pebe
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Joel Grandjean - Feine Messer aus den Vogesen
Ich kann nicht viel zur Person Joel Grandjean berichten, außer dass der 60jährige und erfahrene Messermacher gut 100km von mir entfernt, in den Vogesen, in der Nähe von Cornimont, lebt und ein sehr freundlicher wie angenehmer Zeitgenosse ist.
Und. Ich ihn dort, in seiner Werkstatt, in der ersten Januarwoche kurz besucht habe, um ein weiteres Messer abzuholen.
Schneegestöber in Gipfelnähe, verschlungene Straßen, dann abgelegen in die Pampa. Mein Navi hatte bereits kapituliert und führte mich im Kreis, eine junge Postlerin eskortierte mich schließlich ans Ziel - oben im Nirgendwo hintendrin.
Ich kenne jetzt jedenfalls das Gefühl, als Hänsel und Gretel vor dem Hexenhaus standen.
Aber von vorne.
Zu meinem ersten Grandjean kam ich ganz typisch für dieses wilde Messerjahr 2024. Unverhofft.
Wobei. Nicht ganz.
Stefan aka @Obi Wan war ja einige Zeit auf einer Messer-Tour-de-France. Aber so ganz ohne Laguiole.
Hierzu besorgete er sich gut ein halbes Dutzend französischer Customs feinster Bauart, die er uns mit ebenso schönen Bildern vorstellte.
Und. Bot diese im Laufe der Zeit wieder zum Kauf an.
Der Custom Maker Franzose an sich stellt aktuell allerdings überwiegend Frontflipper her - nicht ganz mein Beuteschema.
Weil. Aus rechtlichen Gründen achte ich seit neuesten verstärkt auf Legalität.
Der Grandjean war also Stefan‘s einziger amtlicher Zweihand Klapper, wenngleich schon wieder mit Damast und ohne Bolster. Damit war ich eigentlich bereits gut versorgt. Eigentlich.
Es gibt jedoch mal wieder einen kleinen, aber feinen Unterschied.
Dem gemeinen Franzosen unterstellt man gerne, dass er beim Messermachen mit den Gedanken mehr beim Verspeisen als beim Erlegen eines Wildschweins ist.
Will heißen, kaum eine andere Nation baut derart häufig solch fein ausgeschliffen Klappmesserklingen, wie unsere linksrheinischen Nachbarn - Genusswerkzeuge für die Esskultur.
Jedenfalls. Der klassische Solinger Jagdklapper ist meist deutlich stabiler an Rücken und Fase.
Here we go.
Der Grandjean sticht im ersten Moment vor allem durch die feinen Materialien ins Auge.
Nicht rostender Heimskringla Damasteel und Kastanienwurzelholz poliert. Beides findet man nicht jeden Tag und schon gar nicht kombiniert.
Die Klinge hat exakt 9cm Länge und ist 3,2mm stark. Das klingt wie ein Solinger Jagdklapper und nicht nach Perceval.
Weit gefehlt. Die Klinge ist bis zu 2,7cm hoch und auf max. 0,3mm an der dicksten Stelle hinter der Fase ausgeschliffen. Da ist er wieder - der Trüffel Franzose.
Ein Schneidteufel. Mais oui! In üppig robuster Bauweise. Mais no!
Der Franzose hat leichte, nur 1mm starke Titanliner. Besitzt einen leichten Backspacer aus tiefschwarzem Ebenholz zur Verstärkung und baut insgesamt kaum breiter als ein Perceval L08.
Und. Das ganze Packet wiegt gerade mal rekordverdächtige 81 Gramm!
Voilà. Ein leichter Schneidteufel im schmalen EDC Format. Der Vollgriff ergibt sich durch Höhe und nicht durch Breite wie beim Perceval Le Six.
Schmal, aber hoch. Eine Bauart, die von den Spyderco Klassikern wie Manix 2 bestens bekannt sind.
Ein Ausschnitt im Holz zum Lösen des Locks ist nicht vorhanden, sondern nur eine Fräsung in den Titanlinern - für mich stets die optisch schönere Lösung, weil nichts die Linie unterbricht.
Allerdings. Bei meinem Messer, ohne Zwischenlage aus Fiber, hat das Holz beim Lock leider zwei kleinere Ausbrüche.
Auffällig wird das nur bei Draufsicht und es beeinträchtigt auch nicht die Funktion. Schade ist es trotzdem.
Und das kommt so. Die Konstruktion nebst Verschraubung ist generell aufwändig.
Aber. Die Schrauben für den Backspacer können bei nur 1mm Linerstärke selbst mit den verwendeten Flachkopfschrauben nicht vollbündig eingelassen werden.
Also sind die Holzschalen innen ausgefräst, um den notwendigen Platz zu schaffen. Und dies recht nahe am Rand, da bleibt nicht viel Holz stehen.
Zusätzlich ist auf Höhe des Locks, der verbleibende Rand nochmals dünner, damit der Titanlock beim Lösen sicher an der Klingenwurzel vorbeikommt.
Ärgerlich? Irgendwie schon. Ein Ritt auf Messers Schneide.
Am Ende aber dann doch ein nur wenig auffallender Schönheitsfleck auf einem sonst makellosen Finish.
Guggst Du.
Die Klinge selbst läuft auf Rollenlager. Mag ich eigentlich nicht so gerne, mir sind generell washer lieber. Nicht nur aus Pflegegründen.
Ich wollte mir das dann etwas genauer ansehen, allerdings hielt das Chassis nach Entfernen der scales und der Pivotschraube gnadenlos zusammen. Standoff & Co sind offensichtlich sehr passgenau gefertigt, könnte aber auch noch zwei weitere Verschraubungen haben, zumindest zeigen zwei Stifte Fassungen. Muss ich bei Gelegenheit mit Joel klären.
Jedenfalls. Sanftes Hebeln blieb ergebnislos.
Dafür läuft die Klinge maximal smooth und leicht. So leicht, dass mir der §42a schon wieder Sorge bereitet - der Klapper läßt sich auch ohne Akrobatik relativ einfach mit einer Hand öffnen.
Die Handlage ist mit den beiden großen Greifmulden einigermaßen allgemein passend. Allerdings. Zwei Finger bekomme ich nicht wie gewünscht zusammen in die erste Mulde - große Hände halt.
Die wichtigen Daumen und Zeigefinger sind jedoch optimal platzierbar und auch das Griffende fügt sich dann angenehm in die Handfläche. Ça marche bien.
Für ein EDC geht‘s wirklich in Ordnung, für ein Arbeitsmesser wäre es mir zu wenig. Bei Handschuhgröße 7-8,5 sieht‘s vermutlich anders aus.
Der Größenvergleich mit einer anderen noblen Schneidreferenz bringt es auf den Punkt.
Kaum zu glauben, dass das Perceval 86g und der Grandjean nur 81g auf die Waage bringen.
Joel verkauft viele seiner Messer über die renommierte Coutellerie Berthier, hat aber auch eine eigene Homepage mit deutlich smarteren Preisen, jedoch kein paypal. Bestellungen mit Auswahl des Stahls und Griffmaterialien sind kein Problem - er spricht jedoch nur französisch.
Ich musste am Nachmittag pünktlich zurück sein, insofern reichte die Zeit nur für ein kurzes Kennenlernen und immerhin zur Bestellung eines weiteren Messer mit anderer Bauform.
Ein Mann ohne erkennbare Ecken und Kanten - im Gegensatz hierzu.
Braucht man sowas? Burgherren mit ausreichend Platz an der Tafel unbedingt.
Es ist ein sehr nobles Vollformat EDC in leicht. Mit Schneidperformance der feinen Art. Die flache Form passt besser in die Hosentasche als die meisten anderen.
Ein leichtes Sonntagsmesser, etwas stabiler und üppiger in der Hand als ein klassisches Perceval. Wer genau solches sucht, wird bei Joel mit feinsten Materialien fündig.
Die Konstruktion mit den grenzwertig ausgedünnten Scales bleibt ein Wermutstropfen. Das ginge, zwar deutlich aufwändiger, vermutlich auch anders. Für den Ritterschlag reicht es daher zu meinem Bedauern leider nicht - es ist und bleibt aber ein wirklich tolles Messer.
Ursprünglich wollte ich dieses Messer wieder abgeben, sobald sein Bruder, der Warzenschweinjäger angekommen wäre. Aber. Dieser ist jedoch trotz aller Ähnlichkeiten eine andere Kategorie.
Davon demnächst mehr.
Ein schönes Wochenende euch allen.
grüsse, pebe
Ich kann nicht viel zur Person Joel Grandjean berichten, außer dass der 60jährige und erfahrene Messermacher gut 100km von mir entfernt, in den Vogesen, in der Nähe von Cornimont, lebt und ein sehr freundlicher wie angenehmer Zeitgenosse ist.
Und. Ich ihn dort, in seiner Werkstatt, in der ersten Januarwoche kurz besucht habe, um ein weiteres Messer abzuholen.
Schneegestöber in Gipfelnähe, verschlungene Straßen, dann abgelegen in die Pampa. Mein Navi hatte bereits kapituliert und führte mich im Kreis, eine junge Postlerin eskortierte mich schließlich ans Ziel - oben im Nirgendwo hintendrin.
Ich kenne jetzt jedenfalls das Gefühl, als Hänsel und Gretel vor dem Hexenhaus standen.

Aber von vorne.
Zu meinem ersten Grandjean kam ich ganz typisch für dieses wilde Messerjahr 2024. Unverhofft.
Wobei. Nicht ganz.
Stefan aka @Obi Wan war ja einige Zeit auf einer Messer-Tour-de-France. Aber so ganz ohne Laguiole.
Hierzu besorgete er sich gut ein halbes Dutzend französischer Customs feinster Bauart, die er uns mit ebenso schönen Bildern vorstellte.
Und. Bot diese im Laufe der Zeit wieder zum Kauf an.
Der Custom Maker Franzose an sich stellt aktuell allerdings überwiegend Frontflipper her - nicht ganz mein Beuteschema.
Weil. Aus rechtlichen Gründen achte ich seit neuesten verstärkt auf Legalität.
Der Grandjean war also Stefan‘s einziger amtlicher Zweihand Klapper, wenngleich schon wieder mit Damast und ohne Bolster. Damit war ich eigentlich bereits gut versorgt. Eigentlich.
Es gibt jedoch mal wieder einen kleinen, aber feinen Unterschied.
Dem gemeinen Franzosen unterstellt man gerne, dass er beim Messermachen mit den Gedanken mehr beim Verspeisen als beim Erlegen eines Wildschweins ist.
Will heißen, kaum eine andere Nation baut derart häufig solch fein ausgeschliffen Klappmesserklingen, wie unsere linksrheinischen Nachbarn - Genusswerkzeuge für die Esskultur.
Jedenfalls. Der klassische Solinger Jagdklapper ist meist deutlich stabiler an Rücken und Fase.
Here we go.
Der Grandjean sticht im ersten Moment vor allem durch die feinen Materialien ins Auge.
Nicht rostender Heimskringla Damasteel und Kastanienwurzelholz poliert. Beides findet man nicht jeden Tag und schon gar nicht kombiniert.
Die Klinge hat exakt 9cm Länge und ist 3,2mm stark. Das klingt wie ein Solinger Jagdklapper und nicht nach Perceval.
Weit gefehlt. Die Klinge ist bis zu 2,7cm hoch und auf max. 0,3mm an der dicksten Stelle hinter der Fase ausgeschliffen. Da ist er wieder - der Trüffel Franzose.
Ein Schneidteufel. Mais oui! In üppig robuster Bauweise. Mais no!
Der Franzose hat leichte, nur 1mm starke Titanliner. Besitzt einen leichten Backspacer aus tiefschwarzem Ebenholz zur Verstärkung und baut insgesamt kaum breiter als ein Perceval L08.
Und. Das ganze Packet wiegt gerade mal rekordverdächtige 81 Gramm!
Voilà. Ein leichter Schneidteufel im schmalen EDC Format. Der Vollgriff ergibt sich durch Höhe und nicht durch Breite wie beim Perceval Le Six.
Schmal, aber hoch. Eine Bauart, die von den Spyderco Klassikern wie Manix 2 bestens bekannt sind.
Ein Ausschnitt im Holz zum Lösen des Locks ist nicht vorhanden, sondern nur eine Fräsung in den Titanlinern - für mich stets die optisch schönere Lösung, weil nichts die Linie unterbricht.
Allerdings. Bei meinem Messer, ohne Zwischenlage aus Fiber, hat das Holz beim Lock leider zwei kleinere Ausbrüche.
Auffällig wird das nur bei Draufsicht und es beeinträchtigt auch nicht die Funktion. Schade ist es trotzdem.
Und das kommt so. Die Konstruktion nebst Verschraubung ist generell aufwändig.
Aber. Die Schrauben für den Backspacer können bei nur 1mm Linerstärke selbst mit den verwendeten Flachkopfschrauben nicht vollbündig eingelassen werden.
Also sind die Holzschalen innen ausgefräst, um den notwendigen Platz zu schaffen. Und dies recht nahe am Rand, da bleibt nicht viel Holz stehen.
Zusätzlich ist auf Höhe des Locks, der verbleibende Rand nochmals dünner, damit der Titanlock beim Lösen sicher an der Klingenwurzel vorbeikommt.
Ärgerlich? Irgendwie schon. Ein Ritt auf Messers Schneide.
Am Ende aber dann doch ein nur wenig auffallender Schönheitsfleck auf einem sonst makellosen Finish.
Guggst Du.
Die Klinge selbst läuft auf Rollenlager. Mag ich eigentlich nicht so gerne, mir sind generell washer lieber. Nicht nur aus Pflegegründen.
Ich wollte mir das dann etwas genauer ansehen, allerdings hielt das Chassis nach Entfernen der scales und der Pivotschraube gnadenlos zusammen. Standoff & Co sind offensichtlich sehr passgenau gefertigt, könnte aber auch noch zwei weitere Verschraubungen haben, zumindest zeigen zwei Stifte Fassungen. Muss ich bei Gelegenheit mit Joel klären.
Jedenfalls. Sanftes Hebeln blieb ergebnislos.
Dafür läuft die Klinge maximal smooth und leicht. So leicht, dass mir der §42a schon wieder Sorge bereitet - der Klapper läßt sich auch ohne Akrobatik relativ einfach mit einer Hand öffnen.
Die Handlage ist mit den beiden großen Greifmulden einigermaßen allgemein passend. Allerdings. Zwei Finger bekomme ich nicht wie gewünscht zusammen in die erste Mulde - große Hände halt.
Die wichtigen Daumen und Zeigefinger sind jedoch optimal platzierbar und auch das Griffende fügt sich dann angenehm in die Handfläche. Ça marche bien.
Für ein EDC geht‘s wirklich in Ordnung, für ein Arbeitsmesser wäre es mir zu wenig. Bei Handschuhgröße 7-8,5 sieht‘s vermutlich anders aus.
Der Größenvergleich mit einer anderen noblen Schneidreferenz bringt es auf den Punkt.
Kaum zu glauben, dass das Perceval 86g und der Grandjean nur 81g auf die Waage bringen.
Joel verkauft viele seiner Messer über die renommierte Coutellerie Berthier, hat aber auch eine eigene Homepage mit deutlich smarteren Preisen, jedoch kein paypal. Bestellungen mit Auswahl des Stahls und Griffmaterialien sind kein Problem - er spricht jedoch nur französisch.
Ich musste am Nachmittag pünktlich zurück sein, insofern reichte die Zeit nur für ein kurzes Kennenlernen und immerhin zur Bestellung eines weiteren Messer mit anderer Bauform.

Ein Mann ohne erkennbare Ecken und Kanten - im Gegensatz hierzu.
Braucht man sowas? Burgherren mit ausreichend Platz an der Tafel unbedingt.
Es ist ein sehr nobles Vollformat EDC in leicht. Mit Schneidperformance der feinen Art. Die flache Form passt besser in die Hosentasche als die meisten anderen.
Ein leichtes Sonntagsmesser, etwas stabiler und üppiger in der Hand als ein klassisches Perceval. Wer genau solches sucht, wird bei Joel mit feinsten Materialien fündig.
Die Konstruktion mit den grenzwertig ausgedünnten Scales bleibt ein Wermutstropfen. Das ginge, zwar deutlich aufwändiger, vermutlich auch anders. Für den Ritterschlag reicht es daher zu meinem Bedauern leider nicht - es ist und bleibt aber ein wirklich tolles Messer.
Ursprünglich wollte ich dieses Messer wieder abgeben, sobald sein Bruder, der Warzenschweinjäger angekommen wäre. Aber. Dieser ist jedoch trotz aller Ähnlichkeiten eine andere Kategorie.
Davon demnächst mehr.
Ein schönes Wochenende euch allen.
grüsse, pebe
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