porcupine
Super Moderator
- Beiträge
- 5.579
Vorbemerkung: Die Liebhaber von Fluted Titanium, Overtravelstop, IKBS, den neusten Hip-Stählen etc.pp. mögen sich bitte anderen Themen zuwenden – das ist hier nichts für euch.
Nein, hier gibt’s nur Holz und Hochglanzpolitur an einem großen, schlichten Slipjoint-Folder des französischen Messermachers Renaud Aubry zu sehen.
Ganz kurz zum Macher: er ist in der Nähe von Thiers tätig, noch nicht allzu lange als Messermacher selbständig und hat mittlerweile auch einen Azubi. Sein Angebot beinhaltet klassische Laguiole, das kleine Gentleman-Messer Navette, das große Vicomte und ein Tafelmesser.
Ich wurde irgendwann mal auf R.Aubry aufmerksam, als im Messermagazin neuere französische Messerkreationen vorgestellt wurden. Jetzt habe ich mich endlich mal überwunden und dieses Messer bestellt. Überwunden insofern, als ich eigentlich vorwiegend Messer mit rund 7 cm Klinge in der Tasche trage und zu größeren Klappmesserklingen nur gelegentlich greife, z.B. dem Buck 110. Und weil ich bisher nur zwei Klappmesser besitze, deren Klingen die 10 cm überschreiten, sollte also mal noch ein großes her. Und zwar kein im Alltag unbrauchbares Tacticalmonster, sondern ein, na ja, Messer halt.
Der schlichte gerade „Zigarren“-Stil des Vicomte kommt meinem Geschmack da sehr entgegen.
Hier erst mal ein paar nüchterne Zahlen:
Klinge aus 14C28, hochglanzpoliert
Klingenlänge 105 mm
Klingenstärke 2,4 mm, mittig 2,0 mm
Klingenbreite 20 mm
Stärke über der Wate 0,3 mm
Griffstärke 16,5 mm
Grifflänge 130 mm
Griffmaterial Wüsteneisenholz, Ebenholz-Zwischenlage
Gewicht 102 g
Mechanik: Slipjoint mit Half Stop, Klinge steht frei im Schacht.
Lieferumfang: Schachtel, Stoffbeutel
R.Aubry bietet auf seiner Website einen Konfigurator , mit dessen Hilfe man sich sein Wunschmesser aus mehr als 11.000 Möglichkeiten zusammenstellen kann: Zweierlei Finish, dreierlei Stähle, 18 Griffmaterialien, vier Linings und 27 Kombinationen von Feilmustern auf Feder bzw. Linern. Nur die Form des Messers ist festgelegt. Noch schafft er es anscheinend, solche Wunschkombinationen innerhalb von moderaten vier Wochen zu liefern. Und natürlich gibt es auch die Möglichkeit einer ganz individuellen Wunschgestaltung.
Unter einem Gentleman-Messer stellt man sich ja normalerweise was ganz anderes vor – so ein zierliches Spielzeug für die Westentasche, zum Fingernägel säubern oder Zigarren anschneiden.
Hier nicht. Das ist ein ausgewachsenes Messer.
Grifflänge 13 cm - dass das Messer groß sein würde, wusste ich vorher. Es kommt mir aber gar nicht soo groß vor, weil es schlank und gerade ist. Die Form erinnert mich sehr an eine Zigarre. Unter den französischen Klassikern kommt es dem normannischen „Pradel“ sehr nahe, ist aber deutlich länger. Die Form der Klingenspitze, eine Art Schafsfußklinge mit leichtem Bauch unten geht etwas in die Richtung wie das Perceval L-08. Zum Essen ganz praktisch.
Was beim zugeklappten Messer zuerst ins Auge fällt: Die weit heraus stehende Klingenwurzel. Ok, das gibt keine Schönheitspunkte, aber bei dieser schlank-geraden Bauweise geht es nun mal nicht anders. Ich nehme es als gegeben hin.
Ein weiterer augenfälliger Punkt sind die drei geköpfelten Niete. Das ist mir sehr sympathisch, denn dadurch werden Pin-Cracks vermieden. Ich habe einige Messer mit im Holz gestauchten Stiften, davon auch mehrere mit dadurch entstandenen Rissen. Deshalb würde ich immer die geköpfelten Niete vorziehen.
Als Drittes springt dann noch das aufwändige Feilmuster in Feder und Platinen als schmückendes Element ins Auge. Man kann das Messer aber auch komplett ohne Feilmuster bestellen.
Viertens und letztens sei noch das wunderschön polierte Wüsteneisenholz genannt, das eine sehr angenehme Haptik bietet. Unter den Griffschalen gibt es noch eine dünne schwarze Lage aus Ebenholz. Kratzige Kanten irgendwo an Griff oder Klingenrücken sucht man vergebens – alles perfekt entgratet.
Das Aufklappen geht leicht mit Daumen und Zeigefinger. Bei 90° gibt es einen Zwischenstop; die Klingenwurzel ist rechteckig ausgeformt.
Ein kleines Manko muss an dieser Stelle genannt werden: die Hochglanzpolitur zeigt jeden Fingerabdruck. Aber das wusste ich vorher, dafür gibt es Putztücher.
Spaßeshalber habe ich auch mal auf der Briefwaage die Kraft zum Einklappen gemessen, 10 cm vor der Achse liegt sie bei rund 730 g. Das ist völlig ok (ich habe Messer, die bei 300 g einklappen), mit dem Messer wird ja nur geschnitten und sonst nichts. Man kann sagen, es ist gut und verletzungsfrei bedienbar, ohne dass man wie z.B. beim Douk Douk Geant Riesenkräfte aufwenden und arg auf seine Finger achtgeben muss.
Nagelkerbe gibt es keine. Ist auch nicht nötig, und das Reinigen geht leichter vonstatten.
Kommen wir zur Klinge: den obigen Daten kann man entnehmen, dass das Vicomte eine dünne Klinge hat. Sie ist an der Klingenwurzel 2,4 mm stark, auf halber Klingenlänge 2 mm, flach geschliffen mit einer ganz minimalen Wate. Es war mit meinem Meßschieber, der Zehntel mm anzeigt, nicht genau zu sagen, ob sie hinter der Wate 0,2 oder 0,3 mm stark ist.
Will sagen, das ist ein Schneidwerkzeug und kein Brecheisen. Die dünne Klinge war für mich einer der Hauptgründe, das Messer zu erwerben.
Ich war etwas skeptisch, wie sehr die hochglanzpolierte Klinge möglicherweise an Schnittgut wie Camembert klebt; erste Feldversuche zeigten aber, dass die Sorge unbegründet war. Kommt aber vermutlich auch auf den Reifegrad des Käses an … obwohl, dann klebt er wohl an allem fest
Das Messer hat ein erstaunlich geringes Gewicht, weniger als die Hälfte meines Buck 110. Klar, es hat keine Backen und eine dünne Klinge. Die Platinen sind etwas weniger stark, als ich es von meinen anderen Franzosen kenne, und sie sind skelettiert. Von daher wäre es durchaus möglich, das Messer in der Hosentasche mitzuführen. Wegen möglicher Verwechslungen lass ich das aber besser
Fazit
Auf der Habenseite stehen die hohe Alltagstauglichkeit, das vergleichsweise geringe Gewicht, die edlen Materialien und ein mehr als fairer Preis.
Als einen gewissen Mangel mag so manch einer die Schlichtheit der Linien und den weit herausstehenden Klingenfuß ansehen.
Aber was soll‘s. Ich bin kein Raucher, denke mir aber, dass der Liebhaber einer Havanna sich wenig Gedanken darüber macht, dass ein Zigarillo etwas eleganter daherkommt.
Nein, hier gibt’s nur Holz und Hochglanzpolitur an einem großen, schlichten Slipjoint-Folder des französischen Messermachers Renaud Aubry zu sehen.
Ganz kurz zum Macher: er ist in der Nähe von Thiers tätig, noch nicht allzu lange als Messermacher selbständig und hat mittlerweile auch einen Azubi. Sein Angebot beinhaltet klassische Laguiole, das kleine Gentleman-Messer Navette, das große Vicomte und ein Tafelmesser.
Ich wurde irgendwann mal auf R.Aubry aufmerksam, als im Messermagazin neuere französische Messerkreationen vorgestellt wurden. Jetzt habe ich mich endlich mal überwunden und dieses Messer bestellt. Überwunden insofern, als ich eigentlich vorwiegend Messer mit rund 7 cm Klinge in der Tasche trage und zu größeren Klappmesserklingen nur gelegentlich greife, z.B. dem Buck 110. Und weil ich bisher nur zwei Klappmesser besitze, deren Klingen die 10 cm überschreiten, sollte also mal noch ein großes her. Und zwar kein im Alltag unbrauchbares Tacticalmonster, sondern ein, na ja, Messer halt.
Der schlichte gerade „Zigarren“-Stil des Vicomte kommt meinem Geschmack da sehr entgegen.
Hier erst mal ein paar nüchterne Zahlen:
Klinge aus 14C28, hochglanzpoliert
Klingenlänge 105 mm
Klingenstärke 2,4 mm, mittig 2,0 mm
Klingenbreite 20 mm
Stärke über der Wate 0,3 mm
Griffstärke 16,5 mm
Grifflänge 130 mm
Griffmaterial Wüsteneisenholz, Ebenholz-Zwischenlage
Gewicht 102 g
Mechanik: Slipjoint mit Half Stop, Klinge steht frei im Schacht.
Lieferumfang: Schachtel, Stoffbeutel
R.Aubry bietet auf seiner Website einen Konfigurator , mit dessen Hilfe man sich sein Wunschmesser aus mehr als 11.000 Möglichkeiten zusammenstellen kann: Zweierlei Finish, dreierlei Stähle, 18 Griffmaterialien, vier Linings und 27 Kombinationen von Feilmustern auf Feder bzw. Linern. Nur die Form des Messers ist festgelegt. Noch schafft er es anscheinend, solche Wunschkombinationen innerhalb von moderaten vier Wochen zu liefern. Und natürlich gibt es auch die Möglichkeit einer ganz individuellen Wunschgestaltung.
Unter einem Gentleman-Messer stellt man sich ja normalerweise was ganz anderes vor – so ein zierliches Spielzeug für die Westentasche, zum Fingernägel säubern oder Zigarren anschneiden.
Hier nicht. Das ist ein ausgewachsenes Messer.
Grifflänge 13 cm - dass das Messer groß sein würde, wusste ich vorher. Es kommt mir aber gar nicht soo groß vor, weil es schlank und gerade ist. Die Form erinnert mich sehr an eine Zigarre. Unter den französischen Klassikern kommt es dem normannischen „Pradel“ sehr nahe, ist aber deutlich länger. Die Form der Klingenspitze, eine Art Schafsfußklinge mit leichtem Bauch unten geht etwas in die Richtung wie das Perceval L-08. Zum Essen ganz praktisch.
Was beim zugeklappten Messer zuerst ins Auge fällt: Die weit heraus stehende Klingenwurzel. Ok, das gibt keine Schönheitspunkte, aber bei dieser schlank-geraden Bauweise geht es nun mal nicht anders. Ich nehme es als gegeben hin.
Ein weiterer augenfälliger Punkt sind die drei geköpfelten Niete. Das ist mir sehr sympathisch, denn dadurch werden Pin-Cracks vermieden. Ich habe einige Messer mit im Holz gestauchten Stiften, davon auch mehrere mit dadurch entstandenen Rissen. Deshalb würde ich immer die geköpfelten Niete vorziehen.
Als Drittes springt dann noch das aufwändige Feilmuster in Feder und Platinen als schmückendes Element ins Auge. Man kann das Messer aber auch komplett ohne Feilmuster bestellen.
Viertens und letztens sei noch das wunderschön polierte Wüsteneisenholz genannt, das eine sehr angenehme Haptik bietet. Unter den Griffschalen gibt es noch eine dünne schwarze Lage aus Ebenholz. Kratzige Kanten irgendwo an Griff oder Klingenrücken sucht man vergebens – alles perfekt entgratet.
Das Aufklappen geht leicht mit Daumen und Zeigefinger. Bei 90° gibt es einen Zwischenstop; die Klingenwurzel ist rechteckig ausgeformt.
Ein kleines Manko muss an dieser Stelle genannt werden: die Hochglanzpolitur zeigt jeden Fingerabdruck. Aber das wusste ich vorher, dafür gibt es Putztücher.
Spaßeshalber habe ich auch mal auf der Briefwaage die Kraft zum Einklappen gemessen, 10 cm vor der Achse liegt sie bei rund 730 g. Das ist völlig ok (ich habe Messer, die bei 300 g einklappen), mit dem Messer wird ja nur geschnitten und sonst nichts. Man kann sagen, es ist gut und verletzungsfrei bedienbar, ohne dass man wie z.B. beim Douk Douk Geant Riesenkräfte aufwenden und arg auf seine Finger achtgeben muss.
Nagelkerbe gibt es keine. Ist auch nicht nötig, und das Reinigen geht leichter vonstatten.
Kommen wir zur Klinge: den obigen Daten kann man entnehmen, dass das Vicomte eine dünne Klinge hat. Sie ist an der Klingenwurzel 2,4 mm stark, auf halber Klingenlänge 2 mm, flach geschliffen mit einer ganz minimalen Wate. Es war mit meinem Meßschieber, der Zehntel mm anzeigt, nicht genau zu sagen, ob sie hinter der Wate 0,2 oder 0,3 mm stark ist.
Will sagen, das ist ein Schneidwerkzeug und kein Brecheisen. Die dünne Klinge war für mich einer der Hauptgründe, das Messer zu erwerben.
Ich war etwas skeptisch, wie sehr die hochglanzpolierte Klinge möglicherweise an Schnittgut wie Camembert klebt; erste Feldversuche zeigten aber, dass die Sorge unbegründet war. Kommt aber vermutlich auch auf den Reifegrad des Käses an … obwohl, dann klebt er wohl an allem fest
Das Messer hat ein erstaunlich geringes Gewicht, weniger als die Hälfte meines Buck 110. Klar, es hat keine Backen und eine dünne Klinge. Die Platinen sind etwas weniger stark, als ich es von meinen anderen Franzosen kenne, und sie sind skelettiert. Von daher wäre es durchaus möglich, das Messer in der Hosentasche mitzuführen. Wegen möglicher Verwechslungen lass ich das aber besser
Fazit
Auf der Habenseite stehen die hohe Alltagstauglichkeit, das vergleichsweise geringe Gewicht, die edlen Materialien und ein mehr als fairer Preis.
Als einen gewissen Mangel mag so manch einer die Schlichtheit der Linien und den weit herausstehenden Klingenfuß ansehen.
Aber was soll‘s. Ich bin kein Raucher, denke mir aber, dass der Liebhaber einer Havanna sich wenig Gedanken darüber macht, dass ein Zigarillo etwas eleganter daherkommt.
Anhänge
-
R Aubry Vicomte (3).JPG396,6 KB · Aufrufe: 850
-
R Aubry Vicomte (4).JPG394,7 KB · Aufrufe: 626
-
R Aubry Vicomte (7).JPG417,3 KB · Aufrufe: 598
-
R Aubry Vicomte (9).JPG436,9 KB · Aufrufe: 555
-
R Aubry Vicomte (1).JPG378,9 KB · Aufrufe: 492
-
R Aubry Vicomte (10).jpg131,3 KB · Aufrufe: 476
-
R Aubry Vicomte (13).JPG456,8 KB · Aufrufe: 496
-
R Aubry Vicomte (12).JPG392,5 KB · Aufrufe: 491
-
R Aubry Vicomte (15).JPG334,5 KB · Aufrufe: 681
-
R Aubry Vicomte (21).JPG382,7 KB · Aufrufe: 624
Zuletzt bearbeitet: