Rock'n'Roll
MF Ehrenmitglied
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Boas,
als wir im Februar kurz in Deutschland waren, hatten wir bei der Gelegenheit die alten 58er Kochmesser eines guten Freundes abgelichtet und hier darüber berichtet. Einmal im Thema hatten wir ein wenig Recherche betrieben und gerieten an ein Angebot betreffs eines sehr alten Herder - hergestellt etwa 1928.
Wir haben nicht lange gezögert und bestellt sowie bezahlt. Danach herrschte unerfreuliche Ruhe. Wir haben uns Sorgen gemacht, alle möglichen Register gezogen und gewartet. Am 09.04. ist das Herder wider Erwarten doch hier bei uns eingetroffen. Wir hatten keine Ahnung, was genau frau uns da zugeschickt hatte. Ursprünglich angekündigt sollte das Messer unbenutzt und in gutem Zustand sein.
Nach dem ganzen Hin und Her haben wir allerdings mit dem Schlimmsten gerechnet - und ausgepackt. Aus dem Packpapier lugte ein heller Holzgriff mit einer schmutzig-mattgrauen Klinge. So, als sei sie beschlagen, machte aber keinen schlechten Eindruck. Wir haben einen Lappen und Spülmittel zur Hand genommen und das Messer gesäubert. Es sah mehr oder weniger aus wie neu. Tatsächlich ungebraucht und nur mit einem minimalen Anflug von Rost an zwei Stellen. Es schnitt nicht in Papier.
Nach nur 5 Zügen je Seite über den Sinter-Rubin hat es bereits rasiert. Wir haben es mit einer Tomate eingeweiht. Aus Neugierde ! Anschließend drei, vier Schnitte durch eine Möhre. Wir wollen nicht viele Worte verlieren. Nur soviel: Am Rücken zeigt der Digitale 1,36 mm. Von dort geht es 3 cm ballig bergab auf absolut NULL. Einen cm oberhalb der Schneide liegen etwa 0,75 mm an. Unten angekommen, hinter der Wate - da, wo der Meßschieber die Klinge gerade noch freihängend in der Luft greifen kann - sind es noch 0,1 mm. Und genau so geht es durch Möhre und Tomate …
Wobei es dafür gar nicht gemacht wurde. Denn es ist ein „Hamburger“ - ein Brotmesser ohne Welle, das für das „Alte Land“ bei Hamburg hergestellt wurde. Der Brotlaib wurde seinerzeit vor der Brust gehalten und mit dem Messer zum Körper hin geschnitten. Die Klingen waren eher klein. Bei unserem „Hamburger“ ist sie 158 mm lang, der Griff 118. Mit seinen insgesamt 27,6 cm und einem Gewicht von 81 Gramm paßt es uns ausgezeichnet ins Konzept.
Trotzdem der Griff im Prinzip „verkehrt“ für den gewöhnlichen Gebrauch konzipiert ist - es wurde ja auch zum Brotschneiden „verkehrt“ zur Hand genommen - liegt es nicht unbequem in unserer kleinen Hand. Und es läßt sich - außer für Brot - auch für sonst allerlei gebrauchen. Z.B. kann man damit auf das Bequemste Äpfel schälen, halbieren, vierteln etc., es läßt sich als Office nutzen - auch, wenn es nicht so aussieht.
Diese Bequemlichkeit in der Handhabung liegt im wesentlichen daran, daß Griff und Klinge in einer Flucht verlaufen. Man hackt sich nicht mit Spitze der Klinge am Kehl in den Daumen. Zur Schärfe wollen wir uns nicht weiter auslassen …
Was die Authentizität und das Alter des Messers angeht, gibt es gute Nachrichten. Wir haben Frau Herder-Scholz, der Chefin der Robert Herder GmbH & Co. KG, Bilder zukommen lassen. Sie hat bestätigt, daß das Emblem der „Vogelsäule“ ein Vorläufer des Windmühlenzeichens ist. Es war das Exportzeichen und wurde 1896 als Warenzeichen eingetragen beim Kaiserlichen Patentamt. Und: "Der Stempel auf der Klinge und seine Beschaffenheit deuten auf die Entstehungszeit von in jedem Fall vor 1920, eher aber noch auf 1890 - 1905. Das Messer ist sicher aus einem erstklassigen Carbonstahl gemacht."
Dem wollen wir nicht widersprechen. Ein Uralt-Körnerbrötchen und Apfelkerngehäuse in größerer Zahl lassen die filigrane Klinge unbeeindruckt. Und - noch ein Apfelglasplattenschneider an Bord …
Der Klingenschliff ist asymmetrisch insofern, als die linke Seite - von der Griffoberseite in Richtung Spitze gesehen - absolut plan und die rechte Seite deutlich ballig geschliffen ist. Ein gerades Stahl-Lineal wird dort zur Wippe.
Nach den ersten Erfahrungen mit dem „Hamburger“ haben wir ein scharfes Messerchen, feines Schleifpapier und Schleifleinen zur Hand genommen. Kleine Unebenheiten am Griff nahe der Klinge begradigt (das Kirschholz ist in sehr gutem, robustem Zustand und läßt sich gutmütig formen), fein geschliffen und poliert und dann die Klinge von zwei kleinen Rostpünktchen befreit. Bei 4000er Schleifleinen haben wir aufgehört.
Am Ende haben wir den Griff sorgfältig mit Olivenöl „behandelt“. Das säure-arme Bio-Öl aus dem Alentejo ist bisher allen Holzgriffen und Klingen an Bord gut bekommen. Das bisherige Endergebnis kann sich sehen lassen. Wir hätten diesen Zustand einem rund 100 Jahre alten Herder ehrlich gesagt nicht zugetraut. Und was die Schneidleistung angeht, können wir jetzt umso besser verstehen, warum die Großmutter nur ein kleines Windmühlchen und ein „Hamburger“ in Betrieb hatte. Sie hat - neben dem täglichen Brot - ALLES damit geschnitten …
Original altes „Hamburger“ von Robert Herder (etwa 1900)
Die Jukebox mit Fairport Convention – “Who Knows Where the Time Goes”
Aus Monte Gordo
Johnny & Rock’n‘Roll
als wir im Februar kurz in Deutschland waren, hatten wir bei der Gelegenheit die alten 58er Kochmesser eines guten Freundes abgelichtet und hier darüber berichtet. Einmal im Thema hatten wir ein wenig Recherche betrieben und gerieten an ein Angebot betreffs eines sehr alten Herder - hergestellt etwa 1928.
Wir haben nicht lange gezögert und bestellt sowie bezahlt. Danach herrschte unerfreuliche Ruhe. Wir haben uns Sorgen gemacht, alle möglichen Register gezogen und gewartet. Am 09.04. ist das Herder wider Erwarten doch hier bei uns eingetroffen. Wir hatten keine Ahnung, was genau frau uns da zugeschickt hatte. Ursprünglich angekündigt sollte das Messer unbenutzt und in gutem Zustand sein.
Nach dem ganzen Hin und Her haben wir allerdings mit dem Schlimmsten gerechnet - und ausgepackt. Aus dem Packpapier lugte ein heller Holzgriff mit einer schmutzig-mattgrauen Klinge. So, als sei sie beschlagen, machte aber keinen schlechten Eindruck. Wir haben einen Lappen und Spülmittel zur Hand genommen und das Messer gesäubert. Es sah mehr oder weniger aus wie neu. Tatsächlich ungebraucht und nur mit einem minimalen Anflug von Rost an zwei Stellen. Es schnitt nicht in Papier.
Nach nur 5 Zügen je Seite über den Sinter-Rubin hat es bereits rasiert. Wir haben es mit einer Tomate eingeweiht. Aus Neugierde ! Anschließend drei, vier Schnitte durch eine Möhre. Wir wollen nicht viele Worte verlieren. Nur soviel: Am Rücken zeigt der Digitale 1,36 mm. Von dort geht es 3 cm ballig bergab auf absolut NULL. Einen cm oberhalb der Schneide liegen etwa 0,75 mm an. Unten angekommen, hinter der Wate - da, wo der Meßschieber die Klinge gerade noch freihängend in der Luft greifen kann - sind es noch 0,1 mm. Und genau so geht es durch Möhre und Tomate …
Wobei es dafür gar nicht gemacht wurde. Denn es ist ein „Hamburger“ - ein Brotmesser ohne Welle, das für das „Alte Land“ bei Hamburg hergestellt wurde. Der Brotlaib wurde seinerzeit vor der Brust gehalten und mit dem Messer zum Körper hin geschnitten. Die Klingen waren eher klein. Bei unserem „Hamburger“ ist sie 158 mm lang, der Griff 118. Mit seinen insgesamt 27,6 cm und einem Gewicht von 81 Gramm paßt es uns ausgezeichnet ins Konzept.
Trotzdem der Griff im Prinzip „verkehrt“ für den gewöhnlichen Gebrauch konzipiert ist - es wurde ja auch zum Brotschneiden „verkehrt“ zur Hand genommen - liegt es nicht unbequem in unserer kleinen Hand. Und es läßt sich - außer für Brot - auch für sonst allerlei gebrauchen. Z.B. kann man damit auf das Bequemste Äpfel schälen, halbieren, vierteln etc., es läßt sich als Office nutzen - auch, wenn es nicht so aussieht.
Diese Bequemlichkeit in der Handhabung liegt im wesentlichen daran, daß Griff und Klinge in einer Flucht verlaufen. Man hackt sich nicht mit Spitze der Klinge am Kehl in den Daumen. Zur Schärfe wollen wir uns nicht weiter auslassen …
Was die Authentizität und das Alter des Messers angeht, gibt es gute Nachrichten. Wir haben Frau Herder-Scholz, der Chefin der Robert Herder GmbH & Co. KG, Bilder zukommen lassen. Sie hat bestätigt, daß das Emblem der „Vogelsäule“ ein Vorläufer des Windmühlenzeichens ist. Es war das Exportzeichen und wurde 1896 als Warenzeichen eingetragen beim Kaiserlichen Patentamt. Und: "Der Stempel auf der Klinge und seine Beschaffenheit deuten auf die Entstehungszeit von in jedem Fall vor 1920, eher aber noch auf 1890 - 1905. Das Messer ist sicher aus einem erstklassigen Carbonstahl gemacht."
Dem wollen wir nicht widersprechen. Ein Uralt-Körnerbrötchen und Apfelkerngehäuse in größerer Zahl lassen die filigrane Klinge unbeeindruckt. Und - noch ein Apfelglasplattenschneider an Bord …
Der Klingenschliff ist asymmetrisch insofern, als die linke Seite - von der Griffoberseite in Richtung Spitze gesehen - absolut plan und die rechte Seite deutlich ballig geschliffen ist. Ein gerades Stahl-Lineal wird dort zur Wippe.
Nach den ersten Erfahrungen mit dem „Hamburger“ haben wir ein scharfes Messerchen, feines Schleifpapier und Schleifleinen zur Hand genommen. Kleine Unebenheiten am Griff nahe der Klinge begradigt (das Kirschholz ist in sehr gutem, robustem Zustand und läßt sich gutmütig formen), fein geschliffen und poliert und dann die Klinge von zwei kleinen Rostpünktchen befreit. Bei 4000er Schleifleinen haben wir aufgehört.
Am Ende haben wir den Griff sorgfältig mit Olivenöl „behandelt“. Das säure-arme Bio-Öl aus dem Alentejo ist bisher allen Holzgriffen und Klingen an Bord gut bekommen. Das bisherige Endergebnis kann sich sehen lassen. Wir hätten diesen Zustand einem rund 100 Jahre alten Herder ehrlich gesagt nicht zugetraut. Und was die Schneidleistung angeht, können wir jetzt umso besser verstehen, warum die Großmutter nur ein kleines Windmühlchen und ein „Hamburger“ in Betrieb hatte. Sie hat - neben dem täglichen Brot - ALLES damit geschnitten …
Original altes „Hamburger“ von Robert Herder (etwa 1900)
Die Jukebox mit Fairport Convention – “Who Knows Where the Time Goes”
Aus Monte Gordo
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