Die Messer mit 'nem Haken

Abu

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Werte Messerfreunde,

nicht mehr lange hin, und in unzähligen Haushalten mühen sich noch unzähligere Hände, um an den prickelnden Stoff, despektierlich Champus genannt, zu kommen, ohne den der Jahreswechsel doch recht abstinent wäre. Aber wieso mühen? Es gibt doch ein hervorragendes Hilfsmittel an manchen Taschenmessern, das den Knalleffekt zu einem technischen Vergnügen machen könnte - per Champagnerhaken!

Und wer hat's erfunden? Nein, nicht die Schweizer, liebe SAK-Freunde! Und, liebe Laguiollis, auch nicht die Franzosen! Die mussten ja schon beim Hebel-Korkenzieher auf deutschen Erfindergeist setzen; obwohl, ich gebe es zu, Sie die schönsten bauen. JA, auch der Champushaken ist das Ergebnis deutschen Ingenieurgeistes!

Also, das behaupte ich mal, bis jemand den Gegenbeweis liefert und kann das auch untermauern:
A. Ich habe mehrere Solinger Taschenmesser, ausgestattet mit diesem genialen Haken.
B. Ich hab dagegen noch kein ausländisches Messer damit gesehen.
C. Es gibt mit Hubertus noch einen Hersteller, der sein "Westfälisches Adelsmesser" mit jenem Haken ausstattet.

Beim Sichten und gelegentlichen Reinigen meiner alten Solinger fiel mir erst auf, dass ich, obwohl dem Champus nicht zugeneigt, mittlerweile vier Messer mit diesem Werkzeug habe. Ich möchte Sie Euch zeigen - und dazu animieren, mal Eure hervorzukramen und hier zu präsentieren, sind ja immerhin schöne historische Stücke.



Zeitgenössisch ist das Hubertus, deshalb nur kurz die Daten: 6 cm Klinge, 8 cm Griff aus Hirschhorn, Neusilberbacken, alles rostfrei, wie es sich für ein Adelsmesser gehört. Der Winzling ist mit einem Backlock und einer Feder von ca. 3,5 mm Breite ausgestattet. Ein absoluter Handschmeichler für den Spieltrieb. Ich kenne kein Messer, das mit einem so wunderbar satten "Klack" die Klinge einrasten lässt.



Ganz andere Dimensionen hat das Konejung mit dem Brillen-Logo. Klinge 8,5 cm, Griff 11 cm, Hirschhorn, keine Angaben zum Stahl. Aber offensichtlich ein echtes Herrenmesser, mit allem, was der Herr so brauchte. Der mächtige Korkenzieher weist eine Breite von 8 mm auf, zusammen mit dem großen Griff also ein praktikables Werkzeug. Dazu eine Federklinge, Nagelfeile mit Reiniger, ja, und der Haken.





Warum Jagdmesser regelmäßig mit Korkenziehern und hier Champushaken ausgestattet sind, bleibt für mich ein Rätsel. Es sei denn, man hat(te) als Zweitnutzen die "Schürzenjagd" gleich mit im Kalkül!?!? Das Wingen/Othello wäre jedenfalls für beide Disziplinen gut gerüstet. Hauptklinge 9 cm, Griff 12 cm Hirschhorn, Patronenzieher Kaliber 12/16, kräftige, grobe zweiseitige Feile (keine Nagelfeile) mit Schrauber, Federmesser und der Haken, diesmal mit einem Loch, Funktion unbekannt (evtl. habt ihr einen Tipp). Zwei Besonderheiten: Die Montage des Korkenziehers auf dem Griffrücken, und die Klingenarretierung, die per Druck auf die Feile gelöst wird. In Anlehnung an die Bezeichnung "Federdrücker" müsste das dann ein "Feilendrücker" sein!






Klein, aber besonders fein ist mein Multimesser von Gottlieb Hammesfahr. Im 9 cm Griff mit Holzbeschalung verbergen sich die 6,5 cm Klinge, eine Federklinge, sowie der Haken. Die Rarität ist auf dem Rücken sichtbar, der seitlich klappbare Korkenzieher. Eine kleine Prägung D.R.P auf der Backe verweist auf ein Deutsches Reich Patent.
Das Material der Backen sowie des Rahmens für den Korkenzieher zeigt deutliche Unterschiede zu dem der Klingen und Werkzeuge, keine Korrosionsspuren etc., wirkt wie Guss. Vielleicht weiß ja einer von Euch dazu mehr.
Das Patent hat natürlich meinen Ehrgeiz zur Recherche angestachelt. Einer Quelle folgend, soll es aus den 1920ern sein. Passt aber nicht. Denn bei weiteren Recherchen finde ich im INet sogar die Patentzeichnung meines Messers, datiert mit 04.Aug.1897 - # 19540 in engl. Version. Bei einer US-Auktion eines in Schweden gefertigten Messers mit dem Patent finde ich folgenden Text: "Hammesfahr's 1897 German patent, 1897 US patent and 1898 English patent for a swiveling and lifting corkscrew." Würde mich nur noch interessieren, zu welcher Zeit mein Messer wohl gebaut wurde.







Übrigens: Das heute gängigste Werkzeug für den Trinkgenuss, der Kapselheber fehlt bei den drei älteren Modellen. Obwohl der Kronkorken 1892 patentiert wurde, hatte er sich offensichtlich zur Zeit dieser Messer noch nicht durchgesetzt.

Über die Nutzung des Hakens gab es hier im MF ja auch schon mal Überlegungen. Ich dachte, schreibe mal Hubertus an und bekam zur Antwort, man könne damit das Stanniol entfernen und den Draht lösen. Hat mich nicht so überzeugt. Ich neige der Meinung eines Mitforumiten zu, dass die Haken zum Trennen der früher gebundenen Korken-Fäden gedacht war. Dass sie bei den drei älteren Modelle alle eine gewisse Schneidfähigkeit zeigen, könnte das bestätigen. Den Draht zu durchtrennen ist sicher keine sinnvolle Idee, ich hab's versucht, am Ende aber doch lieber gekurbelt, so mühevoll, wie in den unzähligen anderen Haushalten......




So, bin gespannt auf Eure Haken-Messer und dann schon mal: PROSIT NEUJAHR!

Abu
 
Klasse Beitrag, der muss an die erste Stelle (habe auch grad geschrieben;)).
Ich habe so einen Haken an einem altem Zwilling mit Patronenziehern, könnte mir bisher keinen
Reim darauf machen. Da aber die fast 3 mm starke Klinge abgebrochen war (wie schafft man das?),
hatte ich das Messer bis eben fast vergessen.


Danke für die Infos und Bilder.
 
... Hat mich nicht so überzeugt. ...

Dürfte aber dennoch richtig sein. Wie liest man schon seit 1842 in "Der Bier-Brauer als Meister in seinem Fache" auf Seite 432:

Der Champagner-Haken.
§. 901.
Fig. 47. Der Champagner-Haken, von Eisen oder Stahl mit
hölzernem Heft, ist dazu bestimmt, beim Öffnen der Cham-
pagner-Bier-Flaschen den Eisendraht, oder bei Porter und
Ale den Kupferdraht abzureißen.​

Ein paar schöne Stücke hast Du da. Danke fürs zeigen! :super:
 
Hallo, und danke für eure Kommentare!

@ ingoweimar
Ich hoffe doch auf ein Bild deines "invaliden" Messers! :) Ich denke, diese alten Stücke wären es wert. Schade, dass du die Story des Klingenbruchs nicht liefern kannst......

@blackfox
Dass du ein Messerexperte bist, hast du mir ja schon mit anderen sehr nützlichen Tipps gezeigt. (Ich glaube nach diesem 3. ist das Bier fällig.) Deine Expertise scheint sich aber auch auf Genussmittel auszudehnen!?!? Vmtl. Braukunst? Danke und toll, dein Hinweis bzw. das Zitat aus dem Handbuch. Damit wären alle Zweifel am Sinn des Hakens weg. :super:

Das ist das Schöne an diesem Forum, dass so geballtes und detailliertes Wissen existiert und mal herausgekitzelt werden kann.

Schönen Sonntag
Abu
 
Liebe Messerfreunde,

Jaaaaa, ich glaub's nicht: im ganzen Forum nur VIER intakte Messer mit Haken, und alle mein? Dann mach ich ein Raritätenkabinett auf! :haemisch: Oder habt ihr keine Muße für ein Foto? Wäre schade.

Abu
 
Schöner Beitrag, schöne Messer!
Danke für's Zeigen und die Erklärung zur Funktion des Hakens.

Ich fürchte, es ist keiner in meiner Sammlung ... das Hubertus ist doch sehr schick ;)

Gruß Th.
 
... Das Wingen/Othello ... und der Haken, diesmal mit einem Loch, Funktion unbekannt (evtl. habt ihr einen Tipp). ...
Abu

Den Champagnerhaken konnte man exzellent als zusätzlichen Patronenzieher verwenden, das Loch diente zum Einhaken von Stiftfeuerpatronen.

Grüße
cut
 
Hallo cut,

Großartig! :super: Irgendwie hatte ich auf Dein Fachwissen gesetzt, um das "Loch" zu schließen. Dank Deines Hinweises habe ich nun auch die Beiträge aus 9.04 (Gustav Voss 1925) zum Thema gefunden. Vmtl. ist am Othello primär gar kein Champushaken, sondern es ist mit seinen gesamten speziellen Werkzeugen durch und durch ein Werkzeugmesser für die Jagd, was ja auch mehr Sinn ergäbe. Das Messer wird mir immer mehr zum Schätzchen!

Gruß
Abu
 
Hallo, Abu,
die Bilder sind nicht mehr zu sehen, schade. Würde mich schon interessieren. Gibt es da eine Möglichkeit, die wieder hochzuladen?
 
Hallo Herbert,
Zwei Messer sind nicht mehr da, dafür vmtl andere hinzugekommen. Also Zeit für eine Revision, ich schau mal!

Abu
 
Wie angekündigt der aktuelle Stand. Reichlich Haken für einen, der kaum mal Champus trinkt.
IMG_20210503_175536-01.jpeg


Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Champus DAS Getränk der Jäger war, ausser wenn sie ggf mal nen großen Bock geschossen haben. Der Übergang vom Patronenzieher zum Champushaken ist da eher fließender Mehrfachnutzen.

IMG_20210503_175638-01.jpeg

Von oben Mitte: Hubertus, Dittert, Dittert, namenlos, Henckels-Zwilling, Nogent, Frenzel Nixdorf, Wingen

Abu
 
Kompliment zu Deiner Aktualisierung zum Thema Champagnerhaken / Patronenzieher, Abu!
Ich komme gerne zurück auf Deinen Einstieg in das Thema vor nunmehr bereit 5 (!) Jahren:

.... Champagnerhaken! ... Und wer hat's erfunden? ...

Also, das behaupte ich mal, bis jemand den Gegenbeweis liefert und kann das auch untermauern:
A. Ich habe mehrere Solinger Taschenmesser, ausgestattet mit diesem genialen Haken.
B. Ich hab dagegen noch kein ausländisches Messer damit gesehen.
C. Es gibt mit Hubertus noch einen Hersteller, der sein "Westfälisches Adelsmesser" mit jenem Haken ausstattet. ... Abu

Den Gegenbeweis kann ich nicht antreten und in post # 3 hat blackfox ja bereits schlüssig das Jahr 1842 als Nachweis für die Existenz von Champagnerhaken in Deutschland aufgeführt.

Wann aber gab es erstmals Taschenmesser mit diesem Funktionsteil?
Ich bin in meinen Unterlagen auf eine Veröffentlichung über Erfindungen in Deutchland aus dem Jahr 1887 gestoßen.
Sie beschreibt :
"Während diese einfache Form (ergänzt: gemeint sind einteilige Taschenmesser mit Rückenfeder - "slip joint") bis vor kurzem fast allein das Feld behauptet hat, wenn man von den Zuthaten, wie Federmesser, Korkenzieher, Champagnerbrecher, ... u.s.w. absehen will (die Solinger Firmen haben Messer ausgestellt, mit mehreren Hundert derartiger Klingen und Zuthaten), ...."


und dieser Abbildung gestoßen:
 

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Danke, cut, für Deinen wie immer erhellenden und dokumentierten Beitrag, während ich mich mit meiner These etwas aus dem Fenster lehnte. Mit der von Dir gelieferten Jahreszahl einer Publikation über Taschenmesser mit bildlichem Nachweis des Hakens könnte sich mein Ansatz Solinger Erfindung verfestigen. Die Publikation ist von 1887, die gezeigten Messer liegen zeitlich also nochmals davor.

Die Revision meines kleinen Bestandes war auch aus einem anderen Grund sehr nützlich. Immerhin kann ich Punkt B meines damaligen Statements nun selbst mit dem Messer aus Nogent/Frankreich korrigieren, hier nochmals der Link zur Vorstellung....
Edler Franzose: Grand cru de Nogent

Wenn man die Publikation von 1887 mit den geschichtlichen Ereignissen 1870/71 und den langen Arm Preußens bis tief ins nördliche Frankreich in Beziehung bringt, ließe sich trefflich weiter über den Weg des Hakens von Solingen in die Champagne spekulieren.

Gruß
Abu
 
... Die Publikation ist von 1887, die gezeigten Messer liegen zeitlich also nochmals davor.

Wenn man die Publikation von 1887 mit den geschichtlichen Ereignissen 1870/71 und den langen Arm Preußens bis tief ins nördliche Frankreich in Beziehung bringt, ließe sich trefflich weiter über den Weg des Hakens von Solingen in die Champagne spekulieren.

Gruß
Abu

Korrekt, Champagnerhaken hat es als Funktionsteile von Taschenmemssern laut dieser Veröffentlichung definitiv bereits vor 1887 gegeben.

Erstmalig bin ich in der Beschreibung auf die Benennung des Funktionsteils als "Champagnerbrecher" gestoßen. Diese Wortwahl bestärkt mich in der Annahme, dass der Haken nicht scharf ausgeschliffen sein musste und der Verschlußdraht des Korkens durch Hebelwirkung "gebrochen" wurde.

Bisher habe ich in meinen Unterlagen dazu keine weitere historische Literatur oder Musterbücher aus der Zeit vor 1887 durchforstet, auch einige meiner Bücher aus Frankreich befassen sich sicherlich mit diesem Funktionsteil.

cut
 
„Brecher“! Das klingt leider sehr, sehr hart deutsch. Bei den Franzosen hieß das Teil viel weicher, perliger Crochet a Champagne, bei den Spaniern Gancho. (Apropos Gancho: Beim Tango Argentino schlägt die Tanguera so eine Hakenfigur zwischen seine Beine, wenn sie es gut macht perlig-weich wie Champagne.....)

Fortsetzung folgt, ich hab gerade was fast Neues in Arbeit.

Abu
 
.... Der Übergang vom Patronenzieher zum Champushaken ist da eher fließender Mehrfachnutzen.

Abu
Hallo Abu,
Ich habe in meinem Bestand an französischer Literatur zu Taschenmessern recherchiert und ich bin überrascht, dass diesem Funktionsteil offenbar nur eine untergeordnete Bedeutung zukam.
Allerdings hängt dies möglicherweise damit zusammen, dass an vielen Taschenmessern französischer Hersteller neben der "großen" Messerklinge" (forte lame / lame de couteau) - die den gesamten Spielraum des Griffs ausnutzt - und der kleinen Federmesserklinge (lame de canif) sehr häufig eine dritte "stark gebogene" "serpette" Messerklinge vorhanden war:
Größe zwischen Federmesserklinge und "großer Klinge": eine Mini-Hippe, die möglicherweise den Doppelnutzen eines Gärtnermessers und eines Champagnerhakens erfüllte (bzw. dreifach-Nutzen bei Verwendung als Patronenzieher).

Und Deine Aussage zum "eher fließenden Mehrfachnutzen" als Patronenzieher und Champagnerhaken unterstützt die Beschreibung dieses "Jagdmessers" (Couteau chasseur) aus dem MANUFRANCE Katalog 1903:

j97b6gwg[1].jpg
1 coupe-cartouches (Patronenzieher) ou (oder) crochet à champagne (Champagnerhaken)

Grüße
cut
 
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