Guten Abend Gregorios !
Da Du mich zitierst und gewisse Schlüsse aus meinen Ausführungen ziehst, möchte ich zur Klarstellung die Aussagen noch etwas differenzieren und begründen.
Reines Eisen kann man aufkohlen und hat dann eben einen absolut reinen C-Stahl. Da in gewissen Anpreisungen mit der besonderen Qualität reiner C-Stähle geworben wird, hielt ich es für sinnvoll, auf die in gewisser Weise zweifelhaften Eigenschaften solcher Stähle hinzuweisen.
Als Al Pendray seine Wootz-Versuche machte, arbeitete er auch mit Armcoeisen, dem ein hoher C-Gehalt beigefügt wurde. Er hat diesen Weg dann aufgegeben, weil der reine C-Stahl schon bei 1000 Grad C eine atemberaubende Neigung zum Kornwachstum aufwies. Wer genauere Zahlen braucht, müßte im ersten großen Bericht von Pendray und Verhoeven nachlesen- das war nicht der ziemlich inhaltslose, wenn auch reißerische Bericht im "Bild der Wissenschaft".
Gewaltige Austenit- oder Ferritkörner schwächen die Matrix schon per se. Bei dem hohen C-Gehalt des Stahls- es sollte ja Wootz daraus werden-also 1,6 % C aufwärts- war weiter mit massivem Korngrenzenzementit zu rechnen, was für die Stabilität auch abträglich ist.
Nebenbei: Ein Wootz- Muster hätte bei diesem Stahl resultieren können.
Im Osten unseres Landes hatte man mit aufgekohltem Armcoeisen experimentiert und dabei herausgefunden, daß solche Stähle extrem schnell abgekühlt werden mußten, um noch martensitische Härte zu erzielen.
Nachdem ich mir das wirklich lesenswerte Werk von Werner und Küntscher "Technische Arbeitsstähle" wieder besorgen konnte-wer mein erstes Buch ausgeliehen und nicht mehr zurückgegeben hat, soll sich schämen und es nicht wieder tun- habe ich festgestellt. daß ich die kritische Abkühlungsgeschwindigkeit falsch in Erinnerung hatte. Der Temperaturbereich zwischen 800 und 700 Grad muß nicht mit einer Abkühlungsgeschwindigkeit von 3000 , sondern nur mit 1000 Grad/sec durchlaufen werden. Anders ausgedrückt: Die Temperatur muß innerhalb einer Zehntelsekunde von 800 auf 700 Grad fallen.
Die Erklärung ist auch einleuchtend: Wenn in der Elementarzelle keine weiteren Elemente oder auch nur Störungen enthalten sind, kann der Kohlenstoff umso schneller aus dem Zwischengitterplatz entwischen und steht für die Härtung nicht zur Verfügung.
Das klingt so, als seien solche Stähle dann überhaupt nicht härtbar. Das ist aber nicht richtig. Beim Härten kleiner Dimensionen in Wasser ist eine solche Abkühlungsgeschwindigkeit kein Problem. Es geht ja nicht um die Abkühlung bis auf Raumtemperatur, sondern nur darum, an der Perlitnase vorbeizukommen.
Meine aufgekohlten Armcostähle wurden jedenfalls richtig hart. sonst fand ich sie nicht wirklich überzeugend.
Die "günstige Wirkung der Schlacke" muß man sehr differenziert sehen.
In einem anderen thread habe ich mich mit Achim über dieses Thema ausgetauscht. Grobe Schlackenzeilen sind sicher immer ungünstig.
Zeilen mit feinst verteilten Schlackenteilchen, wie sie durch die Verformung in eine Richtung entstehen, sind in Verformungsrichtung weitgehend unschädlich, quer dazu dagegen ungünstig.
Es gibt aber auch günstige Auswirkungen: Daß Kerben im Stahl und auch innere Mikrorißchen für die Belastung in Kerbrichtung geradezu verheerend wirken, ist allgemeines Ingenieurwissen. Durch die am Kerbgrund entstehende Kerbspitze wird das Material entscheidend geschwächt und der Riß wandert in Kerbrichtung weiter und führt zum Bruch.
Sind aber im Kerbgrund Rißchen, die etwa im rechten Winkel zu ihm verlaufen, so kann das dazu führen, daß der Riß aus seiner ursprünglichen Richtung abgelenkt wird. Da aber die Biegekraft, die den Riß verursacht hat oder erweitern würde, eben nicht in Richtung der Zeile wirkt, kommt der Riß hier zum Stehen.
Ich versuche, das hier so einfach, wie möglich zu erklären. Die Fachleute mögen mir verzeihen.
Die Besorgnis von Gregorios, daß Raffinierstähle, die ihren Ursprung aus dem Rennfeuer haben, einen unregelmäßigen C-Gehalt und vielleicht insgesamt zu wenig C haben, teile ich nicht.
Aus dem Rennfeuer kommt sehr unterschiedliches Material, insbesondere was den C-Gehalt angeht. Das reicht vom ziemlich reinen Eisen bis hin zu Gußeisen.
Der geübte Schmied konnte diese Qualitäten sicher schon recht früh unterscheiden, entweder am Funken oder am Bruch. Näheres dazu ist in dem Beitrag "Vom Damaszenerstahl zum Scharsachstahl"- von mir vielfach zitiert- nachzulesen. Man konnte also entweder im C-Gehalt ziemlich homogenes Material auswählen oder durch Diffusion den gewünschten C-Gehalt einstellen.
Geht man also von einem ziemlich sauberen Raffinerstahl aus guten Erzen-wenig Schwefel, wenig Phosphor- mit ca 0,8 % C aus, so hat man ein exzellentes und wirklich nur mit großer Raffinesse zu übertreffendes Material für Schwert- oder Säbelklingen vor sich.
Warum aber gute Industrieklingen schlechter sein sollen, kann ich nicht einsehen. Ich rede jetzt nicht von lustlos als Dekor gefertigten Stücken, sondern von Gebrauchsklingen.
Hermann Haedicke, der Dierektor der kgl. Fachschule für die Stahlwaren - und Kleineisenindustrie des Bergischen Landes in Remscheid schreibt dazu 1900 in seinem Buch "Die Technologie des Eisens" :
"Gute Klingen halten sehr starke Proben aus, und namentlich die Militärlieferungen erheischen besonders sorgfältige Prüfungen.
Die von der weltberühmten Firma Weyersberg, Kirschbaum & Co in Solinger s.Z. für England gelieferten Klingen beispielsweise wurden folgenden Proben, welche persönlich von dem Kommissar angestellt wurden, unterworfen: Die Klinge mußte zunächst eine Belastung von 16 kg, auf die Spitze gelegt tragen können, ohne eine Durchbiegeung erkennen zu lassen. Alsdann wurde diese Belastung vermehrt, wobei sich die Klinge um 16 cm zusammenbiegen durfte, aber wieder gerade zurückspringen mußte. Danach wurde mit voller Wucht ein Schneidhieb auf einen Eichenblock geführt, und es mußte danach die Krümmung unter Anwendung einer genauen, vertieften Schablone als unverändert nachgewiesen werden.
Nunmehr wurde, die Biegeprobe. die Klinge in einen besonderen Apparat gespannt und darim um 90 Grad, winkelrecht zum Heft gebogen, wonach sie abermals wieder gerade springen mußte."
Das ist sicher nichts völlig Ungewöhnliches-Stahl ist eben ein hervorragender Werkstoff- zeigt aber doch, wie gut und verläßlich gute Industrieklingen sein können.
Freundliche Grüße
U. Gerfin