Sleeve Board Lobster - Schmiedemarke?

Abu

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Seit ich in einigen älteren Threads hier im MF von diesen speziellen Herrenmessern, z.B. der Firma Bertram Solingen, gelesen und Bilder gesehen habe, war mir klar, dass meine kleine Solinger-Sammlung sog. Vintage-Taschenmesser ohne so ein edles Kunstwerk nie vollständig sein würde. Nun habe ich diese Lücke geschlossen. Ob aus Solingen, Böhmen oder Sheffield, ist mir egal.

„Sleeveboard Lobster“ nennen die Amerikaner diese Art Messer, wofür wir ganz technisch und nüchtern wohl „Multifunktionsmesser“ sagen würden. Wer das vertiefen möchte, dem seien jene Threads empfohlen. (Ich hätte hier gern einen Link geschaffen, weiß aber nicht recht, wie das funktioniert, z.B. auf "Kurze Vorstellung eines schönen Taschenmessers" Autor Torel.) Meinen ganz besonderen Dank an die Beitragenden zu dem Thema, die mich damals soooo neugierig gemacht haben.

Zwei spannende Tage nach dem Kauf traf mein Messer ein. Würde es halten, was Bilder und Text versprachen? Ja! Es ist wirklich unglaublich, in was für einem prima Lieferzustand sich mein, geschätzt 90-100 Jahre, altes Messerchen befand (die Bilder sind noch vor meiner Aufarbeitung). Patina ja, Rost nein, alle Federn straff, kein Klingenspiel. Die Perlmuttschalen vollständig heile, keine Risse oder Abbrüche. Die kleinsten „Werkzeuge“ alle vorhanden, die Schere sogar mit Feder, meist sind diese Teilchen Opfer der Zeit. Das Etui noch in alter Farbe und ohne Risse.

A propos Werkzeuge: Ein Dutzend an der Zahl! Hauptklinge, Federklinge, „Blumen“-Hippe und noch zwei weitere unbekannter Nutzung (ich tippe mal auf Pfeifenkopfreiniger und Kautabak). Schere, Knopfhaken Pinzette, Ohrlöffelchen, Nagelfeile mit Reiniger, Pfeifenpfriem, Korkenzieher.












Bei der Ausstattung wird deutlich, dass es sich keineswegs nur um ein „Messer“ handelt, sondern gerade aus der heutigen Rückbetrachtung um ein Stück untergegangener Kulturgeschichte.

Männer trugen noch eine Blume am Revers, gekappt mit dem Blumenmesser. Knopfhaken für Gamaschenknöpfe, man muss es nachlesen, weil wir ja selbst keine Erfahrung mehr damit haben. Oder einen wirklich alten Menschen fragen, wie ich das kann, der diese Dinger samt Haken noch aus der Kindheit kennt. Das „Ohrlöffelchen“ zum Reinigen der eigenen "Löffel", einfach skurril. Gewöhnlicher schon der Pfeifenpfriem, denn die Pfeife war einst gehobenes Herrenlaster. Nur der Kapselheber fehlt: damals gab's noch die „Plopp“-Bügelverschlüsse. Ich neige auch zu der hier wiederholt vertretenen Meinung, dass die Korkenzieherchen wohl eher für verkorkte Medizinfläschchen gedacht waren, wobei Medizin im weiteren Sinn alle hochprozentigen „Tink- und Trinkturen“ umfasst haben dürfte. Wie gesagt: Kulturgeschichte aus einer anderen Zeit, verborgen in so einem feinen Messerchen.

Ein paar Daten müssen auch sein: Perlmuttschalen-Griff 78 mm, Hauptklinge 62 mm, Griffbreite 15 mm, darin zwölf (!) Werkzeuge, Stahl nicht rostfrei.

Dank der oben erwähnten Threads weiß ich ja schon einiges über diese Art Messer, zwei Fragen bleiben jedoch Euch zur Klärung vorbehalten:

Die Platinen sehen farblich anders aus als das goldgelbe Messing, haben einen deutlich helleren Farbton. Welches Material könnte das sein?

Woher kommt das Messer, wer hat es gebaut? Die Klingenprägung ist sichtbar, gekreuzte Pfeile mit Krone und die Initialen J B S. Ich meine es ist ein "B", könnte aber auch ein "D" sein? In Solingen wurde ich bisher sowenig fündig wie in KuK-Nixdorf, die Krone führte mich nach KuK-Polen, aber die Messerfirma dort hieß Gerlach. Sheffield? Dort gab es immerhin eine Manufaktur JB Schofield, aber die Krone ist nicht very-british....



Könnt Ihr die letzten Rätsel dieses Messer lösen?

Mit schneidigem Gruß
Abu
 
Zuletzt bearbeitet:
Kompliment zum Erwerb des wahrlich edlen Gerntleman-Taschenmessers und der eindrucksvollen Beschreibung, Abu!


....... Nur der Korkenzieher fehlt: damals gab's noch die „Plopp“-Bügelverschlüsse.
Abu
Statt "Korkenzieher" soll es wohl "Kapselheber" heissen ...


...

A propos Werkzeuge: Ein Dutzend an der Zahl! Hauptklinge, Federklinge, „Blumen“-Hippe und noch zwei weitere unbekannter Nutzung (ich tippe mal auf Pfeifenkopfreiniger und Kautabak). Schere, Knopfhaken Pinzette, Ohrlöffelchen, Nagelfeile mit Reiniger, Pfeifenpfriem, Korkenzieher. ...

Die drei Fotos zeigen detailliert die Werkzeuge ... nur: welches Instrument ist denn das "Ohrlöffelchen"?

Grüße
cut
 
Hallo....
...und meinen DANK für Eure Hinweise, war klar, dass die letzten Geheimnisse von Euch schnell gelüftet würden. Bin immer wieder begeistert von dem gesammelten und geteilten Wissen hier im MF!:super:

@WeißAuchNet
...Dein Pyeudo steht im reziproken Verhältnis zum tatsächlichen Wissen!:D Der Herkunftshinweis ist ein Treffer, werde weiter recherchieren und berichten.

@Torel
... Neusilber war auch meine erste Überlegung, hatte aber nie gelesen (oder vergessen), dass das Material dafür eingesetzt wurde. Dein früherer Artikel hatte mich übrigens sehr inspiriert und überhaupt auf die Spur dieser feinen Messerchen gesetzt.

@cut
x-mal den Text durchgelesen und den "Korkenzieher" immer noch übersehen. Text ist korrigiert, soll niemanden mehr verwirren.
Eine Vergrößerung des "Ohrlöffelchens" habe ich angehängt.



Die Nutzung dieses Teils habe ich auch erst hier im MF gelesen. Musste neuzeitlich dann offensichtlich bei VIC &Co. dem Zahnstocher weichen, nachdem Q-Tip seit 1926 für saubere Löffel sorgt.:hehe:

Gruß
Abu
 
@Torel
... Neusilber war auch meine erste Überlegung, hatte aber nie gelesen (oder vergessen), dass das Material dafür eingesetzt wurde.

Abu

Neusilber war nicht unüblich als Material für die Platinen bei feineren Taschenmessern, wahrscheinlich wegen der hohen Korrosionsbeständigkeit.

Hier noch ein Beispiel aus einem amerikanischen Katalog: German Silver = Neusilber

24283033uf.jpg


"Milled Edges" sieht man übrigens auch bei dem von dir vorgestellten "Lobster"
 
@torel

Danke für das Bild, nehme ich gerne in meine Doku auf.
Verzierte Platinen = milled edges, wieder was gelernt.

Gruß
Abu
 
Hallo,

ich bin hinsichtlich der Hersteller-Recherche noch eine Antwort schuldig, falls nochmals jemand über "JDS" stolpert.

Dank der Hinweise ist nun klar, mein Messer ist von Jos. Drasche & Sohn, Nixdorf, genauer: dem Nachbarort Wolmsdorf. Die Orte liegen in NW Böhmen, bis 1918 KuK-Österreich zugehörig, wurden sie gern als böhmisches Solingen bezeichnet. Nach dem 1. WK wurde die Region Teil der neu gegründeten Tschechoslowakei, aus Wolmsdorf wurde Vilemov.

Drasche soll dort noch bis in die 1920er aktiv gewesen sein. Ob mit so hochwertigen Produkten? Ende der 20er ging's dann wohl rapide bergab, übrig blieb nur Mikov, ehem. Ig. Rösler.

In einer Auflistung eines US-Forums mit Bezug auf "1928 Kelly's Directory of industrie of the world" werden folgende Schneidwarenhersteller in Nixdorf als tätig erwähnt:
Jakob Dittrich
Joh. Edward Dittrich
Jos. Drasche & Sohn (at Wolmsdorf)
Franz Frenzel
H. Knoth
Julius Pilz Sohne
Ig. Rosler's Nach
Ig. Rosler's Sohne

Gruß
Abu
 
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