Sesam, öffne dich..... - Teil 1 - "Streetfighter"

Abu

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Werte Messerfreunde,

man ahnt es, doch wenn es soweit ist und sich ein "Sesam-Öffne-Dich"- Erlebnis einstellt, so ist man immer wieder baff über die jahrzehntelang verschütteten Schätze.

Vorgeschichte, mit ein bisschen Fiktion: In unserem kleinen Dorf von 1.000 Seelen gab es bis in die 60er einen handwerklichen Metallverarbeitungsbetrieb mit angeschlossenem Handel für Haushaltswaren. Letzterer fiel dem Strukturwandel zum Opfer, die auto-mobilen Käufer zog es in die Supermärkte. Das Inventar verschwand im Keller oder Dachboden, wurde über die Jahre evtl. verhökert oder wartet immer noch auf Entdeckung. Und was für das Dorf galt, machte in größerem Rahmen auch vor dem Stadt- und Großstadtwandel nicht Halt.

Meine Dorfeinleitung ist jetzt nicht die konkrete Geschichte des Fundes dieser schönen Messer, da möchte ich dem Finder, so er will, nicht vorgreifen. Aber sie dürfte den Ereignissen sehr, sehr nahe kommen. Dankenswerterweise wurde ich recht früh in den Fundus einbezogen, was mir ein paar sehr, sehr schöne, interessante alte Messer :hehe: und ein leeres Bankkonto bescherte.:eek:

Aber sollte ich mir DIE entgehen lassen? "Das Bessere ist der Feind des Guten", also wird Gutes wohl weichen müssen. Und die "Besseren" werde ich hier mal sukzessive vorstellen. Wie es sich für die große Oper gehört, muss die Ouvertüre natürlich sitzen. Also beginne ich mal mit....

STREETFIGHTERN

Klingt provokativ, aber es waren/wären die Messer einer provokanten, aufmüpfigen Generation. Die ihre Helden in Marlon Brando "Der Wilde" oder James Dean "Denn sie wissen nicht, was sie tun", sah.

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Das dürfte vmtl. die Zielgruppe für diese Messer gewesen sein, auch wenn HUBERTUS in seinem Katalog aus den 50ern diesen Messertyp moderater als "Stiefelmesser" bezeichnet. (http://www.hubertus-solingen.com/katalog-1950er-jahre_de.html) Konstruktiv mit der langen, dünnen Klinge sicher nicht für die Jagd gedacht, ebensowenig der bäuerliche Gummistiefel als Ort des verdeckten Tragens. Vorwiegend die Korkenzieher schließen noch eine zivilisiertere, bürgerliche Verwendungsmöglichkeit ein.

Die Messer sind aus den Solinger Manufakturen von Gebr. Gräfrath (GL 208, KL 95 mm, Griffschalen Hirschhorn) und Hugo Köller (GL 217, KL 100 mm, Griffschalen Knochen, sog. jigged bone). Das Köller ist mit seinen Dimensionen und einem Gewicht von 140 gr schon ein beeindruckender Kracher, dessen offene Führung heute sicher ein ordentliches Störgefühl hervorrufen würde.

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Für beide Messer gilt: Arretierbare große Klinge, zu lösen über Druck auf die kleine Klinge, sog. "Federdrücker", Stahl rostend, Neusilberbacken, Messingplatinen. Über die Jahre der Lagerung haben sich teilweise zwischen den Platinen leichte Spalte gebildet. Aber es bleiben eben schöne alte Schätze für meine Sammlung, aus einer anderen Solinger Messerwelt.

Viel Freude beim Anschauen.

Abu


PS: Motorrad fahre ich nicht, für die oberen Bilder hatte ein örtlicher Händler Verständnis für meinen Spleen.
 
Moin Burghard,

danke für den Bericht und Glückwunsch zu diesen interessanten Messern.
Bei dem Einstieg bin ich ja mehr als gespannt, was da noch kommen wird!

Liebe Grüße,

Nick
 
Hi Burghard,

nach Deinen Angaben war ich schon echt gespannt, was da aus dem Hut (oder einer alten Pappschachtel) gezaubert werden würde ... und: WOW. Hinter so einem Stiefelmesser bin ich schon lange her ... aber find' erstmal eins. Oder gleich zwei! Glückwunsch zu diesen beiden tollen Stücken. Mein Neid ist Dir gewiß ... sag' Bescheid, wenn Dir die Last zu groß wird ... :D

Freut mich aber, daß gerade für Dich dieser feuchte Traum aller "Klassiker"-Sammler in Erüllung ging - könnte mir eigentlich keinen vorstellen, der besser "geeignet" wäre.

Gruß
Kai
 
Zuletzt bearbeitet:
WernOr, Nick, Kai,

Danke für Eure Kommentare, immer wieder ermutigend! Ja, manchmal laufen einen die Ereignisse um. So etwas wird in Solingen sicher nie mehr gebaut, und dann solche Messer unbenutzt zu ergattern, hat schon was.
Kai: Das Köller war übrigens nochmals in der Schachtel, ob's in die Vermarktung kommt, weiß ich nicht. Bist ja immer am Ball, und Dein "geeignet" gebe ich da mal an Dich zurück.

Ob die noch folgenden Vorstellungen mit diesen Spezialitäten mithalten können? Wird schwer, aber alle haben sie ja was, sonst hätte ich sie nicht erworben.:p

Gruß
Abu
 
Ich habe seit Jahren ein ähnliches Messer, leider ungemarkt.
Klinge 10 cm, Gesamtlänge ohne Öse 22 cm.
Liegt sehr gut in der Hand.


Gruß Ingo
 
Hallo Ingo,
Freut mich, ein schönes altes Stück! Sieht nach Backlock aus, aber der Hebel scheint nicht so sperrig hervorzustehen wie bei den typischen Solingern. Schade, dass keine Stempel vorhanden sind.

Gruß
Burghard
 
Vorwiegend die Korkenzieher schließen noch eine zivilisiertere, bürgerliche Verwendungsmöglichkeit ein. [...]

Für beide Messer gilt: Arretierbare große Klinge, zu lösen über Druck auf die kleine Klinge, sog. "Federdrücker", Stahl rostend, Neusilberbacken, Messingplatinen.

Sowohl für die kleine Federmesserklinge wie für den Korkenzieher sehe ich ehrlich gesagt keine andere als eine "zivilisiertere, bürgerliche Verwendungsmöglichkeit". Macht zwei Drittel des Messers zu einem normalen Taschenmesser. Und eine lange schmale Klinge zu haben, ist auch z.B. für Jagdtaschenmesser nicht unüblich. Ich habe hier z.B ein Hubertus Jagdtaschenmesser mit arretierbarer 10,5 cm Klinge liegen, das eindeutig als Gebrauchsmesser konzipiert ist, eben auch mit schmaler und langer Klinge.

http://www.hubertus-solingen.com/serie-14_de.html

Bleibt eigentlich nur die Frage der Namensgebung. Der "Streetfighter" - mit Korkenzieher für das gepflegte Glas Rotwein während der Kampfpausen und Federmesserklinge zum Anspitzen von Bleistiften als Ersatzwaffe. Der Traum aller Ninjas :steirer:

Aber sonst unbestritten schöne Messer. Wie gut funktioniert die Federarretierung eigentlich? Wäre es möglich, sie in normalen Griff versehentlich zu lösen und arretiert sie die Klinge spielfrei?

Danke auch fürs Zeigen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Für beide Messer gilt: Arretierbare große Klinge, zu lösen über Druck auf die kleine Klinge, sog. "Federdrücker", Stahl rostend, Neusilberbacken, Messingplatinen. Über die Jahre der Lagerung haben sich teilweise zwischen den Platinen leichte Spalte gebildet. Aber es bleiben eben schöne alte Schätze für meine Sammlung, aus einer anderen Solinger Messerwelt.

Viel Freude beim Anschauen.

Abu

PS: Motorrad fahre ich nicht, für die oberen Bilder hatte ein örtlicher Händler Verständnis für meinen Spleen.

Allerbesten Dank für die erfrischende Vorstellung, mein Verständnis für Deinen Spleen hast Du, und hier zwei Abbildungen zu den Messern:





Grüße
cut
 
Sowohl für die kleine Federmesserklinge wie für den Korkenzieher sehe ich ehrlich gesagt keine andere als eine "zivilisiertere, bürgerliche Verwendungsmöglichkeit".

...Und eine lange schmale Klinge zu haben, ist auch z.B. für Jagdtaschenmesser nicht unüblich. Ich habe hier z.B ein Hubertus Jagdtaschenmesser....

Bleibt eigentlich nur die Frage der Namensgebung. Der "Streetfighter" ....

Wie gut funktioniert die Federarretierung eigentlich? Wäre es möglich, sie in normalen Griff versehentlich zu lösen und arretiert sie die Klinge spielfrei?
.

Hallo Atlantik,
Klar, bei der Namensgebung habe ich ja bewusst überzogen:hehe:, ebenso, wie ich "Stiefelmesser" aus heutiger Sicht auch verniedlichend finde.
Sicher kann man so ein Messer auch jagdlich nutzen, war aber primär ganz sicher nicht dafür vorgesehen. Deshalb hieß dieses auch "Stiefelmesser" gegenüber einem Dutzend anderer, die eindeutig als Jagdmesser klassifiziert sind, wie ein Blick in den von mir zitierten Katalog zeigt. Auch Dein Jagdtaschenmesser sagt ja klar aus, wofür es gedacht ist. Letztere haben die Zeiten bis heute gut überstanden, Stiefelmesser dürften wohl keinen gesellschaftlichen Konsens mehr finden, denke ich mal.

Über Sinn und Unsinn von Korkenziehern und Federmessern bis zu den heutigen 6ern und SAK's läßt sich ja trefflich diskutieren, aber bei MEINEM Messer hat die Federklinge ganz sicher mehr als eine zivile Funktion: Entriegelung der Hauptklinge! Hätte man auch ein Stück Stahl für einsetzen können, wär aber nicht so schön und widerspräche der Tradition. F. Hartkopf hat im letzten Jahr beim Jubiläumsmesser übrigens umgeschaltet und statt der kleinen Klinge einen Kapselheber verbaut. Drücker per Champagnerhaken oder Feile gibt es auch.

Diese Entriegelungen funktionieren einwandfrei, kein Spiel, kein versehentliches Öffnen. Im Gegenteil, man muss schon ordentlich draufdrücken. Warum die sich nicht durchgesetzt haben gegenüber den typischen Solinger Hebeln auf dem Griff? Keine Ahnung, aber man braucht ja immer mindestens zwei Klingen/Werkzeuge.

Gruß
Abu
 
Allerbesten Dank .....

Hallo Cut,
Den allerbesten Dank gebe ich an Dich zurück für die Katalogbilder, das macht das Sammeln erst rund:super:
Ganz nebenbei enthalten sie für mich wertvolle Informationen. Das Gräfrath hat zwei blau gepließtete Klingen, schließt eine Sammellücke und macht es mir noch wertvoller. Den Film über W. Fehrekampf kenne ich, auch die Wirkung, wohl ein Grund, warum rostender Stahl nach 50 Jahren fast noch stainless ist!

Köller: Dazu gleich die nächste Frage. Ist das dort bezeichnete Hirschhornimitat Kunststoff, vergleichbar dem Delrin? Ich hatte es als jigged bone angesehen.

Ja, und dann setze ich auch auf Deine Expertise bei der demnächst präsentierten HARTEN NUSS!

Gruß
Abu
 
Servus.
Bilder aus Katalogen dieser Federdruck-Messer habe ich zuhauf.
Aber da sind bereits welche von Cut da (übrigens herzliche Grüße!), also
warte ich mit einer alten Anzeige auf. ;-)


Beste Grüße und das es hier weiterhin so gute Beiträge gibt, Ingo
 
Great knives and story, Abu. I enjoyed the "romance" behind these "tough guy" knives. :)
Also nice example from Ingoweimar, and good literature from Cut as usual.

Enclosed is a German example which should fit in with this theme along with a "fun" picture displaying an Italian model as shown in many American bad boy films.



 
Hi Allen,

GREAT adaption what I intended. Atop the jacket I imagine Marlon B. himself with that sneer in his face!
ROCA-knife? Never heard about such Company or brand.:confused:

Regards
Abu
 
?.....Bilder aus Katalogen dieser Federdruck-Messer habe ich zuhauf.

.....warte ich mit einer alten Anzeige auf.

.....das es hier weiterhin so gute Beiträge gibt...


Hallo Ingo,
Und danke für die Ergänzung. Was ihr alles für Archive habt, na, da kann ich wohl noch was rauskitzeln für meine Messerchen.;) Ich nehme an, dass Du als eifriger Vintagefan die Sache mit Gräfrath (Firma) und Gräfrath (Ort) kennst, wo die Firma Rau ansässig war. Ich kopier hier mal einen Beitrag von Cut aus 2008 ein und geh davon aus, dass er nichts dagegen hat:

"Die Klingenmarkierung GRÄFRATH (an Stelle oder zusätzlich zu Solingen) deutet darauf hin, dass dieses Messer vor ca. 1929 hergestellt worden ist. In diesem Jahr erfolgte die "Eingemeindung" mehrerer vormals selbständiger Orte mit Solingen."
Die Anzeige müsste damit früher als 1929 sein, und ich denke viiiel früher, vmtl. aus dem 1. Jahrzehnt, denn mit einer Referenz von 1903 wird man ja nicht 20 Jahre später noch geworben haben......

Ja, werde mich gerne bemühen, weitere Themen anzustoßen und freue mich sehr, wieviel Leben in den "Alten" noch steckt.

Gruß
Abu / Burghard
 
Sicher kann man so ein Messer auch jagdlich nutzen, war aber primär ganz sicher nicht dafür vorgesehen.[...]

Diese Entriegelungen funktionieren einwandfrei, kein Spiel, kein versehentliches Öffnen. Im Gegenteil, man muss schon ordentlich draufdrücken. Warum die sich nicht durchgesetzt haben gegenüber den typischen Solinger Hebeln auf dem Griff? Keine Ahnung, aber man braucht ja immer mindestens zwei Klingen/Werkzeuge.

Danke Abu für die Infos zu Verriegelung.

Und was den Rest betrifft würde ich es lieber mit der Anzeige halten, die Ingo hier gepostet hat. Da sind solche Messer ja als sogenannte Nicker bezeichnet, was den Gebrauchsmessercharakter betont.

Da ich selber zuweilen Messer mit Korkenzieher aber auch auch großer Klinge führe, liegt mir persönlich daran, den zivilen Charakter solcher Messer zu betonen, damit evtl. mitlesende Behörden nicht auf falsche Gedanken gebracht werden. An dem Ast, auf dem wir sitzen, sollten wir nicht weiter sägen - auch wenn solche Jagdmesser bzw. Allzweckmesser oft durchaus geeignete Sägen als zweite Klinge anbieten...;)

Allen, that German Swinguard is a lovely looking knife. Thanks for sharing.
 
Hallo Cut,

... Köller: Dazu gleich die nächste Frage. Ist das dort bezeichnete Hirschhornimitat Kunststoff, vergleichbar dem Delrin? Ich hatte es als jigged bone angesehen. ...

Gruß
Abu

"jigged bone" = gefärbte und mit einer strukturierten Oberflächengravur versehene Knochenschalen halte ich für wahrscheinlich.

Grüße
cut
 
@cut
Ja, zweifarbige Struktur ist an der Seite erkennbar, also jigged bone.

@atlantik
Danke für den Hinweis, ist ein Argument!!!


Gruß
Abu
 
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