Ich will, was Herbert und Arno geschrieben haben, noch einmal auf einen einfachen Nenner bringen und verdeutlichen, wo die Vorstellung von der Faserstruktur des Stahls herkommt, was darin richtig ist und was mißverständlich ist.
1. Stähle, die mit vielen Verunreinigungen erzeugt wurden, die sich durch Wärmebehandlung nicht lösen lassen, haben eine Faser, da sich die Verunreinigungen in der Verformungsrichtung strecken. Diese Phänomen ist sehr schön an alten Puddelstählen oder noch älteren Stählen zu sehen, die viele Silikateinschlüsse haben, die sich wie Fädchen durch die Stahlmasse ziehen.
Ähnliche Erscheinungen treten bei billigen Federstählen auf, bei denen man die Kosten gescheut hat, zu hohe Schwefelanteile beim Erschmelzen zu beseitigen. Sie würden zum Rotbruch führen, wenn man sie nicht durch geeignete Maßnahmen unschädlich macht. Die gängige Methode ist die Zugabe von Mangan, der den Schwefel in Sulfiden bindet. Diese Schwefelsulfide haben einen hohen Schmelzpunkt, sodaß das Problem mit der Rotbrüchigkeit verschwindet. Beim Walzen werden diese Mangansulfide wie sonstige Verunreinigungen in der Walzrichtung mitgestreckt und führen ebenfalls zu einem zeiligen Gefüge.
In modernen, sauber erschmolzenen Stählen kommen diese Verunreinigungen -hoffentlich- nicht mehr vor.
Unterschiedliche Eigenschaften des Stahls längs und quer zur Walzrichtung treten aber auch beim optimal hergestellten Stahl auf, wenn er ledeburitisch ist, also Primärkarbide aufweist. Diese können durch Wärmebehandlung allein nicht mehr gelöst und beseitigt werden und werden beim Walzen oder Schmieden teilweise zertrümmert und in die Verformungsrichtung mitgestreckt. Dabei entstehen hinter den zertrümmerten Karbidteilchen oft noch Vakuumschwänzchen. Dies führt dazu, daß diese Stähle in der Längs-oder Querrichtung zur Verformung deutlich unterschiedliche Eigenschaften haben. Man kann als Faustregel sagen, daß die mechanischen Eigenschaften in der Längsrichtung etwa doppelt so gut( oder: nur halb so schlecht ) sind, wie in der Querrichtung. Dies war u.a. ein Grund für die Entwicklung der PM- Stähle.
2. Bei Stählen ohne Primärkarbide können alle Karbide durch eine geeignete Wärmebehandlung gelöst werden. Durch geeignete thermomechanische Behandlungen- sprich Walzen oder Schmieden - können sie völlig neu angeordnet und verfeinert werden. Das gilt in gleicher Weise für das Matrixkorn, das beim Schmieden durch die mehrfache Erwärmung und Abkühlung umgekörnt wird. Danach spielt die ursprüngliche Walzrichtung keine Rolle mehr. Ich gehe auch davon aus, daß die Stahlwerke ihre Produkte nach dem Walzen gehörig normalisieren und weichglühen, sodaß auch da die ursprüngliche Walzrichtung keinen Unterschied machen sollte. Es ist daher sicher unbedenklich, wenn bei Dovo die Rohlinge für die Rasiermesser aus dem breiten Blech quer abgeschnitten werden.
3. Bei Stählen ohne Umwandlung, etwa rein ferritischen oder rein austenitischen Stählen, ist eine durch Walzen entstandene Textur möglicherweise schwieriger zu beseitigen. Diese Stähle kommen für Schneidwerkzeuge aber sowieso nicht in Betracht und brauchen uns daher nicht zu kümmern.
MfG U. Gerfin