Ein Grösche auf der Burg

pebe

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Ein GRÖSCHE auf der Burg


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Reiner Grösche gehört zu den Meistern der Messermacher Gilde. Messer macht er seit über 20 Jahren.

Und. Er baut vorwiegend Klappmesser mit stählernen Backen und Liner Lock Verschluß.

Verwendet wird überwiegend Damaststahl. Sowohl für die Klinge und als besonderes Schmankerl, auch für die Backen. Dabei handelt es sich nur selten um Fabrikware.

Meist sind es handgestrickte Stähle mit ausgefallenen Muster, oft von Uwe Heieck herstellt.


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Es sind allesamt Schmuckstücke mit edelsten Zutaten, an denen die reichlich vorhandenen Details sehr sorgfältig und präzise ausgearbeitet sind.

Selbst hier. Die Klingenwurzel verschwindet geschlossen vollständig im Gehäuse und schließt dann exakt bündig mit diesem ab. Massarbeit.


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Es sind auch stets Titanliner verbaut - in der Regel farblich anodisiert sowie oben und unten sorgfältig mit feiner Feile ziseliert.

Und diese sind mindestens so erwähnenswert, wie der großzahnige YKK Reissverschluss am Filson. 😁


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Auch schön zu erkennen. Bolster und Griffschalen sind in Schwalbenschwanz Technik zusammengefügt. Die hohe Schule der Messermacher Kunst.

Dann. Eine weiterer Leckerbissen - es gibt keine Ausbuchtung in der scale, um den Lock zu lösen, auch kein winzig herausstehendes Plättchen, wie am Froberg oder Boll.

Die Liner bleiben absolut clean wie bei einem Slipjoint - nichts unterbricht die Linienführung. So muss das für perfektes Design!

An Griffmaterialien gibt es alles, was edel, schön und damit leider auch teuer ist. Hölzer sehe ich seit einiger Zeit bei seinen Arbeiten genau so wenig, wie Monostahl.

Nachvollziebar, der Arbeitsaufwand ist vermutlich einfach zu groß und passt dann preislich nicht mehr zu einfacheren Materialien.

Daher. Einen neuen Grösche deutlich unter 1.000 Euro könnte schwierig werden.

Es gibt von Reiner verschiedene Messerformate, eine der am häufigsten verwendete, ist eine eher geradlinige Form - markant eckig.

Von Haus aus, mein Alltime Favorit. Auch Attila‘s Klassiker gehen in diese Richtung.

Bei größeren Klingen um 10cm wirkt diese Form eher schlank - mein erster Grösche war ein solcher. Aber. Es sind wirklich große Klappmesser mit 10cm Klinge und 13cm Griff.


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Mit Klingen unter 9cm wird das Ganze deutlich kompakter, vorallem bulliger. Und. Genau mein Ding!

Besonders gelungen, Enzio‘s ehemaliger Jäger mit Hirschhorn. Ein Traummesser!


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Es gibt jedoch einen kleinen Pferdefuss bei einem solchen Grösche. Das Gewicht.

Obwohl es LinerLocks sind, ist eine durchgehende Feder oder richtiger, ein metallischer Backspacer im Rücken verbaut. Natürlich, in einer MOKI vergleichbarer Güte.


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Klar, das Messer wird dadurch besonders stabil und bewahrt auch einen klassischen Slipjoint Look.

Aber. Die Messer sind damit ziemlich schwer. Große bringen locker 170g und mehr auf die Waage und selbst das 3.5 Zoll EDC Format liegt meist über 140g Kampfgewicht.

Das ist dann trotz feinster Zutaten deutlich außerhalb des EDC und noch mehr des Gentleman Bereiches und passt besser in den Rucksack - für den täglichen Hosensack finde ich‘s persönlich zu heftig.


Aber von vorne.

Ich war das ganze Jahr über auf der Suche nach einem Linerlock in EDC Größe und etwas stabiler als meine Franzosen mit Tischmanieren. Mit edlen Zutaten und handwerklichem Stammbaum.

Gröschemesser gehören jedoch zur Gattung der Einhörner, sind also selten und schwierig zu bekommen.

Dabei. Obwohl ein Grösche in der passende Größe eigentlich für den angedachten Zweck zu schwer war, hätte ich vermutlich dennoch bei einem schönen Angebot zugegriffen.

Allein, alle Recherche und Kontakt mit einigen Vormalsbesitzern brachte kein Messer hervor.

Aber. Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.

Reiner baut eher selten auch ein anderes, deutlich handlicheres Format, etwas rund und leicht spitz zulaufend am Griffende - dies spart letztlich auch Material, besser gesagt, Gewicht.

Genau das Modell, das ich nun habe.

Allerdings sind diese üblicherweise eher klein und haben meist nur um 7cm Klingenlänge. Ein solcher Kraftzwerg war auch im Markt verfügbar, war mir aber definitiv zu klein. Wieder nix.

Aber dann. Ein Messermacher, der mit Reiner befreundet ist und bei ihm wohl auch die Grundzüge des Messermachens gelernt hatte, meldete sich im Nachgang auf meine Suchanzeige.

Er hatte einen dieser gerundeten Grösche abzugeben. Und. Dieser hatte um 8cm Klingenlänge und 130g Gewicht laut Zertifikat.

Da die ausgewiesenen Maße für mich grenzwertig knapp waren, bat ich um konkrete Überprüfung.

Und siehe da - Gewicht nur 107g und Klingelänge exakt 8,3cm. Bingo!


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Ob das nun eine Sonderanfertigung oder ein denkbares Gemeinschaftsprojekt war und daher das Zertifikat etwas nachlässig ausgefertigt wurde - es ist auch kein Datum eingetragen - ist mir einigermaßen egal.

Jedenfalls. Die Klinge hat eine Wharncliffform mit leicht hochgezogener Spitze, so dass von von den 8,3cm genug nutzbare Länge bleibt und damit ein vorzügliches EDC Format besitzt.

Mit gemessenen 3,1mm Klingenstärke ausgewogen stabil und schneidfreudig - das ideale EDC.

Der Stahl ist dabei Balbach Leo Damast. Exklusive Stangenware rostend. Auch diese Pille schlucke ich freudig.

Weil. Die intensive Zeichnung mit herrlich metallischem Schimmer auf der Klinge wie auch auf den Backen, ist wie bestellt. Genau so muss Damast. Dagegen kommt ein glänzend polierter Damasteel nicht an.

Die Klinge läuft dabei spielfrei und butterweich auf washern, rastet satt ein und steht geschlossen perfekt zentriert.

Man könnte trotz aller Raffinesse dennoch etwas maulen.

Ich mag ja normalerweise bunte Anodisierung nicht, es sei denn in einem Bronzeton. Das Gewicht ist objektiv für’s Optimum immer noch einen Ticken zu schwer und leicht grifflastig. Und meinem großen Daumen gelingt es nicht immer, mit der fehlenden Ausbuchtung den Lock sofort zu lösen. Aber. Geschenkt!

Das Gesamtpaket überwiegend hier deutlich die genannten Kleinigkeiten - es ist nichts dabei, was mir die Freude verdirbt. Im Gegenteil. Das Messer gefällt mir immer besser, obwohl es eigentlich nicht meinem Beuteschema entspricht.

Trotz aller aufwändigen Details hat das Messer ein schnörkelloses Gebrauchsformat. Keine Greifmulden, keine fancy Klingenform, keine Huckel und Buckel. Ein optisch wie ergonomisch sehr gelungener Klapper.

Mein Grösche ist ein hochwertigst gefertigtes Schmuckstück - bleibt dabei aber ein nicht übermäßig empfindliches und taugliches Schneidwerkzeug - ein echter Ritter.


Braucht man sowas?

Burgherren mit Tafelplatz für honorige Edelmänner und einem gefüllten Dukatenbeutel am ehesten. Oder Messerfreaks auf der Suche nach einem Gral.

Bleibt man größenmäßig im EDC Bereich, kann das problemlos ein OneForAll DailyUser sein.

Jedenfalls. Ein Grösche im Hosensack ist eine Klasse für sich.

Euch allen ein schönes Wochenende.

grüsse, pebe
 
Zuletzt bearbeitet:
@pebe Wieder einmal ein toller Bericht mit super Fotos. Was mir bei dieser Vorstellung besonders gefällt, wie du die Details beschreibst. Wenn du nicht speziell darauf aufmerksam gemacht hättest, ich hätte diese Details übersehen.

Schön, dass deine lange Suche zu so einem schönen Erfolg geführt hat.

Gruss Ulli
 
Ein schöner Bericht, voll Herz! Hat das Messer verdient, wie eigentlich alle Grösches. Das ist Kunsthandwerk vom Feinsten. Ich habe bisher nur einmal einen RG Folder ohne Verzierungen ziemlich clean gesehen, muss aus früheren Jahren gewesen sein. Er hat die hohe Kunst drauf, daher sind seine Messer auch schnell zu erkennen.

Übrigens: Du hast ja immer recht enge Kriterien und Grenzen bei der Wahl deiner Messer, für ein RG kann man die auch mal aufgeben - gut gemacht!

Abu
 
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