Ich möchte Euch hier kurz einen kleinen Alltags-Wharncliffe-Slicer vorstellen. Den habe ich sehr gerne, weil ich eigentlich was anderes wollte. Dazu nachher mehr. Erst mal das Kind zeigen und beim Namen nennen:
Das Sea Snake von Michael Emler
Sea Snake ...
heißt Seeschlange. Das war es auch schon von meiner Seite zur Namensgebung des Messers. Wieso, weshalb, warum? Weiß ich nicht. Ist mir in diesem Messerfall auch nicht wichtig gewesen. Mister Emler wird es wissen und dem interessierten Detailfan sicher verraten.
Michael Emler ...
ist der Formengeber (auf neudeutsch Designer) dieses netten kleinen Schneidgeräts. Er ist US Veteran, Betreiber des kleinen Messerschärfservices „Crazy Sharp“ und wahrscheinlich am ehesten bekannt als Youtuber des gleichlautenden Channels. Der Mann ist Messerreview-Urgestein und hat eine gewisse Legitimation (auf jeden Fall aber eine klare eigene Meinung, a weng was Eigenwilliges und Authentizität). Sein Design wurde umgesetzt von Artisan Cutlery.
Artisan Cutlery aka CJRB ...
ist ein chinesisch Schrägstrich amerikanischer Messerhersteller. Produktionsteschnisch klassisch China. Businessmäßig aber offiziell aufgezogen in den USA. Artisan produziert z. B. auch Premiumprojekte „Made in USA“. So zumindest laut Russell (dem quirligen Nr. 1 Salesman von Artisan und CJRB) auf diversen Blade Show und Shot Show-Youtube-Präsentationen.
Artisan Cutlery ist die Hauptmarke mit Premiumanspruch (sie bekommen immerhin Kooperationen mit großen Namen aus der Messer-Szene wie Ray Laconico, Dirk Pinkerton, Joe „Mr. Machete“ Flowers von Condor Knives und Co.).
CJRB ist die Budget-Linie. Die machen schon viele Sachen supergut und halten erfolgreich gegen Civivi und Co. Hier bekommen teils auch Youtuber und Newcomer schöne Chancen für Messerdesigns.
Der Übergang zwischen Premium und Budget ist teils aber fließend, wie das Sea Snake zeigt. Es ist offiziell ein Artisan Cutlery Messer, aber im günstigen CJRB Preisbereich. Michael Emler hat so eine Chance bekommen und meiner Meinung nach exzellent umgesetzt innerhalb einer sehr spezialisierten Messer-Nische.
Meine Story, warum ich das Sea Snake mag, obwohl ich was anderes wollte
Ich mag Wharncliffes. Ich mag das Pseudo-Taktische (einfach für meine völlig utopischen Superhero-Navyseal-Ninja-Phantasien). Und ich kann damit tatsächlich auch verletzungsfrei und chirurgisch präzise jede Art von Karton in ein papiertonnenfreundliches Format zerlegen. Argument „Alltagstauglichkeit“ ist also gegeben.
Dass ich das nicht 42a konforme Spycerco Yojimbo II mit seinem sehr eigensinnigen Formfaktor vergöttere, dürfte mittlerweile wahrscheinlich bekannt sein. (Spyderco Delica liegt hier Nick-Shabazz-mäßig als universeller Goldstandard für den Messergrößen-Vergleich)
In diesem Kontext sollte ein 42-a-legales Fixed Blade her, das zu meinen eigenwilligen Vorstellungen passt. Den aktuellen „Perfect Match“ hatte ich ironischerweise bereits besessen: ein Hinder FXM 3.5 Wharncliffe. War damals noch nicht die Zeit. Long gone und aktuell nicht verfügbar, da Herr Hinderer lieber Youtuber mit kleinem Garagen-Reblade-Shop verklagt anstatt für Messer-Output zu sorgen. Wahrscheinlich ist es mittlerweile sogar eingestellt. Medford Thorn war ein Kandidat (auch nicht billig, recht klein, seeehr speziell und discontinued). Bradford Guardian 3 Wharncliffe Special Edition wärs auch fast geworden. Ebenfalls nicht grade günstig, aber mit sehr gutem Ruf als echter EDC-Champ. Das Perrin Janich Fusion One war etwas zu puristisch und weirdo. TRC Speeddemon als Wharnie wäre nice gewesen. Aber handliche Fixed mit schönem cardboardninja-schmeichelndem Formfaktor sind nicht gerade üppig gesät.
Und dann kam Blade Show West 2021 mit dem Sea Snake von Michael Emler im Lineup. Mr. Emler als Designer selbst am Tresen und live dabei mit einem Vlog. Und damn it ... natürlich eine Special Edition exklusiv zur Show mit S35VN und Micartagriffen. Ich war von der FXM-Suche frustriert, fand den Formfaktor des Sea Snake recht nett und habs direkt mach dem Fertigschauen des Youtube-Videos gegoogelt (wobei ich auf das ganze Seeschlangen-Thema erst etwas später gestoßen bin über den Youtube-Channel von Michael Emler). 50€? Für die Basisversionen mit einem neuen, durchaus positiv wahrgenommenen pulvermetallurgischen Budget-Stahl? Wo kann ich unterschreiben? So ungefähr war der Gedankengang. So bin ich zum Artisan Cutlery Sea Snake Wharncliffe Fixed Blade gekommen.
Sea Snake Spezifikationen:
- Stahl: AR-RPM9 (Artisan exklusiver Stainless-Stahl auf pulvermetallurgischer Basis)
- Klingenform: Wharncliffe
- scharfe Nadelspitze
- bogenförmigem Klingenrücken
- Konstruktion: Full Tang
- Finish: Satin
- Griff: G10 verschraubt (in meinem Fall OD Green, auch in Schwarz und Sand verfügbar)
- Klingenänge: 80 mm
- Gesamtlänge: 171 mm
- Klingendicke: ca. 2,5 mm
- Gewicht: 65 Gramm (nur das Messer)
- Schliff: Full Flat Grind
- besonders fein ausgeschliffen
- Scheide: Kydex (Foldover-Konstruktion) in Grifffarbe mit Cord (der Ulticlip ist von mir nachmontiert)
- Herstellungsland: China
Ich habe garantiert was vergessen. Aber Google weiß es.
Funktioniert es? Und weitere Gedanken ...
Das Sea Snake schneidet. Sogar ziemlich gut. Das ist aber kaum überraschend, wenn man sich noch einmal kurz den beruflichen Part von Michael Emler vor Augen führt: er macht Messer „crazy“ scharf. Dass das Sea Snake ein Schneidteufel sein sollte, war Design-Priorität Nummer 1.
Das Messer ist gut austariert (Balancepunkt am Auslauf des hinteren Griffmulde) und liegt schön in der Hand. Mit den selbst nachgemessenen 65 Gramm Gewicht auch schön leicht. Die G10 Griffe sind handscmeichelnd gerundet und sauber angepasst ohne auffallende Spalten oder unsvhöne Makel. Das Chimping auf dem Klingenrücken ist dezent und schön gemacht. Im hinteren Griff (also nur G10-Schalenbereich) ist es für mich, Handschuhgröße 9, ein 3-1/2-Finger-Messer (seitliche Perspektive täuscht etwas).
Greift man das Messer voll mit vorderem Choil in der Klinge, wird es zum komfortablen 4-Finger-Messer mit hinten sogar leicht rausstehendem Griffende. Kleiner Kritikpunkt oder Verbesserungsvorschlag hier könnte sein die Kanten ezwas zu brechen. So ist rs schon etwas unangenehm.
Für mich als Cardboard Ninja tut es, was es soll, und gleitet schön durch Karton. Sollte auch erwartbar sein mit seinen 0,25 Zentimetern Klingenstärke und voll hochgezogenem Flachschliff.
Schnitzen im Alltag? Natürlich. Mach ich täglich, wenn ich nicht grad Messerfotos schieße und Langeweile habe ;-)
Und natürlich auch 100% brauchbare Büroqualitäten ...
Das mitgelieferte Cord erfreute mein für taktische Messer-Spielereien angehauchtes Herz. Auch wenn es auf den ersten Blick wie eine Neckknife-Schaufe aussieht. Ist es nicht (da fehlt a) die sicherheitstechnische Bruchstelle und b) hat es Mr. Emler in irgendeinem Video selbst gezeigt): Das ist eine Quick-Draw-Ziehhilfe für die Hosentasche. Die Kordel wird am Gürtel oder einer Gürtelschlaufe durchgeschlauft und die Kydex dann in die Hosentasche oder in den Hosenbund gesteckt. Das Cord hängt dann rum wie z. B. eine Schlüsselkette. Zieht man das Messer, reißt die Kydex am Ende der Kordellänge vom Messer weg und Du hast mit einer flüssigen Bewegung das Messer in der Hand. Ein nettes theoretic tactical Gimmick, im Alltag absoluter Blödsinn. Wer zieht sein Messer wie ein Actionheld und lässt lässig die leere Kydex am Knie baumeln, während er genüsslich einen Apfel schält, den Bleistift spitzt oder ein Paket öffnet? Ok, die Blicke der Kollegen wären es wert. So ein bisschen Kordel ist natürlich deutlich günstiger als ein Clip oder was anderes. Klarer Preisfaktor und für mich auch unverständlich, da Michael Emler selbst den Utility Charakter hineingestaltet hat und Taktisches maximal durch die spezifische Klingenform und die militärbelegten Farben Wüstenkrieger-Desert, OD-Green-Jungelkämpfer und Special-Ops-Nightstalker-Schwarz hineininterpretiert werden können. Und ja, man kann sich das Teil mit der Schlaufe auch lebensmüderweise als Neckknife um den Hals hängen. Groß genug wäre die Kordelschlaufe.
Deutlich sinnvoller im Alltag funktioniert das bewährte Setup mit nachträglich montiertem Ulticlip (wie es mittlerweile auch bei Böker Daily Customs AK-1 und Co. gerade sehr beliebt wird). So kommt das schlanke Design und das slim gehaltene Gesamtpaket auch brauchbar zum Tragen. Die Kydexsvheide ansich ist, wie auf den Bildern zu sehen, astrein gemacht. Gibt es für die Preisklasse von mir nix zu mäkeln.
Der Stahl reicht für meine Verhältnisse locker aus. Er ist stainless. Also pflegeleicht für Messerpflege-101er wie mich. Stumpf geworden ist der AR-RPM9 Power Steel bei mir bisher noch nicht. Ich kann sowohl praktisch als auch theoretisch leider nichts berichten über diesen Stahl. Mögen es mir die Stahl-Halbgötter nachsehen und mir nicht in meine unwissenden Niederungen hinterhersteigen. Jedenfalls feines und schön scharfes Zeug, was ich bisher sagen kann aus meiner Laiensicht.
Bin ich zufrieden? Ein erstes Fazit:
Preisleistungstechnisch ein volles und ganzes Ja. Brauch ich mehr? Ein ehrliches Nein. Will ich mehr? Ein klares Ja. Aber das ist eine völlig unsachliche und messernerdige Geschichte, die mit dem Artisan Sea Snake an sich nichts zu tun hat.
Das Hinderer FXM oder eine ebenfalls höherwertige Alternative wird auf jeden Fall kommen. Schon das eingangs erwähnte Sea Snake Blade Show West Exklusivmodell mit S35VN und Micarta hätte die Messerhormönchen im Bauch noch mal extra springen lassen. Einfach, weil ich es will und sonst keinen Grund und null Legitimation hätte, in einem Messerforum zu sein.
Fairerweise muss ich ja sagen, dass das ein oder andere Glücksteilchen beim Auspacken des Serien-Sea-Snakes auch kurz gut vibriert hat. Und wenns nur die Erleichterung war, dass die Verarbeitung wie erhofft sauber ist und direkt beim ersten Handgefühl das Fünkchen springt. Die Erwartung wurde für 50 Euro (mittlerweile durchschnittlich 60 Euro, wie Google mir verraten hat) erfüllt und sogar ein kleines bisschen übertroffen. Dieses Wharncliffe-Messer ist leicht, agil und sehr schnittig mit schöner Nadelspitze (die im Alltag über durchaus unterschätzte Nützlichkeiten verfügt, und wenns nur die Faulheit ist, nicht nach der Bastel-Trapezklinge zu greifen oder einen Splitter rauszufummeln).
Ob es was für Dich ist, musst Du selbst entscheiden. Es ist eben ein Wharnie. Ich finds, für was es aus der Box kam, richtig gut. Made in China auf der positiven Erfahrungsseite mit blitzsauberer Fertigungsqualität für die Preisklasse … halt a bissl unspektakulär und von Haptik wie Anmutung eher kühl und wenig emotional.
Made in China - ein kurzer gedanklicher Nachhaker
Fertigung in China, Welthandel, heimische Märkte und schwindende Läden. Dieser Aspekt bekommt unter aktuellen Eindrücken durchaus einen besonderen Geschmack, für den man sich entscheiden muss. Oder eben dagegen. Positiv empfunden habe ich bisher, dass China-Made den Messermarkt doch ziemlich umgekrempelt und neu befeuert hat im Sinne „die zeigen, wo es weitergeht“. Entwicklung, Zug nach vorne, neue Möglichkeiten, raus aus dem gesättigten bequemen Märchenschlaf der großen eingesessenen Marken. Tolle Perspektiven. Sea Snake gehört dazu mit dem pulvermetalurgischen Budget-Stahl. ABER: Auch Massenproduktion. Beliebigkeit. Abhängigkeiten. Händler und Traditionsunternehmen, die reihenweise eingehen oder geschluckt werden zum Ausmelken mit Billigheimer-Strategie. Das Sea Snake ist absolut ok. Wenn ich das Böker Daily Custom AK-1 mit Reverse Tanto anschaue, reizt es mich doch um mindestens einen Faktor mehr, je öfter ich es sehe. Und das Teil hat einen besonderen Mix aus Charme, Hipsterness und Wertigkeit. Ja, es kostet 220 Euro. Aber das wird es mir wert sein. Trotz Sea Snake. Weil ich etwas mehr Charakter und Story möchte. Ich fange auch an, den Wert von selbstgedachter handgemachter Qualität und Messerdesigns abseits des Mainstrreams zu entdecken (ich bin da ganz am Anfang und mein Budget ist bei weitem nicht Timascus-Full-Custom-fähig).
Das Sea Snake hat für mich positiv funktioniert, weil ich vom nicht verfügbaren Hinderer FXM frustriert war und über meine Messer-Youtube-Guckerei zusätzlich angesprochen war durch die Person Michael Emler. Der Weg, wie ich zu diesem Messer gefunden habe, hat an sich schon emotionale Qualität. Das Chinamesser-JA-NEIN-Thema ist sehr komplex und ein sehr persönliches. Das muss jeder selbst für sich sondieren und erörtern. Ich wollte es hier im Nachgang kurz anreißen, da mich das Sea Snake auch im Kontext „Günstige Messer unter 100 Euro“ und ähnlichen Diskussionen beschäftigt hat. Einen ersten Review-Ansatz habe ich damals aber verworfen, weil ich da zu sehr im Thema gefangen war und in einer Sackgasse gelandet bin.
Dieses Review präsentiert sich aus diesem Grund unstrukturierter, spontaner und gefühlt ziemlich unkreativ. Ich wollte es aber aus dem Kopf haben. Plopp. Damit ist es jetzt draußen und die Gedanken können wieder freier fließen.
Gruß,
Euer Cardboard Ninja columbo
Das Sea Snake von Michael Emler
Sea Snake ...
heißt Seeschlange. Das war es auch schon von meiner Seite zur Namensgebung des Messers. Wieso, weshalb, warum? Weiß ich nicht. Ist mir in diesem Messerfall auch nicht wichtig gewesen. Mister Emler wird es wissen und dem interessierten Detailfan sicher verraten.
Michael Emler ...
ist der Formengeber (auf neudeutsch Designer) dieses netten kleinen Schneidgeräts. Er ist US Veteran, Betreiber des kleinen Messerschärfservices „Crazy Sharp“ und wahrscheinlich am ehesten bekannt als Youtuber des gleichlautenden Channels. Der Mann ist Messerreview-Urgestein und hat eine gewisse Legitimation (auf jeden Fall aber eine klare eigene Meinung, a weng was Eigenwilliges und Authentizität). Sein Design wurde umgesetzt von Artisan Cutlery.
Artisan Cutlery aka CJRB ...
ist ein chinesisch Schrägstrich amerikanischer Messerhersteller. Produktionsteschnisch klassisch China. Businessmäßig aber offiziell aufgezogen in den USA. Artisan produziert z. B. auch Premiumprojekte „Made in USA“. So zumindest laut Russell (dem quirligen Nr. 1 Salesman von Artisan und CJRB) auf diversen Blade Show und Shot Show-Youtube-Präsentationen.
Artisan Cutlery ist die Hauptmarke mit Premiumanspruch (sie bekommen immerhin Kooperationen mit großen Namen aus der Messer-Szene wie Ray Laconico, Dirk Pinkerton, Joe „Mr. Machete“ Flowers von Condor Knives und Co.).
CJRB ist die Budget-Linie. Die machen schon viele Sachen supergut und halten erfolgreich gegen Civivi und Co. Hier bekommen teils auch Youtuber und Newcomer schöne Chancen für Messerdesigns.
Der Übergang zwischen Premium und Budget ist teils aber fließend, wie das Sea Snake zeigt. Es ist offiziell ein Artisan Cutlery Messer, aber im günstigen CJRB Preisbereich. Michael Emler hat so eine Chance bekommen und meiner Meinung nach exzellent umgesetzt innerhalb einer sehr spezialisierten Messer-Nische.
Meine Story, warum ich das Sea Snake mag, obwohl ich was anderes wollte
Ich mag Wharncliffes. Ich mag das Pseudo-Taktische (einfach für meine völlig utopischen Superhero-Navyseal-Ninja-Phantasien). Und ich kann damit tatsächlich auch verletzungsfrei und chirurgisch präzise jede Art von Karton in ein papiertonnenfreundliches Format zerlegen. Argument „Alltagstauglichkeit“ ist also gegeben.
Dass ich das nicht 42a konforme Spycerco Yojimbo II mit seinem sehr eigensinnigen Formfaktor vergöttere, dürfte mittlerweile wahrscheinlich bekannt sein. (Spyderco Delica liegt hier Nick-Shabazz-mäßig als universeller Goldstandard für den Messergrößen-Vergleich)
In diesem Kontext sollte ein 42-a-legales Fixed Blade her, das zu meinen eigenwilligen Vorstellungen passt. Den aktuellen „Perfect Match“ hatte ich ironischerweise bereits besessen: ein Hinder FXM 3.5 Wharncliffe. War damals noch nicht die Zeit. Long gone und aktuell nicht verfügbar, da Herr Hinderer lieber Youtuber mit kleinem Garagen-Reblade-Shop verklagt anstatt für Messer-Output zu sorgen. Wahrscheinlich ist es mittlerweile sogar eingestellt. Medford Thorn war ein Kandidat (auch nicht billig, recht klein, seeehr speziell und discontinued). Bradford Guardian 3 Wharncliffe Special Edition wärs auch fast geworden. Ebenfalls nicht grade günstig, aber mit sehr gutem Ruf als echter EDC-Champ. Das Perrin Janich Fusion One war etwas zu puristisch und weirdo. TRC Speeddemon als Wharnie wäre nice gewesen. Aber handliche Fixed mit schönem cardboardninja-schmeichelndem Formfaktor sind nicht gerade üppig gesät.
Und dann kam Blade Show West 2021 mit dem Sea Snake von Michael Emler im Lineup. Mr. Emler als Designer selbst am Tresen und live dabei mit einem Vlog. Und damn it ... natürlich eine Special Edition exklusiv zur Show mit S35VN und Micartagriffen. Ich war von der FXM-Suche frustriert, fand den Formfaktor des Sea Snake recht nett und habs direkt mach dem Fertigschauen des Youtube-Videos gegoogelt (wobei ich auf das ganze Seeschlangen-Thema erst etwas später gestoßen bin über den Youtube-Channel von Michael Emler). 50€? Für die Basisversionen mit einem neuen, durchaus positiv wahrgenommenen pulvermetallurgischen Budget-Stahl? Wo kann ich unterschreiben? So ungefähr war der Gedankengang. So bin ich zum Artisan Cutlery Sea Snake Wharncliffe Fixed Blade gekommen.
Sea Snake Spezifikationen:
- Stahl: AR-RPM9 (Artisan exklusiver Stainless-Stahl auf pulvermetallurgischer Basis)
- Klingenform: Wharncliffe
- scharfe Nadelspitze
- bogenförmigem Klingenrücken
- Konstruktion: Full Tang
- Finish: Satin
- Griff: G10 verschraubt (in meinem Fall OD Green, auch in Schwarz und Sand verfügbar)
- Klingenänge: 80 mm
- Gesamtlänge: 171 mm
- Klingendicke: ca. 2,5 mm
- Gewicht: 65 Gramm (nur das Messer)
- Schliff: Full Flat Grind
- besonders fein ausgeschliffen
- Scheide: Kydex (Foldover-Konstruktion) in Grifffarbe mit Cord (der Ulticlip ist von mir nachmontiert)
- Herstellungsland: China
Ich habe garantiert was vergessen. Aber Google weiß es.
Funktioniert es? Und weitere Gedanken ...
Das Sea Snake schneidet. Sogar ziemlich gut. Das ist aber kaum überraschend, wenn man sich noch einmal kurz den beruflichen Part von Michael Emler vor Augen führt: er macht Messer „crazy“ scharf. Dass das Sea Snake ein Schneidteufel sein sollte, war Design-Priorität Nummer 1.
Das Messer ist gut austariert (Balancepunkt am Auslauf des hinteren Griffmulde) und liegt schön in der Hand. Mit den selbst nachgemessenen 65 Gramm Gewicht auch schön leicht. Die G10 Griffe sind handscmeichelnd gerundet und sauber angepasst ohne auffallende Spalten oder unsvhöne Makel. Das Chimping auf dem Klingenrücken ist dezent und schön gemacht. Im hinteren Griff (also nur G10-Schalenbereich) ist es für mich, Handschuhgröße 9, ein 3-1/2-Finger-Messer (seitliche Perspektive täuscht etwas).
Greift man das Messer voll mit vorderem Choil in der Klinge, wird es zum komfortablen 4-Finger-Messer mit hinten sogar leicht rausstehendem Griffende. Kleiner Kritikpunkt oder Verbesserungsvorschlag hier könnte sein die Kanten ezwas zu brechen. So ist rs schon etwas unangenehm.
Für mich als Cardboard Ninja tut es, was es soll, und gleitet schön durch Karton. Sollte auch erwartbar sein mit seinen 0,25 Zentimetern Klingenstärke und voll hochgezogenem Flachschliff.
Schnitzen im Alltag? Natürlich. Mach ich täglich, wenn ich nicht grad Messerfotos schieße und Langeweile habe ;-)
Und natürlich auch 100% brauchbare Büroqualitäten ...
Das mitgelieferte Cord erfreute mein für taktische Messer-Spielereien angehauchtes Herz. Auch wenn es auf den ersten Blick wie eine Neckknife-Schaufe aussieht. Ist es nicht (da fehlt a) die sicherheitstechnische Bruchstelle und b) hat es Mr. Emler in irgendeinem Video selbst gezeigt): Das ist eine Quick-Draw-Ziehhilfe für die Hosentasche. Die Kordel wird am Gürtel oder einer Gürtelschlaufe durchgeschlauft und die Kydex dann in die Hosentasche oder in den Hosenbund gesteckt. Das Cord hängt dann rum wie z. B. eine Schlüsselkette. Zieht man das Messer, reißt die Kydex am Ende der Kordellänge vom Messer weg und Du hast mit einer flüssigen Bewegung das Messer in der Hand. Ein nettes theoretic tactical Gimmick, im Alltag absoluter Blödsinn. Wer zieht sein Messer wie ein Actionheld und lässt lässig die leere Kydex am Knie baumeln, während er genüsslich einen Apfel schält, den Bleistift spitzt oder ein Paket öffnet? Ok, die Blicke der Kollegen wären es wert. So ein bisschen Kordel ist natürlich deutlich günstiger als ein Clip oder was anderes. Klarer Preisfaktor und für mich auch unverständlich, da Michael Emler selbst den Utility Charakter hineingestaltet hat und Taktisches maximal durch die spezifische Klingenform und die militärbelegten Farben Wüstenkrieger-Desert, OD-Green-Jungelkämpfer und Special-Ops-Nightstalker-Schwarz hineininterpretiert werden können. Und ja, man kann sich das Teil mit der Schlaufe auch lebensmüderweise als Neckknife um den Hals hängen. Groß genug wäre die Kordelschlaufe.
Deutlich sinnvoller im Alltag funktioniert das bewährte Setup mit nachträglich montiertem Ulticlip (wie es mittlerweile auch bei Böker Daily Customs AK-1 und Co. gerade sehr beliebt wird). So kommt das schlanke Design und das slim gehaltene Gesamtpaket auch brauchbar zum Tragen. Die Kydexsvheide ansich ist, wie auf den Bildern zu sehen, astrein gemacht. Gibt es für die Preisklasse von mir nix zu mäkeln.
Der Stahl reicht für meine Verhältnisse locker aus. Er ist stainless. Also pflegeleicht für Messerpflege-101er wie mich. Stumpf geworden ist der AR-RPM9 Power Steel bei mir bisher noch nicht. Ich kann sowohl praktisch als auch theoretisch leider nichts berichten über diesen Stahl. Mögen es mir die Stahl-Halbgötter nachsehen und mir nicht in meine unwissenden Niederungen hinterhersteigen. Jedenfalls feines und schön scharfes Zeug, was ich bisher sagen kann aus meiner Laiensicht.
Bin ich zufrieden? Ein erstes Fazit:
Preisleistungstechnisch ein volles und ganzes Ja. Brauch ich mehr? Ein ehrliches Nein. Will ich mehr? Ein klares Ja. Aber das ist eine völlig unsachliche und messernerdige Geschichte, die mit dem Artisan Sea Snake an sich nichts zu tun hat.
Das Hinderer FXM oder eine ebenfalls höherwertige Alternative wird auf jeden Fall kommen. Schon das eingangs erwähnte Sea Snake Blade Show West Exklusivmodell mit S35VN und Micarta hätte die Messerhormönchen im Bauch noch mal extra springen lassen. Einfach, weil ich es will und sonst keinen Grund und null Legitimation hätte, in einem Messerforum zu sein.
Fairerweise muss ich ja sagen, dass das ein oder andere Glücksteilchen beim Auspacken des Serien-Sea-Snakes auch kurz gut vibriert hat. Und wenns nur die Erleichterung war, dass die Verarbeitung wie erhofft sauber ist und direkt beim ersten Handgefühl das Fünkchen springt. Die Erwartung wurde für 50 Euro (mittlerweile durchschnittlich 60 Euro, wie Google mir verraten hat) erfüllt und sogar ein kleines bisschen übertroffen. Dieses Wharncliffe-Messer ist leicht, agil und sehr schnittig mit schöner Nadelspitze (die im Alltag über durchaus unterschätzte Nützlichkeiten verfügt, und wenns nur die Faulheit ist, nicht nach der Bastel-Trapezklinge zu greifen oder einen Splitter rauszufummeln).
Ob es was für Dich ist, musst Du selbst entscheiden. Es ist eben ein Wharnie. Ich finds, für was es aus der Box kam, richtig gut. Made in China auf der positiven Erfahrungsseite mit blitzsauberer Fertigungsqualität für die Preisklasse … halt a bissl unspektakulär und von Haptik wie Anmutung eher kühl und wenig emotional.
Made in China - ein kurzer gedanklicher Nachhaker
Fertigung in China, Welthandel, heimische Märkte und schwindende Läden. Dieser Aspekt bekommt unter aktuellen Eindrücken durchaus einen besonderen Geschmack, für den man sich entscheiden muss. Oder eben dagegen. Positiv empfunden habe ich bisher, dass China-Made den Messermarkt doch ziemlich umgekrempelt und neu befeuert hat im Sinne „die zeigen, wo es weitergeht“. Entwicklung, Zug nach vorne, neue Möglichkeiten, raus aus dem gesättigten bequemen Märchenschlaf der großen eingesessenen Marken. Tolle Perspektiven. Sea Snake gehört dazu mit dem pulvermetalurgischen Budget-Stahl. ABER: Auch Massenproduktion. Beliebigkeit. Abhängigkeiten. Händler und Traditionsunternehmen, die reihenweise eingehen oder geschluckt werden zum Ausmelken mit Billigheimer-Strategie. Das Sea Snake ist absolut ok. Wenn ich das Böker Daily Custom AK-1 mit Reverse Tanto anschaue, reizt es mich doch um mindestens einen Faktor mehr, je öfter ich es sehe. Und das Teil hat einen besonderen Mix aus Charme, Hipsterness und Wertigkeit. Ja, es kostet 220 Euro. Aber das wird es mir wert sein. Trotz Sea Snake. Weil ich etwas mehr Charakter und Story möchte. Ich fange auch an, den Wert von selbstgedachter handgemachter Qualität und Messerdesigns abseits des Mainstrreams zu entdecken (ich bin da ganz am Anfang und mein Budget ist bei weitem nicht Timascus-Full-Custom-fähig).
Das Sea Snake hat für mich positiv funktioniert, weil ich vom nicht verfügbaren Hinderer FXM frustriert war und über meine Messer-Youtube-Guckerei zusätzlich angesprochen war durch die Person Michael Emler. Der Weg, wie ich zu diesem Messer gefunden habe, hat an sich schon emotionale Qualität. Das Chinamesser-JA-NEIN-Thema ist sehr komplex und ein sehr persönliches. Das muss jeder selbst für sich sondieren und erörtern. Ich wollte es hier im Nachgang kurz anreißen, da mich das Sea Snake auch im Kontext „Günstige Messer unter 100 Euro“ und ähnlichen Diskussionen beschäftigt hat. Einen ersten Review-Ansatz habe ich damals aber verworfen, weil ich da zu sehr im Thema gefangen war und in einer Sackgasse gelandet bin.
Dieses Review präsentiert sich aus diesem Grund unstrukturierter, spontaner und gefühlt ziemlich unkreativ. Ich wollte es aber aus dem Kopf haben. Plopp. Damit ist es jetzt draußen und die Gedanken können wieder freier fließen.
Gruß,
Euer Cardboard Ninja columbo
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