Ich habe gestern ein bißchen in der Krünitz Enzyklopädie gestöbert und habe mich zunächst mit einem Kommentar zurückgehalten. Es ist nicht schön, wenn man immer den Spielverderber spielen soll.
Das ist aber auch gar nicht nötig, wenn man die Werke vernünftig liest.
Man kann sie nämlich unter verschiedenen Gesichtspunkten lesen: Einmal kann man sie lesen, in der Hoffnung, vergessene Erkenntnisse wieder aufzufinden, zum andern kann man versuchen, sie als historische Quellen und als Anregung zum Nachdenken zu sehen.
Das eine macht wenig Sinn, das andere ist lehrreich und macht viel Freude.
Achim war sicher nicht wirklich gespannt wie ein Flitzebogen, was da wohl über Wootz gesagt würde, denn er wußte im voraus, daß es Unsinn sein werde. Zur fraglichen Zeit war noch nicht einmal bekannt, auf welchen Vorgängen die Härtung des Stahls beruht und die ganz besondere Art des Wootz-Gefüges mit einem räumlich verteilten Karbidnetzwerk in relativ weichem Matrixgefüge war außerhalb der Vorstellungsmöglichkeiten.
Wenn man dann weiter etwa liest, nach dem Härten solle man die Werkzeuge zur Verbesserung der Eigenschaften weiter kräftig kalt hämmern, sieht man, daß man konkrete brauchbare Handlungsanweisungen hier eher nicht findet.
Man muß sich auch überlegen, wer solche Enzyklopädien verfasst hat. Oft waren es Gelehrte, die mit der Praxis selbst keine Berührung hatten, von anderen abschrieben- eine Plage, die auch heute nicht unbekannt ist- und möglicherweise war der erste der Schriftgelehrten, von dem die anderen abschrieben, von seinen Gewährsleuten kräftig auf den Arm genommen worden. Auch diese Erscheinung ist heute noch zu beobachten.
Andererseits steckt viel Fleiß und tatsächliche Beobachtung in solchen Werken und ganz sicher der gute Wille, richtig und genau zu berichten.
Deshalb kann man- richtig betrachtet- aus diesen alten Schriften doch viel mitnehmen und lernen. Man darf eben nicht alles eins zu eins übernehmen, sondern muß es kritisch betrachten.
Wenn zum Beispiel eine bestimmte Vorgehensweise und ihr Ergebnis beschrieben werden, so kann man sich recht gut darauf verlassen, daß die Beschreibung richtig ist und das gewünschte Ergebnis auf diese Weise erreicht werden kann. Die Erklärung, die dafür gegeben wird, ist dagegen im Zweifel falsch.
Ein einfaches Beispiel: In einer Zeit, in der die Vorgänge beim Härten nicht bekannt waren, verfertigte man vorzüglich funktionierende Wagenfedern. Sie wurden in Öl gehärtet und das anhaftende Öl ließ man über dem Feuer ein- oder mehrfach von der Feder abbrennen. Die Erklärung, der Härtestoff (was immer man sich darunter vorstellte) werde dadurch gemildert, war in der Theorie falsch, die Technik funktionierte aber und funktioniert auch noch heute.
Die Theorie, durch die Verbindung harter und weicher Lagen im Damast könne man die Eigenschaften von Stahl und Eisen kombinieren, war grundsätzlich falsch, weil sie die Kohlenstoffdiffusion nicht berücksichtigte. Das Ergebnis stimmte aber !!.
Bei der Beurteilung und Auswertung alter Rezepte muß man auch die speziellen Gegebenheiten der Zeit berücksichtigen. Nehmen wir wieder die Härtung: Alte Stähle waren auf Grund ihrer Herstellung und der sorgfältigen Auswahl der Erze oft wesentlich reiner = legierungsärmer als heutige Stähle.
Ein Bekannter aus Luxemburg hatte mir mal einen alten Dachanker, der aus einem Haus aus dem 17. Jhdt stammte, und erkennbar vorher schon mal als Wagenrad gedient hatte, analysiert. Das Eisen war geradezu ultrarein ! C, Man und Si in Spuren von 0,0..%.
Da verwundert es nicht, wenn in alten Rezepten meistens Wasserhärtung empfohlen wird, möglicherweise sogar noch mit die Härtung verschärfenden Zusatzstoffen.
Für mich ist es immer wieder interessant, in solchen alten Schriften zu stöbern, wenn auch kritisch und mit der Frage, was hinter den Angaben und Rezepten steckt.
MfG U. Gerfin