Sesam, öffne..-3- Jagdliche

Abu

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Werte Freunde schöner, alter Klappmesser,

zu den Solinger Klassikern, die alle Krisen überdauert haben, zählen ganz sicher die Jagdmesser oder, weiter gefasst, jagdliche Messer. Nun müssen Jagdmesser nicht alle Hirschhornbeschalung haben, aber typische Solinger Messer mit diesem Griffmaterial fasse ich hier mal so zusammen. Dabei ist auch die (vermeintlich?) HARTE NUSS.:ahaa:

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GEBR. GRÄFRATH

Die Messer der Gebr. Gräfrath sind unter Sammlern beliebte Objekte, deshalb habe ich mich bisher da zurückgehalten. Nun besitze ich plötzlich drei, mit dem im Teil 1 gezeigten Stiefelmesser. Unterschiedlicher könnte das Trio aus der Angebotspalette kaum sein.

Dieser Winzling mit einer GL von 140 mm ist das "Westfälische Adelsmesser" in 1-teiliger Ausführung. Die Klinge ist aus korrodierendem C-Stahl, für mich deshalb Baujahr eher 50er als 60er Jahre.

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Das gleiche Messer hat auch heute noch HUBERTUS im Programm. Was nicht verwundert, denn im Jahr 1961 haben RITTER/HUBERTUS die Manufaktur Gräfrath übernommen. Diese Vorgeschichte betrifft auch das folgende Messer.

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Form und Merkmale sind bekannter Solinger Standard dieses Messertyps. Besonders markant ist der am Griffende liegende Hebel zum Lösen der arretierten Klinge. Für mich erstaunlich, wie sich dieser ergonomisch-haptische Widerspruch bis in die Neuzeit retten konnte. Das kantige Metallstück macht einen längeren Einsatz zur Tortur, Druckstellen am Handballen sind wahrscheinlich. Vielleicht geht es ja den Käufern und Nutzern so wie mir: Ich mag diese Messer einfach.

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Und DIESES hat mich besonders überzeugt: leichtgängige Klinge beim Öffnen, mäßiger Daumendruck auf den Hebel, und die Klinge pendelt herab. Arretiert jedoch absolut fest, keine Wackler oder Spiel. Obwohl die Klinge wie so oft nicht mittig steht, ein handwerklich überzeugendes Produkt mit sehr schönen Hirschhornschalen. Dazu als Repräsentant deutscher Messer-Kultur ein sozialverträgliches Gebrauchsmesser, das aber wohl doch in der Sammelvitrine verbleiben wird. Fünfzig Jahre unbenutzt, das muss ich nicht mehr ändern.

Dieses Gräfrath mit GL 187/KL 82 mm hat bereits eine Klinge aus rostfreiem Material. Herstellung 60er Jahre, als die Gräfrather noch einige Zeit parallel zum Hubertus-Programm gefertigt wurden?

Wie gesagt "Solinger Standard", doch bevor Ihr ermüdet - es wird spannender!


BÖKER

Arretierung geht auch anders, verdeckt, anspruchsvoll und viel schöner. Das BÖKER hat eine sog. Federmesserdrücker-Funktion, durch Druck auf die kleine Klinge löst sich die arretierte Hauptklinge. Dieses wunderbare, recht große Messer (GL 215/KL 95 mm) weist dazu einige weitere, nicht sogleich ersichtliche Feinheiten auf. Die mittelspitze Klinge ist aus korrodierendem Stahl, Zustand und Schimmer lassen mich blaugepliestet vermuten.

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Evtl. auch ein erster Hinweis auf ein älteres Baujahr. Zwei weitere finden sich in den Stempeln des Klingengangs und des Buttons im Griff.

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Die Hauptklinge trägt nur den "Baum" auf dem rückseitigen Klingengang, die Federklinge nur die Firmierung auf der Vorderseite, der Button ist ohne Beschriftung!

Anlässlich des 140. Firmenjubiläums der Firma Böker hat ein Mr. Mark D. Zalesky in einem Artikel der "Knife World" mal versucht, Struktur in Stempel, Button sowie Zeiträume ihrer Verwendung zu bringen. Was für amerikanische Sammler gedacht war, könnte ja auch für uns nützlich sein - ich orientiere mich hier mal daran. Es muss nach seinen Angaben eine Heidenarbeit gewesen sein, denn es gab unzählige, auch immer mal ein sowohl-als-auch. Erschwert wurde seine Recherche auch durch die Zerstörung des Böker-Werkes während des 2. WK.

Mein BÖKER-Messer hatte danach ein anscheinend günstigeres Schicksal, denn es hätte die Kriegswirren unbeschadet, ja glänzend, überstanden. Nach der obigen Nomenklatur läge seine Herstellung nämlich vor dem 2. WK!!! Bei DEM ZUSTAND - ich mag es kaum glauben.:confused: Vielleicht werde ich von einem Experten hier im MF ja noch desillusioniert.....


FINDELKIND

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Mein Appell: Experten herbei! Das erscheint bei dem folgenden SPRINGER wohl notwendig. Herkunft Solingen, so steht es gestempelt im Klingengang, dazu rostfrei. Vaterschaft unbekannt, kein Hinweis zu finden. Der Patronenzieher deutet auf Gräfrath/Hubertus, die ihn auch heute noch im Einsatz haben. Ein Kenner der Szene hat meine Vermutung bestätigt, ergänzte aber, dass gleiche auch von PUMA verbaut wurden. Ich hab HUBERTUS angeschrieben, Herr Ritter verneinte jedoch seine Manufaktur als Hersteller, wollte aber auch noch weiter recherchieren.

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Insbesondere der Mechanismus war bisher allen unbekannt. An einen vermuteten Prototyp glaube ich nicht, denn das Messer lag bei einem Händler - oder jener hatte ein eigenes Modell. Wäre immerhin möglich, aber ein so komplexes Messer? Vierteiler, GL 200/KL 90mm.

Technisch, so scheint mir, war dieser Springer-Mechanismus ein konstruktiver Irrweg. Denn ein wesentlicher Vorteil ging verloren: die einhändige Bedienung /Öffnung der Klinge. Versucht man den Hebel einhändig per rechtem Daumen nach außen zu drücken, so blockiert dort unweigerlich die Handfläche. Einzige Möglichkeit: Griff mit einer Hand halten, Hebel mit der anderen lösen. Hinzu kommt, dass der Hebel einen ziemlich langen Arm bis zur Auslösung hat. Ich hoffe, das Bild kann es verdeutlichen.

Handwerklich ist das ein hervorragendes Messer, keine Spalte, stramme Federn, beste Verarbeitung. Schön, dass es in seinen Tagen trotzdem keinen Käufer gefunden hat - sonst wär's nicht bei mir.

Ich hoffe doch, dass die Experten dieses Forums diese harte Nuss knacken können.


Gruß
Abu



PS: Zur Vorgeschichte dieser Messer siehe Teil 1 des "Sesam, öffne dich...
 
Zuletzt bearbeitet:
1. jagdliches von 4

Hallo Abu,

Da hast Du ja eine hübsche Schatztruhe entdeckt! Allerbesten Dank für die Präsentation dieser Klassiker!
Auch wenn bisher keine Resonanz auf Deinen thread erfolgt ist und ich erst jetzt dazu in meinen Unterlagen einsteigen kann, wage ich mal einen Anfang:

...

GEBR. GRÄFRATH … Winzling mit einer GL von 140 mm ist das "Westfälische Adelsmesser" in 1-teiliger Ausführung. Die Klinge ist aus korrodierendem C-Stahl, für mich deshalb Baujahr eher 50er als 60er Jahre. ...

Dieses einteilige Adelsmesser gab es bereits mindestens seit 1927.



Alternativ bot es Gebr. Gräfrath auch mit „Neusilberparierstange mit Patronenzieher für Kaliber 12 & 16“ an.

Die mehrteiligen Gebr. Gräfrath Adelsmesser gab es in verschiedenen Varianten z.B. zusätzlich mit Korkzieher, Federmesserklinge, Universal-Patronenzieherhaken verbunden mit Schraubenzieher, Champagnerhaken, Schraubenzieher mit Kabelabisolierer.

Grüße
cut
 
Ich danke Dir, cut, dass Du mal wieder tief in Dein Archiv eingestiegen bist.:super:
Was ich aus der Werbung / dem Katalog lese, reizt mich (leider wieder Arbeit..) sofort zur Frage des Jahrgangs, gibt es da einen Hinweis? "1a engl. Gussstahl" schien da ein werbewirksames Qualitätsmerkmal zu sein - womit ich die späten 30er ausschließe. Und 20 ?? kosteten ein Dutzend, Reichsmark / DM?
Ja, als "Dickbrettbohrer" bin ich in meiner Wissbegierde des historischen Kontext fast unersättlich:hmpf:

Und nach Deinem "1. von 4" spannst Du mich natürlich auf die Folter der Folgen 2-4!

Gruß
Abu
 
… Was ich aus der Werbung / dem Katalog lese … Abu

Die Abbildung stammt aus einem undatierten Musterbuch, Größe ca. 24x32 cm, mit Abbildungen aller Messer in Originalgröße:



Da ich selbst dieses mehrteilige Adelsmesser von Gebr. Gräfrath (Firmenstempel auf der Rückseite der Klinge, Vorderseite „ROSTFREI“) besitze,



habe ich dazu natürlich bereits versucht, Hintergründe herauszufinden.

… Frage des Jahrgangs, gibt es da einen Hinweis? "1a engl. Gussstahl" schien da ein werbewirksames Qualitätsmerkmal zu sein - womit ich die späten 30er ausschließe. Und 20 ?? kosteten ein Dutzend, Reichsmark / DM? … Abu

Von einem anderen Sammler, der ein Lagerbuch und Kataloge von Gebr. Gräfrath auswerten konnte, habe ich erfahren, dass eine Gräfrath Preisliste aus 1908 die Adelsmesserserie noch nicht beinhaltet und ein identischer Gräfrath Katalog folgenden handschriftlicher Vermerk ausweist: „Neue Preise ab 15.10.1927“.

In meinen Unterlagen habe ich in einem Lieferantenbuch von Carl Schlieper eine Abbildung aus dem Gräfrath Katalog eines anderen Gräfrath Messers dieser Serie gefunden mit einem Jahresvermerk „1920“. Demnach gibt es das Messer mit „1a engl. Gussstahl“ offenbar bereits seit mindestens 1919.

Ich bin verwundert, dass man bereits kurz nach Ende des Ersten WK als „werbewirksames Qualitätsmerkmal“ auf Rohmaterial eines ehemaligen Kriegsgegners hinweist.

Die Preisangabe „p.Dtz. 20,- “ bezieht sich eindeutig auf Reichsmark.
Der oben erwähnten Sammler teilte mir mit, dass in einem „Musterbuch No. 26“ von Gebr. Gräfrath (undatiert, Mitte bis späte 1930er Jahre) ein Vermerk „Gußstahl/Rostfrei“ vorhanden ist – allerdings keine Preise.

Grüße
cut
 
....Demnach gibt es das Messer mit „1a engl. Gussstahl“ offenbar bereits seit mindestens 1919.

Ich bin verwundert, dass man bereits kurz nach Ende des Ersten WK als „werbewirksames Qualitätsmerkmal“ auf Rohmaterial eines ehemaligen Kriegsgegners hinweist.

Ja, der politisch-wirtschaftliche Zusammenhang ist schon sehr beachtenswert.
Und unsere kleinen, alten Messer sind die Vehikel, die einen, bei Interesse, auf die Zeitreise schicken können.

Mein Gräfrath macht "sammlerisch" zwischen den Jagdmessern ja nicht wirklich Sinn, unter seinesgleichen ist es sicher besser aufgehoben....

IMG_1215.jpg

Adelsmesser unter sich: Gräfrath, Hubertus, dazwischen Herlitzius. Alle Hersteller vereint, obwohl mein Herlitzius bereits von Hartkopf/Teufelskerle für H. gefertigt wurde. Ich bin immer wieder begeistert wenn ich sehe und probiere, was da in die kleinen Messer verbaut wurde und mit welcher Qualität!


Gruß
Abu
 
# 2. jagdliches von 4

GEBR. GRÄFRATH … Form und Merkmale sind bekannter Solinger Standard dieses Messertyps. Besonders markant ist der am Griffende liegende Hebel zum Lösen der arretierten Klinge. Für mich erstaunlich, wie sich dieser ergonomisch-haptische Widerspruch bis in die Neuzeit retten konnte. Das kantige Metallstück macht einen längeren Einsatz zur Tortur, Druckstellen am Handballen sind wahrscheinlich. ...

Im Vergleich zu anderen klassischen Jagdmessern mit „versenktem“ Drücker zum Entriegeln der Klinge bevorzuge ich zumindest beim jagdlichen Gebrauch den aus der Griffkontur herausragenden Drücker. Er lässt sich insbesondere mit verschmutzten Fingern wesentlich besser betätigen als in „versenkter“ Ausführung, ganz besonders neben einem Korkenzieher. Bei mehrteiligen Jagdmessern bewirken vielmehr die zusätzlichen Funktionsteile (bei geöffneter Klinge an der Schneidenseite des Griffs) eine gewöhnungsbedürftige
Anwendung / Druckstellen an der Innenseite der Finger.


… Dieses Gräfrath mit GL 187/KL 82 mm hat bereits eine Klinge aus rostfreiem Material. Herstellung 60er Jahre, …

In klassischer Jagdmesserform gab es dieses Modell bei Gebr. Gräfrath zumindest ab 1935 mit „Ia engl. (!) Gußstahlklinge“ und alternativ in rostfrei.

 
AW: # 2. jagdliches von 4

?....bevorzuge ich zumindest beim jagdlichen Gebrauch den aus der Griffkontur herausragenden Drücker. Er lässt sich insbesondere mit verschmutzten Fingern wesentlich besser betätigen als in „versenkter“ Ausführung.....

In klassischer Jagdmesserform gab es dieses Modell bei Gebr. Gräfrath zumindest ab 1935 mit „Ia engl. (!) Gußstahlklinge“ und alternativ in rostfrei.

Danke, cut, da spricht der Praktiker, wieder was gelernt! Nur Nützliches hält sich so lange, und der Konstrukteur wusste offensichtlich was er tat. Als Nicht-Waidmann blieb mir der tiefe Sinn verborgen, obwohl ich den Vorteil in Verbindung mit Handschuhen ja schon selbst erfahren konnte!

Dass es so früh schon rostfreien Stahl für Gebrauchsmesser gab, überrascht mich ebenfalls.

Gruß
Abu
 
Fantastic knives Abu, and good information from Cut.
Your spring fired side lever operated knife was offered in at least two variations, which were your multi-blade type and a single blade model. (Picture enclosed of the two)
These two models are marked "Qualitat Solingen", but with no actual makers name as on your model.
I suspect that these knives were made in the 1950s either by "Kaufmann" or with their approval.
A patent exists for nearly the same mechanical operation by "E. Kaufmann" from the early 1900s.

 
Hi Allen,

That are really good news for me! The very very first hint about this exceptional knife. And you seem to be a real treasure of information about Solingen knives.:super::super::super: Now I will try to track that trace. And wait what the Solingen experts may find out.
Do you have any further information regarding that person "E. Kaufmann" and his patent, complete name, registration number?

By the way: the knives shown are both yours? Congrets!

I just took a glimpse again on the blade stamp of my knife which varies slightly indeed as it shows simply "Solingen".

Thank you very much so far. I'm looking forward to hearing from you again!

Abu
 
Hallo Patentexperten alter Solinger,
Ernst Kaufmann hatte mehrere US-Patente, die sich leicht finden lassen.
Umgekehrt hat er 1905 ein Buch veröffentlicht, dessen PatentNummer ich in den US nicht finden konnte, möglicherweise ein DRP 6840? Gibt es eine Chance der Recherche des Inhalts, meine Versuche landeten im Nirvana.
Buch: ORIGINAL PATENT APPLICATION NUMBER 6840 FOR POCKET KNIFE

Das Buch gibt es sogar noch antiquarisch...

Danke vorab
Abu
 
...
Ernst Kaufmann hatte mehrere US-Patente, die sich leicht finden lassen.
Umgekehrt hat er 1905 ein Buch veröffentlicht, dessen PatentNummer ich in den US nicht finden konnte, möglicherweise ein DRP 6840? Gibt es eine Chance der Recherche des Inhalts, meine Versuche landeten im Nirvana.
Buch: ORIGINAL PATENT APPLICATION NUMBER 6840 FOR POCKET KNIFE

Das Buch gibt es sogar noch antiquarisch...

Danke vorab
Abu

Irrtum, Abu.
Ernst Kaufmann hat 1905 kein derartiges Buch veröffentlicht.
Bei der offenbar von Dir "gegoogelten" Quelle handelt es sich allenfalls um einen Ausdruck des vom US-Patentamt registrierten Patentantrags für EIN Messerpatent von Ernst Kaufmann.
Die entsprechenden deutschen Patentanmeldungen sind von Heinrich Kaufmann beantragt worden. Es gibt nach meiner Kenntnis bisher keinen Hinweis, dass entsprechende Springmesser jemals von Heinrich Kaufmann hergestellt oer vermarktet worden sind.

Zu dem von Dir vorgestellten Springmessern und den von Allen ergänzten Informationen kenne ich weitere Veröffentlichungen zu diesem Modell. Alle diese Springmesser sind neutral und ohne Marke eines Herstellers oder Händlers. Eine Fertigung oder Vertrieb durch die ehemals renommierte Solinger Firma Heinrich Kaufmann ist deshalb äußerst unwahrscheinlich.
Ich datiere das Messer auf die Zeit nach dem 2. Weltkrieg und die Herstellung durch eine der ganz kleinen, weitgehend unbekannten Solinger Werkstätten. Diese oft nur aus Inhaber und ganz wenigen Mitarbeitern bestehenden Unternehmen haben überwiegend für andere "große" Solinger Hersteller Auftragsfertigung durchgeführt und sind selbst nie mit einer eigenen Marke in Erscheinung getreten. Diese Werkstätten haben ohne Zweifel oft eigene, neue Ideen umgesetzt und ihren Solinger Kunden angeboten.

Grüße
cut
 
Irrtum, Abu.
Ernst Kaufmann hat 1905 kein derartiges Buch veröffentlicht. ......allenfalls um einen Ausdruck des vom US-Patentamt registrierten Patentantrags für EIN Messerpatent von Ernst Kaufmann.

.....Die entsprechenden deutschen Patentanmeldungen sind von Heinrich Kaufmann beantragt worden. Es gibt nach meiner Kenntnis bisher keinen Hinweis, dass entsprechende Springmesser jemals von Heinrich Kaufmann hergestellt oer vermarktet worden sind....

......Alle diese Springmesser sind neutral und ohne Marke eines Herstellers oder Händlers. Eine Fertigung oder Vertrieb durch die ehemals renommierte Solinger Firma Heinrich Kaufmann ist deshalb äußerst unwahrscheinlich.....

Ich datiere das Messer auf die Zeit nach dem 2. Weltkrieg und die Herstellung durch eine der ganz kleinen, weitgehend unbekannten Solinger Werkstätten. .....sind selbst nie mit einer eigenen Marke in Erscheinung getreten. Diese Werkstätten haben ohne Zweifel oft eigene, neue Ideen umgesetzt und ihren Solinger Kunden angeboten.

Hallo cut, und abermals meinen herzlichen Dank!
Trial & Error sowie Ausschlussverfahren bringen mich Stück für Stück zu einem Ergebnis, das vmtl. aber nie vollständig werden wird. Macht nichts, der Erkenntnisgewinn ist trotzdem formidabel.:ahaa:

Ernst Kaufmann hatte US und GB-Patente, Heinrich, bzw. die India-Werke deren in D und AT (zwischen 1900-1910). Bei einem erneuten Rechercheversuch war ich erfolgreicher und habe insbesondere einige Patente in Österreich gefunden, Springer und Hebelarretierungen. AT sicher deshalb, weil bis zum 1.WK im KuK-Böhmen eine ebenbürtige Konkurrenz zu den Solingern ansässig war. (Wieder mal ein wunderbarer Blick über den Tellerrand in die europ. Zeitgeschichte!)

Dass HK/INDIA auf Basis dieser Patente anscheinend nie Messer gebaut hat, ließe Spekulationen über deren Patentstrategie zu. Manche "sammeln" so etwas für's Renommee - könnte ich mir bei HK gut vorstellen. Der hatte durchaus sehr ausgeprägte Marketingzüge bei der Wahl und dem Design seiner Marken und Namen, wenn ich mal "Mercator" und "k55k" hervorhebe. Mit fast (?) 50 eingetragenen Marken nenne ich das mal Marken-Fetischismus.

Schon deshalb folge ich Deiner Auffassung, dass mein Springer NICHT aus der Manufaktur Kaufmann ist. Anonym, ohne Marke? Das ergäbe bei HK folglich keinen Sinn.

Kleiner anonymer Hersteller mit eigenen Ideen, warum nicht? Vielleicht aus zwei (oder mehr) Patenten den Honig saugen und in kleiner Zahl was Eigenes vermarkten. Wenn ich mir das US- bzw. zwei AT-Patente laienhaft ansehe, dann finde ich Elemente der Hebelfunktion wie auch des Springers darin wieder. (Hier mal nur die AT: "Messer mit durch verdeckt liegendem Excenterhebel festzustellenden Klingen, AT000000013770B; Messer mit Aufspringklinge. AT000000018901B".)

Und ja, Fertigung nach dem 2. WK, sehe ich auch so.

Gruß
Abu
 
# 3 von 4 jagdlichen ... Böker Federmesserdrücker

BÖKER … Arretierung geht auch anders, …

Ich bin verwundert, dass die hier im Messerforum vertretenen BÖKER Baumwerk Experten noch kein Fachwissen zu Deinem Messer veröffentlicht haben, Abu.
Ich erinnere mich, dass sie in Zusammenhang mit der Sonderedition des angeblich „seit Firmenbeginn 1869 produzierten“ mehrteiligen Sportmessers den abenteuerlichen Versuch unternommen haben, ohne Faktennachweis eine Rechtfertigung der ungewöhnlichen/unglaubwürdigen Behauptung zu präsentieren:
http://www.messerforum.net/showthread.php?p=629416#post629416

… Anlässlich des 140. Firmenjubiläums der Firma Böker hat ein Mr. Mark D. Zalesky in einem Artikel der "Knife World" mal versucht, Struktur in Stempel, Button sowie Zeiträume ihrer Verwendung zu bringen. …

Mark Zaleski, Herausgeber von Knife World in den USA, hat mit seiner Veröffentlichung ohne Zweifel eine hilfreiche Zeittafel zur Alterszuordung von Böker Baumwerk Messern erstellt. Ich weiß aus Gesprächen mit ihm und einigen seiner Unterstützern, welche Schwierigkeiten zu dem publizierten Ergebnis geführt haben. Er selbst gesteht auch ein, dass es allenfalls ein Versuch mit gewaltigen Unwägbarkeiten ist und mehrere Fehler sind bereits erkannt. Ich empfinde seinen Beitrag als sehr anerkennenswert und durchaus hilfreich, auch wenn seine Zeittafel im Einzelfall durchaus falsche Rückschlüsse ermöglicht.

… Nach der obigen Nomenklatur läge seine Herstellung nämlich vor dem 2. WK!!! … Vielleicht werde ich … hier im MF ja noch desillusioniert.....

Diese Art von Jagdmessern mit feststellbarer Klinge wurden von Heinrich Böker zur fraglichen Zeit entsprechend der Terminologie anderer Solinger Hersteller als „Nickfänger“ beschrieben.
Die Herstellung in den 1920er/1930er Jahren ist wahrscheinlich. Unter Bezug auf die Argumentation zum „Sportmesser“ könnte ich ich aber durchaus vorstellen, dass Böker möglicherweise auch den Anspruch erhebt, dass der von Dir präsentierte Jagdmessertyp bereits im Jahr der Firmengründung 1869 gefertigt worden ist und „alternative Fakten“ dies belegen …

Grüße
cut
 
AW: # 3 von 4 jagdlichen ... Böker Federmesserdrücker

Ich bin verwundert, dass die hier im Messerforum vertretenen BÖKER Baumwerk Experten noch kein Fachwissen zu Deinem Messer veröffentlicht haben...

....Mark Zaleski....ein Versuch mit gewaltigen Unwägbarkeiten ist und mehrere Fehler sind bereits erkannt. Ich empfinde seinen Beitrag als sehr anerkennenswert und durchaus hilfreich, auch wenn seine Zeittafel im Einzelfall durchaus falsche Rückschlüsse ermöglicht.

....dass der von Dir präsentierte Jagdmessertyp bereits im Jahr der Firmengründung 1869 gefertigt worden ist und „alternative Fakten“ dies belegen …

Schönes Zitat, Cut, das sogleich seinen Platz in der Umgangssprache gefunden hat!
500 Jahre nachdem Martin Luther dem "Volk auf's Maul schaute", "in den sauren Apfel biss", bis er "die Schnauze voll" hatte, und dabei ganz nebenbei den deutschen Wortschatz prägte, schaffen mit Angie Merkel und Mrs. Conway nun zwei Damen die Bereicherung. "Postfaktisch" und "Alternative Fakten" - Luther würde sagen: "Auf Biegen und Brechen" "erstunken und erlogen" und darauf "was husten". (Im Luther-Jahr sei mir der Exkurs verziehen.)

Ja, ich wundere mich auch über die fehlende Resonanz! Gerade bei diesem Böker-Messer hätte ich seitens der sicher zahlreichen und berechtigten Böker-Gemeinde samt prof. Vertreter mit Reaktionen gerechnet. Zum Messer: NICHTS; zur Schlussfolgerung des Alters: NICHTS, kein pro, kein kontra. Traut sich da keiner mehr? Oder lecken sich die Disputierer des von Dir verlinkten Threads aus 2009 noch die Wunden?

Während einerseits von der Totalzerstörung des Böker-Werkes im WK2 zu lesen ist, hat hier ein mutmaßliches Vorkriegsexemplar in seltener Schönheit alle Wirren überstanden! Das ist doch was.

Mangels besserer Quellen orientiere ich mich bei Böker-Vintage-Messern an der Arbeit von M. Zaleski. Ich akzeptiere es als natürlichen Lauf der Dinge, dass sich über die Zeit neue Erkenntnisse einstellen, die alte widerlegen. Aber ich hielt es für eine verdammt gute Idee, wenn seitens BÖKER zum sich nähernden 150jährigen der aktualisierte Stand der "Forschung" unter eigener Flagge publiziert würde. Jubiläumsmesser sind sicher schon in Planung, aber DAS wäre ergänzend den Schweiß der Edlen wert.

Gruß
Abu
 
Danke Claus!
Noch eine Altersbestätigung. Wegen des unglaublich neuwertigen Zustands fiel mir das Alter doch zuerst schwer zu glauben, freue mich natürlich nun umso mehr. Mein BÖKER-Messer scheint dem von Dir im Link gezeigten zu entsprechen, mit zwei Abweichungen, Klingenstempel und Button im Griff.

U. a. das zitierte "lebende Archiv" habe ich im Fall der "harten Nuss" (anonymer Springer) auch mal aktiviert. Ich hatte aus einem anderen Deal noch Verbindung zu einem alten, gestandenen Solinger Taschenmesserreider. Auch er hatte die Mechanik noch nie gesehen, ebenfalls musste das von mir angeschriebene Klingenmuseum passen...

Gruß
Abu / Burghard
 
AW: Sesam, öffne..-3. von 4 Jagdlichen

Zum Böker ... Altersbestimmung ... habe ich selber schon mal bezüglich des möglichen Alters gefragt und von Marc die Antwort bekommen ... Claus

Hallo Claus "WeißAuchNet",
schön, dass Du Deinem nickname nicht gerecht wirst!
Die von Dir verlinkte Antwort von Marc dürfte dann ja wohl auch mit Verspätung Deinen von mir angesprochenen thread zum Böker Sportmesser klären "... Unser lebendes Firmenarchiv schätzt ...".
Kann das "lebende Firmenarchiv" bereits 1869 im Gründungsjahr von Böker aufnahme- & erinnerungsfähig gelebt haben?

@ abu - "zum 3. von 4 Jagdlichen":

Das Alter des Federmesserdrückers ("Nickfänger") ist nach meiner „Aktenlage“ zwar nicht zwingend „vor dem 2. Weltkrieg“ aber durchaus „um 1940“.
Ein wohl auf etwa 1940 (*) zu datierender „JAGD- UND FAHRTEN MESSER“ Katalog bildet das von Dir vorgestellte Messer in Federmesserdrücker Ausführung (No. 180) sowie mit „klassischem Rückendrücker“ (No. 390) ab.
Die zugehörige Preisliste benennt für den Federmesserdrücker sogar zwei Preise:
No. 180 27,60 RM per Dutzend
No. 180 rostfrei 42,- RM per Dutzend

No. 390 42,- RM per Dutzend

(*) Die Preisangabe dürfte beim Vergleich mit historischen Muster- & Preisbüchern anderer Solinger Hersteller eine recht präzise zeitliche Zuordnung ermöglichen. Ich habe mir den Vergleich bisher erpart.

Grüße
cut
 
@ Burghard
Bin erst jetzt dazu gekommen, Deine Trilogie in Ruhe mit allen links zu lesen.
Tolle Messer.
Schöne Bilder.
Informativ und humorvoll unterhaltend geschrieben.
Vielen Dank, auch an alle Mitwirkenden, für dieses Vergnügen.
Schön, dass in diesem Forum wieder richtig was los ist.
Gruß Frank
 
@cut
Großartig, Deine ergänzenden Infos, alte Kataloge, Preisliste! "Dutzendware", die Zähleinheit der Reider und des Handels; ich gehe deshalb von der Preisliste an den Handel aus. Hab mir im Kontext gleich die Frage nach der Kaufkraftrelation zu heute gestellt. Demnach dürfte mein Böker # 180 rostend 1940 etwa dem Gegenwert von 4-5 Stundenlöhnen entsprochen haben, heute dagegen 10-15, geschätzt, da es das Messer ja so nicht mehr gibt. Hiesige Handarbeit ist kostbar geworden und hat sich aus der Schicht seiner produzierenden Arbeiter entfernt.

Zum Alter: Ja, könnte auch 1940 einschließen, die zivile Produktion dürfte in den ersten Kriegsjahren ja noch gelaufen sein. Das ist vmtl. auch eine Unschärfe bei M. Zalesky, der bei den Shields nur zwischen "pre" und "post-WW" abgrenzt und die Kriegszeit ausblendet.

@Frank
"Zukunft braucht Herkunft". Trommeln wir mal ein bisschen für die faszinierende Tradition unserer alten Messermanufakturen in diesem Unterforum!

Gruß
Abu / Burghard
 
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