Anlasszeiten

Klaus1602

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In der Literatur findet man bezüglich Anlassdauer von Werkzeugstählen ganz unterschiedliche Angaben:
Hier einige Zitate:


Merkblatt 450 Wärmebehandlung von Stahl – Härten, Anlassen, Vergüten, Bainitisieren:

Die Verweildauer beim Anlassen sollte mindestens eine Stunde je 20 mm Abmessung betragen.
Die Haltedauer sollte mindestens eine Stunde betragen.

Edelstahl Witen Krefeld; Edelstahl Südwestfalen:
Die Werkzeuge werden langsam auf die vorgeschriebene Anlasstemperatur erwärmt. Die Haltezeit auf Anlasstemperatur beträgt eine Stunde je 20 mm Wanddicke, mindestens jedoch zwei Stunden.

Eine Empfehlung der NADCA „North American Die Casting Association“:
Upon cooling to 150°F (65 C), immediately temper at 1000-1140°F (538-615 C) for one hour per inch of
thickness, two hours minimum. Cool to room temperature and measure hardness.
Retemper at 1025-1140°F (552-615 C) to obtain the specified hardness of 44-46 HRC. Hold at temperature one hour minimum per inch of thickness, two hours minimum total.

Böhler:
Langsames Erwärmen auf Anlasstemperatur unmittelbar nach dem Härten. Verweildauer im Ofen 1 Stunde je 20 mm Werkstückdicke, jedoch mindestens 2 Stunden.

Eschmann Stahl:
Das Erwärmen auf Anlasstemperatur sollte langsam erfolgen. Die gesamte Verweildauer im Anlassofen sollte ca. 1 Stunde je 20 mm Wanddicke, mindestens jedoch 2 Stunden betragen.

Verhoeven:
After placing a piece of steel in a furnace set at the desired temperature it will take some time for the center of the steel to reach this temperature. A general rule of thumb is that it will take the steel a time equal to one hour per inch of thickness.

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Gleich bei allen Zitaten ist die Angabe : 1 Sunde /20mm bzw.1 Stunde/inch. (o.k., das ist nicht exakt das Gleiche, aber hier laß ich mal 5 gerade sein)
Der wesentliche Unterschied liegt jedoch darin, dass die eine Fraktion sagt, das die gesamte Ofenverweilzeit (Aufheizen + Halten) 1 Stunde / 20 mm betragen soll. Die andere jedoch die Haltezeit auf Anlasstemperatur so definiert.

Dieser Unterschied macht sich bei kleinen Abmessungen wie Messern nicht bemerkbar. Bei größeren Abmessungen z.Bsp. einem Werkzeug mit 200 mm Durchmesser und 200mm Höhe ergiebt sich ein riesen Unterschied in den Ofenverweilzeiten.
Angenommen ich führe die Anlassbehandlung (600°C) in einem Vakuumofen mit einer Aufheizgeschwindigkeit (Kern) von 100°C/Stunde durch.
Nach den Vorgaben von Böhler, Eschmann und Verhoeven benötige ich dann insgesamt 10 Stunden (6 Stunden fürs Aufheizen und weitere 4 Stunden zum Halten)
Nach den Angaben von EWK und NADCA brauche ich wieder 6 Stunden fürs Aufheizen und weitere 10 Stunden fürs Halten, macht 16 Stunden. Das sind satte 60% mehr !

Logisch für mich ist eigentlich nur die Version 1 also eine Stunde/pro 20mm Ofenverweilzeit. Denn weshalb sollte ein großes Werkzeug länger auf Anlasstemperatur gehalten werden als ein kleines?
Wie seht ihr das ?
 
Die Anlassdauer nach Erreichen der Anlaßtemperatur ist bei Werkstücken aus gleichem Werkstoff gleich. Die Aufheizgeschwindigkeit ist bei dickeren Werkstücken natürlich kleiner. Es macht auch einen großen Unterschied, in welchem Medium aufgeheizt wird. In einem Backofen mit ruhender Luft dauert es am längsten, in einem Salz- oder Metallbad geht es am schnellsten. Für Messerklingen, die ja selten über 5 mm dick sind, spielt das keine nennenswerte Rolle. Da die Temperatur für die Anlaßwirkung deutlich größere Bedeutung hat als die Anlaßzeit, finde ich 1 Stunde Haltezeit sehr reichlich bemessen, wenn es um niedrig legierte Stähle und nicht um das Erreichen der Sekundärhärte geht. Wichtiger finde ich, den Stahl mindestens zweimal anzulassen, damit beim ersten Anlassen aus dem Restaustenit gebildeter Martensit auch angelassen wird und seine Sprödigkeit verliert. Ich lasse in der Regel dreimal an, mindestens je 20 Minuten. Wenn ich aber mal eine Klinge vergesse und sie wesentlich länger angelassen wurde, habe ich dabei kaum einen Unterschied festgestellt.
Ein Schaubild über die Entwicklung der Härte beim Anlassen bei unterschiedlicher Temperatur und über längere Zeiten zeigt W. Haufe "Die Werkzeugstähle und ihre Wärmebehandlung"
MfG U. Gerfin
 
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