Rough Ryder Reserve Humpback - amerikanischer Patriot aus China

pebe

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Rough Ryder Reserve Humpback


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Rough Ryder ist eine Marke von Smoky Mountain Knife Works, einem ziemlich großen U.S. Händler mit dem vermutlich weltweit größten Ladengeschäft für Messer in Sevierville, Tennessee.

Der Name Rough Ryder kommt von einer Art berittener Elitetruppe.

Ende des 19. Jahrhundert wurden 2.000 Männer handverlesen ausgesucht, um mit Teddy Roosevelt im Spanisch-Amerikanischen Krieg zu reiten.

Und. Rough Ryder Messer werden Made in China produziert. Die Reserve Serie sind dabei die Premium Modelle mit Kürzel RRR.

Meines ist ein solches Reserve, ein großes Humpback - ein Buckliger.

Mit D2 Stahl Klinge und Micarta Burlap Griffschalen. Die Klinge ist 9,2cm lang und der Griff mißt satte 12,5cm.

Ein imposanter Klapper mit 21,7cm Gesamtlänge und exakt 120g auf der Küchenwaage.


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Da gibt’s nix zu maulen. Denn. Ich habe dieses im Klassikerbereich eher seltene Großformat bewußt ausgesucht - wenn schon, denn schon.

Geschlossen springt auf den ersten Blick nichts ins Auge, das ein Stirnrunzeln auslöst. Im Gegenteil. Form und Materialwahl sind eine ausgesprochen gefällige Erscheinung.

Ok. Die Klinge ist leicht offcenter, aber dies in einem noch akzeptablen Ausmaß. Geschenkt.

Wenn man es öffnet, bleibt der erste gute Eindruck. Sauberer Halfstop. Schönes Klingenfinish. Die Klinge hat kein Spiel, knackigen Walk and Talk. Wunderbar.

Der Federwiderstand ist mittel, finde ihn aber gängig ausreichend.

Dann jedoch fällt die überbreite Fase auf der rechten Seite auf. Die andere Seite bleibt zwar schmal, hat aber erkennbar zwei verschiedene Winkel.

Der Schnitt durch Papier ist rau. Für mich eigentlich kein Problem, läßt sich leicht beheben, aber das Schliffbild bleibt halt dennoch unschön.


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Ab hier schauen wir dann etwas genauer hin.

Das Micarta Burlap gefällt mir generell sehr gut - ich stehe einfach auf dieses Kaffeesackmuster im warmen Naturton.

Es ist, wie die Nieten, sauber und glatt verschliffen, wirkt jedoch etwas griselig mit einigen hellen Stellen. Jedenfalls scheint der letzte Schritt zu fehlen - irgendwie noch roh. Kenne das überwiegend versiegelt.

Der Schild hingegen ist sauber eingelassen.


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Die Linien um die Messingliner sind etwas ausgefranzt. Teils zur Feder (vorne), teils zum Micarta (hinten) hin. Vermutlich wurden die Liner nicht sauber entgratet. Schade.


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Und für CNC Zuschnitt dann doch ungewöhnlich dieser Spalt an prominenter Stelle.


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Die Rillen etwas oberflächlich und innen erkennbar mit grob belassenen Finish. Diese Nachlässigkeit zieht sich leider vielfach so durch - wie man hier an weiteren Details gut erkennen kann.


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Die Griffschalen sind recht kantig geblieben, nur minimal gebrochen. Das wirkt wie einmal kurz drüber gegangen, statt handgerecht angerundet.

Meinem Eindruck nach sind die Einzelteile des RRR Humpback weitgehend CNC präzise hergestellt, aber die letzten Schritte der Versäuberung kaum oder mit wenig Hingabe umgesetzt.

Es gibt auch technische Nicklichkeiten.

Die Klinge ist nicht nur leicht offcenter, sondern auch einiges schmaler als die Rückenfeder. Entsprechend gibt es geöffnet überdeutliche Spalten zu den Backen. Kann man anders lösen, egal welche technische Überlegung dahinter steckt.


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Dann. Ich mag es eigentlich sehr, wenn man mit großen Händen ein Messer ordentlich halten kann. Hier ist es aber selbst mir locker einen halben Zentimeter zuviel des Guten. Die hintere Rundung schmiegt sich nicht mehr bequem in die Hand sondern stört etwas, wenn ich das Messer ganz normal vorne greife.

Reichlich Luft für etwas kürzer wäre vorhanden und macht dann den Unterschied von groß nach zu groß. Die Handlage wie das Design sind am Ende natürlich auch eine Frage der persönlichen Betrachtung.


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Jedenfalls. Es ist schon viel Griff für die vorhandene Klingenlänge. 😋


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Yup. Ich weiß. Ganz schön viel Gemaule.

Und doch ist es hier etwas anderes als bei einem alten Solinger Muster mit Unsauberkeiten. Werden jene mit den alten, abgenutzen Werkzeugen hergestellt, bekomme ich wenigstens einen gedengelten Oldtimer und kein CNC Fertiggericht .

Einverstanden, auch dort war und ist zuweilen erkennbar eine unnötige Lieblosigkeit dabei, die mir den Blutdruck hoch treibt.

Meine beiden GEC, die ich hier vorgestellt hatte, zeigen jedoch eindrucksvoll, wie es besser geht.


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Das ist am Ende natürlich auch eine Preisfrage. Meine GEC haben aus zweiter Hand mehr als dreimal soviel gekostet, wie das reduzierte RRR.

Doppelter Preis in Neu ohne deftige Seltenheitsaufschläge und Importkosten trifft das Verhältnis zum Vergleich jedoch genauer.

Dann wären wir bei etwa 90 zu 180 Euro. Ein Custom Heritage liegt bei 500 Euro und deutlich darüber. Und genau mit dieser Betrachtung wird ein Schuh daraus - you get what you pay for.

Mein triple R habe ich im Angebot für 69 Euro gekauft. Zu diesem Preis erhält man nahezu unschlagbar viel Messerqualität. Nicht perfekte, aber grundsolide und auch mehr als reine funktionale Qualität.

Mit den GEC oder auch einem Moki Fish Owl wird es dann schon ziemlich perfekt, hier kann man eigentlich nur die Raffinesse im Detail und die besonderen Zutaten eines Custom vermissen.

Wer nur ein sehr ordentlich und solide gemachtes Klappmesser im Klassik Stil zu einem Top Preis sucht, wird in der Reserve Serie wohlfeil fündig.

P.S. Bei allen Rough Ryder Modellen warnt ein Onlinehändler direkt davor, dass eine rustikale Verarbeitung keine Reklamationgrundlage ist.

grüsse, pebe
 
Zuletzt bearbeitet:
Schöne Vorstellung und eine gute und ausgewogene Beschreibung. Ich habe mein erstes RR (Trapper) 2004 in den USA gekauft. Als Austauschschüler war das Budget begrenzt und Cowboystiefel wichtiger. Bisher hat mein Trapper als Alltagsmesser durchgehalten. Mittlerweile haben sich so 10-12 Modelle, oft als Geschenk, angesammelt. Kleine Spalten, nicht ganz zentrierte Klingen muß man in Kauf nehmen, schlecht verarbeitet ist eigentlich nur eins davon.
Aber eine Art emotionale Bindung ( ich hoffe, ich muß nicht in Behandlung😀) wie bei einem Klassiker kommt bei mir nicht auf.
 
Rough Ryder ist wirklich ne ordentliche Hausnummer, wenns um traditionelle Old-School-Messer geht.
Ja, manchmal sind kleinere Unebenheiten u.ä. zu erkennen, aber für den Preis kann man getrost damit leben.
Nur bei der Carbonstahl-Serie ist etwas Vorsicht geboten, da die T10-Klingen ab und zu verzogen sind.
Macht aber nichts, da lebenslange Garantie.

Aber wenn man die Ryders mit anderen Herstellern, insbesondere "CASE" vergleicht, haben die Reiter eindeutig die Nase vorne und das bei nem 10tel des Preises!
Bei Case-Messern findest du teilweise Spaltmasse, durch die man nen Briefumschlag schieben kann, ähnliche kleine Produktonsfehler sind ebenfalls präsent.
Aber dafür sind die Teile auch made in U.S.AAAA!!!

Fazit: Rough Ryder oder, wie falsch verstandener Nationalstolz(CASE USA) total überteuert sein kann...(n)

Erstaunlicherweise erfreuen sich die Ryders in den "United States of Armageddon" einer immer grösser werdenden Fangemeinde.

Schaut euch die Produktpalette mal an, this shit is HOT!!!:love::love::love:
 
Besten Dank für die Vorstellung des Rauhen Reiters @pebe

Mir gefallen vor allem die Klingenform und das Jute-Micarta - das Gesamtpaket wäre mir dann allerdings doch zu wuchtig.

So ein paar kleinere Modelle könnten mir allerdings schon zusgen ... ;)

Bonne soirée

Virgil


PS.: Kleiner Exkurs zur erwähnten CNC-Bearbeitung

Wenn ich die Bilder und Bearbeitungsspuren richtig interpretiere, sieht die Oberfläche für mich nicht nach finaler CNC-Bearbeitung aus, sondern eher nach schnellem Überschleifen des zusammengebauten Messer mit groben Band und ordentlich Druck. Vielleicht kommt die Rohform aus der CNC-Fräse, was ich aber auch nicht glaube, alleine wegen des höheren Maschinenstundensatzes und der relativ einfachen Formen.

Außerdem kommen die Messer aus China, wo die Lohnkosten, trotz Steigerungen in den letzten Jahren, immer noch so günstig sind, daß diese Art von Messer von Hand gefinished werden. Lohnt sich übrigens auch noch in Thiers, wo auch kaum was aus der CNC-Fräse fällt.

Ganz im Gegensatz zu den Italienern in/um Maniago. Ich bin bei Lionsteel durch die Fertigung geführt worden: dort werden in der Tat alle Einzelteile separat auf Endmaß gebracht (CNC + z. B. Polieren oder Nachbearbeitung in Trowalisiermaschinen) und erst dann montiert. Zur Vermeidung von Ausschuß durch zu enge Fertigungstoleranzen, ist die Gestaltung der Messer so, daß das Problem von ungenauen Übergängen von einer Komponente zur nächsten am besten gar nicht erst auftritt.

Beispiel: das Viper Key - trifft aber auch fast alle Messer aus Maniago zu. Hier gibt es kein Überschleifen des fertig montierten Messers.

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Ja, manchmal sind kleinere Unebenheiten u.ä. zu erkennen, aber für den Preis kann man getrost damit leben.

Die Einen so, die Anderen so.

Du kaufts Dein erstes Messer, vielleicht noch das zweite, weil Du was zum Schneiden möchtest oder sogar brauchst. Spätestens ab dem dritten Messer hat der Kauf eine andere Überschrift und drückt eher aus, womit Du leben willst oder eben nicht. 😋

grüsse, pebe
 
Ich zähl grad genau 8 Ryders, die neben mir auf dem Schreibtich liegen und ich lebe prima damit!
Gut, 2 davon haben leichten Verzug in der Klinge, aber die hab ich bewusst als deutlich ermässigte B-Ware so gekauft...
Alles cool, kann mich nicht beschweren.:cool::
 
PS.: Kleiner Exkurs zur erwähnten CNC-Bearbeitung

Es war nicht abschließend herauszufinden, mit welchem Maschineneinsatz Rough Ryder produziert wird. Es gibt auch eine Produktion in Pakistan.

Vom Ergebnis hinterlassen die Messer den Eindruck, dass fertige Teile nur noch zusammengefügt und nicht nachgearbeitet werden, obwohl es vom Zustand für ein sauberes Finish notwendig wäre.

Ich hab‘ jetzt dafür den Begriff Fertiggericht gewählt, weil es den Unterschied aus meiner Sicht ganz gut trifft.

grüsse, pebe
 
Vom Ergebnis hinterlassen die Messer den Eindruck, dass fertige Teile nur noch zusammengefügt und nicht nachgearbeitet werden, obwohl es vom Zustand für ein sauberes Finish notwendig wäre.

..und genau hier liegt dann auch der Unterschied zu GEC und sicher auch einigen deutschen Manufakturen, was sich dann eben im Preis widerspiegelt: Typically, more than 200 individual processes are required to produce a Great Eastern Cutlery pocket knife.

Dennoch wieder eine interessante Vorstellung von Dir.

Grüße
 
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