Vorab: ich habe bisher keine praktischen Erfahrungen mit dem Stahl. Habe zwar welchen hier liegen und werde so eine Art Messer auch bauen, um das auszuprobieren - aber ich halte ihn nicht für die optimale Wahl bzw. für 'den herausragenden Stahl' für so eine Klinge. An sich ist er für andere Aufgaben prädestiniert.
Im Kern, weil ein Jagdmesser aus meiner Sicht eine gewisse Stärke in der Klingengeometrie benötigt, um nicht auszubrechen oder sich umzulegen. Stärke in erster Linie direkt an der Schneide und vom Winkel der Schneide her.
Und dafür braucht es keine 65HRC - im Gegenteil: solch hohe Härten können sich auch durch verstärkte Neigung zu Ausbrüchen bemerkbar machen, denn je höher die Härte, umso empfindlicher wird ja die Schneidfase auch.
Insofern würde ich den Stahl für ein Jagdmesser in einem Härtebereich einsetzen, den ich auch mit einem 1.2519 oder 1.2442 erreichen kann. Aus dieser Sicht also ein bisschen 'Perlen vor die Säue' bzw. verschenktes Potential.
Jetzt kommt aber noch der Gehalt an verschleißhemmendem Karbid im Stahl ins Spiel. Dies ist aus meiner Sicht ein wesentlicher Faktor bei einem Jagdmesser, wo ja der Kontakt mit Dreck und auch zäher Schwarte eines Stückes Schwarzwild fester Bestandteil der Aufgabe ist. Menge, Größe und Verteilung der Karbide spielen eine wesentliche Rolle.
Hier unterscheidet sich ein 1.2562 dann doch noch einmal deutlich von einem 1.2519, 1.2442 oder 100Cr6 oder so.
Was die Menge in % im Gefüge angeht, hat knifesteelnerds das hier einmal beschrieben:
Is Blue Super Steel Actually Super? The Facts about Tungsten-alloyed Steels - Knife Steel Nerds
1.2562 oder der sehr ähnliche Blue Super bringen einen fast doppelt so hohen Karbidgehalt mit als ein 1.2519 oder 1.2442
Liest sich schon einmal gut.
Aber auch die Verteilung und Größe der Karbide ist ja interessant:
Toughness Improvement of High Carbon Tungsten Steel 1.2562 - Knife Steel Nerds
Und da machen mich die netzartige Struktur und einige Anhäufungen und größere Klumpen skeptisch, was die (seitliche) Belastbarkeit von feinen Schneiden im jagdlichen Alltag angeht. Das ist nicht optimal für den Erhalt einer feinen, recht geschlossenen Schneide - muss es bei einem Jagdmesser aber auch nicht. Ein bisschen Rauigkeit an der Schneide kann ja auch ganz gut sein im Sinne einer Bissigkeit der Schneide. Und: im Vergleich zu einem wirklich hochlegierten Stahl wie einem D2 z.B. sind die Karbide eines 1.2562 dann wieder deutlich feiner. Mit ein bisschen Aufmaß an der Schneide gegenüber einem 1.2519 oder so bei nicht voller Glashärte kann man das also durchaus einmal ausprobieren und wird wahrscheinlich durchaus ein sehr gut brauchbares Jagdmesser mit ordentlicher Schärfe bekommen.
Nochmal interessanter wirds dann, wenn man, wie weiter unten in dem letzten Link oben gezeigt, eine Optimierung des Gefüges per Schmieden und Normalisieren vornimmt. Dann verschwindet die netzartige Struktur der Karbide entlang der Korngrenzen und die Dinger werden von der Größe und Verteilung auch besser. Das sieht richtig gut aus.
Also doch eine optimale Wahl?
Es gibt eben inzwischen Stähle wie den Vanadis 4E oder CPM4V, die von Hause aus das Ganze schon mitbringen und auch in der gemessenen Zähigkeit (die man zwar nicht 1:1 auf die Belastbarkeit einer Schneide übertragen kann, die aber schon eine Richtung weisen) deutlich über dem liegen, was ein 1.2562 oder auch 1.2519 bringt.
Weiter macht mich die Messung der Schneidhaltigkeit im Catra-Test hier:
https://i0.wp.com/knifesteelnerds.com/wp-content/uploads/2020/04/CATRA-4-27-2020-2.jpg?w=753&ssl=1
skeptisch. Da ist kein deutlicher Vorteil des 1.2562 gegenüber 1.2519 oder 1.2442 sichtbar - und PM-Stähle der Klasse CPM4V setzen sich hingegen signifikant ab.
Wieder natürlich die Frage der Übertragbarkeit auf die Schneidaufgabe Jagdmesser, aber dies alles zusammen genommen, bringen mich zu der Aussage, dass ich den 1.2562 nicht für den optimalen Stahl für ein Jagdmesser halte.
Trotzdem: ich werde es ausprobieren, wenn wieder Luft ist und alles andere abgearbeitet. Aber eben mit gedämpfter Erwartung.
Wenn Du nur EIN Jagdmesser bauen willst, dann würde ich etwas anderes nehmen, was ohne viel Probieren der richtigen Härteeinstellung und der Optimierung des Gefüges sicher funktioniert. Einen Magnacut (sorry, edit: hatte aus Versehen erst Maxamet geschrieben) oder RWL34 oder so im rostträgen Bereich oder für feinschneidende Klingen aus nicht rostträgem Material 1.24(25)19, 1.2442 oder 1.2419.05 oder so.
Viele Grüße,
Torsten