Warum sofort nach dem Härten Anlassen?

pmg

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Hallo,

ich habe nach über einer halben Stunde des Suchens zwar wahnsinnig viele Beiträge gefunden, in denen gesagt wird, dass sofort nach dem Härten angelassen werden sollte, aber in keinem einzige steht, warum. Wäre super, wenn das jemand kurz erklären könnte (Bin halt Student, die wollen nicht nur das wie, sodern vor allem das warum wissen...)
 
Daß Du die Frage nach dem "warum" stellst, ehrt Dich. Es ist die gescheiteste Frage der Welt. Daß sie gerade für Studenten typisch ist- na ja, lassen wir das.
Ich kann nicht glauben, daß in den Beiträgen hier im Forum die Frage nach den Gründen des sofortigen Anlassens nicht beantwortet worden ist. Sie liegen eigentlich auch auf der Hand:
1. Der gehärtete Zustand des Stahls ist durch hohe Eigenspannungen gekennzeichnet, die auch ohne Fremdeinwirkung zu Rissen führen können. Es gibt genug Leute, die das häßliche "Ping-Geräusch" kennen, mit denen zu lange nach dem Härten liegengelassene Werkzeuge reißen. Selbst wenn die Härtung samt Vorbehandlung so gut war, daß durch die Spannungen selbst kein Schaden entsteht, ist der nur gehärtete Zustand gegen Einwirkungen von außen empfindlich. Ein Engländer hat mal die Wirkung des Anlassens als "changing glass to whalebone" beschrieben. Das ist sicher übertrieben- auch der nicht angelassene Martensit ist nicht so empfindlich wie Glas, aber spröde und unter Belastung bruchempfindlich ist er schon. Diesen Zustand erhöhter Empfindlichkeit wird man so schnell wie möglich verlassen.
2. Nach jeder noch so gelungenen Härtung bleibt Restaustenit übrig.
Der hat die unangenehme Eigenschaft, sich im Laufe der Zeit zu stabilisieren. Läßt man gehärtete Teile ein paar Tage liegen, ist die Chance einen Teil des Restaustenits noch umzuwandeln, so gut wie vertan. Da hilft dann selbst Tiefkühlen nicht mehr viel. Bei sofortigem Anlassen hat man dagegen die Chance, einen Teil des Restaustenits noch in Martensit zu verwandeln, mit der Folge höherer Härte.
Die Vorteile alsbaldigen Anlassens - Vermeidung von Beschädigungen durch die hohen Eigenspannungen, Herabsetzen der Empfindlichkeit und verbesserte Härtewerte- sind so zwingend, daß eigentlich niemand auf sie verzichten sollte. MfG U. Gerfin
 
Vielen Dank für diese beiden sehr hilfreichen Antworten. Das hier wäre sicherlich ein interessanter Beitrag für die FAQ.
 
Grundsätzlich ist natürlich richtig, was U. Gerfin sagt.
Es gibt aber Sonderfälle, bei denen es Vorteile bringt, nicht anzulassen:
- Anlassen senkt die Härte und damit die Wälzfestigkeit und Lebensdauer von bestimmten Wälzlagertypen.
- Wenn nicht rissempfindliche Werkstoffe induktiv randschichtgehärtet werden bringt Anlassen keine Vorteile, nur einen zusätzlichen Arbeitsaufwand.
- Es ist auch nachgewiesen, wenn auch nicht allgemein bekannt, dass das Vorhandensein von Restaustenit in bestimmten Fällen bei Wälzlagern die Lebensdauer erhöht.
Wer an diesen Dingen interessiert ist, dem kann ich gerne Details erläutern. Beim Härten von Messerklingen empfehle ich aber auf jeden Fall unverzüglich anlassen nach dem Härten.
 
@ U.Gerfin:

Nach dem Härten kann man, wie du oben bereits geschrieben hast, das Stück Stahl tiefgefrieren um den Restaustenit in Martensit umzuwandeln.
Normalerweise wird da ja nicht alles umgewandelt. Würde mehr umgewandelt werden, wenn man tiefer abkühlt?
(Ich könnte bis zu -190 Grad abzukühlen.)
Oder wäre damit die Gefahr, dass sich Risse bilden, zu gross, oder gar unvermeidbar?

Gruss Alchemist
 
Tiefgekühlt wird üblicherweise nur, um bei engtolerierten Maschinenbauteilen eine hohe Maßstabilität zu erzielen. Es besteht sonst die Gefahr, dass sich der RA umwandelt und dann Teile klemmen.
Durch Tiefkühlen lassen sich in Abhängigkeit vom Werkstoff, von der Härtetemperatur und auch von der mechanischen Vorbehandlung ein paar Rockwell mehr aus dem Werkstoff kitzeln. Aber es besteht natürlich Rissgefahr beim Tiefkühlen. Ich habe mal gehört, dass man zum milderen Tiefkühlen Eis und flüssigen Stickstoff mischen kann. Ich würde eher Anlassen ohne vorher Tiefkühlen.
Irgendwo habe ich mal gelesen, in USA würde mehr tiefgekühlt werden als bei uns, das wäre auch eine Frage der Philosophie. Das könnte auch daran liegen, dass dort mehr höher legierte Stähle verwendet werden, die eher zur RA-Bildung neigen.
 
Alchemist IV : Du müßtest mal den thread nachlesen, wo das pdf über die Super-Tiefkühlbehandlung enthalten ist. Danach werden bei schon angelassenen Werkzeugen bei einer Tiefkühlung auf die Temperatur flüssigen Stickstoffs feinste Karbidchen ausgeschieden, die den Verschleiß bei rollender Reibung erheblich vermindern können. Der zitierte Bericht ist seriös und wissenschaftlich sauber verfasst. Ich habe zu dieser Möglichkeit in dem angesprochenen thread Stellung genommen. Ob für feine Schneiden eine Verbesserung zu erwarten ist, ist wohl noch offen. Untersuchungen in dieser Richtung sind aber sicher sinnvoll.
MfG U. Gerfin
 
Ältere untersuchugen bezgl des Tiefkülens zeigen uns, dass bei nahezu allen Werkstoffen das Umwandlungsmaxima für Restaustenit zwischen -100 und -140°C tiefere Temperaturen führen dannach wieder zu einer erheblichen verlangsamumg des Prozesses.

Daher werden auch die neuen methoden die darauf abzielen eine steigerung der verschleißfestigkeit durch ausscheidung von Karbiden über einen längeren zeitraum durchgeführt.

Unabhängig davon geht die Umwandlung selbst mit Schallgewindigkeit vor sich.

Noch wegen des anlassens ...

Praktisch gesehen macht es auch keinen Sinn nicht anzulassen da die feinen Schneiden sonst für sich gesehen wiel zu hart sind und zu spröde als dass man Sie dann sinnvoll nutzen könnte.
 
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