Schmiedewalze

tobsucht_

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Nach langer Zeit will ich wieder ein paar Sachen herzeigen die bei mir in letzter Zeit entstanden sind :D

Werkzeugmäßig ist im Herbst die Kohleesse rausgeflogen und wurde durch eine Gasesse ersetzt. Der dadurch freigewordene Platz musste natürlich würdig nachbesetzt werden und so habe ich im langen kalten Winter ein lang ersehntes Projekt durchgezogen. Da ich gerne Integralküchenmesser schmiede und auch mehr Damast machen möchte, ist "länger und dünner" eine häufige und lästige Arbeit. Der Traum einer Schmiedewalze war schon länger da. Es brauchte dann noch ein paar glückliche Schrottplatzfunde, um das Projekt in Gang zu setzen: zwei großmodulige Zahnräder und eine Kardanwelle konnte ich zum Kilopreis ergattern. Ganz so war es nicht: Der erste Entwurf sah noch vor, die Zahnräder (Modul 8) direkt ineinander greifen zu lassen und bei Dickenverstellung einen Achsabstandsfehler in Kauf zu nehmen. Da das nur ein paar mm gut geht, sollten drei unterschiedliche Durchmesserstufen auf den Walzen vorhanden sein:

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Erst kurz danach lief mir dann die Kardanwelle über den Weg und ich habe das Projekt umdesignt. So war es möglich, einen Dickenbereich von 0-40mm als Ziel der Konstruktion zu fordern:

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Generell habe ich mich immer danach gerichtet, was der Schrottplatz oder das Materiallager hergegeben haben: Die Gleitlager sind etwa durchmessermäßig sicher groß gewählt, dafür waren sie um 5€ zu finden - da fragt man besser nicht, sondern richtet den Rest danach aus :D

Also zu Beginn einmal Schweißen der Gestelle. Möglichst genau zu arbeiten war mir wichtig, daher hab ich für die Holme Blankstahl gekauft und erst nach dem Schweißen die Lagerbohrungen ausgespindelt und alle Funktionsflächen gefräst. Die beweglichen Lagerblöcke sind seitlich mittels einer Nut geführt, die auf einem am Holm angeschweißten Präziflach-Stück läuft. Insgesamt haben die Führungen nicht mehr als 2/10 Spiel.

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Weiter geht es mit dem Grundrahmen, auf dem alles montiert wird. Der besteht aus zwei U-Profilen mit Querverbindungen, Funktionsflächen auch hier gefräst.

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Für die Deckplatte einmal ein paar Eckdaten aus der Berechnung: Bei einer Stichabnahme von 4mm auf 40mme Breite kommt bei C-Stahl mit 1100°C eine Walzkraft von ca. 60MN (6 Tonnen) im zusammen, bei Walzendurchmesser 67mm. Der Teil der Konstruktion, um den ich mir die meisten Sorgen gemacht habe, war die recht dünne (15mm) Deckplatte. Diese Trägt die Trapezgewindemuttern zur Dickenverstellung, welche mit Zahnrädern verstiftet und verschraubt sind. Bei mehr als 15mm bin ich beim Schrottplatz nicht fündig geworden. Bei Testwalzungen hat sich dann am Ende gezeigt, dass durch die dünne Platte eine nicht unerhebliche Auffederung und somit ein Dickenfehler entsteht. Habe dann kurzerhand zwei Vierkantstähle seitlich auf die Deckplatte gesteckt (formschlüssig ausgefräst) und verschweißt. Damit war dann Schluss mit der Auffederung, es bleibt aber trotzdem der "Schwachpunkt" des Designs. Die M12-Schrauben, mit denen Deckplatte und Holme verbunden sind, haben hingegen mit dieser Walzkraft überhaupt kein Problem.

Die Verstellung ist mit 1:2 übersetzt. Insgesamt ergibt sich pro Drehung des Rads 2mm Dickenverstellung.

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Für die großen Zahnräder habe ich auch noch zwei entsprechende Lagergehäuse geschweißt, ausgespindelt und am anderen Ende des Grundrahmens montiert. Die Kardanwelle musste ich überarbeiten und sämtliche ausgeschlagene Lagerbuchsen in den Kreuzgelenken neu drehen und härten. Hat sich aber gelohnt, das Ding ist jetzt spielfrei wie am ersten Tag :)

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Hier sieht man bereits die Walzen eingebaut. Diese herzustellen hat die Drehbank (nicht meine kleine, eh schon die größere eines Freundes) an ihre Grenzen gebracht, vor allem da Durchmesser 70 nur mehr in die Außenbacken passt und somit schon das Herstellen von Zentrierbohrungen schwierig wird. Letztendlich habe ich sie sauber angerissen und auf der Bohrmaschine gebohrt. Erst dann gings auf die Drehbank, wo ich mir bei manchen Arbeitsschritten auch noch von einer ebenfalls unterdimensionierten Lünette helfen ließ :D

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In Summe kann ich aber sehr zufrieden sein mit den Walzen. Diese sind übrigens aus C45. Die ersten Tests haben sie ohne Probleme ungehärtet überlebt, aber das Härten ist trotzdem noch ein Punkt auf der ToDo Liste.

Das Walzgerüst war nach diesem Schritt mechanisch vollständig und ließ sich wunderbar drehen und dickenverstellen. Danach kamen nur noch (Fotografisch schlecht dokumentierte) "Kleinigkeiten" wie:

* Blechabdeckungen und eine Wanne für Werkzeuge/Zunder
* 3kW Getriebemotor, glücklicherweise fast geschenkt
* Kettentrieb
* Rahmen zum Aufstellen am Boden
* Lackierung

dazu. Zunächst einmal das Endprodukt, bevor ich dann noch auf ein paar "Feinheiten" eingehe:

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Man beachte die genannten Verstärkungen der Deckplatte. Im letzten Bild sieht man außerdem einen Dickenanzeiger. Auch kann man dahinter die Schmierbohrung für das obere Hauptlager erkennen (mit diagonaler Verbindungsbohrung im Inneren), im Bild 3 gleiches für die unteren Hauptlager.

Als Überlastschutz ist an der Motorwelle eine Sicherheitskupplung angebracht, ebenfalls selbst entwickelt. Dabei werden Stahlkugeln (die im Ritzel sitzen) über Tellerfedern in die konisch gebohrten Sitze einer gehärteten Scheibe gepresst, die mit der Nabe verstiftet ist. Durch den Vorspannweg der Federn konnte ich das ganze gut auf das Dimensionierungsziel (siehe weiter oben) einstellen.

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Fazit: Das Gerät läuft, ich bin sehr zufrieden und es hat mir bereits an einem Schmiedetag viel Arbeit abgenommen. Durch die Sicherheitskupplung kann ich z.B. bei einem Intergralmesser genau bis zum Kropf walzen und dann schnell reversieren. :) Ein Block 35x90x16 in drei Hitzen auf 3mm walzen spricht denke ich für sich. In Summe also ein großer Erfolg und der Bau hat mir als Maschinenbauer sehr viel Spaß bereitet!

So, für heute muss das einmal reichen, es ist spät und ich tippe hier schon zu lange... Fragen / Anregungen / Beschwerden wie immer gerne!

Oliver
 
sehr schöne Arbeit Oliver - gefällt mir sehr gut.
Danke fürs zeigen
ns - toll wäre ein Video dazu
beste Grüße - Börn
 
Wow, ist ein exzellentes Teil geworden, da kann man schon fast neidisch werden! Vielleicht sollte ich auch mal den nächsten Schrottplatz abklappern... obwohl ich das Ganze dann wahrscheinlich per Hand betätigen würde. Getriebe gibt es ja bestimmt irgendwelche, wenn ich Glück habe. :D Super Idee und Umsetzung!
 
Hallo Oliver
Deine Reckwalze gefällt mir und ich würde mich auch über ein Video freuen.
Ich stand vor einiger Zeit vor der Entscheidung, eine Schmiedepresse, eine Reckwalze oder eine Exzenterpresse zu bauen. Da ich keinen Schmiedehammer habe und die Presse für meine Zwecke am universellste einsetzbar ist, habe ich mir eine Schmiedepresse gebaut.
Die Reckwalze hat aber eindeutig auch ihre Vorteile.
Ist echt toll, was du da aus den „Schrotteilen“ gebaut hast.

Danke für den ausführlichen Bericht.

Gruss Heiri
 
Hallo Oliver,
Eine tolle Schmiedewalze hast Du Dir da gebaut!:super: Tolles WIP und schöne Bilder!:applouse:
Bemerkenswert finde ich Deine unglaublich kreative Ader, bei auftauchenden Problemen, die passenden Lösungen aus dem Ärmel zu schütteln und mit relativ geringen Mitteln solch ein Ergebnis zu zaubern.
Ich wünsche Dir viele erfolgreiche Verformungsergebnisse damit, an denen Du uns hoffentlich teilhaben lassen wirst!
Gruss
Felix
 
Danke für eure Kommentare! Nur Schrotteile waren es dann auch wieder nicht, aber es hat das Projekt deutlich billiger gemacht! Da war wirklich viel Glück dabei.

Ein Video habe ich im Eifer des Gefechts beim ersten Schmiedetag vergessen, aber wird noch nachgereicht!

Bezüglich Walze oder Presse: Ich baue mir eh auch gerade eine Hydraulikpresse damit ich diese schwierige Entscheidung nicht treffen muss :p: Walze kann eben einen Arbeitsschritt sehr gut, eine Presse ist dafür universal.

LG Oliver
 
Mahlzeit Oliver

Ein richtig cooles Teil hast du da zusammen gebaut...und ich freue mich natürlich auch auf das Video.:super:

Gruß Ralf
 
Guude!

Sehr schöner Maschinenbau.:super:

Fehlt nur noch das Filmschen. :)

Gruß aus Middlhesssn,

Holgi
 
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