Man sollte den Einfluß der Härte auf die Leistungsfähigkeit nicht überschätzen.
Keinesfalls kann man aus der linearen Steigerung der Härte eine gleichlaufende lineare Verbesserung der Qualität ableiten-also etwa: Mein Messer ist 6 % härter als Deines, also ist es auch 6 % besser.
Was die Qualität einer Messerklinge ausmacht, ist zahlenmäßig nicht festzulegen, da viele teilweise sich unterstützende, teilweise auch gegenläufige Faktoren zu berücksichtigen sind.
Selbst eine scheinbar so einfache Eigenschaft wie die Verschleißfestigkeit steht n i c h t in einer bestimmten Relation zur Härte.
Bei völlig identischer Härte kann die Verschleißfestigkeit eines Stahls die eines anderen um das Vielfache übersteigen.
Nehmen wir als Beispiel zwei extrem unterschiedliche Stähle: C 60 (1.1740) und D2 (ähnlich 1.2379).
Beide können auf ca. 65 HRC gehärtet werden und könnten nach entsprechender Anlaßbehandlung mit ca. 60 HRC eingesetzt werden.
Sie könnten nun verschiedenen Verschleißbeanspruchungen unterworfen werden, z.B.:
1.) Einer Beanspruchung durch rollende Reibung. Dabei läßt man unter Druck zwei zylindrische Körper gegenläufig aufeinander laufen.
Hier würde sich der C 60 schnell abnutzen, weil er als "Verschleißbremse" nur die gehärtete Matrix (fast) ohne Karbide hat.
Die vielen harten, bis an die Oberfläche ragenden Karbide des D 2 würden daggegen die Grundmasse schützen und den Verschleiß vermindern- ich habe gerade keine Zahlen verfügbar, man kann aber prognostizieren, daß der Verschleiß mindestens um den Faktor 10 niedriger liegen würde.
Nebenbei-Der mit ultraharten Vanadinkarbiden überladene CPM 10 V ist bei rollender Reibung etwa so verschleißfest wie Hartmetall.
2.) Schnitt durch verschleißendes Material
a) Schnittkante gegen 90 Grad-
Hier gelten wieder die Gesetze, die unter 1. dargelegt wurden. Der karbidreiche Stahl ist um ein Vielfaches verschleißfester als der karbidfreie.
b) Schnittkante unter 20 Grad.
Hier sind wieder zwei Fälle zu unterscheiden:
Beim Schärfen auf eine Schnittkante, in der die großen Karbide noch ausreichend Stütze haben, bleibt es bei der besseren Verschleißfestigkeit des karbidhaltigen Stahls.
Beim Anschärfen auf eine Schnittkante, in der die Karbide nicht mehr ausreichend Stütze finden, brechen sie dagegen schon beim Schärfen oder jedenfalls bei seitlicher Druckbelastung aus. Zur Erinnerung: Eine wirklich scharfe Klinge hat eine Schneidenspitze in der Größenordnung von 2-3 my bis hin zu 1/10 my, die Karbide des D 2 sind bis zu 50 my groß.
Hier können sich also die Verhältnisse durchaus umkehren.
Damit ist aber nur ein Aspekt behandelt, der für die Qualität einer Klinge von Bedeutung ist. Zähigkeit, Elastizität, Schockbelastbarkeit u.ä. sind damit noch nicht erfasst.
Kurz eine Bemerkung zu einem verbreiteten Irrtum: Auch die Zähigkeit steigt mit sinkender Härte eben nicht linear- das haben wir aber schon ausführlich besprochen.
Anpreisungen wie: "Die außergewöhnliche Härte von ... HRC garantiert ewige Schneidfähigkeit" sind also mit großer Vorsicht aufzunehmen.
Freundliche Grüße
U. Gerfin