George Schrade Solingen

cut

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Springmesser sind hier im Vintage Knives Forum bisher nur als Randgebiet in Erscheinung getreten. Durch Zufall konnte ich ein ungewöhnliches Modell mit zwei „Automatik-Klingen“ und außergewöhnlicher Historie erwerben.

Als typische deutsche Taschenmesser haben klassische, mit einem umlegbaren Hebel ausgelöste und zu sichernde Springmesser weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Ende des 19.Jahrhunderts gab es von Solinger Herstellern die ersten Modelle mit dem prägnanten Schriftzug „Springer“. Diese Bezeichnung war deutlich sichtbar an der Oberseite des Griffabschlusses in den überwiegend massiven, gegossenen Neusilber Backen vertieft eingeprägt.

LL SPRINGER.JPG
klassische Solinger Springer

In den USA erwarb sich etwa zeitgleich George Schrade ( 1860 - 1940) mit innovativen Patenten zur Messerherstellung und zu Messern in der Messerbranche einen „unsterblichen“ Namen.

2 - Springer Schrade.JPG
George Schrade, Solinger Springmesser

Eine von George Schrades herausragenden Entwicklungen war die Verwirklichung der Idee des mit einem Druckknopf einhändig ausgelösten Springmessers. 1893 begann er mit der Herstellung solcher Springmesser in seiner ‚Press Button Knife Company‘ in New York City. Das Patent verkaufte George Schrade 1903 an die Walden Knife Company, um dann 1904 mit zwei Brüdern die Schrade Cutlery Company zu gründen. Hier entstanden weitere von ihm entwickelte Modellvarianten von Springmessern, so auch ein weiteres durch Patent geschütztes Modell, bei dem ein in die Griffschalen integriertes verschiebbares Bauteil das unbeabsichtigte Auslösen der Klinge verhindert.

3 - Sicherung.JPG
von George Schrade patentierte Schiebesicherung in Position "O" (entsichert)

Mit weiteren Patenten zur Messerherstellung automatisierte George Schrade die Fertigung von Einzelteilen und deren Montage; die bis dahin erforderlichen zeitaufwändigen handwerklichen Arbeitsgänge konnten dadurch nennenswert reduziert werden.

Mit diesen Entwicklungen bemühte sich George Schrade ab 1910, auf Geschäftsreisen nach Großbritannien in der Messerindustrie in Sheffield neue Märkte zu erobern. Dies war jedoch wenig erfolgreich, und deshalb versuchte er anschließend in Solingen neue Geschäftsverbindungen aufzubauen.

Hier gründete er eine eigene Taschenmesserfabrikation und schützte beim Reichspatent- und Markenamt weitere Verfahren zur Messerherstellung.

4 - Business Card.jpg
Visitenkarte, ca. 1914/1914

Neben der eigenen Messerfertigung unter der Marke „Schrado“ begann George Schrade die Zusammenarbeit mit mehreren etablierten Solinger Firmen. Diese stellten daraufhin Springmesser mit patentierter „Schrade-Druckknopf-Auslösung“ selber her oder sie wurden von George Schrade als Auftragsfertigung in dessen Betrieb produziert. Einer dieser Kooperationspartner von Schrade war offenbar auch die Stahlwarenfabrik Windhövel & Co..

6 - WUCOS Windhövel & Co.JPG


Von dem recht unbekannten Solinger Hersteller stammt dieses ungewöhnliche Springmesser mit zwei auf Knopfdruck aus dem Griff herausspringenden Klingen.

5 - beide Klingen geöffnet, vor Modellvarianten.JPG


Die stark abgenutzten Griffschalen sind aus tiefgezogenem Blech geformt, schwarz lackiert und auf Messingplatinen 3-fach vernietet. An den gegenüberliegenden Enden des Messergriffs sind die beiden auch in geöffneter Position verriegelnden Klingen unsichtbar vernietet: eine 5 cm lange „große“ Klinge, deren Ansatz mit der Marke „WUCOS“ über einer geballten Faust versehen ist, sowie einer 4 cm langen Federmesserklinge.

Auf beiden Griffseiten befindet sich als Auslöser für die Klingen ein leicht erhabener Druckknopf und mit kleinem Abstand eine verschiebbare Sicherung, die den Druckknopf in der markierten Position „Z“ sicher blockiert und in der gegenüberliegenden Position „O“ entriegelt.

Ob es neben dieser Ausführung von Windhövel & Co. weitere Modellvarianten gab, konnte ich bisher nicht in Erfahrung bringen, die Literatur ist spärlich. Die hier bereits mehrfach zitierte „Bibel für Messersammler“ von Anthony Carter zeigt eine historische „Reklame“ von Windhövel & Co aus dem Jahr 1922, aber es scheint wohl auch einen Katalog dieses Herstellers gegeben zu haben. In der „Entwicklungsgeschichte zu Springmessern“ zeigt die homepage der Solinger Messermanufaktur HUBERTUS eine historische Abbildung dieses Springers, allerdings ermöglicht die Quelle dieses Dokuments keine Zuordnung zu George Schrade oder Windhövel. Zumindest in den USA sind viele "original" Schrade Varianten dieses Messers bekannt und von Mark Erickson 2005 in seinem Buch „Antique American Switchblades“ beschrieben und abgebildet.

Grüße
cut
 
Last edited:
Wie immer, gut recherchiert und informativ geschrieben. (y)

Herzlichen Dank für "Lehrstunde", Herr cut :super:
 
Sehr beeindruckende und für mich bisher überwiegend unbekannte Informationen, cut, Danke!

Für meinen nächsten Besuch in Solingen habe ich die Adresse gegoogelt, aber eine Zollernstraße gibt es wohl in Solingen nicht mehr.

twins
 
Hallo cut,
Ein erstklassiger und wie immer kenntnisreicher Hintergrundbericht. So etwas rundet für mich die Messersammelei erst ab! Und immer wieder interessant, wie global vor über 100 Jahren schon agiert wurde.
Das Messerchen mag mit seinen Stahlblechschalen einfach daherkommen, aber es scheint mir mit seinem Press-Button plus der Sicherung eine echte Rarität. Selbst in einem einschlägigen Buch über Switchblades von unserem geschätzten Kollegen „Allen“ aka Neal Punchard ist es nicht zu finden! Glückwunsch zu dem Fang👍
Gruß
Abu
 
... habe ich die Adresse gegoogelt, aber eine Zollernstraße gibt es wohl in Solingen nicht mehr.

twins

Korrekt, die Zollernstraße wurde vermutlich in Zusammenhang mit der Eingemeindung benachbarter Orte 1929 in "Schwertstraße" umbenannt.
"Fast-Nachbar" war diese Firma:

1929 Werbung P.D. Lüneschloss.JPG


... an der ehemaligen "Schrade"-Hausnummer 12 steht heute ein Mehrfamilenhaus.

Grüße
cut
 
Servus,
ich bin ein großer Fan der Firma Schrade (wie man an meinem Profilbild erkennt) und möchte mich für den geilen Artikel bedanken.
Grüße
Andreas
 
Hallo Cut,
vielen Dank für deinen Beitrag, ich habe seit meinem 2010er Thread zu Schrade immer gerätselt wo denn seine Fabrik war.
Danke dir auch für diese Auflösung!

Viele Grüße,
Claus
 
In den umfangreichen handschriftlichen Lieferanten-Aufzeichnungen eines nicht mehr existierenden Solinger Messerherstellers und renommierten Handelshauses gibt es zu meinem großen Erstaunen diese Information mit der Herstellernummer "1000" und ergänzender Beschreibung des vorgestellten Springmessers:

Windhövel & Co., SprM # 1000.JPG


Grüße
cut
 
Hallo cut,

In dem einzigartigen thread zu "Sportmessern", die von mehreren Solinger Messermanufakturen gefertigt worden sind, hattest Du bereits eine ähnlich interessante Zeichnung mit Text (post # 34) zu einem Friedrich Olbertz Sportmesser verlinkt.
Stammen beide Messerzeichnungen aus den "Lieferanten-Aufzeichnungen eines nicht mehr existierenden Solinger Messerherstellers und renommierten Handelshauses", die Du als Quelle für die Springmesser-Zeichnung von Windhövel & Co. angegeben hast?
Gibt es in diesen Aufzeichnungen ggf. weitere Hinweise auf Taschenmesser von Windhövel oder auf andere Springmesser?

allerbesten Dank für Deine Unterstützung!

twins
 
Last edited:
@ twins

In dem von Abu gestarteten thread "Clan des Böker Sport" stammt die von mir verlinkte Zeichnung des "Friedrich Olbertz" Sportmessers # 67.HH aus einer Veröffentlichung des "Landschaftsverband Rheinland, Rheinisches Industriemuseum" mit dem Titel "Solinger Musterbücher", 1998, ISBN 3-7927-1717-4.
Als Quelle benennt das Heft: "TASCHENMESSERVERZEICHNIS EINER UNBEKANNTEN SOLINGER TASCHENMESSERFABRIK, O.J.".
Abgebildet sind dort neben dem Sportmesser drei weitere Taschenmesser der Firma Friedrich Olbertz sowie ein weiteres Taschenmesser der Firma "Kamphausen & Plümacher" mit der Beschreibung "Kirchenfenstermuster No. 19".

Die "Windhövel & Co." Springmesserzeichnung stammt aus einem umfangreichen "Lagerkatalog" von Carl Schlieper, Solingen.
Dieser handschriftlich erstellte Katalog listet in unterschiedlicher Form auf 278 Seiten vorrangig mehrere Hundert Taschenmesser und benennt neben Produktdetails die Hersteller/Lieferanten.

Von Windhövel & Co. zeigt dieser Lagerkatalog nur das Springmesser # 1000, darüber hinaus aber auch Springmesser von anderen "bekannten" Springerherstellern wie Wilhelm Weltersbach und Gebrüder Gräfrath, aber auch von weiteren unbekannteren Solinger Firmen.

Grüße
cut
 
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"Musterbücher" von Messerherstellern sind mir aus diversen Veröffentlichungen bekannt.
Den Begriff "Lagerkatalog" hatte ich bis zu dieser Information über Windhövel noch nicht als Quelle zu historischen Informationen zu Messern kennengelert: vielen Dank!

Sicherlich wäre es für die interessierten Leser des vintage knives Unterforums sehr interessant, mehr Informationen aus diesem "Lagerkatalog" kennenzulernen.
Vielleicht hast Du ja die Möglchkeit, einen thread hierzu zu erstellen.
Sollten weitere "Forumiten" mein Anliegen unterstützen, könnten sie dies sicherlich durch ein "Like" äußern ...

Besten Dank für Deine Aufmerksamkeit !
twins
 
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