Messerhärte verstehen

richrichy

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Hallo, nochmal!

Ich habe so viele Fragen, denn ich möchte es wirklich richtig verstehen und nicht ein paar Marketing-Sprüche aufschnappen, daher die ganzen Fragen.

Also wie wichtig ist die Härte des Stahls wirklich und wie groß sind die Unterschiede? Ich habe gelesen, wie die Härte ermittelt wird, aber was bedeutet sie in der Praxis?
Wenn ich das richtig verstehe, dann ist alles unter 60 HRC mit dem Wetzstab gut schärfbar, alles darüber komplizierter und erfordert spezielle Steine / Bandschleifer / Diamantenstaub..
Tendenziell härter = brüchiger und härter = höhere nutzbare Schärfe, wobei diese Beziehung nicht linear ist?

Und wie sieht es aus, wenn die Unterschiede unter 60 liegen, zB 55 vs 58?
Was ist dann anders? Woran merkt man den Unterschied in der Praxis? Ist es überhaupt sehr wichtig oder nicht so? Also wie soll ich den Faktor Härte im Bereich der Küchenmesser bewerten und gewichten? Gibt es eine notwendige Mindesthärte, damit man ein Messer überhaupt irgendwie noch ernst nehmen kann?
Ist es wie beim Auto, wo es praktisch egal ist, ob es 110 oder 116 PS hat? Oder eher so als ob es 2000 oder 800 Kilo wiegt?

Und dann gibt es ja noch hochflexible teilflexible Filetier- und Ausbeinmesser, haben die dann eine sehr geringe Härte oder kann ein Messer gleichzeitig hart sein, was die Eindringtiefe angeht, und dennoch federn oder nicht?

Vielen Dank schon mal! :)
 
OK, zunächst einmal: ja, alle interessanten Sachen sind natürlich meist nichtlinear.
Zum Einen: die Genauigkeit der Härtemessung HRC ist so eine Sache. Wo wurde gemessen, und waren die Flächen planparallel? Schwankungsbreite bei guten Messungen durchaus +/- 1 HRC.
Je härter, umso weniger abrasiver Abtrag ja, aber die Härte muß von einem gesunden feinkörnigen Gefüge bereitsgestellt werden, sonst hat man leicht Ausbrüche. Harte Stähle können durchaus überraschend zäh sein.
Was Deine Frage angeht, ob 55 oder 58, so bin ich der Meinung, dass 55 mir persönlich zu weich ist. 58 bis 59 als Mittelwert von mindestens 3 Messungen sind für Gebrauchsmesser ok, denn nicht alle sind so Fetischisten wie wir, und den Klingen wird in der Küche z.B. oft einiges auch an Querbelastung zugemutet. Drum härten die meisten Küchenmesserhersteller so knapp unter 60, damit nicht durch Bruch schlimmes passiert, sondern die Klinge sich erst verbiegt.

Wenn hier von Ausbrüchen und Umlegen von Schneiden die Rede ist, hat man es mit plastischer Verformung und Sprödbruch zu tun. Wenn wir Filetiermesser und ähnliches betrachten, so sind das sehr dünne biegsame Klingen, und dünne Strukturen lassen sich leicht elastisch verformen, ohne plastisch zu fließen oder zu brechen (Glasfaserkabel etc!). Diese Stähle sind durchaus hart.

Bei einem Schmiedetreffen bei Markus Balbach vor ca. 15 Jahren hat jemand ein Schwert aus C60 geschmiedet, und er konnte es fast zum Halbkreis biegen, und hat dennoch eine Kokosnuss damit gespalten.
Bei der Bewertung von Härte, Zähigkeit, und Elastizität habe ich immer den Stahl im Kopf, dann erst weiß man das wirklich einzuordnen.

Jeder Stahl spielt seine Stärken in bestimmten Härtebereichen aus, je nach Wärmebehandlung, und je nach Klingengeometrie. Der kleine Nicker, der in meinem Avatar zu sehen ist, war mein erstes Messer, aus 1.2510, und hat eine zuverlässig gemessene Härte von 62 HRC. ist aber auch eine kleine und relativ dicke Klinge (wenn man das Verhältnis Breite zu Rückenstärke betrachtet. Läßt sich mit einem Sinterrubin gut bei Laune halten, und der Stahl kann einiges ab, denn der hat ein super Gefüge (hab ich damals mal an einem Labor untersuchen lassen, muß das mal wieder raussuchen). Ich mute dem Messer keine Querkräfte zu.

Wenn ich Messer kaufe, die aus hochlegierten Stählen gemacht sind, und hohe Härten haben, tendiere ich immer zu relativ kurzen Klingen. Vom Gefühl her erst mal.
Die können aber auch, wenn sie richtig wärmebehandelt sind, richtig was verkraften.

Ich würde nicht unbedingt nach höchsten Härten schielen (man sollte sowas aber auch haben), sondern auch nach dem Stahl, der die Härte bringen soll, schauen. Idealerweise hat man ein Anlassschaubild, denn dann kann man sehen, ob auch hoch genug angelassen wurde und Restaustenit und Gehalte an sprödem nicht angelassenen Martensit eine Rolle spielen.

Verwirrung jetzt vollständig?
Aber Du hast schon die richtigen Fragen gestellt. Aber wie ich das hier kenne, wird eine Diskussion entstehen, und alle Erfahrungen werden auf den Tisch kommen.....
 
alles darüber komplizierter und erfordert spezielle Steine / Bandschleifer / Diamantenstaub..
Das kann man so nicht verallgemeinern und hängt auch von der konkreten Legierung des Stahls ab. Ein niedriglegierter Stahl wie Shirogami lässt sich mit 63 HRC immernoch wesentlich einfacher (und mit gewöhnlichen weichgebundenen Wassersteinen) schärfen als beispielsweise ein hochlegierter M390 auf 59 HRC.

Die Härte ist für sich genommen noch kein unbedingt aussagekräftiger Wert sondern muss immer in Beziehung mit der Legierung und eigentlich auch der Klingengeometrie, dem Fasenwinkel und natürlich der konkreten Vorgehensweise bei der Wärmebehandlung gesehen werden.
 
Aber wie ich das hier kenne, wird eine Diskussion entstehen, und alle Erfahrungen werden auf den Tisch kommen
Danke, Herbert! Eine Diskussion ist mir sehr recht und sehr willkommen.

Ja, ich denke, dass ich jetzt ein kleines Bisschen mehr verstehe als vorher, aber in meinem Kopf entstehen auch immer mehr Fragen.
so bin ich der Meinung, dass 55 mir persönlich zu weich ist.
Was bedeutet das für Dich konkret? Was für Nachteile würde so ein Messer für Dich haben, die für dich unhaltbar wären? Ein Essen würdest du damit sicherlich trotzdem zubereiten können. Es kann ja relativ weich und dennoch sehr scharf sein und die richtige Geometrie haben.. Hmm..
 
Danke, Herbert! Eine Diskussion ist mir sehr recht und sehr willkommen.

Ja, ich denke, dass ich jetzt ein kleines Bisschen mehr verstehe als vorher, aber in meinem Kopf entstehen auch immer mehr Fragen.

Was bedeutet das für Dich konkret? Was für Nachteile würde so ein Messer für Dich haben, die für dich unhaltbar wären? Ein Essen würdest du damit sicherlich trotzdem zubereiten können. Es kann ja relativ weich und dennoch sehr scharf sein und die richtige Geometrie haben.. Hmm..
Moin
Ja,und genau darum geht es,deshalb gibt es nicht nur dieses Forum.
Deine Fragen sind diese,die es schon von Anfang an und wahrscheinlich bis ans Ende der Menschheit geben wird,so lange es noch Messer geben wird,bzw. Diese noch benutzt werden dürfen.
Wer Messer macht,steht ja immer vor diesen ganzen Fragen,welchen Stahl,ich wie verarbeiten muss,um die Eigenschaften zu erhalten,die gewünscht sind.
Dann kommt es aber auch am Ende darauf an,wer wie mit dem Messer/Klinge umgeht,inkl. wie mit was geschärft wurde.
Darum geht es wie bei jedem Produkt,wenn man nach verlässlichen Reviews sucht😉.
Hätte erwartet,das als erste Antwort gekommen wäre,“lies dich erst mal ein,es ist schon alles genug diskutiert worden“.😉
 
Hätte erwartet,das als erste Antwort gekommen wäre,“lies dich erst mal ein,es ist schon alles genug diskutiert worden“.😉

Irgendwo zwischen dem und jeden Tag das Gleiche diskutieren liegt die goldene Mitte ;)

*Ich* würde ja zum Einstieg nach wie vor den "alten Schninken" von Roman Landes empfehlen.

Das ist knapp, einfach zu verstehen aber nicht zu vereinfachend.
Und es ist ein Buch. Hat den Vorteil, dass man beim Lesen und Verstehen nicht von neuen Antworten gestört wird ;)

Pitter
 
Stimmt, das Buch von Landes behandelt genau diese Fragen sehr anschaulich und gut. Absolut empfehlenswert, vor allem, wenn man den Dingen genau auf den Grund gehen will.
hat wirklich genug Tiefe.

Und was die 55 angeht: klar gibt es Messer in diesem Härtebereich, die ihren Job tun, aber man ist ja hier was das angeht ziemlich "versaut", und die Jagd nach immer besser, höher, weiter, legierter hört nie auf....
 
Und was die 55 angeht: klar gibt es Messer in diesem Härtebereich, die ihren Job tun, aber man ist ja hier was das angeht ziemlich "versaut", und die Jagd nach immer besser, höher, weiter, legierter hört nie auf....
Und das ist auch ein bisschen meine Angst: irgendwann mit objektiv sehr hoher Qualität nicht mehr zufrieden zu sein, weil es ja evtl. noch besser sein könnte..
Und es ist ein Buch. Hat den Vorteil, dass man beim Lesen und Verstehen nicht von neuen Antworten gestört wird
Ich weiß, es ist das Internet, aber diese langsamen und nicht sehr interaktiven Speichermedien sind durchaus bekannt und oft tatsächlich die beste und einzige Möglichkeit, umfassendes und systematisiertes Wissen aufzubauen. ;)
 
was die 55 HRC angeht: da hab ich immer das Gefühl, ich verschenke einfach Potential, und das kribbelt in mir und läßt mir keine Ruhe....
 
Na,Na! Alter Schinken! Den Landes würde ich doch eher vornehm als sehr informativen Klassiker dieses Fachbereiches bezeichnen. Gute Vorbereitung auf Verhoeven.
rocco26
 
Forged in Fire
Moin
Wer aber noch nicht so,Theorie und Praxis drauf hat,aber eine recht gute Klinge herstellen will,dem kann ich diese Sendung sehr empfehlen 😉,vor allem,wenn man ganze Tage und Nächte nicht schlafen kann oder mit sich anzufangen 😊.
Thomas Hauschild aussagen,kann ich nicht so teilen,denn zB. Ulrich Gerfin, macht nach seiner Aussage,die Wärmebehandlung schon beim schmieden😉.
Aber dort sieht man wenn man das Hirn einschaltet,und nicht Naiv hinhört und schaut,was man mehr oder weniger durch Zufall,halbwegs richtig oder falsch machen kann.
Dort wäre der Roman „Klassiker“der Renner😁.
Was die Machart der Dreharbeiten betrifft,steht aber leider,auf einem anderen Blatt 😏.
 
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