Nun also die Swiza…
Ich gebe zu, aus Unwissenheit zunächst gedacht zu haben, Swiza sei ein neugegründetes Unternehmen, welches sich in der Messer-Szene etablieren möchte.
Ein Irrtum: Denn es gibt es schon seit 1904 und stellt normalerweise Wecker, Uhrwerke und Tischuhren her.
In dem Jahr, als wir in Deutschland unser Sommer-Märchen gefeiert hatten, wurde es dann von der Gründerfamilie abgestoßen und musste seitdem einige Besitzerwechsel über sich ergehen lassen.
Nun übernahm der ehemalige „Chef“, oder neudeutsch CEO (Chief Executive Officer – Vorstandsvorsitzender), der Firma Wenger Delémont und ein Mitstreiter aus gleichem Hause die Firma und erweiterten die Produktpalette des Uhrenherstellers genau um die Sparte, welche diese beiden Herren wohl am besten kennen: Nämlich um die der Sackmesser.
Ich als großer Vic-Fan war natürlich besonders gespannt darauf, mal ein solches Modell in den Händen halten zu können und habe mich im Vorfeld auch schon sehr intensiv über die Neulinge aus dem Kanton Jura informiert.
Von daher gilt mein großer Dank an dieser Stelle zu aller erst einmal
Pitter und der
Firma Herbertz für die Chance, die man mir mit diesem PA geboten hat:
Nochmals vielen Dank!
Die Swiza-Messer gibt es (vorerst) in 4 Versionen, die unter den nicht sonderlich kreativen Bezeichnungen „D01 – D04“ laufen.
Wobei das D01 und das D02 einlagig sind, jeweils über eine Klinge, einer Bohrahle und einer Pinzette verfügen und sie sich eben nur darin unterscheiden, dass das D01 den Korkenzieher und das D02 den Phillips-Schraubendreher als 4. Tool besitzt.
Bei den Modellen D03 und 04 verhält es sich analog, nur das bei diesen noch eine zweite Lage mit Kapselheber und Dosenöffner hinzukommt.
Alle Modelle gibt es mit rutschfesten (!!) roten, blauen, schwarzen oder weißen Schalen - für jeden Geschmack also was dabei.
Das erste, was mir nach dem Auspacken aufgefallen war, war die angenehme Haptik, ja, man kann sogar von einer ergonomischen Form sprechen.
Das Messer ist weder zu groß noch zu klein, ähnelt von den Abmaßen her einem Böker Tech Tool 2 oder einem Victorinox Spartan (zumindest das hier getestet D03) und ist somit auf die Größe der Hände von den meisten Menschen zugeschnitten und wirkt auf mich auch in Sachen Form wie eine Mischung aus den beiden zuvor genannten Konkurrenz-Produkten, nur eben etwas rundlicher und gebogener.
Die Klinge als Hauptelement eines Folders wurde aus 440-er Stahl gefertigt und besitzt eine Härte von 57 HRC.
Sie steht also ihrem Pendant aus dem Hause Victorinox in nichts nach, ist aber auch nicht wirklich besser.
Für jemanden wie mich, der ein Spartan den ganzen Tag am Mann hat, ist ein Swiza dahingehend genauso ausreichend.
Der Nagelhau ist nicht wie bei den „Schwyzern“ einfach nur eingestanzt, sondern direkt durch die Klinge hindurch gefertigt (gefräst?).
Ist was fürs Auge, soll gefallen, funktionell aber auch hier weder besser noch schlechter als sein „Kollege aus Ibach“.
Im geöffneten Zustand wird die Klinge mittels Liner arretiert, mit einem Knopfdruck auf das „Schweizer Kreuz“ wird der Liner wieder verschoben und man kann die Klinge wieder einklappen.
Ein Online-Magazin aus der Schweiz sprach in diesem Zusammenhang von einer Neuerfindung, ich persönlich erkenne da große Parallelen zu der Ranger-Serie von Wenger.
Ich finde eine Arretierung an einer Klinge generell nicht schlecht, hiermit kann das Swiza dann doch noch leicht punkten.
Die Bohrahle lässt sich ähnlich ausklappen wie die bei einem Alox-Modell von Victorinox oder dem Schweizer Soldatenmesser ´61, welches ja auch von Wenger gefertigt wurde.
Aber diese hier hat mich echt total enttäuscht!
Ein einfacher Test, das Bohren eines kleinen Loches in ein dünnes Brett, welches von einem Spartan, einem Pioneer Alox und einem Tech Tool problemlos durchgeführt wurde, stellte für das D03 ein echtes Problem dar, ja sogar die Spitze hatte sich dabei verbogen.
Fazit: Schwach!
Entschuldigung auch an die nachfolgenden Tester!! Das konnte ich so nicht vorhersehen…
Aber ein Tool, das seine eigentliche Funktion nicht einmal ausüben kann… was soll ich dazu noch sagen??
Wenn man nun zusätzlich bedenkt, man hat sich das Modell D01 oder D02 zugelegt und somit eh nur 4 Werkzeuge an einem Messer (und keins davon besitzt eine Mehrfach-Funktion!!) und dann ist ein Hilfsmittel auch noch nicht einmal zu gebrauchen, ist das mehr als unbefriedigend!
Hier sollte Swiza dringend nachjustieren… und sich an der Stelle vielleicht auch mal Gedanken machen, ob man diese nicht auch noch etwas länger ausführen könnte.
Die Pinzette wurde von den alten Wenger übernommen und ich dachte zunächst: „Boah, nicht schon wieder diese halbherzig zusammengehefteten Dinger…“
Aber Vorsicht, vielleicht hatte ich hier auch etwas zu schnell geurteilt.
Wie stabil diese sind, wird sich mit der Zeit zeigen.
Aber diese sind im Gegensatz zu denen von Victorinox an der Spitze angefast und man kann mit ihnen echt gut zu packen, also eine Art Perfektionierung der „Delémont-Krankheiten“ von früher.
Nachteilig ist die Lage von ihr in den Schalen!
Das hatte mich an den alten Wenger-Modellen auch schon genervt: Man muss die (einigermaßen „langen“) Fingernägel schon genau ansetzen, um sie aus ihrem Lagerort herausholen zu können.
Nix für notorische Fingernägel-Kauer…
Schade, dass das bei den Jurassiern so übernommen wurde!
Der Phillips-Schraubendreher oder der Korkenzieher runden das Bild der D01 und D02-Messer ab, die Funktionsweise dürfte bekannt sein und wird auch von den Tools entsprechend gut ausgeführt.
Einziger Nachteil ist in meinen Augen die viel zu lasche Federwirkung auf die Werkzeuge, sie haben im ausgeklappten Zustand leichtes Spiel, auch das Einklappen erfolgt ziemlich „kraftlos“!
Im Allgemeinen wirken die Federn an den Tools, bis natürlich auf die arretierte Klinge, bei den „Wenger“-Erben schon etwas „labberig“, wie wir Wittgensteiner sagen.
Finde ich persönlich auch nicht so gut…
Bei den anderen beiden Typen kommen, wie erwähnt, noch Kapselheber und Dosenöffner als weitere Features hinzu.
Während der Kapselheber keine großartigen Unterschiede zu denen der traditionellen SAK´s aufweist und seine Sache auch dementsprechend ordentlich macht, gilt es den Dosenöffner noch mal explizit hervor zu heben.
Dieser ist von beiden Seiten her schräg angefräst und verfügt über eine kräftige Schneide.
Mit ihm konnte ich eine Konservendose doch um einiges schneller Öffnen als mit einem Elsener-Produkt, auch war der Kraftaufwand geringer.
Endlich mal ein Tool, was wirklich eine Verbesserung darstellt.
Und ich möchte noch spaßeshalber anfügen, dass ich für diesen Test eigens meine Kohlenhydrate-Diät unterbrochen hatte, also bitte mein Opfer auch mal dahingehend entsprechend würdigen…
Jedoch fällt mein Fazit im Großen und Ganzen doch eher etwas ernüchternd aus:
Zuerst gilt es festzuhalten, dass es als Alltags-Messer für die Hosentasche doch vollkommen ausreichend ist und wenn man wie ich, gemäß der Meinung von Freunden hochlegierten Messerstähle, keine übertriebenen Ansprüche an die Klinge hat und mehr auf die Vielseitigkeit bei einem Pocket-Tool Wert legt (und das ist ja nun einmal die Grundidee des guten Stücks), ist man mit einem Swiza doch schon (einigermaßen) gut bedient, allerdings sollte man dann auch besser direkt auf die Modelle D03 oder D04 zurückgreifen!
Doch stoßen mir dennoch folgende Aspekte etwas sauer auf:
- Zunächst einmal die schon erwähnte viel zu lasche Federkraft an den Tools. Das bin ich von dem Original Schweizer Offiziersmesser her um einiges besser gewohnt
- Obwohl die hier präsentierten Modelle ordentlich verarbeitet waren, wurden mir auch Aufnahmen zugespielt, wo wirklich viel „Luft“ zwischen Feder und Platine erkennbar war und was auch zu Verdruss bei den Käufern geführt hatte. Anscheinend liegen doch noch einige Qualitätsinterschiede bei den ausgelieferten Produkten vor
- Die Bohrahle ist als solche nicht zu gebrauchen, hier wäre eine Korrektur, wie oben schon beschrieben, wünschenswert
- Von allen Tools hat eigentlich nur der Dosenöffner wirklich überzeugt. Für ein Produkt, was Experten mit Erfahrung entworfen haben, eher schwach
- Zudem fiel mir die begrenzte Anzahl an Features und deren eingegrenzte Funktionalität auf! Auch wenn es kein Muss ist, aber Schlüsselring wie Zahnstocher hätte man ja bestimmt auch irgendwie mit einplanen können, zudem wäre eine neue Extra-Funktion an einem Tool auch nicht nachteilig gewesen.
- Es wurde sehr viel Wert auf die Optik gelegt und laut Medien aus der Schweiz will das Unternehmen auch damit punkten, um neue Kunden gewinnen. Ich frage mich aber, ob das der richtige Weg ist, denn Schönheit ist Geschmackssache. Geht der Käufer beim Erwerb eines Taschenmessers eher nach dem Äußeren als nach der funktionellen Verwendbarkeit? Mir kommen da gewisse Zweifel auf…
- Und der gravierendste Minuspunkt stellt für mich persönlich der Preis da (und ich weiß, ich begebe mich da jetzt eventuell auf extrem dünnes Eis)!
Klar, mir ist schon bewusst, dass Victorinox seine Taschenmesser in größeren Stückzahlen nach einem etablierten Baukasten-Prinzip fertigt, was sich auch im Preis bemerkbar macht.
Aber warum soll ich ein Swiza D03 für 35 EUR empfehlen, wenn es das Victorinox Spartan mit einer sogar noch leicht besseren Bestückung und einer etwas höheren Qualität schon für 19 EUR gibt???
Die Leute werden bestimmt nicht zum Swiza greifen, nur weil es vermeintlich „schöner“ aussieht…
Da ist der Neuling in der Schweizer Messer-Szene noch nicht ganz so ausgereift wie sein gestandener Eidgenossen-Kollege und er kostet dann auch noch fast doppelt so viel!?!?! Ganz schlechte Kombination!
Also entweder sollte sich da Swiza auch preislich den „Ibachern“ anpassen, um ihr Produkt auch konkurrenzfähig auf dem Markt platzieren zu können.
Oder sie setzen wie Böker beim Tech Tool auf besondere, eigene Elemente (in dem Fall Glasbrecher, einklappbarer Schlüsselring, 12C27-Klinge), um ein Plus gegenüber den alteingesessenen SAK´s zu haben und um dadurch eine eigene Käuferschicht ansprechen und gewinnen und um zusätzlich dadurch dem Messer-Giganten aus der Schwyz bewusst aus dem Weg gehen zu können.
Dann darf es auch gerne mal etwas mehr kosten.
Jetzt bitte die „Mängelliste“ nicht falsch verstehen, ich will mir auch keinen Ärger mit irgendwelchen Swiza-Mitarbeiter/Manager einfangen, deswegen nochmal zur Klarstellung: Das Swiza ist seinem Preis-Niveau entsprechend ein relativ ordentliches Messer!
Gut wäre übertrieben, aber ordentlich!
Es ist bestimmt kein Billig-Baumarkt- Schrott auf unterstem Fernost-Level, aber auch qualitativ nicht auf dem Stand eines Folders, der einen dreistelligen Euro-Betrag wert ist (was es ja auch bekanntermaßen nicht sein will und soll!)!
Eben ein Alltags-Helfer mit mehreren Features für Menschen, die ein Messer dieser Art als Gebrauchsgegenstand definieren und denen es auch nichts ausmacht, wenn mal ein paar Kratzer auf die Klinge oder den anderen Tools kommen und nicht zu viel Geld für den Kauf eines Taschenwerkzeuges in die Hand nehmen wollen.
Allerdings sollte es auch legitim sein, wenn ich anmerke, da man ja auf jede Menge „Wenger-Delémont-Erfahrung“ zurückgreifen konnte (was man auch an einigen Ähnlichkeiten zum „Echten Schweizer Offiziersmesser“ sehen konnte), wie auch auf die fertigen Victorinox-Messer als „lebendiges Vorbild“, dass das Endergebnis in meinen Augen dann dafür doch etwas dürftig ausgefallen ist.
Da hatte ich mir persönlich doch etwas mehr versprochen!
Nun ja, dennoch danke fürs Lesen und ich hoffe, dem einen oder anderen mit dem Text hier geholfen zu haben!