Ratsch die Möhre - Flat vs. Hollow vs. Convex Grind …

Boas,

sehen wir uns die (Möhren-Keilwinkel-)Parameter, die entscheidend für die Schneidfähigkeit einer Klinge sind, im einzelnen noch einmal an: Es sind - nach Roman Landes - im wesentlichen drei:

1. Die Geometrie
2. Der Stahl
3. Die Wärmebehandlung

Für die Analyse nehmen wir uns das ballige Damast-Messer „Niob“ von Eckhard Schmoll und das Spyderco Caly 3.5 ZDP189 zur Hand. Die Wärmebehandlung nehmen wir mal als erstes, und gehen davon aus, daß sie hier vorrangig nicht von essentieller Bedeutung ist. Ferner nehmen wir mal an, daß Spyderco und AchimW/Eckhard Schmoll die im Griff haben :)

Zum Stahl ist zu sagen, daß es sich in beiden Fällen um Edelstähle handelt - einmal um ZDP189 und einmal um SB1/440B. Also kein Vorteil eines der Messer durch extrem fein ausschleifbare Schneide, wie sie niedrig legierter Carbonstahl bieten würde. Wer Probleme mit dem Vergleich hat, kann sich anstelle des Caly 3.5 auch das Para-Mili2 mit S30V vor Augen halten. Am Ende zeigen beide/alle drei Kandidaten vor dem Möhrentest beim Schnitt in ein freihändig gehaltenes Blatt Papier, daß sie - ganz unwissenschaftlich betrachtet - vergleichbar scharf geschliffen sind.

Bleibt für das Möhren-Theater als DIE relevante Größe („wesentliche Parameter“) die Geometrie. Und die wird wiederum bestimmt durch

1. Den Schneidenwinkel
Dieser ist wesentlich abhängig vom Werkstoff - wobei ein kleiner (möglichst spitzer) Schneidenwinkel zu einem besseren Eindringungsvermögen in das Schnittgut bzw. besserer Schneidfähigkeit führt

2. Die Schärfe
Die Schärfe (Breite der Verschleißmarke des durch die Herstellung der Schneide bedingten „Schneidenstumpfs“ - eine ideale Schneide der Breite „Null“ ist ja nicht erreichbar, wie nahe man dem Ideal kommen kann, hängt vom Werkstoff ab (hier kommt wieder der Stahl ins Spiel!!); Stahl erreicht die Grenze seiner Schärfe im Bereich seiner Korngröße (Karbide))

3. Die Schneidendicke
Als Faustregel gilt: Je dünner die Schneide, desto geringer die Keilwirkung und damit der notwendige Kraftaufwand zum Trennen des Schnittgutes; hierbei ist zu berücksichtigen, daß höher legierte - auf Verschleißfestigkeit ausgelegte - Stahlsorten spröder als niedrig legierte sind, daher erfordern sie dickere Schneiden und Klingenkörper (wieder der Stahl!!)


Gehen wir bei den Test-Kandidaten von etwa vergleichbarer Schärfe aus, bleiben als Haupt-Möhren-Parameter die Schneidendicke und der Schneidenwinkel übrig.

Zur Schneidendicke hatten wir die relevanten Parameter geliefert. An der Eindringstelle der Klingen in das Schnittgut hinter der Wate gemessen, 3 mm oberhalb, Mitte der Klingen und Oberkante. Hier sind sie nochmal:

Caly 3.5 ZDP: 0,6 - 0,75 - 1,4 - 2,2
Para-Mili 2: 0,6 - 0,8 - 1,4 - 2,8
Large Sebie: 0,45 - 0,5 - 1,2 - 3
„Niob“: 0,4 - 0,6 - 1,6 - 2,8

Wie sich zeigt, ist die Schneidendicke von allen „Niob“-Konkurrenten hinter der Wate größer, auch und besonders beim Caly 3.5, das nur 2,2 mm Klinge vorhält.

Jetzt zum letzten Gefecht - dem Schneidenwinkel. Hierzu haben wir in aufwändiger Heimarbeit am frühen Morgen eine qualifizierte Grafik angefertigt :p. Sie zeigt zwei Klingen, eine mit Flachschliff (z.B. Para-Mili 2 bzw. Caly 3.5) und eine mit balligem (convexem) Schliff.

DSC00649-3.jpg


Gehen wir davon aus, daß unsere Spydies einen Winkel von 40 Grad haben und sehen wir uns die Grafik an, wird ganz unwissenschaftlich und ohne Hexerei deutlich erkennbar, daß der Schneidenwinkel einer dünn ausgeschliffenen balligen Klinge bei gleicher Klingenstärke kleiner/spitzer ist.

Zwei zu Null für „Niob“ bezogen auf Schneidenwinkel und Schneidendicke. Dazu kommt die „rauhe“ Struktur der Damastklinge, die ähnlich der schmiederauhen Oberfläche (siehe oben Gerfin) die potentielle Anhaftung des Schnittguts vermindert, was aufgrund der Balligkeit eh ohne große Bedeutung ist, da die ballige Klinge das Schnittgut übertrieben gesprochen nur an einem Punkt und nicht in der Fläche durchgleitet.

Und genau so sehen die Ergebnisse ja auch aus :)!!

Holen wir abschließend noch einmal den Faktor Stahl ins Boot und nehmen an, die dünn ausgeschliffene ballige Klinge ist aus niedrig legiertem Carbonstahl mit 1A Wärmebehandlung, wie diejenige von Attila Kovacs Slipjoint und kann damit eine hochfeine, geschlossene Schneide annehmen, dann muß sich keiner wundern, wenn ein solches Messer die Konkurrenz auf die Plätze verweist.

Zu guter Letzt eine kleine Anekdote, die wir anderenorts schon einmal erwähnt haben. Vor einem halben Jahr etwa haben wir Jürgen Schanz gebeten, ein Messer für uns anzufertigen, das Ende diesen Monats fertig werden könnte. Vorgabe für die Klinge „….2,8 mm und leicht ballig auf Null.“ Jürgens lakonische Antwort war: “ Ja, hab verstanden - du möchtest schneiden" :D ...


So wird es kommen

Johnny & Rock’n‘Roll
 
.......
Der Keilwinkel von Möhren ist verdammt klein.....
Gruß
El

Und zudem abhängig vom Alter der Möhre. Länger gelagerte bzw. ältere Möhren sind weicher als frische bzw. junge Möhren. Sie werden mit dem Alter flexibler und sehen es mit dem Keilwinkel nicht mehr allzu eng. Ist also (fast) wie bei uns :steirer:
 
@ El Dirko

Zu Deiner Einlassung, der Theorie nach müsse für Möhren ein Flachschliff der knapp unter dem Keilwinkel bleibt, ideal sein, die Frage, welcher Theorie nach (Quelle?).

These:

1. Möhren sind faktich so etwas wie ein Faserverbundstoff
2. Gespannte Fasern schneiden sich erheblich leichter als nicht gespannte.

3. Wenn der Keilwinkel minimal unter dem Spaltwinkel liegt passiert folgendes:

Notwendige Kraft zum Spalten = 0 und die benötigte Kraft zum Schneiden von Fasern liegt nahe dem Minimum.

Quelle: ElDirko technischer Prüfingenieur, Fachgebiet Möhrenteilkunde ... :steirer:

Das Argument mit den Alten Möhren ist gut. Ich ging aus irgend einem Grund immer von jungen Möhren aus. Was das wohl über mich aussagt .... :D

Deine Zeichung der Klingenquerschnitte zeigt übrigens gut was ich meinte. Dein Niob ist vermutlich das einzige Messer dessen Keilwirkung unter der Spaltgrenze liegt, die anderen Messer spalten vermutlich schon im Bereich der Fase.

Nimm mal ein paar billigst Blechmesser aus 0,3 mm Flachstahl mit ins Rennen. Die gehen durch Möhren wie Butter, aber halt nicht lange. :)
Kannst auch mal Rasierklingen probieren (so ca. 01 mm) , wenn Du nicht glaubst das es einen unteren Grenzwert gibt, probiere es aus.


Gruß
El
 
Zuletzt bearbeitet:
@El Dirko

Ja sicher, iss alles klar. Meine 4,- € SICO-Küchenmesser gehen durch Möhren, daß es eine wahre Freude ist. Durch junge und alte, piepegal. Aber das war ja nicht die Frage. Es ging um "Niob", Para-Mili 2 und Large Sebenza. Klingen von 2 oder 3 mm. Den relevanten Bezug hast Du mit dem Verweis auf die Zeichnung ja hergestellt. Schneidenwinkel und Schneidendicke.

Iss ein schönes Thema. Drehen wir also noch etwas am Rad :p!

Als wesentlichen (Stör-)Parameter haben wir ja beim Vergleichen und genauen Hinsehen die Schneidendicke und den Schneidenwinkel identifiziert. Wie man der kleinen Grafik oben entnehmen kann, hängt beides eng zusammen. Verkleinere ich nämlich den Winkel bei der flachgeschliffenen Klinge, dürfte auch die Schneide insgesamt schlanker werden. Das eine spielt dem anderen in die Hand. Man könnte also eine flachgeschliffene Klinge anstatt mit 40 (2x20) Grad mit 20 (2x10) Grad schleifen.

Könnte - wenn der Stahl das zuließe. Und damit ist der auch wieder im Boot. Beim Sebie und beim Para-Mili 2 sollte das übel enden. Die relativ grobe Struktur des Stahls würde einen derart spitzen Winkel nicht vertragen und bei nächster Gelegenheit wohl chippen.

Die Möhre sollte die Klinge noch schaffen. Wenn sie dann durch diese hindurch ist und auf’s Brett „knallt“, war es das vermutlich schon. Wenn nicht, dann aber bei nächster Gelegenheit. Also wird das so nix werden. Die einzige Möglichkeit, dem Problem annähernd Herr zu werden, wäre hier eine Klinge aus Stahl, der einen derart spitzen Winkel aushält, wie eine dünn ausgeschliffene leicht ballig auf Null laufende Klinge ihn bietet.

DSC00652-2.jpg


SB1 wäre ein Kandidat meiner Wahl. Oder noch besser ein niedrig legierter Kohlenstoffstahl. Also ein Para-Mili 2 oder ein Large Sebenza mit einer Klinge aus 1.2442 vielleicht. Mit einer flach-/hohlgeschliffenen Klinge und einer Schneide von 20 (2x10) Grad. Die würde dann darüber hinaus auch noch eine bessere Schärfe (feinere Schneide) annehmen. Das wäre ein interessanter Gegner für „Niob“ in einem weiteren Möhren-Massaker. Am liebsten hätten wir aber eigentlich gleich ein Large Sebie mit Klinge aus 1.2442, die leicht ballig dünn auf Null ausgeschliffen ist :highly_amused:!! Haben wir gerade nicht vorrätig - leider!!

Bezogen auf das Caly 3.5 wäre hier ein Versuch mit der Superblue-Klinge interessant. Aogami 2 sollte einen spitzen Winkel von 20 Grad auch ohne Probleme aushalten. Haben wir auch (noch) nicht vorrätig ;)!

Am Ende ist der ausschlaggebende Faktor wohl der Stahl (zusammen mit entsprechend perfekter Wärmebehandlung). Die anderen Parameter - im wesentlichen Schneidenwinkel und Schärfe - lassen sich dann (gegebenenfalls in Heimarbeit) einstellen …


Auf der Suche

Johnny & Rock’n‘Roll
 
Boas,

da zu einem Contest auch eine Siegerehrung gehört, wollen wir die hier in aller Kürze vollziehen. Ohne uns im Detail wiederholen zu wollen, bekunden wir am Ende unser Erstaunen über das für uns eindeutige Ergebnis.

Daß unterschiedliche Klingengeometrien - je nach Anwendung - zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, war klar. Ob schnitzen oder Gemüse schnippeln - um nur zwei vollkommen unterschiedliche Anwendungen zu benennen - da gehen die Vorlieben von Scandi- über Hohl- zu Flachschliff. Oder eben auch zum balligen Klingenschliff.

Daß bei ein und derselben Anwendung die unterschiedliche Klingen-Geometrie eine derart starke Auswirkung auf das Ergebnis hat - insbesondere ebendiese - hatten wir so nicht erwartet. Für den Möhrencontest hätten wir z.B. bei „Wetten daß …?“ dem Anschein nach zuallererst zum Para-Military 2 oder zum Caly 3.5 gegriffen.

Der Versuch führt dazu, daß wir in Zukunft, wenn es auf Anhieb um einen „feinen Schnitt“ geht, bei den verschiedenen gleichgroßen Messern mit vergleichbarer Klingenstärke, die wir zur Verfügung haben, zu demjenigen mit balliger Klinge greifen - und uns fürderhin ganz grundsätzlich in diese Richtung orientieren werden. Ausnahmen adeln dabei die Regel :eek: ...


Auf dem Podest die Kandidaten, der Möhren-Sieger und (außer Konkurrenz) unsere Crème de la Crème de Carotte

01 DSC00659-2.jpg 02 DSC00667-2.jpg 03 DSC00664-2.jpg


Zuversichtlich aus Monte Gordo

Johnny & Rock’n‘Roll
 
Zurück