Sinnfrage Normalisieren

Stahlfriseur

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Hallo zusammen,

(vorab an die Moderatoren: Ich weiß, dass ich sich dieses Thema nicht viel von einem anderen Thread von mir unterscheidet. Dennoch möchte ich dies hier im Einzelnen klären.)

Also, ich habe mich mal durch die ganze Wärmebehandlungs-Materie hier im Forum durchgekämpft und mir leuchtet der Sinn eines "normalen" Normalisierens mit langsamer Abkühlung nicht ganz ein.
Falls man nach dem Schmieden bzw. Feuerschweißen die komplette Wärmebehandlung wie hier empfohlen durchführt dh. Normalisieren, scharfes Normalisieren, Weichglühen bzw. Einformen und schließlich Härten und Anlassen. - Ist dann nicht das langsame Normalisieren überflüssig, da:

1. Scharfes Normalisieren bei einer höheren Temperatur stattfindet und somit mehr Gefügebestandteile gelöst bzw. umgewandelt werden als beim langsamen Normalisieren:
Beim bisherigen Ablaufs wurden wegen der höheren Temperatur beim scharfen Normalisieren alle Gefügebestandteile die beim langsamen Normalisieren gelöst wurden ja nochmal gelöst, ja sogar noch mehr Anteile gelöst z.B. ein Teil der Karbide, welcher beim langsamen Normalisieren nicht in Lösung gegangen ist. - Somit kann man sich meiner Meinung nach doch das langsame Normalisieren sparen, oder bei gleicher oder höherer Temperatur ablaufen lassen als beim scharfen Normalisieren.

2. Durch die schnellere Abkühlung des Werkstücks sich die Gefügebestandteile feiner ausscheiden und dies somit zu einer feineren Kornstruktur führt als bei langsamerem Abkühlen? (Verzug mal außer acht gelassen)

Konkretes Beispiel:
U.Gerfin empfahl einem Forumsmitglied eine Klinge aus weißem Papierstahl, bei der die Schmiedebehandlung nicht optimal verlief aus einer Temperatur von ca. 900°C schnell abzukühlen, um den Korngrenzenzementit vollständig zu lösen und die Karbide anschließend fein auszuscheiden. Anschließend sollte die Klinge erneut gehärtet werden. Hier wäre dann doch ein vorhergehendes Normalisieren bei für diesen Stahl empfohlenen Temperaturen sinnlos gewesen, oder nicht?

Wenn ich nun ein Fazit aus diesem Beispiel und meinen anderen Überlegungen ziehe, müsste es doch möglich sein (bei übereutektoiden, niedriglegierten Stählen) das Werkstück nach dem Schmieden einmal auf die jeweilige Temperatur, bei der alle Karbide gelöst sind zu erhitzen, schnell abzukühlen, anschließend bei empfohlener Härtetemperatur ein- bis zweimal scharf zu normalisieren, um das Matrixkorn zu feinen, weichzuglühen und dann zu härten ohne dass man Qualitätseinbußen im Bereich des Gefüges hat. - Und das alles ohne langsames Normalisieren.

Damit mich hier keiner falsch versteht:
Ich will hier keinesfalls irgendwelche Methoden kritisierten oder schlechtmachen.- Im Gegenteil: Meine Ausführungen sind nur theoretische Überlegungen und Kritik(besonders von Experten)ist erwünscht.

Gruß, Martin
 
Guten Abend Martin !
Deine Ausführungen sind grundsätzlich richtig.
Zum besseren Verständnis: Normalglühen bezweckt eine Verfeinerung des Matrixkorns und eine Homogenisierung der Korngröße und eine sichere Beseitigung des unerwünschten Korngrenzenzementits.
Für untereutektoidische Stähle, die gehärtet werden sollen, macht Normalglühen weniger Sinn, da bei der Erwärmung auf Härtetemperatur die Karbide ohnehin gelöst werden. Eine Verfeinerung des Matrixkorns durch das Umkörnen -Ferrit/Perlit -Austenit-Ferrit/Perlit- würde auch durch Weichglühen oder Einformen durch Pendeln um AC 1 erzielt.

Wichtig ist das Normalisieren also bei übereutektoidischen Stählen, insbesondere, wenn man mit der Bildung von Korngrenzenzementit rechnen muß. Wenn man dabei in die Nähe der vollständigen Karbidlösung geht, ist das ideal, aber unter Umständen nicht ganz ungefährlich.
Bei etwa 1,4 % C ist für die vollständige Karbidlösung schon eine Temperatur von ca. 1100 Grad erforderlich und da ist es bis zum Anschmelzen nicht mehr weit.
Man sollte deshalb sicherheitshalber ein bißchen unter der Temperatur der vollen Karbidlösung bleiben, zumal mit der völligen Karbidlösung auch wieder ein schnelles Wachstum des Matrixkorns zu erwarten ist.

Solange es nur um die Feinung des Matrixkorns durch Umkörnung geht, gilt die Regel: Je schneller, je besser, weil der Temperaturbereich, in dem wieder Kornwachstum eintreten könnte, schnell durchlaufen wird.

Für die Karbidlösung gilt das nicht uneingeschränkt. Das einfache Eisenkarbid Fe 3C oder Zementit ist bei entsprechender Temperatur schnell in Lösung zu bringen. Langsames Normalisieren macht hier also keinen Sinn.
Liegen dagegen Mischkarbide-etwa Fe3 M3 C oder Sonderkarbide vor wie das sehr stabile Vanadiumkarbid müßte man für die Karbidlösung viel länger erhitzen.
Da muß man zwischen den Nachteilen noch vorhandener und in ungünstiger Form ausgeschiedener Karbide und der möglichen Vergröberung des Matrixkorns abwägen.

Die beste Verfahrensweise ist hier ein kräftiges Verschmieden in der letzten Schmiedehitze und danach schnelles Abkühlen. Ich habe mir angewöhnt, nach dem letzten Schmiedevorgang aus der Restwärme abzuschrecken und alsbald durch Abbrennen des Öls und anschließendes Erwärmen auf Dunkelrotglut zu entspannen und schon leicht einzuformen. Ob man dann noch das "volle Programm" mit nochmaligem Normalisieren und Weichglühen durchführt, ist Geschmacks- und Glaubenssache. Schaden tut es nicht, wenn man aber richtig geschmiedet hat, kann man da etwas großzügiger verfahren.

Freundliche Grüße
U. Gerfin
 
Vielen Dank,

deine Ausführungen waren wieder sehr aufschlussreich und informativ - ich hätte doch Metallurgie studieren sollen:)

Gruß, Martin
 
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