Schön. Alt. Solinger!

Abu

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Werte Messerfreunde,

meine Vintage-Messer bieten mir, neben dem Interesse am Messer, immer auch einen emotionalen Reiz. Denn ihnen ist Geschichte schon eigen, und in Geschichten lassen sie sich leicht verweben. Wie diese beiden Schönen, Alten...

PREMIER...
....auf den Klingengang der Vorderseite gestempelt, dazu "Life Time"; Rückseite "British Zone Germany". Schalen Perlmutt, Stahl rostfrei, Werkzeuge: Kniep, Federklinge, Korkenzieher mit Schnürchen, Schere, Decknagelfeile; Neusilbererle, Länge geschlossen 82 mm.

Ich konnte nebenbei wieder einige Solinger Fachbegriffe dazu lernen. Der Vorbesitzer musste es wissen, er hatte in den 50ern noch den Beruf des Messermachers bei der Firma C. Schlieper erlernt. Dieses feine Herrenmesser hat er jedoch nicht gebaut. Womit wir in der Zeitgeschichte wären.

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"1946" hat jemand auf die Klinge geschrieben und damit das Herstellungsjahr präzisiert. Sonst hätten wir uns zumindest in der Zeitspanne von 1945-1949 bewegen müssen. In jenen Jahren verwalteten die Britischen Alliierten ihre Zone, nachdem das zwölf Jahre währende Tausendjährige Reich untergegangen und die BRD noch nicht gegründet war.

Mit der englischen Beschriftung zielte das Messer vmtl. auf den Absatz bei den westlichen Alliierten. Für Deutsche war so ein Messer reiner Luxus, erst mussten die Mägen gefüllt werden. Städte lagen noch in Trümmern, es herrschte Mangelwirtschaft; dieses Messerchen mit dem stolzen Namen "Premier" scheint das gut zu belegen. Die Perlmuttschalen sind aus vier Teilen beidseitig mittig zusammengesetzt - Verwendung verfügbarer Reste? An ihren Stoßkanten wurden jeweils noch Zierrillen eingeritzt. Immerhin: In Solingen (?) war die Manufaktur schöner Taschenmesser wieder angelaufen.

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Das Messer hat Deutschland übrigens nicht verlassen, sondern die Zeit sorgsam in einer Schatulle in Solingen überdauert. Ein Stück Zeitgeschichte 1946 - 2016: 70jähriges Herrenmesser und 70 Jahre NRW.


Anonymus...
...ist ohne jeden Hinweis auf seine Herkunft. Dennoch tippe ich auf eine Solinger Manufaktur, weil mir diese Art der Champagnerhaken bisher nur von dort bekannt sind. Und durch Verwendung eines korrodierenden Stahls erscheint es mir deutlich älter als "Premier". Es ist geschlossen 90 mm, ausgestattet mit fünf Werkzeugen: Hauptklinge, Federklinge, Champushaken, Nagelfeile mit Reiniger, Korkenzieher in ungewöhnlicher, mittiger Position, Messingplatinen mit verziertem Rand (sog. milled edge), Perlmuttschalen mit Neusilberstiften. Kräftige Federn lassen die Werkzeuge nur so "klicken", schöner Sound!

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"Wertschätzung", so lässt sich die kurz gefasste Geschichte dieses Messers sicher am besten überschreiben. Es muss einem frühen Vorbesitzer mal krachend auf den Boden gefallen sein, eine Perlmuttschale zersplitternd. Wird ihn sehr getroffen haben, was wir als Messerfreunde ja nachvollziehen können. Denn er ließ seinen edlen Begleiter wieder reparieren, was schon mal Kenntnis bzw. Recherche der Möglichkeiten voraussetzte.

Ich hoffe doch, dass diesem feinen Herrenmesser ein ähnliches Malheur in meinen wertschätzenden Händen erspart bleibt. Denn wo sollte ich es heutzutage reparieren lassen, wer könnte so eine handwerkliche Reparatur überhaupt noch leisten?


Wenn mir ein Experte Hinweise zu Herstellern bzw. Bauart von Teilen geben könnte, würde ich mich freuen; meine Geschichte zu den Messern muss ja noch nicht zu Ende geschrieben sein.

Gruß
Abu
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Schön. Alt. Solinger?!?!

Hallo Abu,

vielen Dank für den schönen und interessanten Bericht. Dein Beitrag ist meiner Meinung nach eine echte Bereicherung für den Messer-Interessierten und zudem mit zeitgeschichtlich wertvollen Informationen versehen. Ein guter Grund, warum es sich immer lohnt, den Vintage-Bereich aufmerksam zu beobachten. Gerne mehr davon!

Alles Gute
lvk
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Schön. Alt. Solinger?!?!

Moin Abu,

vielen Dank für den wunderbaren Bericht, der mich sehr erfreut. Die Emotionalität, die Du beschreibst, ist deutlich spürbar. Kenne ich zum Glück auch ;)

Beste Grüße,

Nick
 
Hallo Ivk & Nick..

...und danke für Eure Kommentare. Macht halt alles Freude: Messer, Recherchern, Geschichte(n) und solche Feedbacks.

Gruß
Abu
 
Man kann sich beinahe in deiner Beschreibung verlieren und hofft, dass man nicht so schnell zum Schluss kommt. Ich wünsche dir noch etliche Funde dieser Art, die dich und uns auf Ausflüge in die Vergangenheit mitnehmen. Welch herrlicher Gegensatz zur heutigen CNC- und Lasermesserwelt.
 
Danke, Peter1960, geht runter wie Öl!:p
Ich bleibe weiter auf der Suche nach Schätzchen & Geschichten, Messern mit Seele.

Gruß
Abu
 
Eine sehr schöne Geschichte zu einem sehr schönen Messer!

Danke das Du das hier präsentiert hast!
 
Wenn mir ein Experte Hinweise zu Herstellern....
Bin ich sicher nicht, soll ich jetzt schreiben oder nicht; Ich wage es mal:
Mit der englischen Beschriftung zielte das Messer vmtl. auf den Absatz bei den westlichen Alliierten.
Jepp, das Messer wurde wohl für den Export gebaut, entweder nach Kanada oder in die USA. In beiden Ländern existierten ab 1921 Handelshäuser namens Premier, die die Handelsmarke Lifetime führten und unter anderem Messer aus Solingen importierten. In wie fern die beiden Handelshäuser untereinander in Beziehung standen Weiß(ich)AuchNet.
Infos aus Levine`s GUIDE TO KNIVES AND THEIR VALUES (Vierte Auflage).

Ein schöner Bericht passend zu dem Messer!

Claus
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke Claus, aka "WeißAuchNet", Dein Understatement ehrt Dich, weißt ja doch einiges! Z.B. wo man suchen muss, finden kann und dann die richtigen Rückschlüsse zieht. Das macht Sinn, und ich kann meine Geschichte zur Geschichte fortsetzen :super:

"Mich verwundert, dass bereits ein Jahr nach Ende des verheerenden Krieges in einer Solinger Manufaktur wieder so hübsche Messer hergestellt wurden. Aber Produktion ist das eine, viel wichtiger für den nachhaltigen Erfolg jedoch der Absatz. Man kann generell wohl kaum davon ausgehen, dass Produkten aus "Germany" die ausländischen Märkte damals offen standen. Es sei denn, alte, vertrauensvolle und persönliche Beziehungen aus der Zeit vor dem 3. Reich hatten überdauert und konnten nun neu belebt werden.

Die dankbaren Hinweise eines MF-Kollegen scheinen das zu bestätigen. Sowohl in Kanada wie den USA existierten seit 1921 Handelshäuser namens PREMIER, die die Handelsmarke Lifetime führten und unter anderem Messer aus Solingen importierten. Tatsächlich tummelten sich in den "Roaring Twenties" etliche Solinger Betriebe auf dem US-Markt, teilweise indirekt unter Namen und Marke von großen Handelshäusern. Damit scheint der Vertriebsweg geklärt zu sein, aber wer hat das PREMIER-Messer produziert?

Ich stelle mal die These auf, dass derartige Aktivitäten in den jeweiligen Besatzungszonen genehmigungspflichtig waren und dabei auch Einblick in die Akten "brauner" Vergangenheit genommen wurde. Meine subjektive Schlussfolgerung im Ausschlussverfahren: Zumindest die Manufaktur Hartkopf & Co./Teufelskerle war es NICHT. (Wen es interessiert, s. Spiegel 1.64, vorletzter Absatz.http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46162641.html ).

"Whodunit?", wer also war's? Bertram? Böker? Für Hinweise und Tipps, die zur Identifizierung des "Täters" führen, setze ich zwar keine Belohnung aus, aber mein Dank ist ihm sicher.

Schönen Tag
Abu
 
Hallo Abu,

schönes Messer und auch schön, dass es jemand aus dem Forum das Premier ersteigert hat.
Im Übrigen, sorry, dass ich den Preis hochgedrückt habe, war der zweithöchst Bietende ...
Was die Beschriftung angeht, es handelt sich dabei um Cutlery Ink, was ein Zeichen dafür ist, dass es eigentlich nicht für den Verkauf gedacht war, sondern dass es sich um ein Musterexemplar für einen Vertreter handelt.
Diese Messer wurden natürlich mit besonderer Sorgfalt gebaut.

Gruß, Helge
 
...Was die Beschriftung angeht, es handelt sich dabei um Cutlery Ink, was ein Zeichen dafür ist, dass es eigentlich nicht für den Verkauf gedacht war, sondern dass es sich um ein Musterexemplar für einen Vertreter handelt. ... Gruß, Helge

... oder das Messer stammt aus dem



Mustersaal, der bei kleineren Firmen bescheiden als Musterzimmer deklariert wurde.

Grüße und mein Kompliment zu der eindrucksvollen Beschreibung!

cut
 
Hallo Helge,
Ja, das Messerchen hätte auch in Deiner Vintagesammlung eine gute Heimat gefunden. Sorry...

@ Helge & Cut
Danke für Euren Input, es ist wirklich unglaublich, was sich mittels des Messerchens alles zutage fördern lässt. Kommt mir vor wie ein kriminologisches Puzzle und macht immer auf's Neue Spaß.:super:

Cut, auf Dich hatte ich eigentlich bei der "Täteridentifikation" gesetzt; wenn Du es nicht weißt, wird's wohl ein Geheimnis bleiben.

Gruß
Abu / Burghard
 
@ sehr schöner, ungewöhnlicher Bericht über zwei ausgefallene Messerkreationen, aber deine ausdrückliche Aufforderung an „Experten“ hat auch mich zunächst verschreckt.
Gerne bin ich bereit, weitere Puzzleteile hinzuzufügen, kann dies aber aus Zeitgründen nur in Etappen ausführen.

Bin ich sicher nicht, soll ich jetzt schreiben oder nicht; Ich wage es mal:
… Kanada oder in die USA. In beiden Ländern existierten ab 1921 Handelshäuser namens Premier, die die Handelsmarke Lifetime führten und unter anderem Messer aus Solingen importierten. In wie fern die beiden Handelshäuser untereinander in Beziehung standen Weiß(ich)AuchNet.
Infos aus Levine`s GUIDE TO KNIVES AND THEIR VALUES (Vierte Auflage). … Claus

John E. Goins beschreibt in seiner 1982 veröffentlichten 2. Auflage „POCKETKNIVES – Markings of Manufacturers and Dealers“ die Firma Premier Cutlery Co. mit Sitz 47 West 42nd Street, New York, N.Y..
Der Geschäftsbetrieb in Kanada war eine Verkaufsniederlassung der Mutterfirma, die neben Lifetime auch andere Marken registriert hatte.
Die Firma importierte Schneidwaren vorrangig aus Deutschland, aber auch aus Großbritannien, Italien und Japan, vertrieb aber auch Messer von US-Herstellern.

Hier ein weiteres PREMIER LIFE TIME Taschenmesser, dass ich 1998 in Solingen auf einem Trödelmarkt erstanden habe, Griffschalen aus grauem Perlmutt-Celluloid, Herstellungszeitraum 1945-1949 ... aber möglicherweise wurden messer auch noch danach mit der BRITISH ZONE Markierung komplettiert und vertrieben:





Grüße
cut
 
Whowwww, ich wusste doch, wo der Experte sitzt:super::super::super:
Danke, dass du dir auch noch soviel Zeit genommen hast und mit Bild dazu, Klasse!

Gruß
Abu
 
In der alphabetischen "Pocketknife Brand List" finden sich unter anderem die beiden Premier, in meiner Ausgabe auf Seite 71.

Claus
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Ha, wie man sich trifft ... auch ich hatte mich in die Liste der Erwerbswilligen eingereiht, war dann aber schnell (naja, relativ) wieder ausgestiegen, da das nicht so ganz mein Beuteschema ist ...

Zum Thema "Hersteller" ("Premier" als Handelsfirma und Markeninhaber ist ja nicht der Hersteller): Vor einiger Zeit gab's mal ein Angebot eines ähnlichen schönen Teils, ebenfalls mit "British Zone"-Stempel - das war von Krusius ... der Preis war allerdings etwas irrsinnig, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Aber da wäre zumindest schon mal ein potentieller Kandidat, der im fraglichen Zeitraum und mit dieser Kennzeichnung produziert hat. Und m.W. hat Krusius auch eher qualitativ hochwertige Sachen produziert, was wiederum zu diesem schönen Stück passen könnte. Natürlich ist das keine Aussage zu "whodunnit", sondern nur ein Hinweis, um den Kreis möglicher Hersteller einzugrenzen.-

Ich nehme an, daß es so schnell nach dem Krieg nicht allzuviele Betriebe in Solingen gegeben haben dürfte, die schon wieder produzieren konnten/durften, was v.a. die Hersteller der zuvor zeittypischen Dolche etc. (die ja i.d.R. auch nicht gerade Kleinhersteller waren) ausschließen sollte ...

Gruß
 
.... Krusius ... wäre zumindest schon mal ein potentieller Kandidat, der im fraglichen Zeitraum und mit dieser Kennzeichnung produziert hat.

....was v.a. die Hersteller der zuvor zeittypischen Dolche etc. (die ja i.d.R. auch nicht gerade Kleinhersteller waren) ausschließen sollte ...

Gruß

Hallo boogerbrain aka Kai,

Danke für den Hinweis, hätte ich auch drauf kommen können:confused:, denn ich kann mich an das Krusius-Messer wegen des erstmals gesehenen Stempels erinnern! Schon mal einer mit Lizenz.

Ich folge auch deiner Überlegung des Ausschlussverfahrens. Wenn ich mir die Vielzahl an RZM-Nummern und Klingenstempel derartiger Datensammlungen ansehe, dürften nicht mehr viele Solinger übrig bleiben. NACHTRAG, hab gerade nochmals nachgesehen: auch Krusius hatte Dienstdolche hergestellt....

Schönen Tag
Abu
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Burghard,

stimmt natürlich, Krusius war auch dabei - dann taugt die Annahme zur Eingrenzung wohl nicht so sehr. Na, vielleicht ein wenig :)

Hier https://register.dpma.de/DPMAregister/marke/register/862212/DE steht übrigens ein Eintrag zu Premier Life Time ... allerdings mit Zusatz "K85". Der Eintrag paßt aber auch zu anderen Einträgen im Thread (Verweis auf Premier Cutlery, Toronto, Ontario, Kanada) ...

Nachtrag: https://register.dpma.de/DPMAregister/marke/register/668898/DE - ein Eintrag OHNE K85 ... paßt auch vom Logo her besser, denke ich. Gehört aber zu selben Firma.

Gruß
Kai
 
In der alphabetischen "Pocketknife Brand List" finden sich unter anderem die beiden Premier, in meiner Ausgabe auf Seite 71.
Claus

Besten Dank, Claus!

Bernard Levine`s GUIDE TO KNIVES AND THEIR VALUES war in einer früheren Auflage mein Einstieg in die internationale Sammelleidenschaft von Messern. Die vierte und umfangreichste Auflage hat an Aktualität nichts eingebüsst.




@ boogerbrain / Kai

Sicherlich ist Dir aufgefallen, dass die Anmekldetaten für die beiden Markenzeichen weit nach den Zeitraum liegen, der für "Made in British Zone" realistisch ist.

Grüße
cut
 
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