Das was ich jetzt hier poste, kommt von mir privat und nicht im Namen des Verlags. Ich versuche mal ein wenig Licht ins Dunkel und euch das Leben eines Journalisten etwas näher zu bringen. Beispiele sind wahllos gewählt oder ausgedacht und sollen nur gewisse Konfliktsituationen bildlicher darstellen...
Frage: Warum ist der Bericht über Veranstaltung XY so kurz oder gar nicht drin?
Mögliche Gründe:
1. Es war kein Journalist des Messermagazins da. Wir sind auch nur Menschen und müssen unsere Zeit, die übrigens sehr knapp bemessen ist, einteilen. Es kommt sehr oft vor, dass sich Veranstaltungen überschneiden. Da muss man dann Prioritäten setzen. Und dann kann es auch mal sein, dass man nach einer Hell-Week, nach einem Monat des hin- und herreisens...einfach nur mal ein Wochenende frei haben möchte, an dem man seine Familie sehen kann und die einzige Veranstaltung, die man besucht, das Fußballspiel von Sohnemann ist.
2. Das Heft ist voll. Ohne Zweifel keine gute Erkenntnis, aber so was passiert und wen überrascht es...es passiert jede Ausgabe wieder.
Aus dieser Situation entstehen folgende Probleme:
Prioritäten setzen. Was muss unbedingt rein? Was kann verschoben werden? Natürlich ist das Heft jedes Mal durchgeplant, aber es gibt immer wieder Messer, die auf den letzten Drücker rein kommen und noch unbedingt getestet werden müssen etc..
Und wenn dann etwas verschoben wurde, kann es sein, dass es im nächsten Heft schon wieder so viel neues gibt, dass wir den Artikel ganz streichen oder kürzen müssen, um ihn überhaupt noch abzudrucken. Das geht jedem Magazin so.
3. Der Interessenkonflikt. So etwas existiert überall und bereitet grundsätzlich Kopfschmerzen. Eine typische Situation ist folgende:
Veranstaltung XY fand am XYten statt. Laut Veranstalter der beste Event des Jahres. Der Knüller. Muss unbedingt ins Heft, sonst gehen im nächstes Jahr hunderte, ach was, tausende Besucher flöten. Doch dann: Messer XY von Hersteller XY kommt per Expresssendung in die Redaktion. Laut Hersteller das ultimative Überteil. Das gab es noch nie. Die Evolutionsgeschichte der gemeinen Schneidware hat eine neue Stufe erreicht. Mit diesem Werkzeug ist eine Schwadron Eliteultrasuper Specialoperationdeltaforcemarinereconnavyseals quer durch den Golf geschwommen, ohne das es rost ansetzt, hat damit den halben kolumbianischen Dschungel abgeholzt, um bösen Drogenschmugglern das Handwerk zu legen und am Ende wurden damit noch Steaks für die gesamte Besatzung der halben amerikanischen Marine zubereitet, auf das man weiter für die Freiheit kämpfen könne. Und das Teil ist nach dieser Tortur noch rasierscharf! Das alles zu einem günstigen Preis von nur 495 Dollar plus Versand. Natürlich erwarte man mit Spannung die nächste Ausgabe des Magazins und freue sich darauf, das Messer ausführlich und positiv bewertet vorzufinden, auf dass die gute Beziehung auch weiterhin so fruchtbar weitergehe...
Problematisch, wenn nur Platz für einen Artikel ist. Man will sich weder die guten Beziehungen mit dem Hersteller noch die mit einem Veranstalter und möglichem Zulieferer zunichte machen. Wessen Interessen wiegen mehr? Welche sollen gewahrt werden? Die des Herstellers oder die des Veranstalters?
Die Wahrheit: Ein guter Journalist lässt sich von niemandem unter Druck setzen. Ein professionell produziertes Heft vertritt vorrangig die Interessen des Lesers und nicht die eines Herstellers, Veranstalters oder wie hier zum Beispiel, eines Messermachers. Ein Magazin ist kein Wunschkonzert und darf es auch nicht werden. Man versucht (!) möglichst viele Interessen zu befriedigen, aber man bleibt unparteiisch. Das riesige Unternehmen und der Veranstalter haben den kurzen gezogen, wenn wir per Zufall irgendwo für 20 Euro ein kleines, ganz gut gemachtes Fixed finden und uns denken, das testen wir noch, weil
es Sommer wird und die Camping Saison anfängt und es im Interesse des Lesers ist, zu wissen, dass er auch sehr preiswert an ein Campingmesser für sich und Sohnemann rankommt, wenn es wieder heißt: "Papa, gehen wir Zelten?"
4. Der Technische Defekt. Er kann jeden erwischen. Kamera spinnt, Bilder nix geworden, Bericht hat sich erledigt. Prägnant aber realitätsgetreu formuliert.
5. Die Veranstaltung war nicht erwähnenswert. Sie hatte nichts besonderes. Ein Jahr wie das andere.
Das sind nur einige Möglichkeiten gewesen. Probleme gibt es viele. Manche kann man lösen, andere nicht. Wir arbeiten ständig an unseren Konzepten, um uns zu verbessern. Nach jeder Ausgabe erhalten wir unzählige Emails und Anrufe, warum habt ihr daraus nur einen Einseiter gemacht und die Tantos dafür ganze sechs Seiten lang ausführlich getestet. Anderer Anruf; Warum habt ihr die Tantos nur sechs Seiten lang getestet, die hätte man ruhig ausführlicher testen können. Das gibt es in unendlicher Vielfalt zu fast jedem Artikel in jeder Ausgabe. Wir sammeln gerne neue Ideen, aber wir bleiben uns und unseren Prioriäten / Konzepten treu.
Für wen sind die Veranstaltungsberichte interessant? Zumeist für die, die sowieso da waren und noch einmal eine kleine Zusammenfassung wollen, um mit Freunden schon längst vergessenes wieder aufleben zu lassen. Da hat man dann zwei Mal was von der Veranstaltung.
Der Veranstalter will Werbung für den nächsten Event und auch die ausstellenden Messermacher wollen einen Bericht mit vielen Fotos, schließlich wollen auch sie Werbung für sich und ihre Arbeiten.
Aber für viele Leser ist das alles nur von geringem Wert. Da wird mal drübergeflogen oder huch, was war das für ein schönes Custom...oh, 1000 Euro, kann ich mir nicht leisten...und weitergeblättert zu den Messertests. Schließlich braucht es ein neues Taschenmesser und der Urlaub fängt doch übermorgen schon an und wie gut ist das neue "Überleb den Absturz 3000" nun wirklich. Die Kasse ist leer und soll ich die 100 Euro wirklich berappen?
Solche Überlegungen kennt ihr alle. Es gibt kaum einen unter euch, der nicht aus genau diesen Gründen zum ersten Mal zum MM gegriffen hat.
Aber was soll ich sagen? Ich kam aus euren Reihen und ich habe sie nie verlassen. Ich kenne eure Gedanken, eure Ideen, eure Wünsche. Das geht nicht an uns vorbei, denn ich hatte die gleichen Wünsche wie ihr. Auch ich wurde enttäuscht und werde es immer noch, wenn manche Dinge einfach nicht realisierbar sind. Aus Platzgründen. Aufgrund neuer Gesetze und vielem mehr.
Das Magazin wird von einem hochmotivierten, absolut erfahrenen und professionellen Team gestaltet. Wir haben uns selbst damit einen Traum erfüllt und freuen uns, dass wir in unseren Lesern gleichgesinnte gefunden haben und wir sie alle zwei Monate mit möglichst viel neuem Wissen rund ums Messer weiterbilden und auch unterhalten können. Aber ich gebe zu bedenken, dass das Messermagazin in Anbetracht der Auflage und des Zyklus nur ein Winzling unter Giganten ist. Wir können nicht alles möglich machen und manches wollen wir nicht möglich machen. Wir sind nun mal das Messermagazin und nicht das Messerveranstaltungsberichtsheft. Wir müssen die Interessen der Leser wahren und die haben nun mal ganz andere Vorstellungen als die meisten hier, die schon sehr viel über die Materie wissen und auch das nötige Feingefühl entwickelt haben, das Messer als Kunstwerk zu betrachten.
Ich danke für eure Aufmerksamkeit.
Benjamin Berneaud