Messervorstellung – Kiritsuke Gyuto custom von Knife-Art / Jürgen Schanz

ScottyC

Premium Mitglied
Beiträge
426
Hallo zusammen,

ich möchte euch meinen Neuzugang, ein Kiritsuke Gyuto custom, vorstellen.

LR__7587.jpg


Alles nahm seinen Anfang mit dem Prototypen-Passaround den @knife-art.de (Lukas) vor einem Jahr gesponsort hat. Ich war von dem Messer richtig begeistert; schöne Taper-Geometrie, sowie ein tolles, leichtes Schneidverhalten. Leider hat sich im Laufe des Passarounds gezeigt, dass offensichtlich etwas bei der Wärmebehandlung nicht optimal gelaufen ist und die Schneide hat sukzessive abgebaut. (Steht aber alles in o.a. Link.)
Aber dafür baut man ja Prototypen, um Erfahrungen zu sammeln.
Mich hat das Messer nach dem Passaround nicht mehr losgelassen und so habe ich Lukas kontaktiert und nachgefragt, ob es eine Version 2.0 geben wird. Er meinte, dass das dauern kann; aber wenn mir das Messer so gut gefallen hat, dann könnte er für mich ein custom bei seinen Partnern in Indonesien beauftragen. Nachdem auch der erste Kostenvoranschlag sehr fair klang, habe ich meine Wünsche zusammengeschrieben.

Das habe ich bestellt

Aus meinem Gyuto-Wunsch wurde erstmal ein Kiritsuke Gyuto, also ein beidseitig geschliffenes Kiritsuke. Zum einen, weil mich diese Messerform schon immer interessiert hat, zum anderen, weil einer unserer Japan-Experten hier im Forum sinngemäß einmal, frei nach Loriot, geschrieben hat:
„Ein Kochen ohne Kiritsuke ist möglich, aber nicht sinnvoll.“ :D:: :D:: :D::
Ich wollte die Taper-Geometrie des Protomessers haben, die Shinogi-Linie sollte ebenso markant sein wie beim Proto und das ganze dünn ausgeschliffen. Dazu ein Migaki-Finish. Bei den in Indonesien verfügbaren Stählen, die mir Lukas aufgezählt hatte, musste ich passen; diese Abkürzungen haben mir nichts gesagt. Hier habe ich mich auf seine Empfehlung verlassen und mich für einen „5160“ entschieden; dessen Härte soll zwischen 60 und 62 HRC liegen. Dieser Stahl wird in der indonesischen Schmiede am meisten verarbeitet, deshalb besteht hier auch die meiste Erfahrung beim Härten etc. Das war wichtig nach den Erfahrungen mit dem SLD-Prototypen und bezüglich Stahl wollte ich keine Experimente eingehen. Beim Griff hatte Lukas auch eine breite Palette im Angebot und ich habe mich für ein bunt gemustertes Design entschieden, weil mir das vom ersten Blick an sehr gut gefallen hat.

Kiritsuke 1.0

Nach sechsmonatiger Wartezeit kam mein Kiritsuke an. Beim Auspacken haben meine Augen geleuchtet: Wirklich gelungene Optik, tolles Migaki-Finish, markante Shinogi-Linie, Griff wie bestellt und alles zusammen wirklich sauber verarbeitet.
Die Begeisterung hielt exakt einen Schnitt! Hier stimmt was nicht. Egal was ich geschnitten habe; jeder Schnitt war von einem deutlich vernehmbaren „Knack“ begleitet. Oh je, das hatte mehr von einem extrem robusten Solinger als von meinem fein schneidenden custom-Traum.
Woran es exakt lag, kann ich gar nicht genau sagen. Von meinen Erinnerungen war die Geometrie ungefähr so, wie ich sie von dem Protomesser kannte. Vermutlich waren einfach ein paar Stellen etwas dicker geraten als beim Proto.
Eine andere Fehlerquelle war vermutlich auch die Übermittlung:
Ich habe Lukas geschrieben was ich will, er hat das nach Indonesien weitergegeben…
Das ist was anderes, als wenn du mit dem Schmied direkt kommunizierst.
Ein indonesischer Schmied war jetzt mit dem konfrontiert, was sich so ein Nerd in Deutschland ausgedacht hat. Dass die Arbeiter in Indonesien Messer herstellen können, haben sie mit der Knife-Art Basic Serie definitiv unter Beweis gestellt. Ich habe mittlerweile auch ein Bunka aus dieser Serie, welches ich hier vorgestellt habe. Die Herstellung eines komplexen customs ist vermutlich noch eine andere Geschichte.

Habe dann sofort Lukas kontaktiert und ihm das ganze geschildert.
Von seiner Reaktion bin ich immer noch sehr beeindruckt:
Er hat sehr professionell und kundenorientiert gehandelt und mir gleich mehrere Möglichkeiten aufgezeigt, um mich als Kunden zufrieden zu stellen. Wirklich top und an dieser Stelle nochmal ein herzliches Dankeschön!

Kiritsuke 2.0

Das Messer habe ich dann zum Ausdünnen zu Jürgen Schanz geschickt. Als er das Messer in Händen hielt, haben wir telefoniert, wie genau „geschanzt“ werden sollte.
An dieser Stelle erklärt sich jetzt auch die von mir gewählte Überschrift :)
Als das Kiritsuke zu mir zurück kam, habe ich wieder einmal mehr gesehen:
Jürgen Schanz ist DER Meister! Er kann es einfach!
So hat er das Kiritsuke nicht einfach über die gesamte Fläche ausgedünnt, sondern ist hier sehr selektiv vorgegangen:
Unterhalb der Shinogi-Linie hat er deutlich ausgedünnt; überhalb dieser Linie hat er den Taper noch stärker herausgearbeitet. So verjüngt sich die Stärke des Messerrückens von 3,9 mm am Kehl – hier ist kaum etwas passiert - bis auf 1,1 mm an der Spitze; hier wurde das Messer deutlich dünner. Einziger kleiner Wermutstropfen - das Kanji musste daran glauben ... aber ... es geht auch ohne :ROFLMAO:
In dieser Skizze habe ich ein paar Messgrößen der Version 2.0 eingezeichnet:

LR__7587-ps.jpg

Dann bin ich auch noch über meinen Schatten gesprungen und habe etwas gemacht was ich eigentlich gar nicht mag – ich habe die Dicke über der Wate angegeben. Habe hier bewusst ein „ungefähr“ davorgesetzt, da die Werte beim Messen einfach geschwankt haben. Dennoch kann ich sagen – das Messer ist saudünn ausgeschliffen :D::
Insgesamt hat das Kiritsuke 21 Gramm Stahl verloren und bringt jetzt noch 209 Gramm auf die Waage. Der Balancepunkt liegt nun 3 cm vom Griff entfernt in der Klinge. Obwohl sich Gewicht und Balancepunkt verändert haben, liegt das Messer im Pinch-Griff für mich sehr angenehm in der Hand.
Zur gesamten Geometrie möchte ich gar nicht so viel schreiben; ich denke die Bilder bringen diese entsprechend rüber:

LR__7593.jpg
LR__7591.jpg



LR__7594.jpg


LR__7595.jpg


LR__7589.jpg


Was die Bilder nicht zeigen – die Klinge ist über die gesamte Länge ganz locker nagelgängig.

Stahl

Der verwendete 5160-Stahl hat einen Kohlenstoffanteil von 0,64% und einen Chromanteil von 0,9%. Genau so verhält sich das Material auch; es läuft an. Dieses Anlaufen ist ähnlich ausgeprägt, wie bei dem Federstahl, der bei der Knife-Art Basic Serie verwendet wird. Mich stört so ein Verhalten nicht; ganz im Gegenteil, so eine leichte Patina verleiht dem Messer m.E. einen besonderen Charakter.
Die Klinge besteht nur aus einer Stahlsorte; es sind keine Flanken aufgebracht. Also ein echtes Honyaki. Auf der Klinge sieht man auch noch die Hamon-Linie, die bei dem entsprechenden Härteprozess entsteht.
Sehr gut gefällt mir, dass sich der Stahl leicht schärfen lässt; erinnert mich ebenfalls stark an den „Federstahl“, der in der Knife-Art Basic Serie verwendet wird. Beim Schleifen habe ich einfach das Gefühl, dass ich zu jedem Zeitpunkt weiß, was genau auf dem Stein passiert:
Muss ich noch ein wenig schleifen oder hat sich bereits ein Grat aufgebaut?
Kurz prüfen … ja, ein Grat ist da und gut ist es.

Praxis

Das Messer ist jetzt wirklich der Hammer!

Durch das dünne Ausschleifen im unteren Bereich sind sehr feine und besonders leichte Schnitte möglich; das Kiritsuke fliegt nur so durch das Schnittgut. Sobald dieses größer und dicker wird – z.B. Knollensellerie, große Karotten – dann hilft der Taper enorm, ohne dass es zum Knacken kommt.
Bevor ich das Messer bekam, hätte ich nicht gedacht, dass ich mich an die Schneidetechnik gewöhnen muss. Bis auf den Wiegeschnitt – der ist durch die Schneidengeometrie praktisch ausgeschlossen – kann man alle weiteren Schneidearten anwenden. Am besten komme ich mit einer Mischung aus Gyuto-Schubbewegung und einer Nakiri-Chopbewegung zurecht. Gerade mit dem ziemlich flachen Profil der Schneide muss man exakt parallel zum Brett arbeiten, sonst setzt man nicht sauber auf. Mir ist das bisher bei meinen Messern nie so aufgefallen, da ein Gyuto eine nicht parallele Führung gut ausgleicht; bei einem Nakiri war ich durch die Chop-Bewegung eh immer schon parallel unterwegs. Wie gesagt, eine kurze Eingewöhnung, seitdem macht das Messer richtig Spaß.
Die Schnitthaltigkeit und die Schneidkantenstabilität des Messers sind beide sehr gut. Ich gehe mit meinen Messern grundsätzlich vorsichtig um, manchen mute ich aber schon mal ein bisschen mehr zu; hier gehört auch das Kiritsuke dazu. Dennoch habe ich keinen – auch nicht noch so kleinen – Ausbruch und die Schärfe würde deutlich länger halten, aber der Nerd muss natürlich immer wieder seine Touch-Ups anbringen :D::

Zum Schluss

Es war ein langer Weg zu meinem Kiritsuke-custom; auf diesem habe ich wieder eine Menge gelernt. Würde ich ihn nochmal gehen? Ja klar!
Ich bin weiterhin sehr neugierig, was die Indonesien-Partner von Lukas noch so alles in der Zukunft bringen, sei es Serie oder vielleicht auch custom …
Schließen möchte ich mit einem herzlichen Dank an den Forumkollegen und meinen quasi Nachbarn – wir wohnen nicht weit voneinander.
Ohne seine o.a. Bemerkung wäre ich vermutlich erst später in die wunderbare Welt der Kiritsukes eingetaucht – Danke schön 🙏

Viele Grüße
Rainer
 
Zuletzt bearbeitet:
@ScottyC Toller und spannender Bericht mit sehr aussagekräftigen Fotos. Vielen Dank dafür.
So wie ich deinen Bericht verstanden habe, müsste in Zukunft die Lösung ein Semi-Custom-Messer sein. Das Messer in Indonesien fertigen lassen und dann zur Perfektionierung an Schanz weitergeleitet werden. Siehst du das auch so?

Gruss Ulli
 
Das Messer in Indonesien fertigen lassen und dann zur Perfektionierung an Schanz weitergeleitet werden. Siehst du das auch so?

@swifty58

Servus Ulli,

ganz so weit - dass es zum Standardweg wird - würde ich nicht gehen.
Vor dem Bestellen hat mir Lukas einige Bilder von customs seiner Partnern in Indonesien gezeigt und er hat mir - nach meiner Reklamation - bestätigt, dass seine customs alle deutlich dünner sind.
Ah mei ... bei meiner Bestellung ist, wie beschrieben, etwas schiefgelaufen.
Grundsätzlich ist natürlich das nachträgliche Schanzen eine tolle Möglichkeit nachzuarbeiten, falls es nicht 100 %ig passt.
Vorausgesetzt natürlich, dass das finish des Messer es zulässt. Das war bei meinem der Fall und das Kiritsuke sieht, von der Oberfläche, nach dem Schanzen so aus wie vorher.
Hätte ich das mit einem kurouchi, tsuchime finsih - oder sogar spiegelpolitur - bestellt, dann wird es mit dem Ausdünnen und dem gleichzeitigen Erhalten der Oberfläche schwierig bzw. unmöglich.

Viele Grüße
Rainer
 
Freut mich, dass dir das Endresultat so zusagt und du für nicht all zu viel Geld ein tolles Messer bekommen hast.
Mag es auch gerne junge, neue Macher auszusprobieren, die relativ "preiswert" sind.

Insgesamt hat das Kiritsuke 21 Gramm Stahl verloren und bringt jetzt noch 209 Gramm auf die Waage.
Das ist mal ne Ansage😵‍💫 Kenne es, dass 3-5g schon nen guten Unterschied machen. Aber 21g ist ordentlich.

Grüße,
Julian
 
Danke Dir @ScottyC für den tollen Bericht - ist immer eine Freude, die zu lesen! (Wenn auch etwas spät - über Weihnachten habe ich mir mal eine Messer-Pause gegönnt).

Wie ich mit diesen Customs weitermache, werden die nächsten Wochen zeigen. Ich brauche aber auf jeden Fall neue Versuchsopfer :p: Wenn also jemand gerne etwas ähnliches hätte, meldet Euch, dann wagen wir einen neuen Versuch!

Liebe Grüße und einen guten Rutsch
 
Zurück