Schlosser härten "anders"?

Äiler

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Hallo liebe Leute,

nachdem hier die Wärmebehandlung recht ausführlich dargestellt wurde, stellt sich mir nach vielen Jahren folgende Frage.

Während meiner Elektrikerlehre habe ich die Schlosser beim Härten beobachtet (Meißel, Reißnadeln...): Zum Glühen bringen, Spitze abschrecken, warten bis gelb wird, dann ganz abschrecken - was ist denn das für ein eigenartiges Verfahren? Ist das Härten und Anlassen in einem??

Das (für mich) Schlimmste: Mir war es nie vergönnt, die "Farben laufen zu sehen", also das Gelb habe ich nie erkennen können. Ich frage mich, ob das bei den Schlossern nicht auch eher Aberglaube oder noch eher geübtes Timing war, denn wenn die Spitze vorher geglüht hat, hat sie ja eine dunkle Farbe, wie soll da nochmal das Spekrum der Anlassfarben sichtbar werden?

Ich danke vielmals für eine kleine Aufklärung

Frohe Weihnachten

Äiler
 
Hi,
das hast du schon richtig beobachtet. Das Ganze hab ich in meiner Lehre auch so gelernt. Beim Härten von Meißeln oder ähnlichen Gegenständen, bei denen es auf eine harte Spitze ankommt kann das so gemacht werden. Das Anlassen geschieht durch die Restwärme des Materials. Das mit den Farben "laufen sehen" funktioniert schon, nur muss man nach dem Abschrecken den Zunder mit einer Feile oder Drahtbürste entfernen, damit man dann am blanken Material die Farben auch erkennen kann. Das ergibt dann eine harte Spitze und nach hinten zunehmend weicheres Material (durch die nach hinten zunehmende Anlasstemperatur). Die einzige Schwierigkeit dabei ist, die Restwärme des Materials beim Abschrecken richtig einzuschätzen, damit zum anlassen noch genügend Wärme da ist. Für Messer ist das Ganze denke ich nicht so geeignet, da sich damit eine ganze Schneide nicht effektiv gleichmäßig härten und anlassen läßt.
 
Wenn die Schlosser die Härtetemperatur eingehalten haben, ist gegen das Verfahren nicht viel zu sagen. Gerade bei Meißeln ist das Härten und Anlaufenlassen nach Farbe durchaus gebräuchlich gewesen. Dabei wird nicht der ganze Meißel auf Härtetemperatur gebracht, sondern nur etwa das vordere Drittel. Abgelöscht wird dann nicht die ganze erhitzte Stelle, sondern nur ein Teil davon- sagen wir mal ein Fünftel der Meißellänge. Der abgeschreckte Teil wird dann möglichst schnell blankgemacht und dann läßt man aus dem noch heißen Schaft die Hitze nach oben wandern. Die Temperatur erkennt man dann an den sogenannten Anlaßfarben, wobei strohgelb als erstes erscheint und einer Temperatur von etwa 18o- 2oo Grad C entspricht. Für einen Meißel wäre diese Anlasstemperatur wohl noch zu niedrig, es sei denn er ist aus einem besonders zähen und noch relativ weichen Material gefertigt. Das Ganze ist schon bißchen ein "Hau-Ruck-Verfahren", führt aber bei genauer Materialkenntnis und Übung zu brauchbaren Ergebnissen. Spitzenkönner können auch auf diesem Wege Spitzenleistungen erzielen.
 
Danke!

Ich danke Euch herzlich, ich habe wirklich Jahre darüber nachgedacht und es konnte mir keiner wirklich erklären.
Viele Grüße
Äiler
 
Kannst Du ganz einfach ausprobieren:

1. Rund- oder Flachstahl aus 1.2210/1.2842 auf hellrot erhitzen, abschrecken, dann komplett blankschmirgeln.

2. Das blanke Stück von einer Seite zur Spitze hin in pendelnden Bewegungen und etwas Abstand mit einem Brenner oder Heißluftpistole erwärmen, wobei die Spitze geringer erwärmt wird. Dabei genau beobachten, wie die Farben kommen und wechseln.

3. Sobald sich die Temperatur im Stahl ausbreitet, kommen die Farben allmählich zum Vorschein. Die Rückseite (= Schlagseite) wird langsam dunkler, die Hitze "kriecht" im Stahl langsam weiter, sobald strohgelb in Spitzennähe (= Schneidseite) erreicht ist, wird sofort in Wasser eingetaucht, und das Anlassen ist gestoppt.

Ist zwar nicht genau das "Restwärme"-Verfahren, wie es die Schlosser anwenden, aber man kann es simulieren, und mit Glück hat hat man alle "anlassrelevanten" Farben von ca. 100° - 300°C auf einem Stück sichtbar gemacht. Wichtig dabei ist, dass man die wichtigen Bereiche des Stahls, wo es auf Härte ankommt, vorsichtiger erwärmt.

Dünne und feine Stempel kann man auf diese Weise ziemlich punktgenau anlassen. Die Farben werden zwar immer auf unlegierte Stähle bezogen, aber einfach/niedrig legierte Stähle lassen sich so auch sehr genau mittels der Farben anlassen.

Gruß Andreas
 
Neue Erkenntnis

luftauge schrieb:
...Dünne und feine Stempel kann man auf diese Weise ziemlich punktgenau anlassen. Die Farben werden zwar immer auf unlegierte Stähle bezogen, aber einfach/niedrig legierte Stähle lassen sich so auch sehr genau mittels der Farben anlassen.
...

Aha, also die Anlassfarben sind bei legierten Stählen anders?

Und dann stell ich mir natürlich die Frage, ob das wirklich so gut ist, denn allgemein wird ja ein wesentlich längeres oder sogar ein doppeltes Anlassen empfohlen, da geht's sicher darum, dass die Wärme auch wirklich durchdringt und nicht der Kern noch hart bleibt, oder? Oder hat es noch andere Vorteile?

Ich war der Meinung, das "Schlosser-Verfahren" (oder sagen wir vielleicht besser "Werkstatt-Verfahren") sei ein Notbehelf, aber nicht wirklich gut.

Grüße

Äiler
 
Die Anlassfarben sind nicht anders, aber durch Chromlegierung und die etwas "andere" Oxidation des Chroms verläuft das Verfärben etwas anders.

Diese Angabe steht in allen Temperatur/Farbskalen zur WB dabei.

Wenn man an einem teilweise verchromten Metallteil schweißt, kann es schnell passieren, dass man sich selbst in etwas Abstand zur Schweißstelle ordentlich die Finger verbrennt, da der verchromte Bereich keine sofortige Hitzeverfärbungen anzeigt, wie der unverchromte Bereich. Die Hitze wird aber trotzdem weitergeleitet.

Das heist, dass die Farben verfälscht wiedergegeben werden, also wenn die Farbe kommt, ist die Temperatur meist schon überschritten, daher ist es nicht für alle Stähle ein korrektes Hilfsmittel. Bei Temperaturregelung im Ofen fällt es sowieso nicht ins Gewicht, aber die Temperaturfarben bei der Handarbeit sollte man unbedingt kennen, zumindest für das Anlassen.

Als Kontrolle kann man sich einen einfachen Stahlnagel dazulegen, und die Verfärbungen vergleichen.

edit:
Ob der Ausdruck ""...etwas "andere" Oxidation..."" so richtig ist weis ich nicht, aber es hängt sehr stark vom CR-Gehalt ab.
Die Forumsschmiede (AchimW und Markus Balbach stellvertretend) haben die "Restwärme"-Methode auch schon häufiger zum Härten von Hämmern und Ambossen beschrieben, ist also ein gängiges Verfahren für bestimmte Anwendungen, von Notbehelf kann man also nicht wirklich sprechen. Obwohl es in der Werkstatt manchmal so aussieht, als ob...

Aber in der Bau- oder Schlosserwerkstatt kommt es auch nicht auf die exakte Gefügebeschaffenheit an, die bei Handmessern gefordert wird. Selbst im Werkzeug- und Vorrichtungsbau wird auf diese Weise manches Bauteil bearbeitet, wenn es "nur" verschleißhart werden soll, für Gedanken um das Gefüge ist da weder Sinn und noch viel weniger Zeit.

Gruß Andreas
 
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Die geschilderte Methode scheint keine "Notlösung" irgendwelcher Schlosser zu sein. Havard Bergland beschreibt sie in seinem Buch "Die Kunst des Schmiedens" u.a. im Kapitel "Härten von Werkzeug" (S. 64) unter dem Namen "Anlassen mit Eigenwärme" für die Herrichtung von Schrothämmern. Da das Buch von Bergland sehr den traditionellen Schmiedetechniken verhaftet ist, nehme ich - als schmiedetechnischer Laie - doch an, daß es sich um eine ganz alte Methode von Berufspraktikern handelt, die vieleicht das Wort "Restaustenit" u. dergl. gar nicht schreiben konnten :p .
 
Anlassfarben

luftauge schrieb:
...Die Anlassfarben sind nicht anders, aber durch Chromlegierung und die etwas "andere" Oxidation des Chroms verläuft das Verfärben etwas anders.
...
Die Anlassfarben konnte ich auch in der Lehre schon sehr schön beobachten: ein bisschen zu lange den Meißel am Schleifstein und schon isser blau... :hehe:

Bei meinen Anlassversuchen im Backofen konnte ich das Farbspektrum schon bewundern, das sind wunderschöne durchscheinende metallisch glänzende Farben, besonders das violett hat's mir angetan. Könnte ich die Klingen doch nur so hoch anlassen, dann würde ich die Farbe drauflassen, das sieht echt geil aus - aber violett macht doch schon recht weich...

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Havard Bergland

wagtho schrieb:
...Havard Bergland beschreibt sie ...
Jaja, der gute Havard. Den hätte ich auch gerne als Berufsschullehrer gehabt. Ich kann mir vorstellen, sein Unterricht war ähnlich systematisch und praxisnah aufgebaut wie seine Bücher. Sein "Messer schmieden" ist eine Referenz für einen Messermacher-Anfänger wie mich. Wenn sein neues Schmiedebuch genausogut ist, dann her damit...
 
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