich ca. 2-3 mm zurückgenommen, um genug Platz zum Rausschleifen des Overgrinds zu haben. Im vorderen Bereich habe ich dagegen so gut wie nichts weggenommen. Nur gerade soviel, um die Beule rauszubekommen.

Die Spitze ist ca. 1-2 mm kürzer.
 
Servus,

sehr anschauliches "Work in progress" mit einem pragmatischen Final-Finish. Ich kenne dich ja schon länger und deine "Messerbildung" ist weit gediehen. Vor allem der praktische Teil hat eine Qualität erreicht, der dich völlig unabhängig vom handwerklichen Geschick anderer macht. Wer vorhandenes so sauber verbessern und aufarbeiten kann, ist unabhängig von Schleifdiensten aller Art und zeigt das man gute und bewährte Stangenware auch im niedrigen Preissegment zu guten Kochmessern machen kann. Eine dünne, zwiebelfähige Spitze, ein rund laufendes Profil, leicht ballige Flanken und eine sauber gesetzte Schneide macht aus fast jedem Messer ein gutes Werkzeug.

Ich verfolge deine Beiträge mit stetig wachsendem Vergnügen.:super:

Gruß, güNef
 
Sauberes Ergebnis Torsten! Ich freu mich immer wenn jemand das Thema Messer praxisbezogen angeht und das Vorgehen dann auch noch bebildert beschreibt.

Wenn ich mich richtig erinnere, hat @Bukowski ein Messer mit einer Tormek (o.ä.) ausgedünnt. Könnte also auch gehen.
Scheppach Tiger 2000S für 89€ inkl.
Zubehörset ;)

Bisher habe ich aus Zeitgründen leider nur einen ersten Versuch unternommen und bei einem Treuepunkte-Aktionsmesser mit dem 220er Stein die Klingengeometrie grob überarbeitet.


Wenn ich ein Messer auf der Dia-Platte mit Wellenbewegungen ballig ausdünnen kann, geht das nach ähnlichem Prinzip auch auf der Scheppach, nur halt schneller.

Danach würde ich die Klingenflanken mit der Dia-Platte homogenisieren, mit Schleifpapier aufhübschen und mit dem Nowi eine Fase setzen (quasi wie hier zu sehen).
 
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