Klinge nach 1 Woche anlassen?

Klb95

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Hallo zusammen,

Ich habe mal eine Frage an unsere Stahl- Spezialisten.

Ich habe mir aus 1.2210 und einer alten Corona Feile einen wilden Damast geschmiedet
und mir ein Flacherl ausgeschnitten.
Vor dem Klingenschliff hab ich normalisiert und dann bei ca.820 Grad
gehärtet. Hat auch gut funktioniert. Durch einen dummen Fehler meinerseits
habe ich einen Riss in der Klinge welcher ca. 5mm vor dem Ricasso ca. 5mm nach oben geht.

Das hat mich (aufgrund der vielen Arbeit welche in dem Damast steckt, 1.2210 flach klopfen u.s.w)
dermaßen geärgert dass ich die Klinge nicht angelassen hab sondern in die Schublade geschmissen.

Jetzt hab ich die Klinge nochmal in die Hand genommen und musste feststellen
das ich,wenn ich den Bruch entlang nach oben schneide, noch ein Steckerl draus machen könnte.

Ich hoffe man kann mir noch folgen.

Jetzt meine Frage: bringt es überhaupt noch was die Klinge jetzt noch anzulassen (bislang hab ich das immer innerhalb einer halben Stunde nach dem härten gemacht)
oder sollte ich die komplette WB nochmal neu machen? Es ist jetzt ca. 1 Woche her das ich gehärtet hab.

Danke im Voraus für die Antworten.

Gruß Peter
 
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AW: Klinge nach 1 Woche Anlassen?

Man läßt sofort nach dem Härten an, weil man damit 1. die Gefahr von Rissen verringern kann und weil 2. kurz nach dem Härten der Restaustenit noch nicht so stabil ist, also leichter in Martensit umgewandelt werden kann.
Was wird nun passieren, wenn man erst Wochen nach dem Härten anläßt ?.
Wenn bisher keine Risse aufgetreten sind, werden auch keine mehr entstehen, es sei denn, die unangelassene Klinge wird unangemessenen Belastungen ausgesetzt.
Der Restaustenit bewirkt, daß die Klinge nicht die optimale martensitische Härte erreicht. Bei einem Stahl um das Eutektikum wären das bei 100 % martensitischem Gefüge ca. 72 HRC.
In diesem Zustand wäre eine Klinge aber nur für ganz wenige Aufgaben einsetzbar, weil sie zu spröde wäre.
Ein Damast aus 1.2210 und Feile wird eben wegen des letztlich unvermeidlichen Restaustenits je nach Gefüge vor dem Härten zwischen 65 und 68 HRC anspringen. Bei gleicher Korngröße des Gefüges ist die weichere Struktur mit Restaustenit etwas zäher.

Was passiert aber beim Anlassen ?- In der ersten Anlaßstufe wird -neben anderen hier nicht interessierenden Vorgängen- Restaustenit teilweise destabilisiert und wandelt dadurch in Martensit um.
Trotz der Entspannnung des Gefüges durch das Anlassen verliert der Stahl wenig an Härte, wenn er viel Restaustenit hatte, der noch umgewandelt werden kann. Das ist der Grund für die auch in der Praxis beobachtete Erscheinung, daß Stähle mit unterschiedlicher Ansprunghärte nach dem Anlassen eine im wesentlichen gleiche Härte aufweisen.

Für Deinen Fall bedeutet das: Du wirst weniger Restaustenit durch Anlassen umwandeln können, also etwas an Härte verlieren- wenn Du höher anläßt, wird mehr Restaustenit umgewandelt, zugleich aber sinkt die Härte stärker.

Für den Einsatz im normalen Gebrauch bedeutet das, daß es keinen so großen Unterschied ausmacht, ob Du gleich anläßt oder diesen Vorgang verzögerst- von der Rißgefahr einmal abgesehen.
Wenn die Klinge im Bereich von 58-60 HRC eingesetzt werden soll, ist es also kein wirkliches Problem, jetzt erst anzulassen.
Hast Du an Höchstleistungen im feinschneidenden Bereich gedacht, also an Einsatzhärten von 64 HRC + , solltest Du neu härten.

Noch eine Warnung: Risse sind heimtückisch- sie verlaufen oft noch wesentlich weiter, als man sie mit bloßem Auge sehen kann.
Es kann also sein, daß die Klinge an der nunmehr scheinbar gesunden Stelle bei geringster Belastung bricht.

Freundliche Grüße

U. Gerfin
 
Vielen Dank Ulrich für die schnelle und ausführliche Antwort.

Das Großartige bei deinen Ausführungen ist das du es versehtst die z.T recht komplexen Sachverhalte so zu vermitteln dass auch Laien wie ich damit etwas anfangen können. Es ist immer von Vorteil nicht nur zu wissen wie man etwas machen muss sondern auch warum!
Deshalb nochmal Vielen Dank!

Zur Klinge: die Gefahr das der Riss weiter gehen kann als im ersten Moment vermutet ist mir bewusst.
Es soll eben der Versuch sein die Klinge doch noch zu retten.
Und mit einer Härte von 60 HRC kann ich gut leben.

Schöne Grüße aus dem Bayerwald

Peter
 
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