Böhmisch: Karlsbader Souvenirs mit hebräischen Schriftzeichen - und Solinger Beteiligung

Abu

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Wenn man sich mit Messern böhmischer Manufakturen beschäftigt, kreuzen über kurz oder lang zwei echte Besonderheiten von Klappmessern den Weg.
A. Karlsbader Souvenirs im Dekor des Piedra dura aus lokalem „Sprudelstein“.
B. Messer mit hebräischen Schriftzeichen

Mit Glück findet man beides gemeinsam auf einem Messer; zur Rarität gerät es, wenn der Messerrohling dann noch aus Solingen kommt.
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Nach meinem Eindruck ist Solingen nur minimal an den in Karlsbad verfeinerten Messer vertreten, das Gros kommt aus den heimischen Manufakturen um Nixdorf.

In Nixdorfer Katalogen finden sich auch Messer mit hebräischen Schriftzeichen. Ein gezieltes Angebot an die damals recht große jüdische Bevölkerung in der KuK-Donaumonarchie.

Die Zielgruppe jüdischer Kurgäste sprach man offenkundig auch in Karlsbad an. Jenem Kaiserbad, in dem gekrönte Häupter, Adel und Geldadel kurend flanierten.
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Messer Nummer 2 mit Griffschalen aus Perlmutt und Neusilber trägt keinen Stempel der Herkunft. Für mich weist es böhmische Merkmale auf, wie ich sie bei Präsentationen tschechischer Sammler finde.
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Eines zeichnet nach meinem Eindruck alle Messer mit hebräischen Sprüchen aus: Nur eine Klinge, dafür mit Gesamtlänge um 25 cm ungewöhnlich groß. Also bestens für Speisen geeignet.

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WAS bedeuten nun die Zeichen? Ich weiß es inzwischen, aber vllt sollte besser unser Messerfreund @Arie Leib als geschätzter Experte zu Wort kommen. (Unterwegs auf dem südamerikanischen Kontinent blickt er hoffentlich hier ins Forum….)

Das Alter schätze ich auf die 1920er oder früher. Die 1930er schließe ich wegen des zunehmenden Nationalismus, der politischen Abgrenzung und des Antisemitismus eher aus.

Abu


PS: Exkurs.
Die Kombination Solingen/D - Karlsbad-Böhmen/CSR - Juden wühlt bei mir etwas auf. Auf diesem Messer ist die kommende dramatische, brutale Historie noch symbolisch friedlich vereint. Ein bis zwei Dekaden später bestimmen Solinger NS-Dolche und Bajonette das Bild des annektierten Protektorats Böhmen und Mähren. Und Menschen jüdischen Glaubens werden für die „Endlösung“ abtransportiert. Chef des Protektorats und jener Endlösung der perfide R. Heydrich.

Ironie der Geschichte: Ausgerechnet Heydrich hat dafür gesorgt, dass das jüdische Viertel in Prag als einzigartiges Ensemble bis heute erhalten blieb. Er wollte der Nachwelt ein offenes Museum eines untergegangen Volkes erhalten!!!

Heydrich fand den Tod infolge eines Attentats in Prag - das Prager jüd. Viertel lebt! Fahrt hin, der Besuch lohnt sich, genau wie in dieser tollen Stadt selbst.
 

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WAS bedeuten nun die Zeichen?
Naja, das Hebräisch kann man auch mal ein LLM übersetzen lassen, mein Hebräisch war schon vor 40 Jahren Scheisse ;): לכבוד שבת" (Likvod Schabbat) meint "zu Ehren des Schabbat."

Zweitens, auch in den 1920ern war da nicht viel friedlich vereint. Pauschale Judenfeindlichkeit gibts seit 2000 Jahren in Europa. Ongoing. Aber Geschäfte kann man natürlich mit jedem machen.

Nix gegen die Messer, die sind hübsch und können ja nix dafür. Aber man braucht ja nichts außenrum zu malen, was nicht da ist.
 
Naja, das Hebräisch kann man auch mal ein LLM übersetzen lassen, mein Hebräisch war schon vor 40 Jahren Scheisse ;): לכבוד שבת" (Likvod Schabbat) meint "zu Ehren des Schabbat."

Zweitens, auch in den 1920ern war da nicht viel friedlich vereint. Pauschale Judenfeindlichkeit gibts seit 2000 Jahren in Europa. Ongoing. Aber Geschäfte kann man natürlich mit jedem machen.

Nix gegen die Messer, die sind hübsch und können ja nix dafür. Aber man braucht ja nichts außenrum zu malen, was nicht da ist.
Klar, ginge auch mit LLM. Ich hätte es auch schreiben können, weiß ja den Inhalt. Wir haben aber jemanden in unseren Reihen, der nicht nur LLM übersetzt, sondern Deutung versteht. Ist mir lieber!

Das mit den 1920ern, davor und bis heute ist mir alles sehr, sehr. bewusst. Deshalb habe ich auch nichts „außenherum“ gemalt. „Friedlich vereint“ sollte weder „Frieden“ noch „einig“ ausdrücken. Hätte ich in „“ setzen können, geht aber wohl auch aus dem Kontext hervor - meine ich.

Abu
 
Wenn man sich mit Messern böhmischer Manufakturen beschäftigt, kreuzen über kurz oder lang zwei echte Besonderheiten von Klappmessern den Weg.
A. Karlsbader Souvenirs im Dekor des Piedra dura aus lokalem „Sprudelstein“.
B. Messer mit hebräischen Schriftzeichen

Mit Glück findet man beides gemeinsam auf einem Messer; zur Rarität gerät es, wenn der Messerrohling dann noch aus Solingen kommt.
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Nach meinem Eindruck ist Solingen nur minimal an den in Karlsbad verfeinerten Messer vertreten, das Gros kommt aus den heimischen Manufakturen um Nixdorf.

In Nixdorfer Katalogen finden sich auch Messer mit hebräischen Schriftzeichen. Ein gezieltes Angebot an die damals recht große jüdische Bevölkerung in der KuK-Donaumonarchie.

Die Zielgruppe jüdischer Kurgäste sprach man offenkundig auch in Karlsbad an. Jenem Kaiserbad, in dem gekrönte Häupter, Adel und Geldadel kurend flanierten.
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Messer Nummer 2 mit Griffschalen aus Perlmutt und Neusilber trägt keinen Stempel der Herkunft. Für mich weist es böhmische Merkmale auf, wie ich sie bei Präsentationen tschechischer Sammler finde.
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Eines zeichnet nach meinem Eindruck alle Messer mit hebräischen Sprüchen aus: Nur eine Klinge, dafür mit Gesamtlänge um 25 cm ungewöhnlich groß. Also bestens für Speisen geeignet.

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WAS bedeuten nun die Zeichen? Ich weiß es inzwischen, aber vllt sollte besser unser Messerfreund @Arie Leib als geschätzter Experte zu Wort kommen. (Unterwegs auf dem südamerikanischen Kontinent blickt er hoffentlich hier ins Forum….)

Das Alter schätze ich auf die 1920er oder früher. Die 1930er schließe ich wegen des zunehmenden Nationalismus, der politischen Abgrenzung und des Antisemitismus eher aus.

Abu


PS: Exkurs.
Die Kombination Solingen/D - Karlsbad-Böhmen/CSR - Juden wühlt bei mir etwas auf. Auf diesem Messer ist die kommende dramatische, brutale Historie noch symbolisch friedlich vereint. Ein bis zwei Dekaden später bestimmen Solinger NS-Dolche und Bajonette das Bild des annektierten Protektorats Böhmen und Mähren. Und Menschen jüdischen Glaubens werden für die „Endlösung“ abtransportiert. Chef des Protektorats und jener Endlösung der perfide R. Heydrich.

Ironie der Geschichte: Ausgerechnet Heydrich hat dafür gesorgt, dass das jüdische Viertel in Prag als einzigartiges Ensemble bis heute erhalten blieb. Er wollte der Nachwelt ein offenes Museum eines untergegangen Volkes erhalten!!!

Heydrich fand den Tod infolge eines Attentats in Prag - das Prager jüd. Viertel lebt! Fahrt hin, der Besuch lohnt sich, genau wie in dieser tollen Stadt selbst.
Wow, Abu! You showed us real treasures!
These knives are very special and rare. They are especially valuable to me. (If you get tired of them, please let me know first ;) )
Pitter translated the inscription "In honor of Shabbat" on the first knife absolutely correctly. The inscription on the second MOP knife reads: "My respect". A typical inscription on souvenir knives in popular tourist places. But there is one "but", this inscription is in Hebrew and has its target audience. With your permission, I will say a few words about this and touch on a little history. I will start with the fact that Shabbat (Saturday) has a special meaning for the Jewish people and this is stated in the Ten Commandments known to everyone: "Remember the Sabbath day and keep it holy." According to the Jewish calendar, Shabbat begins with sunset on Friday and ends on Saturday with the release of the stars. There is an ancient tradition of meeting, celebrating and seeing off Shabbat. This tradition is more than 3000 years old. In honor of Shabbat, two candles are lit in Jewish homes, a beautiful festive table is set with a white tablecloth, the best dishes and cutlery. Exquisite dishes are prepared, and fish is a must. It can be baked, fried, or it can be the national dish "Gefilte Fish". The whole family is dressed up and gathers together. And the head of the family sings a hymn to the Queen of Shabbat, blesses the children and pronounces a special blessing over a glass of wine "Kiddush". They wash their hands with water, also with a blessing. Then a blessing is pronounced over two Shabbat buns "Challah", covered with a white cloth with embroidery and patterns. After this, they begin the festive meal. It is considered a blessing for the family if there are guests at the Shabbat table. And now we have reached the most important moment. The Challah are cut with a special knife. Usually it is a long knife with a saw and a decorated handle. Often with an inscription like "Holy Shabbat" or "For Shabbat" or "In honor of Shabbat" as we see on the knives from Carlsbad. I must say that I have never seen folding knives for Shabbat. I can make an assumption that this is a knife for travelers. Even 100-120 years ago in Europe there were practically no non-religious Jews. But there were many Jews who were engaged in trade and traveled a lot. Therefore, they could take a portable knife for Shabbat with them on a trip. Carlsbad was a luxury resort at that time. Just like Marienbad and Franzensbad, Carlsbad was the most favorite place for wealthy and not so wealthy Jewish people from Eastern and Western Europe. The city had and still has a Jewish community, a cemetery, a synagogue, kosher restaurants, cafes, shops and stalls. That is, the kosher infrastructure was well organized there. People could come there to relax for the whole summer. This is described in detail in the books of Jewish writers of the late 19th and early 20th centuries. For example, Sholem Aleichem, the author of Fiddler on the Roof and Tevye the Milkman has several stories about Carlsbad, Marienbad and Franzensbad. It's not without reason that a joke appeared, which Sigmund Freud cites in his book "Wit and its Relation to the Unconscious": "A local beggar brings Baron Rothschild a request for assistance for a trip to Carlsbad. Doctors recommended this resort to him for the restoration of his health.
"Okay, I will give you some money for this purpose," says Rothschild, "but should you go to Carlsbad, the most expensive of all such resorts?"
"Mr. Baron," says the offended answer, "nothing is dear to me when it comes to my health."

At that time, the Jews of Europe spoke Yiddish. For those who don't know, Yiddish has a Germanic base with the inclusion of Old Hebrew, Aramaic and Slavic words. In Yiddish, about 70% of the vocabulary is Germanisms, i.e. German words. The Germanic component of Yiddish most likely combines features of two High German dialects: Allemannic and Bavarian. Over time, a powerful dialect system developed within Yiddish: Yiddish is divided into three large dialect branches (Western, Middle and Eastern Yiddish). The eastern dialects are divided into northern (Lithuanian Yiddish) and southern, and the southern, in turn, are divided into southeastern (Ukrainian Yiddish) and central (Polish Yiddish). My ancestors on my mother's side were from these places. In the birth certificate my great-great-grandmother's birthplace is listed as Austria-Hungary. And my great-grandmother already had Czechoslovakia. And now it's western Ukraine. And my ancestors on my father's side are from Lithuania. I apologize for the long text and the abundance of information. Enjoy :)
 
Danke Abu, für die Vorstellung!

Hier im äußersten Südosten Bayerns hat fast jede(r) Einheimische Wurzeln, die ins heutige Tschechien führen. In meiner Familie schon 1910- die Meisten aber über vertriebene "Böhmen", also nach ´45. Die Resentiments gegenüber den "Anderen" bestehen teilweise bis heute, auf beiden Seiten- leider!
Dennoch gibt es Euregioförderung, und vor allem Menschen, die sich privat und beruflich für die Verständigung über die Grenze hinweg einsetzen. Und in den beiden Nationalparks kann man ungestört wandernd die grüne Grenze überschreiten- was vor den 90´ern mal bewachter Todesstreifen war!

Auch der Bezug zum Hebräischen ist bemerkenswert, fast ein Unicum hier im Messerforum! Ich wüsste nicht, wo die ehemaligen jüdischen Messerhersteller sonst noch im Netz erwähnt werden! So werden sie nicht vergessen, als fester Bestandteil der Geschichte. Ein großer Teil davon ist dir, Abu zu verdanken!
And Arie, thanks for the official translation! I myself can´t trust any translating softwares.



Was mich aber auch zutiefst beschäftigt, ist die Konstruktion der Griffschalen aus Sprudelstein! Ich kann keine Niete entdecken, und frage mich, was die schwarze Masse ist, zwischen den Steinen. Pu/ Epoxid wird es wohl nicht sein, hat aber trotzdem locker 100 Jahre durchgehalten, ohne zu schrumpfen oder bröselig zu werden!
Das gravierte Rechteck dürfte wohl "Jet/ Gagat "sein, damals war u.a. Trauerschmuck daraus sehr in Mode. Auch hier, im ehemaligen " Salzburger Land"...:steirer:
 
@Arie Leib
Arie, thank you so much for your comprehensive explanations about the background, both religion and culture. I enjoy it very much, as for me knives are always part of culture and history and here both fits together in a unique way!
KI may translate words perfectly, but never the spirit behind them. Your words are heart touching to me!

And of course, when I get tired of them, I will recall your interest, my friend!

@Mr.Hw35
Danke auch dir für deine netten Worte. Ja, die Grenzen - leider oft auch in den Köpfen. Gott sei Dank können wir unsere Landesgrenzen überall problemlos überqueren und dann auf Menschen treffen, die ähnlich ticken. Ich war in mehreren Teilen von Nord- und Südböhmen per Rad oder wandernd unterwegs, großartig!
Da hat sich mein Tick böhmischer Messer dann wohl mit dem Kennenlernen verfestigt.

Die Karlsbader Messer mit den Mosaiken werde ich nochmals separat angehen. Das Wie interessiert mich auch, besitze noch ein paar kleine. Und du hast ja bereits einen ersten Hinweis zum Gagat gegeben. Vllt finden wir da mehr heraus.

Abu
 
Wer so ein Messer hat, könnte ja mal genauer schauen mit einer starken lupe. Dann kann man ohne beschädigung schauen,was es sein könnte. Bakelit glaube ich weniger, würdemich aber intressieren. Wobei man nachschauen müsste, welche Kunststoffe damals schon verfügbar waren. Dann könnte man dem geheimnis der Schwarzen masse oder auch derbraunen näher kommen.
 
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