Wieviel Kochmesser ist in Deutschland zu einem regulären Verkaufspreis von 5€ möglich?

ebenezer

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Dies soll kein Plädoyer für Billigramsch werden, sondern allenfalls ein Plädoyer dafür, Dinge danach zu beurteilen, was sie sind, und nicht allein nach dem Preis.
Obige Frage stellte sich mir, als mir das nachfolgend beschriebene Messer begegnete, und ein erster optischer Scan deutlich mehr verhieß, als die in dieser Preisregion üblichen gestanzten Dünnblechklingen mit 10mm hohen Primärfasen und fragwürdigen, nicht benannten Stahlqualitäten.
Das Kochmesser der Marke "Nivella" ähnelt in der Ausführung üblichen Solinger Metzgermessern, mit komplett geschliffener Flanke und einem angespritzten Kunststoffgriff mit leicht rauher, rutschhemmender Oberfläche. Auf der Flanke ist die Stahlangabe X50CrMoV15 eingelasert. Man preist sich an mit allerlei Qualitätsverprechen, angefangen mit der Bezeichnung "Classic Profi Line", 2-fachem Handabzug der Klinge, LGA tested Qualitätssiegel, DIN EN ISO 8442-1 N. Ein Herstelland ist von außen nicht sichtbar. Erst nach dem Kauf kann man im inneren des Faltblattes
"Made in China" lesen.
Man kann der Klinge auch in der Verpackung schon ansehen, dass sie in Längsrichtung einen gewissen Taper aufweist, und eine recht schmale Schneidfase zeigt, die eine nicht allzu große Dicke über der Wate verspricht. Das bestätigt sich nach dem Auspacken. Der Klingenrücken misst 2,2mm am Griff, 2,0mm in der Mitte und 0,9mm 1cm hinter der Spitze. 1mm Über der Wate liegen überall 0,27-0,29mm an. Da hat man doch schon viel schlechteres gesehen. Die Klingenlänge ist am Rücken 16cm, an der Schneide 18cm, bedingt durch den recht eigenartigen vorderen Abschluss des Griffs. Der letzte cm der Schneide ist nicht geschärft, wäre aber aufgrund besagter Griffgeometrie ohnehin nicht sinnvoll nutzbar.
Die Höhe der Klinge ist hinten nur 41mm, was in Kombination mit dem nach hinten abfallenden Griff nur im Pinchgrip eine ausreichende Knöchelfreiheit über dem Brett ermöglicht.
Der die Schneide nach unten überragende vordere Griffabschluss ist ein weiteres eher unglückliches Merkmal, das eine Handhabung mit Griff außerhalb des Brettes nahelegt.

Die Schneide ist im Auslieferungszustand schon recht scharf. Sie rasiert in eine Richtung, in die andere nicht, was ein klarer Hinweis auf einen Restgrat ist, den ich dann auch erstmal entfernt habe. Die Schneidperformance an Karotten würde ich in diesem Zustand als für Normalnutzer durchaus gut, für anspruchsvollere Nutzer aber auf jeden Fall verbesserungswürdig einstufen. Ich entschied mich also, eine sehr flache Sekundärfase anzuschleifen. Geschätzt so zwischen 5und 7 Grad pro Seite, und den Schliff dann mit einer Mikrofase um die 18 Grad abzuschließen. Das ist wesentlich einfacher zu machen, als ein klassisches Ausdünnen, und von jedem, der halbwegs schleifen kann, ohne großen Aufwand hinzukriegen.
Auch sollte mir dieser Vorgang eine gewisse Vorstellung geben, wie hoch der Stahl gehärtet ist. Die Geschwindigkeit, mit der sich das alles erledigen ließ, zeigt mir an, dass der Stahl wohl eher am unteren Endes des für die Sorte üblichen Härtespektrums gehärtet ist. Ich würde mal so auf 55HRC tippen.

Nach diesem Neuanschliff schneidet das Messer beachtlich gut - knackfrei durch eine kalte Karotte. Die Schneidhaltigkeit ist durchaus zufriedenstellend und die Schärfe leicht mit dem Wetzstahl aufrecht zu erhalten.

Mein Fazit: Nicht alles, was sehr preisgünstig ist, ist kompletter Schrott. Mit etwas wachem Verstand bei der Auswahl hat durchaus auch jemand, der auf jeden Cent schauen muss die Chance,
mit ein wenig eigenem Schleifgeschick an ein recht performantes Schneidwerkzeug mit geringen Einschränkungen zu kommen.
Wenn der Hersteller nur etwas mehr Gehirnschmalz in die Gestaltung des Griffs gesteckt hätte, und man noch etwas höher gehärtet hätte, wäre bei gleichem Herstellungsaufwand noch deutlich mehr drin gewesen.

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Welch ein zufalll, genau dieses Messer hatte ich kürzlich bei Tedi gekauft, jedoch wohl eine ältere Charge. Der stahl war X46cr13, ein etwas älterer stahl, der sich aber sehr gut schleifen lies. Ich habe es an einen Bekannten verschenkt, wenn ich rückmeldung bekomme, schreibe ich die hier anonym rein.
Die erreichte schärfe war für den hausgebrauch ausreichend, ich habe die Fase mit 15 grade pro seite gesetzt und bis 12k Dia geschliffen. Folgende Progression habe ich verwendet:
F150
F500
F1000
F1200
12k Resin diamantplatte zum entgraten.
Messer Rasiert nun und für den aufgerufenen PReis sehr brauchbar. Wer wirklich wenig geld hat, bekommt mit Nachschleifen was durchaus brauchbares.
 
Mein Brotmesser von Fiskars für 9.99 Euro vom Lidl leistet gute Dienste sowie ein kleines Petty. Auch ein Fleischmesser von Nirosta aus dem Kaufland liegt erstaunlich gut in der Hand. Durchaus brauchbar Im normalen Hausgebrauch für Fleisch vom Discounter.
 
Aus meiner Sicht und Erfahrung, kann ich sagen das "günstig" nicht gleich "billig" ist, von IKEA bis Norma (oder andere Diskounter) findet man immer wieder brauchbare, manchmal auch recht gute, Schnäppchen. Nun bin ich ein Messerfanatiker (ich hoffe das Fanatiker wird richtig verstanden und nicht von einer KI falsch ausgelegt...) jedenfalls sehe ich Messer trotzdem als Werkzeug und da ist Funktion im Vordergrund. Jaaaa ich mag COOL, aber nicht Takticool, eher Traticool, aber gerade in der Küche brauch ich nichts zu teures (obwohl ich da auch ein paar Schätzchen habe, wenn auch im gemäßigten Bereich) und natürlich gibt es einige Frust- und Lustkäufe, die mich aber alle nicht enttäuscht haben. Und da ich schleifen kann ist Standhaftigkeit nicht sooo wichtig.
Viel spaß mit deinem Neuerwerb!
 
Servus @ebenezer

in diesem Zusammenhang erinnere ich mich, dass @tiffel mal ein HGS Messerset von Aldi getestet hat, für damals 2,99€.
Hgs Messer review

Über den Tellerand zu schauen bringt manchmal ungeahntes zum Vorschein, deshalb danke für deinen Beitrag!

Grüße
 
Deinen guten Eindruck bezüglich Nivella kann ich bestätigen. Habe hier für Gröberes und Gäste ein übergroßes Tourniermesser aus der "Exlusive Line" in 4034er im Einsatz. Der zweifach aufgenietete einteilige Griff ist brauchbar gestaltet, und auch in Materialanmutung und Oberfläche weit besser als alles was ich sonst so an angespritzten Billiggriffen schon in der Hand hatte, sogar besser als z.B. am deutlich teureren Tournier von Victorinox, dessen Griff aus meiner Sicht ggü. der Klingenqualität unangemessen ist. Der Erl liegt an der oberen Griffseite frei, der Übergang ist aber glatt genug um nicht unangenehm zu werden, selbst mit dem Fingernagel bleibt man kaum hängen. Der Übergang Griff in Klingenrücken ist aber deshalb maximal glatt was ich bei einem Tournier zweckmäßig finde. Die Klinge ist trotz Größe nicht stärker als die kleinerer Billigtournierer und hat eine beidseitig symetrische Sekundärfase, was nach meinem Eindruck in dieser Preisklasse nicht üblich ist.
Schärfe im Lieferzustand war für die Preiskloasse überdurchschnittlich. Mit halbrunden Lanskys und/oder Sharpmaker lässt sich da aber noch viel Potential erschließen. Aufgrund der vergleichsweise hohen aber immer noch geringen Härte lässt die aber dann allerdings sehr schnell wieder nach.
Bin im gelegentlichen Gebrauch damit sehr zufrieden, und habe davon schon einige in der FeWo und in Familie+Bekanntschaft verbreitet, überwiegend nachgearbeitet. Werden dort gerne benutzt.
In der sehr sparsam gestalteten Verpackung ist übrigens ein gut wiederverwendbarer Klingenschutz bei. Find ich gut.

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