Rock'n'Roll
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Boas,
zur Abwechslung haben wir uns mal wieder ernsthaft um was wirklich Essentielles gekümmert - um’s Essen. Zugegebenermaßen nicht ganz ohne Hintergedanken . Kann man ja - nebenbei bemerkt - auch leicht vernachlässigen bei all den Fotos und der Schreiberei. Wenn man - gefühlt - stundenlang mit taktischen Klappern Gemüse für Messerfotos zerkleinert hat, kriegt man beim Gedanken an ein stilvolles, geeignetes Werkzeug buchstäblich Tränen in die Augen.
Wir haben zwar eine Menge rumliegen. Auch scharf. Aber stilvoll würden wir schon mögen. Also haben wir Taktik-Folder-begleitend immer mal wieder gelesen und dabei ständig gegrübelt: Schanz, Japan …. , Gyuto …, klein, groß … - was denn bloß???
Dann kam der Bericht „mein Herz schlägt für …“ und Klick! Die Entscheidung stand sofort fest. 1922 wird es. Und zwar ein Officemesser, da wir gern und viel mit dieser Messergröße hantieren und diesen Solinger Dünnschliff sehr mögen. Kann auch gut immer mal mit auf’s Jausenbrett. Große Messer haben wir einige zur Hand.
Also „Back to the roots“! Jahrelang haben wir allen möglichen Leuten die Schubladen mit Windmühlenmessern vollgequatscht. Es hat sich noch keiner beschwert … Diese schönen kleinen dünngeschliffenen und blaugepließteten Messerchen, die in Kürze eine feine blau-graue Patina annehmen. Und vom regelmäßigen Schleifen auf einem Schrubb-Stab immer kleiner werden (der ererbte alte Familien-Schrubb-Stab war bis vor anderthalb Jahren noch regelmäßig in Gebrauch). Bis nur noch ein kümmerlicher Rest Klinge übrigbleibt. Ein Neues muß her. Diese unabwendbare Entwicklung konnte ich in meiner Jugend schon bei meiner Großmutter und meiner Mutter beobachten. Beide schworen auf die Windmühlen. Eins mit solch einer Klinge als Officemesser war eine gute Option, haben wir gedacht. Und da wir heute über einen Sharpmaker verfügen, sollte die Klinge auch ein Weilchen halten.
Was ist Pließten und warum wird es gemacht?
„Pließten bedeutet „Feinschleifen". Die Oberfläche der Klinge wird hierbei mittels einer Schmirgelpaste auf rotierenden Leder- oder Filzscheiben von der groben „Schleifriefe" (also den Schleifspuren) befreit.
Die Oberfläche erhält einen feineren, glatteren Riefen, der sich positiv auf die Schneidqualität und Schnitthaltigkeit auswirkt. Außerdem werden kleine, nicht erwünschte Unebenheiten und Fehler vom Schleifen hierbei weggenommen oder korrigiert und der schlanke Schliffwinkel nochmals etwas schmaler gezogen.
Pließten und Blaupließten
Das „Pließten" wird in unterschiedlichen Stufen durchgeführt, dem „Feinpließten" und dem „Blaupließten". Diese Arbeitsgänge gehören seit je her zu den aufwendigsten Techniken des Solinger Schleifhandwerks, von denen das „Blaupließten" die höchste Stufe darstellt. Solche Klingen erkennt man an ihrem bläulich- bis regenbogenfarbenen Schimmer. Diese Arbeit führt unser Schleifmeister W. Fehrekampf durch, der als einer der letzten die feine Kunst der „blauen Messer" beherrscht und an unsere jungen Schleifer weitergibt.“
Zitiert aus der Homepage von Robert Herder GmbH & Co KG, www.windmühlenmesser.de
Als das Office da war, wollten wir natürlich was Vernünftiges aufschneiden. Wir haben eingekauft: Flaschentomaten, eine Salatgurke, leckeren schnittfesten Käse und fetten Speck vom Schwarzen Schwein - für die letzten Schnitte, damit die Klinge nicht rostet ! Dann hatten wir noch ein paar dicke Eierpflaumen, eine Mango und zwei Stangen Porree. Äpfel und etwas Brot, Apfelsinen und Zitronen sowie Löwensenf hatten wir schon an Bord.
Wir haben ein paar von unseren vergleichbaren, unspektakulären - aber scharfen - küchenüblichen Messern zum Sparring bereitgelegt, um mal zu schauen, ob das vollmundige Lob aus dem Forum seine Berechtigung hat.
Die Versuchsanordnung
Die Angaben bezüglich der Klingenstärke beziehen sich auf Klingenanfang, Klingenmitte und Klingenspitze und wurden vermittels eines digitalen Meßschiebers von uns ermittelt.
o Ein SICO Professional aus Benedita in Portugal (X50 Cr Mo v 15), Klingenlänge 12 cm, Klingenstärke (1,35 - 1,10 - 0,50 mm), roter Kunststoffgriff
o Ein SICO Professional aus Benedita in Portugal (X50 Cr Mo v 15), Klingenlänge 12 cm, Klingenstärke (1,47 - 1,20 - 0,50 mm), weißer Kunststoffgriff
o Ein Küppels Profi Gourmet (X 30 CR 13), Klingenlänge 10 cm, Klingenstärke (2,16 - 1,9 - 0,5 mm), schwarzer Griff
o Ein No Name aus Albacete in Spanien (INOX 420), Klingenlänge 12 cm, Klingenstärke (1,8 - 1,7 - 0,5 mm), brauner Holzgriff - unser Schärfstes unter den Kleinen
o Natürlich das Herder Serie 1922 Officemesser selbst, Klingenlänge 10 cm, Klingenstärke (1,35 - 1,45 - 0,45 mm), geschmiedeter Kohlenstoffstahl mit HRC 60, Solinger Dünnschliff, blaugepließtet
Und als persönliche Referenz
o Ein Tranchiermesser aus dem Haus bulthaup, Klingenlänge 18 cm, Klingenstärke (1,45 - 0,90 - 0,40 mm)
In den 70er Jahren für 80,- DM gekauft und seitdem stets mit Freude (und mit Vorsicht) genossen. Es war immer unser ganzer Messer-Stolz. Hersteller und Stahl unbekannt, aber edel, da ohne jegliche Patina. Die Klinge wird zügig sehr dünn zur Spitze hin und dort dünner als die des 1922er Office. Maximale Höhe 3 cm, schwarzer Griff aus Holzlaminat. Die Klinge ist so flexibel, daß sie sich problemlos in die Kurve legen läßt. Erbarmungslos scharf. Wir nennen es im Folgenden mangels näherer Spezifikation der Einfachheit halber bulthaup. Benutzen wir gern für größere Stücke Fleisch oder Fisch.
In der Schublade liegen für alle Fälle noch zwei größere stabile Kochmesser (14,5 und 17,5 cm). Um einen Wirsing zu zerkleinern beispielsweise.
Nu aber ran an den Speck!
Zunächst haben wir mal eine Tomate halbiert, dann in dünnste Scheibchen geschnitten. Die Tomate war zwar schnittfest, man konnte sie aber schon etwas mit dem Daumen eindrücken. Was sollen wir groß rumreden. Danach war bereits alles klar. Top-Deal! Dermaßen cool, wie das Herder sich über die Tomate hergemacht hat, hat es alle Konkurrenten sofort links und rechts liegenlassen. Während sich - Ausnahme das „böse“ bulthaup - bei allen Messern die Tomate zunächst etwas eindrückte, bevor sie nachgab, hatte sie der Klinge des Office keinerlei Widerstand entgegenzusetzen. Slice!
Das Office hat dann einen Apfel gelasert. Schnittflächen wie Marmorplatten ! Nie haben vom Kerngehäuse befreite Viertel ordentlicher ausgesehen. Mit der scharfen, spitzen und durch das Blaupließten sehr glatten Klinge macht das Messer genau das, was es soll. Es legt sich sozusagen widerstandslos in die Kurve. Die Viertel haben wir dann noch in Scheibchen geschnippelt - teils mit dem 1922er und teils mit dem bulthaup. Beide haben alles gegeben. Nur, daß das Herder uns bei dieser Aktion einfach passender in der Hand lag.
Die nächste Runde hat eine bereits seit 3 Tagen im Eisschrank verweilende - nicht mehr knackfrische - Porree-Stange zerlegt. Außer dem großen bulthaup waren alle beteiligt. Der Porree wird wie Gummi, wenn er etwas im Eis liegt und quietscht dann schon mal beim Schneiden. Nicht so beim 1922er !
Bei einfachen portugiesischen Brötchen (pao de agua), die innen noch etwas klebrig waren, ging das Herder am entspanntesten zur Sache. Das anschließende Teilen zweier Avocados war keine Herausforderung und diente eher der Klingenschmierung. Wir haben die Avocado-Hälften mit einer Vinaigrette aus Aceto Balsamico, Bio-Olivenöl aus dem Alentejo, gemahlenem Pfeffer und Salz randvoll gefüllt und dann ausgelöffelt (mit der Avocado natürlich). Da kommt Freude auf. Wir hatten es uns verdient!
Da das Ganze als Abendbrot gedacht war, tauchte irgendwann später der kleine Hunger auf. Wir haben dann den Käse und den fetten Speck ausgepackt und das Herder zum Schnitt gebeten. Was soll da schon schiefgehen. Eine mehr als glatte Sache … Der fette Speck hat ihm sichtbar gut getan. Uns übrigens auch. Mit Löwensenf natürlich. Der lieben Patina wegen und damit gar nicht erst irgendwelche Animositäten aufkommen, durfte das 1922 ihn auf den Speck schmieren. Man sieht es ihm immer noch an (dem Messer) !
Am nächsten Morgen haben wir mit dem Office dann erst mal den Apfel für’s Frühstücksmüsli geschält. So ganz von allein und ohne wirkliche Absicht hat es - bei guter Handlage - die Schale in einem Stück „abgewickelt“. Das geht mit manchem Messer schief - selbst, wenn man es beabsichtigt. Im Verlauf des Tages gab es dann noch etwas Obst. Der Vitamine wegen - und weil der Stoff hier im Süden an der Algarve derartig lecker schmeckt, daß einem beim bloßen Schreiben schon wieder das Wasser im Mund zusammenläuft. Wir haben dem Office aus dem gut gefüllten Fundus eine vollreife Orange und eine ebensolche Zitrone vorgelegt. Nach der Teilung wurde daraus einen Gläschen Saft. Die Kerne waren fein säuberlich durchtrennt. Es war keinerlei Widerstand spürbar. Das Messer wurde zwar sauer :drunk: - aber es hat geschnitten, als ginge es um Kopf und Kragen.
Der Tag ist dann so weitergegangen - Eierpflaumen, Avocado, Käse, fetter Speck … Aber das schenken wir uns jetzt. Im Ergebnis herrscht rundum Freude und Zufriedenheit. Das 1922er Office war der korrekte Deal für unsere kleine Küche. Weil’s einen Riesenspaß macht, mit solch herrlichen Werkzeugen zu hantieren! Die Verarbeitung des Griffs ist akzeptabel. Man hätte sich beim Finish an den Schnittstellen zwischen Holz und Messing ein klein wenig mehr Mühe geben können.
Am nächsten Tag fiel uns plötzlich auf, daß wir die Salatgurke vergessen hatten. Wir haben sie - entgegen unseren Gewohnheiten - mit dem 1922er geschält (wir nehmen sonst den Sparschäler) und in feine Scheiben zerlegt. Keine Fragen. Dann noch eine von den Avocados aus dem Korb genommen und sie dieses Mal mit dem kleinen Küppels halbiert. Halbieren wollen! Die Klinge mochte zuerst nur widerwillig in die lederne Haut der vollreifen und gelagerten Frucht hinein. Erst durch Anpiecksen mit der Spitze ging es dann zu Sache. Gut, daß wir es mal probiert haben. Es wurde noch einmal deutlich, wie groß der Unterschied zwischen dem Office von Herder und einem herkömmlichen, immerhin gut geschliffenen Messer ist. Gegen Dünnschliff ist offenbar wenig Kraut gewachsen.
Die Klinge macht mittlerweile schon einen leicht angeschlagenen Eindruck - farblich wohlgemerkt. An das kleine Windmühle reicht das zwar noch lange nicht heran. Aber die Patina schreitet munter voran. Da sie die Klinge schützt, haben wir nochmal ordentlich mit Senf nachgeholfen. Als wir mittags ein Stück Käse abgeschnitten haben. Unser kleines Windmühle-Schälmesser ist - nebenbei bemerkt - seit Jahren im Einsatz. Weder Klinge noch Buchenholz-Griff zeigen geringste Spuren von Korrosion oder Verzug. Den Griff haben wir gerade mal in der ersten Woche zwei oder dreimal mit Olivenöl behandelt. Seitdem - wenn überhaupt - alle paar Monate einmal. Das Einzige, was wir mit dem Messer nach Gebrauch jedesmal machen, ist, es unter fließendes Wasser zu halten - wenn Fett im Spiel war, etwas Spülmittel dazu - und dann abzutrocknen. No pasa nada! Es ist auch beim Office sinnvoll, vor Gebrauch für eine fettfreie Klinge zu sorgen. Fett bremst den Schnitt, wie uns beim Gurkensalat auffiel. Da war etwas Fett vom leichten Einölen im Spiel. Fett runter und alles war wieder schön!
Heute morgen haben wir zum Frühstück eine dicke Eierpflaume und einen Apfel zu einem kleinen Obstsalat verarbeitet. Selten ging uns das besser von der Hand und nie sahen die Obststückchen besser aus ….. Am Abend dann - weil das ja definitiv noch gefehlt hat - Zwiebeln und Knoblauch für eine Tomatensoße. Einen Vergleich mit den anderen Kandidaten haben wir uns gespart. Wie die schneiden, wissen wir aus dem hohlen Bauch - bei dem Knoblauchkonsum im Roadhouse . Jedenfalls übernimmt diesen Part in Zukunft auch das Office …
Ein guter Rat noch an alle, die ein 1922er Office kaufen wollen. Klinge sowie Spitze sind mit Vorsicht zu genießen. Sie sind sehr sensibel. Kein Messer für Grobmotoriker. Am zweiten Tag sind wir mit dem Trockentuch vorne „hängengeblieben“. Die Spitze hatte im Mimimimimicrobereich eine Unebenheit. Und wir waren nicht rücksichtslos und haben nur auf Holz geschnitten. Vielleicht ein harter Kern im vielen Obst oder einer von den dicken Dingern in den Avocados. Wir werden Vorsicht walten lassen und zukünftig das Hardcore-Kern-Obst den stabileren Schneideisen überlassen. Ein ganz leichter Streich über die weiße Keramik hat dann aber alles wieder zur vollen Zufriedenheit gerichtet.
Im Verlauf dieser Aktion haben wir nebenbei auch die alte Liebe zu unserem kleinen Windmühlenmesserchen wiederentdeckt. Es hatte eine Weile ödes Schubladendasein gefristet und war dem grünen portugiesischen Edelstahl-SICO gewichen, einem ebenfalls sehr scharfen Schäler mit etwas längerer Klinge. Die kleine Windmühle liegt jetzt wieder mit ihrem neuen Mitstreiter oben auf dem Tresen.
Zusammen mit den Kandidaten, die den Schnippeltest bestanden haben - dem bulthaup und dem No-Name-INOX aus Spanien. Das ist trotz seines geringen Preises (vor Jahren auf den Kanaren gekauft) ein sehr respektables Messer mit sehr scharfer und stabiler Klinge. In Spanien kann man für sehr kleines Geld immer wieder mal ein gutes Messer ergattern. Da wir küchenmessertechnisch nun Blut geleckt haben, wird in absehbarer Zeit noch ein 1922er Kochmesser 18 cm (oder eventuell auch ein kleines Schanz-Gyuto) auf unserem Küchentresen Platz nehmen …
Und nun zu Tisch
Herder Serie 1922 Officemesser
Abschließend bedanken wir uns ausdrücklich bei den Herrschaften von der Küchenfraktion, die uns durch ihre informativen Beiträge auf die Serie 1922 aufmerksam und den Mund wässrig gemacht haben . Wir haben uns nicht verkauft …
Aus der Jukebox für die Windmühlen ein paar unaufgeregte Bläsersätze und funky Grooves von Christopher Cross - „Ride Like The Wind“: https://www.youtube.com/watch?v=ur8ftRFb2Ac&feature=kp
Grüße aus stormy Monte Gordo von
Johnny & Rock’n‘Roll
zur Abwechslung haben wir uns mal wieder ernsthaft um was wirklich Essentielles gekümmert - um’s Essen. Zugegebenermaßen nicht ganz ohne Hintergedanken . Kann man ja - nebenbei bemerkt - auch leicht vernachlässigen bei all den Fotos und der Schreiberei. Wenn man - gefühlt - stundenlang mit taktischen Klappern Gemüse für Messerfotos zerkleinert hat, kriegt man beim Gedanken an ein stilvolles, geeignetes Werkzeug buchstäblich Tränen in die Augen.
Wir haben zwar eine Menge rumliegen. Auch scharf. Aber stilvoll würden wir schon mögen. Also haben wir Taktik-Folder-begleitend immer mal wieder gelesen und dabei ständig gegrübelt: Schanz, Japan …. , Gyuto …, klein, groß … - was denn bloß???
Dann kam der Bericht „mein Herz schlägt für …“ und Klick! Die Entscheidung stand sofort fest. 1922 wird es. Und zwar ein Officemesser, da wir gern und viel mit dieser Messergröße hantieren und diesen Solinger Dünnschliff sehr mögen. Kann auch gut immer mal mit auf’s Jausenbrett. Große Messer haben wir einige zur Hand.
Also „Back to the roots“! Jahrelang haben wir allen möglichen Leuten die Schubladen mit Windmühlenmessern vollgequatscht. Es hat sich noch keiner beschwert … Diese schönen kleinen dünngeschliffenen und blaugepließteten Messerchen, die in Kürze eine feine blau-graue Patina annehmen. Und vom regelmäßigen Schleifen auf einem Schrubb-Stab immer kleiner werden (der ererbte alte Familien-Schrubb-Stab war bis vor anderthalb Jahren noch regelmäßig in Gebrauch). Bis nur noch ein kümmerlicher Rest Klinge übrigbleibt. Ein Neues muß her. Diese unabwendbare Entwicklung konnte ich in meiner Jugend schon bei meiner Großmutter und meiner Mutter beobachten. Beide schworen auf die Windmühlen. Eins mit solch einer Klinge als Officemesser war eine gute Option, haben wir gedacht. Und da wir heute über einen Sharpmaker verfügen, sollte die Klinge auch ein Weilchen halten.
Was ist Pließten und warum wird es gemacht?
„Pließten bedeutet „Feinschleifen". Die Oberfläche der Klinge wird hierbei mittels einer Schmirgelpaste auf rotierenden Leder- oder Filzscheiben von der groben „Schleifriefe" (also den Schleifspuren) befreit.
Die Oberfläche erhält einen feineren, glatteren Riefen, der sich positiv auf die Schneidqualität und Schnitthaltigkeit auswirkt. Außerdem werden kleine, nicht erwünschte Unebenheiten und Fehler vom Schleifen hierbei weggenommen oder korrigiert und der schlanke Schliffwinkel nochmals etwas schmaler gezogen.
Pließten und Blaupließten
Das „Pließten" wird in unterschiedlichen Stufen durchgeführt, dem „Feinpließten" und dem „Blaupließten". Diese Arbeitsgänge gehören seit je her zu den aufwendigsten Techniken des Solinger Schleifhandwerks, von denen das „Blaupließten" die höchste Stufe darstellt. Solche Klingen erkennt man an ihrem bläulich- bis regenbogenfarbenen Schimmer. Diese Arbeit führt unser Schleifmeister W. Fehrekampf durch, der als einer der letzten die feine Kunst der „blauen Messer" beherrscht und an unsere jungen Schleifer weitergibt.“
Zitiert aus der Homepage von Robert Herder GmbH & Co KG, www.windmühlenmesser.de
Als das Office da war, wollten wir natürlich was Vernünftiges aufschneiden. Wir haben eingekauft: Flaschentomaten, eine Salatgurke, leckeren schnittfesten Käse und fetten Speck vom Schwarzen Schwein - für die letzten Schnitte, damit die Klinge nicht rostet ! Dann hatten wir noch ein paar dicke Eierpflaumen, eine Mango und zwei Stangen Porree. Äpfel und etwas Brot, Apfelsinen und Zitronen sowie Löwensenf hatten wir schon an Bord.
Wir haben ein paar von unseren vergleichbaren, unspektakulären - aber scharfen - küchenüblichen Messern zum Sparring bereitgelegt, um mal zu schauen, ob das vollmundige Lob aus dem Forum seine Berechtigung hat.
Die Versuchsanordnung
Die Angaben bezüglich der Klingenstärke beziehen sich auf Klingenanfang, Klingenmitte und Klingenspitze und wurden vermittels eines digitalen Meßschiebers von uns ermittelt.
o Ein SICO Professional aus Benedita in Portugal (X50 Cr Mo v 15), Klingenlänge 12 cm, Klingenstärke (1,35 - 1,10 - 0,50 mm), roter Kunststoffgriff
o Ein SICO Professional aus Benedita in Portugal (X50 Cr Mo v 15), Klingenlänge 12 cm, Klingenstärke (1,47 - 1,20 - 0,50 mm), weißer Kunststoffgriff
o Ein Küppels Profi Gourmet (X 30 CR 13), Klingenlänge 10 cm, Klingenstärke (2,16 - 1,9 - 0,5 mm), schwarzer Griff
o Ein No Name aus Albacete in Spanien (INOX 420), Klingenlänge 12 cm, Klingenstärke (1,8 - 1,7 - 0,5 mm), brauner Holzgriff - unser Schärfstes unter den Kleinen
o Natürlich das Herder Serie 1922 Officemesser selbst, Klingenlänge 10 cm, Klingenstärke (1,35 - 1,45 - 0,45 mm), geschmiedeter Kohlenstoffstahl mit HRC 60, Solinger Dünnschliff, blaugepließtet
Und als persönliche Referenz
o Ein Tranchiermesser aus dem Haus bulthaup, Klingenlänge 18 cm, Klingenstärke (1,45 - 0,90 - 0,40 mm)
In den 70er Jahren für 80,- DM gekauft und seitdem stets mit Freude (und mit Vorsicht) genossen. Es war immer unser ganzer Messer-Stolz. Hersteller und Stahl unbekannt, aber edel, da ohne jegliche Patina. Die Klinge wird zügig sehr dünn zur Spitze hin und dort dünner als die des 1922er Office. Maximale Höhe 3 cm, schwarzer Griff aus Holzlaminat. Die Klinge ist so flexibel, daß sie sich problemlos in die Kurve legen läßt. Erbarmungslos scharf. Wir nennen es im Folgenden mangels näherer Spezifikation der Einfachheit halber bulthaup. Benutzen wir gern für größere Stücke Fleisch oder Fisch.
In der Schublade liegen für alle Fälle noch zwei größere stabile Kochmesser (14,5 und 17,5 cm). Um einen Wirsing zu zerkleinern beispielsweise.
Nu aber ran an den Speck!
Zunächst haben wir mal eine Tomate halbiert, dann in dünnste Scheibchen geschnitten. Die Tomate war zwar schnittfest, man konnte sie aber schon etwas mit dem Daumen eindrücken. Was sollen wir groß rumreden. Danach war bereits alles klar. Top-Deal! Dermaßen cool, wie das Herder sich über die Tomate hergemacht hat, hat es alle Konkurrenten sofort links und rechts liegenlassen. Während sich - Ausnahme das „böse“ bulthaup - bei allen Messern die Tomate zunächst etwas eindrückte, bevor sie nachgab, hatte sie der Klinge des Office keinerlei Widerstand entgegenzusetzen. Slice!
Das Office hat dann einen Apfel gelasert. Schnittflächen wie Marmorplatten ! Nie haben vom Kerngehäuse befreite Viertel ordentlicher ausgesehen. Mit der scharfen, spitzen und durch das Blaupließten sehr glatten Klinge macht das Messer genau das, was es soll. Es legt sich sozusagen widerstandslos in die Kurve. Die Viertel haben wir dann noch in Scheibchen geschnippelt - teils mit dem 1922er und teils mit dem bulthaup. Beide haben alles gegeben. Nur, daß das Herder uns bei dieser Aktion einfach passender in der Hand lag.
Die nächste Runde hat eine bereits seit 3 Tagen im Eisschrank verweilende - nicht mehr knackfrische - Porree-Stange zerlegt. Außer dem großen bulthaup waren alle beteiligt. Der Porree wird wie Gummi, wenn er etwas im Eis liegt und quietscht dann schon mal beim Schneiden. Nicht so beim 1922er !
Bei einfachen portugiesischen Brötchen (pao de agua), die innen noch etwas klebrig waren, ging das Herder am entspanntesten zur Sache. Das anschließende Teilen zweier Avocados war keine Herausforderung und diente eher der Klingenschmierung. Wir haben die Avocado-Hälften mit einer Vinaigrette aus Aceto Balsamico, Bio-Olivenöl aus dem Alentejo, gemahlenem Pfeffer und Salz randvoll gefüllt und dann ausgelöffelt (mit der Avocado natürlich). Da kommt Freude auf. Wir hatten es uns verdient!
Da das Ganze als Abendbrot gedacht war, tauchte irgendwann später der kleine Hunger auf. Wir haben dann den Käse und den fetten Speck ausgepackt und das Herder zum Schnitt gebeten. Was soll da schon schiefgehen. Eine mehr als glatte Sache … Der fette Speck hat ihm sichtbar gut getan. Uns übrigens auch. Mit Löwensenf natürlich. Der lieben Patina wegen und damit gar nicht erst irgendwelche Animositäten aufkommen, durfte das 1922 ihn auf den Speck schmieren. Man sieht es ihm immer noch an (dem Messer) !
Am nächsten Morgen haben wir mit dem Office dann erst mal den Apfel für’s Frühstücksmüsli geschält. So ganz von allein und ohne wirkliche Absicht hat es - bei guter Handlage - die Schale in einem Stück „abgewickelt“. Das geht mit manchem Messer schief - selbst, wenn man es beabsichtigt. Im Verlauf des Tages gab es dann noch etwas Obst. Der Vitamine wegen - und weil der Stoff hier im Süden an der Algarve derartig lecker schmeckt, daß einem beim bloßen Schreiben schon wieder das Wasser im Mund zusammenläuft. Wir haben dem Office aus dem gut gefüllten Fundus eine vollreife Orange und eine ebensolche Zitrone vorgelegt. Nach der Teilung wurde daraus einen Gläschen Saft. Die Kerne waren fein säuberlich durchtrennt. Es war keinerlei Widerstand spürbar. Das Messer wurde zwar sauer :drunk: - aber es hat geschnitten, als ginge es um Kopf und Kragen.
Der Tag ist dann so weitergegangen - Eierpflaumen, Avocado, Käse, fetter Speck … Aber das schenken wir uns jetzt. Im Ergebnis herrscht rundum Freude und Zufriedenheit. Das 1922er Office war der korrekte Deal für unsere kleine Küche. Weil’s einen Riesenspaß macht, mit solch herrlichen Werkzeugen zu hantieren! Die Verarbeitung des Griffs ist akzeptabel. Man hätte sich beim Finish an den Schnittstellen zwischen Holz und Messing ein klein wenig mehr Mühe geben können.
Am nächsten Tag fiel uns plötzlich auf, daß wir die Salatgurke vergessen hatten. Wir haben sie - entgegen unseren Gewohnheiten - mit dem 1922er geschält (wir nehmen sonst den Sparschäler) und in feine Scheiben zerlegt. Keine Fragen. Dann noch eine von den Avocados aus dem Korb genommen und sie dieses Mal mit dem kleinen Küppels halbiert. Halbieren wollen! Die Klinge mochte zuerst nur widerwillig in die lederne Haut der vollreifen und gelagerten Frucht hinein. Erst durch Anpiecksen mit der Spitze ging es dann zu Sache. Gut, daß wir es mal probiert haben. Es wurde noch einmal deutlich, wie groß der Unterschied zwischen dem Office von Herder und einem herkömmlichen, immerhin gut geschliffenen Messer ist. Gegen Dünnschliff ist offenbar wenig Kraut gewachsen.
Die Klinge macht mittlerweile schon einen leicht angeschlagenen Eindruck - farblich wohlgemerkt. An das kleine Windmühle reicht das zwar noch lange nicht heran. Aber die Patina schreitet munter voran. Da sie die Klinge schützt, haben wir nochmal ordentlich mit Senf nachgeholfen. Als wir mittags ein Stück Käse abgeschnitten haben. Unser kleines Windmühle-Schälmesser ist - nebenbei bemerkt - seit Jahren im Einsatz. Weder Klinge noch Buchenholz-Griff zeigen geringste Spuren von Korrosion oder Verzug. Den Griff haben wir gerade mal in der ersten Woche zwei oder dreimal mit Olivenöl behandelt. Seitdem - wenn überhaupt - alle paar Monate einmal. Das Einzige, was wir mit dem Messer nach Gebrauch jedesmal machen, ist, es unter fließendes Wasser zu halten - wenn Fett im Spiel war, etwas Spülmittel dazu - und dann abzutrocknen. No pasa nada! Es ist auch beim Office sinnvoll, vor Gebrauch für eine fettfreie Klinge zu sorgen. Fett bremst den Schnitt, wie uns beim Gurkensalat auffiel. Da war etwas Fett vom leichten Einölen im Spiel. Fett runter und alles war wieder schön!
Heute morgen haben wir zum Frühstück eine dicke Eierpflaume und einen Apfel zu einem kleinen Obstsalat verarbeitet. Selten ging uns das besser von der Hand und nie sahen die Obststückchen besser aus ….. Am Abend dann - weil das ja definitiv noch gefehlt hat - Zwiebeln und Knoblauch für eine Tomatensoße. Einen Vergleich mit den anderen Kandidaten haben wir uns gespart. Wie die schneiden, wissen wir aus dem hohlen Bauch - bei dem Knoblauchkonsum im Roadhouse . Jedenfalls übernimmt diesen Part in Zukunft auch das Office …
Ein guter Rat noch an alle, die ein 1922er Office kaufen wollen. Klinge sowie Spitze sind mit Vorsicht zu genießen. Sie sind sehr sensibel. Kein Messer für Grobmotoriker. Am zweiten Tag sind wir mit dem Trockentuch vorne „hängengeblieben“. Die Spitze hatte im Mimimimimicrobereich eine Unebenheit. Und wir waren nicht rücksichtslos und haben nur auf Holz geschnitten. Vielleicht ein harter Kern im vielen Obst oder einer von den dicken Dingern in den Avocados. Wir werden Vorsicht walten lassen und zukünftig das Hardcore-Kern-Obst den stabileren Schneideisen überlassen. Ein ganz leichter Streich über die weiße Keramik hat dann aber alles wieder zur vollen Zufriedenheit gerichtet.
Im Verlauf dieser Aktion haben wir nebenbei auch die alte Liebe zu unserem kleinen Windmühlenmesserchen wiederentdeckt. Es hatte eine Weile ödes Schubladendasein gefristet und war dem grünen portugiesischen Edelstahl-SICO gewichen, einem ebenfalls sehr scharfen Schäler mit etwas längerer Klinge. Die kleine Windmühle liegt jetzt wieder mit ihrem neuen Mitstreiter oben auf dem Tresen.
Zusammen mit den Kandidaten, die den Schnippeltest bestanden haben - dem bulthaup und dem No-Name-INOX aus Spanien. Das ist trotz seines geringen Preises (vor Jahren auf den Kanaren gekauft) ein sehr respektables Messer mit sehr scharfer und stabiler Klinge. In Spanien kann man für sehr kleines Geld immer wieder mal ein gutes Messer ergattern. Da wir küchenmessertechnisch nun Blut geleckt haben, wird in absehbarer Zeit noch ein 1922er Kochmesser 18 cm (oder eventuell auch ein kleines Schanz-Gyuto) auf unserem Küchentresen Platz nehmen …
Und nun zu Tisch
Herder Serie 1922 Officemesser
Abschließend bedanken wir uns ausdrücklich bei den Herrschaften von der Küchenfraktion, die uns durch ihre informativen Beiträge auf die Serie 1922 aufmerksam und den Mund wässrig gemacht haben . Wir haben uns nicht verkauft …
Aus der Jukebox für die Windmühlen ein paar unaufgeregte Bläsersätze und funky Grooves von Christopher Cross - „Ride Like The Wind“: https://www.youtube.com/watch?v=ur8ftRFb2Ac&feature=kp
Grüße aus stormy Monte Gordo von
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