Welchen Artikel Andy gelesen hat, weiß keiner. Es ist daher schwierig, über den Inhalt und die Richtigkeit der Ausführungen zu spekulieren.
Andy hat den Inhalt aber so präzise wiedergegeben, daß ich nicht daran zweifele, daß dort tatsächlich ausgeführt wurde, daß mehrfaches Härten und dazwischen tagelanges Liegenlassen besonders günstige Gefügezustände einstellen soll.
Ähnliches habe ich auch schon gelesen, allerdings mehr aus der Reklameabteilung amerikanischer Messermacher.
Fritz und Eisenbrenner haben Überlegungen eingebracht, was hinter der Vorstellung stecken könnte.
Dem ist an sich wenig hinzuzufügen.
Zum besseren Verständnis:
Mehrfaches langfristiges Anlassen:
a) Vor dem tatsächlichen Gebrauch.
Hier kann man sagen, daß die günstige Wirkung allein auf einem Spannungsabbau beruht. Gefügeumwandlungen-etwa Restaustenit-Martensit- spielen sich temperaturabhängig relativ schnell ab. Ist der der Anlaßstufe entsprechende Zustand des Gefüges einmal erreicht, tut sich in überschaubaren Zeiträumen nichts mehr.
b) Nach dem Einsatz im Gebrauch.
Dies ist eine andere Situation. Im tatsächlichen Einsatz von Werkzeugen bauen sich Spannungen auf, die das Gefüge schwächen können.
Zusätzlich kann durch massive Druckbeanspruchung auch eine Gefügeänderung eintreten, noch vorhandener Restaustenit kann beispielsweise in Martensit umwandeln. Da dieser neue Gefügebestandteil nicht angelassen ist, kann er die Zähigkeit beeinträchtigen. Zur Verbesserung dieses Gefüges ist es sehr sinnvoll, nach einer gewissen Zeitdauer des Gebrauchs erneut anzulassen. Meist bleibt man dabei etwas unter der ursprünglichen Anlaßtemperatur, da es ja nur um Spannungsabbau und das Anlassen neu gebildeten Martensits geht.
Diese Maßnahme kann sehr wohl für die Lebensdauer des Werkzeugs entscheidend sein. Prozentuale Angaben über die Verbesserung sind allenfalls aus der konkreten Erfahrung heraus möglich, da das für jedes Werkzeug und jede Beanspruchung unterschiedlich ist. Bei einer Blechstanze aus 1.2436 ergab sich an der Schneidkante nach längerem Gebrauch beispielsweise eine Härte von 80 (!!!) HRC. Bevor hier falsche Hoffnungen geweckt werden-eine solche Härte ist technisch nicht nutzbar, da das Werkzeug alsbald ausbröckelt.
Bei Messern haben wir die Situation, daß sich durch Druckbeanspruchung in der Schneide Spannungen aufbauen und Restaustenit umgewandelt wird, eher nicht.
Erneutes Anlassen nach jahrelangem Gebrauch müßte auch auf das Griffmaterial Rücksicht nehmen.
Langanhaltendes Anlassen bei mäßigen Anlaßtemperaturen ist sicher günstig, Wunder darf man sich davon aber nicht erwarten.
Mehrfach Härten:
Die Gefügeänderungen bei mehrfachem Härten sind am besten in einer amerikanischen Studie dargestellt, in der Gefügeaufnahmen nach einer Vielzahl unterschiedlichster Wärmebehandlungen zusammengestellt sind.
Die Untersuchung beschränkt sich im wesentlichen auf Kohlenstoffstähle.
Verfasser und Titel des Werks sind mir entfallen-bzw. ich habe sie mir gar nicht erst gemerkt, weil sie letztlich für mich nichts Neues brachten.
Roman hatte das Buch ausgeliehen und mir zur Verfügung gestellt. Wenn Interesse besteht, kann ich über ihn die Quelle ausfindig machen.
Im Prinzip kann man hier aber schlicht unterschreiben, was Eisenbrenner schon ausgeführt hat:
Perfekt vorbehandeltes Material braucht keine Doppel-Tripel- Quadripel oder überhaupt vielfache Härtung, Material, dem man wegen der Vorbehandlung nicht traut, kann aber durch Mehrfachhärtung oder Normalisieren entscheidend verfeinert werden.
Tagelanges Liegenlassen zwischen mehrfachen Härtebehandlungen macht überhaupt keinen Sinn.
Fall 1- tagelanges Liegenlassen ohne Anlassen würde den Restaustenit stabilisieren-das macht nichts, wenn sowieso neu austenitisiert wird- birgt aber die Gefahr, daß im gehärteten, nicht angelassenen Gefüge Risse entstehen. Zudem ist das nur gehärtete, nicht angelassene Gefüge beim erneuten Erhitzen besonders rißempfindlich.
Fall 2- tagelanges Liegenlassen nach Härten und Anlassen- besser als Fall 1- was soll aber in der Liegezeit günstiges geschehen ?.
Fall 3- tagelanges Anlassen zwischen erneuten Härtevorgängen- Zeitverschwendung: Entscheidend für das Gefüge ist der Zustand vor und nach der letzten Härtung. Ist das Gefüge nach der vorletzten Härtung fein, so wird es das nach erneuter richtiger Härtung auch sein. Gehärtetes Gefüge muß aber unter allen Umständen vorsichtig neu erwärmt werden. Ob es dabei vorher stunden- oder tagelang angelassen wurde, macht keinen Unterschied.
Daß Mehrfachhärten oder auch mehrfach scharf Normalisieren vorsichtig und mit Verstand durchgeführt werden müssen, muß wohl nicht eigens betont werden.
Freundliche Grüße
U. Gerfin