Rock'n'Roll
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Boas,
unsere Küchenschneidwaren-Grundausstattung hat sich so gut wie immer auf relativ schlichtem, bodenständigem Niveau bewegt. Was Preis und was Größe angeht. Ein Windmühlen-Schälmesser war immer da. Zwei, drei scharfe 10 bis 12 cm große - in Spanien günstig erstandene Mittelgroße - ebenso. Und ein für unsere Verhältnisse recht teures Filetiergerät des Küchenausstatters bulthaup der Klingenlänge 18 cm. Ein Brotmesser selbstredend! Wir sind immer satt geworden, wähnten uns gut ausgestattet und haben nur gelegentlich - ein hochpreisiges Haushaltswarengeschäft passierend - den ein oder anderen sehnsüchtigen Blick auf ein Güde-Spickmesser oder Ähnliches geworfen. Das war es aber auch schon.
In Portugal haben wir dann die sehr preiswerten SICO-Messer schätzen gelernt und ordentlich zugelangt. Hier haben wir sie mal vorgezeigt: http://www.messerforum.net/showthre...SICO-Professional&highlight=sico+professional. Und haben das Küchenmesserthema wieder ad acta gelegt. Erst einmal! Wenn man sich ständig im Forum bewegt und die Beiträge verfolgt, läuft man natürlich - ob man nun will oder nicht - immer wieder auch auf Taschenlampen und Koch- oder Küchenmesser. Als wir dann mehr Taschenlampen hatten, als wir jemals gebrauchen werden (in Portugal scheint ja fast immer die Sonne ) und uns unseren Bestand an höherpreisigen taktischen Messern mal wieder in Ruhe angesehen haben, kam uns der Gedanke, das Thema Küche doch noch einmal auszuleuchten.
Dort, wo der durchschnittliche Europäer - also wir - die meiste Zeit mit einem Messer herumfuhrwerkt, ist ja nun einmal die Küche. Und da war unsere Ausstattung - wie gesagt - eher weniger luxuriös. Zudem hatten wir nach den „Anstrengungen“, Tomaten und Knoblauch mit taktischen 5-mm-Kloppern zu zerstückeln, irgendwie den Drang nach Schneidfreude in der Küche. Und haben nach reichlicher Foren-Lektüre das Herder 1922 Office erworben. Wir berichteten über unsere Begeisterung: http://www.messerforum.net/showthre...ce-Ein-Pl%E4doyer&highlight=sico+professional.
Nachdem wir Blut geleckt und am Ende obigen Berichts ja bereits Andeutungen bezüglich Herder 18 cm oder auch Kleinem Schanz Gyuto gemacht hatten, haben wir zunächst das Studium der Küchen-Lektüre im Forum fortgesetzt. Den Herrschaften noch einmal ein ausdrückliches Dankeschön für die äußerst kompetente Beratung, die hier stattfindet. Nachdem wir zunächst den Grundkurs Stahl (VG-10, SB1, Carbon …) wieder aufgefrischt und unseren japanischen Sprachschatz erweitert hatten (Gyuto, Santoku, Kenyo, Usuba, Nakiri …) haben wir schließlich das Messerlängen-Diplom abgelegt. Und gelernt, daß ein Messer, welches nicht die Größe eines Katana hat, zum Zwiebelschneiden leicht zu klein sein kann. Da wir uns allerdings bisher nicht zum Kauf eines Samurai-Schwerts entschließen konnten, haben wir seitdem auf das Schneiden von Zwiebeln sicherheitshalber erstmal verzichtet .
An kleine Schritte gewöhnt, haben wir nämlich den Entschluß gefaßt, uns im Rahmen unserer Küchenmesser-Veredelungs-Strategie Stück für Stück vorzuarbeiten, was die Größe angeht. Was den Stahl betrifft, war reine Wißbegier der ausschlaggebende Faktor für die Endauswahl. Als alte Windmühlen-Carbon-Freaks wollten wir endlich wissen, wie sich edelster Stahl - vom Könner verarbeitet - gegenüber Carbon in der Küche schlägt. Wir haben ein Schanz Petty SB1 mit schwarzem Micarta-Griff als in etwa adäquaten Gegner für das Office erwählt. Und da wir bei diesem Vergleich nicht unfair sein und es genau wissen wollten, haben wir Jürgen gebeten, Badischen Dünnschliff in seiner reinsten Form anzulegen. Er hat uns das Petty filetiert - ein Carpaccio aus SB1 angefertigt ! Allerdings hat er nicht auf einem Teller angerichtet geliefert. Auch auf das Beträufeln mit Sosse hat er erfreulicherweise verzichtet. Weil wir gerade dabei waren, haben wir auch noch ein Kleines Gyuto nach gleicher Manier in Auftrag gegeben. Auf dem „Jakobsweg“ zum Katana .
Als wir die beiden Schanz ausgepackt hatten, war Zufriedenheit. Mehr müssen wir nicht sagen. Zwei schlanke Schönheiten im Glanz ihrer selbst. Die Klingen und die schwarzen Micarta-Griffe glimmern im Licht der Abendsonne. Die Rücken der Klingen fein abgerundet. Das Gyuto ebendort 1,6 mm max., das Petty 1,4 mm. Da dieser Wert nicht allein ausschlaggebend für die Leichtigkeit des Seins ist, haben wir weitere essentielle Daten erhoben - doch davon später.
Als erstes haben wir mit dem Petty mal eine Tomate halbiert, dann geachtelt, ein paar erste Fotos gemacht. Und die Messer erstmal zur Seite gelegt. Wir waren noch mit dem Poppel-Flipper beschäftigt. Am übernächsten Tag haben wir die Dinge dann langsam in Angriff und ein paar Sachen aus dem Eisschrank genommen. Sie mit dem Petty aufs Brett gelegt und dann losgeschnitten: Koriander, Knoblauch, Gurke, Tomate und Paprika. Am nächsten Morgen einen Apfel und eine Eierpflaume in einen Obstsalat verwandelt. Das Petty stand dem Office bei alledem in Nichts nach. Gefühlte identische Schneidleistung, leicht im Nachteil bei Arbeit in der Hand (Apfel schälen), dafür Überlegenheit auf dem Brett.
Für den Abend haben wir uns das Gyuto vorgenommen. Dieselbe Aufgabenstellung: Salat aus Koriander, Knoblauch, Tomaten, Gurke und Paprika. Für das Pellen der Knoblauchzehen war das Gyuto natürlich etwas groß. Aber wir haben den ganzen Salat - wie man so trefflich sagt - mit dem Gyuto durchgezogen. Bis auf das Pellen der Knoblauchzehen (zwei glatte Schnitte in den Daumen ) Schneidfreude pur. Auch hier die gefühlte Schneidleistung dem Office ebenbürtig. Die Überlegenheit auf dem Brett größer als beim Petty.
Für den nächsten Tag hatten wir den Count-Down vorgesehen. Nach der Schnittgut-Beschaffung (ein Einkauf im örtlichen Supermarkt) haben wir die Dinge auf dem Tresen angerichtet, die Konkurrenten bereitgelegt und uns mental auf die Schnippelei eingestimmt. Neben den bekannten Sommersalat-Komponenten der Vortage lagen noch Rettich und einer der leckeren Insel-Käse bereit. Alle drei Messer - das Office, das Petty und das Kleine Gyuto - sollten noch einmal im direkten Vergleich zeigen, what’s on.
Beim Rettich ging - besonders, was die geeignete Größe angeht - das Gyuto in Führung. Es geht allerdings ein klein wenig behäbiger durch das Schnittgut. Petty und Office geben sich hier nichts. Vom Handling ist das Petty dem Office gegenüber etwas im Vorteil. Bei den Tomaten verdrängen Office und Petty das Gyuto. Sie gleiten etwas leichter hindurch. Aber auch hier ist Größe relevant. Das angenehmere Handling bieten Petty und Gyuto, wobei das Gyuto vorn liegt.
Um die Positivität unserer Küchenmesser-Neuanschaffung noch einmal anderweitig zu hinterfragen, haben wir an dieser Stelle ein Vergleichbares unserer portugiesischen SICO Professional im direkten Vergleich hinzugezogen. Die Daten: 15 cm scharfe Schneide, max. Höhe 3 cm, Klingenstärken beim Heft, 1/3, 2/3 und 1 cm vor der Spitze: 2,15 - 1,98 - 1,66 - 1,0 mm. Klingenstärke hinter der Schneidfase 0,3 mm. Da die SICOs nicht verkehrt sind, waren wir etwas besorgt. Allerdings völlig ohne Grund. Während das SICO eine Tomate schneidet, gleitet das Gyuto hindurch. Man erzählt sich, ein breites Grinsen habe sich auf unserem Gesicht breitgemacht .
Um noch etwas dickere Bretter zu bohren, haben wir zwei große Kartoffeln aufs Brett geholt. Und sie in dünne Scheibchen geschnitten. Brauchen wir nicht. Nur mal so testhalber. Anstelle von Tomaten. Wir wollten zur Abwechslung mal ein Klingenlogo durch eine Kartoffelscheibe lesen :apple:. Das Gyuto ging klar in Führung. Den Schnitt schaffen im Prinzip alle drei Kandidaten gefühlt gleich gut. Auch die hauchdünnen Scheibchen. Aber beim Office muß man aufgrund der geringen Klingenhöhe schon aufpassen, daß es nicht verkantet. Das Gyuto ist dem Petty dann wieder in der Klingenlänge überlegen. Es schneidet sich einfach bequemer oder komfortabler. Und jetzt nochmal das SICO hinzugezogen. Hier wird der Unterschied noch erheblich deutlicher spürbar als bei den Tomaten. Während das Gyuto schneidet, muß man mit dem SICO - im gefühlten direkten Vergleich - schon annähernd sägen. Sehr erbaulich auch diese Episode !!
Jetzt nochmal Knoblauch im direkten Contest. Das Pellen und Scheiblieren macht das Office perfekt. Hacken auf dem Brett können Petty und Gyuto die kleine Menge eigentlich gleichgut. Das Gyuto schafft dennoch einfach mehr weg. Bei Tomaten liegen bei unserer Aufgabenstellung (3 Tomaten achteln und in mundgerechte Stücke für den Salat aufschneiden) Petty und Gyuto gleichauf. Mit dem Office ist es vielleicht etwas unhandlicher. Dafür geht es aber mit größerer Leichtigkeit durch. Auch hier läge bei Priorität auf Mengenbewältigung das Gyuto vorn.
Die rote Paprika haben wir am liebsten mit dem Petty filetiert. Mit der Spitze in einem leichten kreisrunden Schnitt - die Schote in der linken Hand liegend - den Strunk raus-operiert, mit zwei Schnitten geviertelt, in Streifen und quer in mundgerechte Stücke. Ideal! Wenngleich das Office für uns hier auch vollkommen in Ordnung geht. Das Gyuto ist für diese Aktion schon sehr groß, man muß vorsichtig zu Werke gehen, will man sich mit dem scharfen Biest nicht selbst filetieren.
Wenn man die drei Kandidaten mal dem Papierschneide-Test unterzieht, liegen sie gefühlt gleichauf. Ihre gemeinschaftlich beachtliche Schärfe wird daran deutlich, daß sie wie Rasierklingen in ein Blatt Papier sowohl in der Längs- wie auch in der Querrichtung beliebig und ohne Druck hineingleiten. Das schaffen nur die wenigsten unserer Messer auf Anhieb. Papier hat ja eine sogenannte Laufrichtung - die Richtung, in die die Faser des Papiers läuft. Ein Schnitt längs zur Laufrichtung sollte jedem gut geschärften Messer gelingen, quer zur Faser klappt es - je nach Papier - manchmal nur schlecht oder auch gar nicht.
Unsere drei Kandidaten machen das mit beeindruckender Leichtigkeit. Von oben in die Seite z.B. einer TV-Spielfilm und von rechts oder links: Cut!! Mehr Schärfe brauchen wir nicht. Aufrecht erhalten wir die mit dem Sharpmaker. Und sonst garnix. Das Zerteilen zufällig vorbeifliegender Tomaten oder Spalten von durch die Gegend segelnden Haaren hat für uns keine Priorität - man braucht sich nur unseren Avatar anzuschauen !
Beim einfachen Schneiden von Tomaten zeigt sich letztlich der feine Unterschied. In die etwas ledrige Haut der hiesigen Sorte dringt das Office mit größerer Leichtigkeit ein - was aufgrund seiner Daten auch eigentlich zu erwarten ist. Für diejenigen, die das interessiert, haben wir Aufwand betrieben, sorgfältig mit einem digitalen Meßschieber gemessen und eine Tabelle angefertigt, aus der die Größe und Geometrie der einzelnen Klingen recht gut hervorgeht. Man möge uns nicht auf den 100stel Millimeter festlegen. Aber wir haben uns echt Mühe gegeben. Die Daten gelten allerdings nur für unsere - von Jürgen Schanz customisierten - Exemplare vom Kleinen Gyuto und Petty und dem uns vorliegenden Standard-Office. Dessen Klinge ist übrigens in der Realität am Rücken direkt am Heft tatsächlich schmaler als bei 1/3. Die Klinge zeigt hier bei 1/3 in der Draufsicht einen kleine „Beule“. Wohl ein Zeichen für Handarbeit in Solingen … Was die Nagelgängigkeit angeht, ist sie bei allen drei Messern gegeben. Auch hier - wie nicht anders zu erwarten - deutlicher beim Office.
Zur Geometrie
Zum Schliff der Messer sei noch gesagt, daß er sowohl beim Office als auch bei beiden Schanz leicht ballig (konvex) verläuft. Legt man ein gerades Lineal auf die Klingen, zeigt sich eine kleine Wippe.
Uns begeistert die Schneidleistung der Messer mit ihrem fabelhaften Eindring- und Durchdringungspotential - mit nur sehr geringen Unterschieden zwischen den drei Kandidaten. Beim Gyuto gefällt dazu bei der Arbeit besonders die Form der Klinge. Dünnschliff - rostend oder edel, aus Solingen oder aus Stutensee - bedeutet für uns Schneiden in seiner schönsten Form. Zum schlanken Messerrücken noch eine Anmerkung. Wenn auch eine möglichst geringe Stärke der Klinge direkt hinter der Schneidfase mit dann nur sehr langsam zunehmender Materialstärke der entscheidende Faktor für echte Schneidfreude sein dürfte, haben wir festgestellt, daß der sehr dünne Messerrücken bei sperrigem Schnittgut mit größerem Durchmesser (Rettich, Kartoffeln …) diese noch erhöht. Insbesondere, wenn man dickere Scheiben schneidet. Es muß schlicht und einfach weniger durch. Bei Tomaten spielt das keine Rolle. Die „Masse“ ist nachgiebig und kann nach beiden Seiten ausweichen, so daß sich kein Widerstand aufbaut.
Was die Größe der Messer angeht, sollte der geneigte Leser berücksichtigen, daß unsere Koch- und Eßgewohnheiten kaum als repräsentativ angesehen werden können. Die Küche ist zumeist kalt. Rohe Kost in kleinen Mengen bestimmt das Tagesgeschäft: Ein Apfel und/oder irgendeine Südfrucht, Tomate, Paprikaschote, Gurke, Knoblauch, Koriander … Manchmal geht es - neben Brot - auch um Käse oder gar um die Wurst! Regelmäßige Leser unserer Geschichten kennen ja unseren Speiseplan. Für zwei „Personen“. Wobei Johnnys Mahlzeiten als vollkommen „wartungsfrei“ anzusehen sind. Zudem kaufen wir Messer nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit sondern auch - und insbesondere - weil wir Spaß daran haben. Und wir mögen kleine und mittelgroße Messer sehr.
Auf dem Tresen im Roadhouse liegen jetzt - ständig im Blickfeld und für den schnellen Zugriff - (noch) das bulthaup Filetiermesser, davor das Kleine Gyuto und das Petty. Unten rechts ein mordsstabiles Küppels. Links davon das Herder 1922 Office und darüber unser bestes Spanisches, ebenfalls gut stabil. Dieses und das Küppels für den Fall, daß es um Biegen und Brechen geht - oder darum, ein Milch- oder Sahne-Tetrapack aufzuschneiden. Die ganze SICO-Bande ist zum Windmühlen-Schälmesser und zum Brotmesser in die Schublade gewandert.
Zum Abschluß ein ausdrückliches Dankeschön an Jürgen Schanz. Dafür, daß er sich so bereitwillig auf die Wünsche seiner "Messies" einläßt. Einziges Problem: Das Kochen bzw. die Essenzubereitung dauert jetzt deutlich länger als früher - weil das Schneiden soviel Spaß macht !
Und Action!
Kleines Schanz Gyuto & Petty und Herder 1922 Office
(Bei den Detailbildern stehen SICO Professional, Schanz und Office nebeneinander. Auf den letzten beiden Bildern liegt das Streichholz zunächst auf dem Office, dann auf dem Petty.)
Im Ganzen
Im Schnitt
Im Detail
Im Prinzip wären wir jetzt fertig. Das stimmt fürs Erste. Aber in Kürze werden wir eine kleine Fortsetzung anhängen. Denn wir sind auf dem Weg zum Katana nicht stehengeblieben. Nach - parallel zu diesem Bericht - weiteren ausgiebigen Recherchen, haben wir die nächste zielführende Entscheidung getroffen. Es hätte nach Gabriels schönem Erfahrungsbericht (http://www.messerforum.net/showthread.php?122138-Suisin-Inox-Honyaki-Wa-Gyuto-240mm-ein-Review) gut ein Suisin Inox Honyaki Wa-Gyuto 240mm werden können. Wenn wir bloß das Design der japanischen Messer leiden könnten. Aus Liebe zu Carbon und zum Dünnschliff - und der Ausgewogenheit wegen - ist es daher das Herder 1922 Kochmesser geworden. Es dürfte das mit 21 cm scharfer Klinge sein, denn sein extraordinär günstiger Preis läßt keine andere Vermutung zu, als daß es sich um das ältere Modell handelt. In Kürze werden wir mehr wissen. Es ist bereits auf dem Weg. Wir sind uns allerdings noch nicht ganz sicher, ob wir uns damit bereits an Zwiebeln herantrauen sollten …
Aus der Jukebox John Hiatt mit „Paper Thin“: https://www.youtube.com/watch?v=RKKasX77r8I
Out of Hell’s Kitchen
Johnny & Rock’n‘Roll
unsere Küchenschneidwaren-Grundausstattung hat sich so gut wie immer auf relativ schlichtem, bodenständigem Niveau bewegt. Was Preis und was Größe angeht. Ein Windmühlen-Schälmesser war immer da. Zwei, drei scharfe 10 bis 12 cm große - in Spanien günstig erstandene Mittelgroße - ebenso. Und ein für unsere Verhältnisse recht teures Filetiergerät des Küchenausstatters bulthaup der Klingenlänge 18 cm. Ein Brotmesser selbstredend! Wir sind immer satt geworden, wähnten uns gut ausgestattet und haben nur gelegentlich - ein hochpreisiges Haushaltswarengeschäft passierend - den ein oder anderen sehnsüchtigen Blick auf ein Güde-Spickmesser oder Ähnliches geworfen. Das war es aber auch schon.
In Portugal haben wir dann die sehr preiswerten SICO-Messer schätzen gelernt und ordentlich zugelangt. Hier haben wir sie mal vorgezeigt: http://www.messerforum.net/showthre...SICO-Professional&highlight=sico+professional. Und haben das Küchenmesserthema wieder ad acta gelegt. Erst einmal! Wenn man sich ständig im Forum bewegt und die Beiträge verfolgt, läuft man natürlich - ob man nun will oder nicht - immer wieder auch auf Taschenlampen und Koch- oder Küchenmesser. Als wir dann mehr Taschenlampen hatten, als wir jemals gebrauchen werden (in Portugal scheint ja fast immer die Sonne ) und uns unseren Bestand an höherpreisigen taktischen Messern mal wieder in Ruhe angesehen haben, kam uns der Gedanke, das Thema Küche doch noch einmal auszuleuchten.
Dort, wo der durchschnittliche Europäer - also wir - die meiste Zeit mit einem Messer herumfuhrwerkt, ist ja nun einmal die Küche. Und da war unsere Ausstattung - wie gesagt - eher weniger luxuriös. Zudem hatten wir nach den „Anstrengungen“, Tomaten und Knoblauch mit taktischen 5-mm-Kloppern zu zerstückeln, irgendwie den Drang nach Schneidfreude in der Küche. Und haben nach reichlicher Foren-Lektüre das Herder 1922 Office erworben. Wir berichteten über unsere Begeisterung: http://www.messerforum.net/showthre...ce-Ein-Pl%E4doyer&highlight=sico+professional.
Nachdem wir Blut geleckt und am Ende obigen Berichts ja bereits Andeutungen bezüglich Herder 18 cm oder auch Kleinem Schanz Gyuto gemacht hatten, haben wir zunächst das Studium der Küchen-Lektüre im Forum fortgesetzt. Den Herrschaften noch einmal ein ausdrückliches Dankeschön für die äußerst kompetente Beratung, die hier stattfindet. Nachdem wir zunächst den Grundkurs Stahl (VG-10, SB1, Carbon …) wieder aufgefrischt und unseren japanischen Sprachschatz erweitert hatten (Gyuto, Santoku, Kenyo, Usuba, Nakiri …) haben wir schließlich das Messerlängen-Diplom abgelegt. Und gelernt, daß ein Messer, welches nicht die Größe eines Katana hat, zum Zwiebelschneiden leicht zu klein sein kann. Da wir uns allerdings bisher nicht zum Kauf eines Samurai-Schwerts entschließen konnten, haben wir seitdem auf das Schneiden von Zwiebeln sicherheitshalber erstmal verzichtet .
An kleine Schritte gewöhnt, haben wir nämlich den Entschluß gefaßt, uns im Rahmen unserer Küchenmesser-Veredelungs-Strategie Stück für Stück vorzuarbeiten, was die Größe angeht. Was den Stahl betrifft, war reine Wißbegier der ausschlaggebende Faktor für die Endauswahl. Als alte Windmühlen-Carbon-Freaks wollten wir endlich wissen, wie sich edelster Stahl - vom Könner verarbeitet - gegenüber Carbon in der Küche schlägt. Wir haben ein Schanz Petty SB1 mit schwarzem Micarta-Griff als in etwa adäquaten Gegner für das Office erwählt. Und da wir bei diesem Vergleich nicht unfair sein und es genau wissen wollten, haben wir Jürgen gebeten, Badischen Dünnschliff in seiner reinsten Form anzulegen. Er hat uns das Petty filetiert - ein Carpaccio aus SB1 angefertigt ! Allerdings hat er nicht auf einem Teller angerichtet geliefert. Auch auf das Beträufeln mit Sosse hat er erfreulicherweise verzichtet. Weil wir gerade dabei waren, haben wir auch noch ein Kleines Gyuto nach gleicher Manier in Auftrag gegeben. Auf dem „Jakobsweg“ zum Katana .
Als wir die beiden Schanz ausgepackt hatten, war Zufriedenheit. Mehr müssen wir nicht sagen. Zwei schlanke Schönheiten im Glanz ihrer selbst. Die Klingen und die schwarzen Micarta-Griffe glimmern im Licht der Abendsonne. Die Rücken der Klingen fein abgerundet. Das Gyuto ebendort 1,6 mm max., das Petty 1,4 mm. Da dieser Wert nicht allein ausschlaggebend für die Leichtigkeit des Seins ist, haben wir weitere essentielle Daten erhoben - doch davon später.
Als erstes haben wir mit dem Petty mal eine Tomate halbiert, dann geachtelt, ein paar erste Fotos gemacht. Und die Messer erstmal zur Seite gelegt. Wir waren noch mit dem Poppel-Flipper beschäftigt. Am übernächsten Tag haben wir die Dinge dann langsam in Angriff und ein paar Sachen aus dem Eisschrank genommen. Sie mit dem Petty aufs Brett gelegt und dann losgeschnitten: Koriander, Knoblauch, Gurke, Tomate und Paprika. Am nächsten Morgen einen Apfel und eine Eierpflaume in einen Obstsalat verwandelt. Das Petty stand dem Office bei alledem in Nichts nach. Gefühlte identische Schneidleistung, leicht im Nachteil bei Arbeit in der Hand (Apfel schälen), dafür Überlegenheit auf dem Brett.
Für den Abend haben wir uns das Gyuto vorgenommen. Dieselbe Aufgabenstellung: Salat aus Koriander, Knoblauch, Tomaten, Gurke und Paprika. Für das Pellen der Knoblauchzehen war das Gyuto natürlich etwas groß. Aber wir haben den ganzen Salat - wie man so trefflich sagt - mit dem Gyuto durchgezogen. Bis auf das Pellen der Knoblauchzehen (zwei glatte Schnitte in den Daumen ) Schneidfreude pur. Auch hier die gefühlte Schneidleistung dem Office ebenbürtig. Die Überlegenheit auf dem Brett größer als beim Petty.
Für den nächsten Tag hatten wir den Count-Down vorgesehen. Nach der Schnittgut-Beschaffung (ein Einkauf im örtlichen Supermarkt) haben wir die Dinge auf dem Tresen angerichtet, die Konkurrenten bereitgelegt und uns mental auf die Schnippelei eingestimmt. Neben den bekannten Sommersalat-Komponenten der Vortage lagen noch Rettich und einer der leckeren Insel-Käse bereit. Alle drei Messer - das Office, das Petty und das Kleine Gyuto - sollten noch einmal im direkten Vergleich zeigen, what’s on.
Beim Rettich ging - besonders, was die geeignete Größe angeht - das Gyuto in Führung. Es geht allerdings ein klein wenig behäbiger durch das Schnittgut. Petty und Office geben sich hier nichts. Vom Handling ist das Petty dem Office gegenüber etwas im Vorteil. Bei den Tomaten verdrängen Office und Petty das Gyuto. Sie gleiten etwas leichter hindurch. Aber auch hier ist Größe relevant. Das angenehmere Handling bieten Petty und Gyuto, wobei das Gyuto vorn liegt.
Um die Positivität unserer Küchenmesser-Neuanschaffung noch einmal anderweitig zu hinterfragen, haben wir an dieser Stelle ein Vergleichbares unserer portugiesischen SICO Professional im direkten Vergleich hinzugezogen. Die Daten: 15 cm scharfe Schneide, max. Höhe 3 cm, Klingenstärken beim Heft, 1/3, 2/3 und 1 cm vor der Spitze: 2,15 - 1,98 - 1,66 - 1,0 mm. Klingenstärke hinter der Schneidfase 0,3 mm. Da die SICOs nicht verkehrt sind, waren wir etwas besorgt. Allerdings völlig ohne Grund. Während das SICO eine Tomate schneidet, gleitet das Gyuto hindurch. Man erzählt sich, ein breites Grinsen habe sich auf unserem Gesicht breitgemacht .
Um noch etwas dickere Bretter zu bohren, haben wir zwei große Kartoffeln aufs Brett geholt. Und sie in dünne Scheibchen geschnitten. Brauchen wir nicht. Nur mal so testhalber. Anstelle von Tomaten. Wir wollten zur Abwechslung mal ein Klingenlogo durch eine Kartoffelscheibe lesen :apple:. Das Gyuto ging klar in Führung. Den Schnitt schaffen im Prinzip alle drei Kandidaten gefühlt gleich gut. Auch die hauchdünnen Scheibchen. Aber beim Office muß man aufgrund der geringen Klingenhöhe schon aufpassen, daß es nicht verkantet. Das Gyuto ist dem Petty dann wieder in der Klingenlänge überlegen. Es schneidet sich einfach bequemer oder komfortabler. Und jetzt nochmal das SICO hinzugezogen. Hier wird der Unterschied noch erheblich deutlicher spürbar als bei den Tomaten. Während das Gyuto schneidet, muß man mit dem SICO - im gefühlten direkten Vergleich - schon annähernd sägen. Sehr erbaulich auch diese Episode !!
Jetzt nochmal Knoblauch im direkten Contest. Das Pellen und Scheiblieren macht das Office perfekt. Hacken auf dem Brett können Petty und Gyuto die kleine Menge eigentlich gleichgut. Das Gyuto schafft dennoch einfach mehr weg. Bei Tomaten liegen bei unserer Aufgabenstellung (3 Tomaten achteln und in mundgerechte Stücke für den Salat aufschneiden) Petty und Gyuto gleichauf. Mit dem Office ist es vielleicht etwas unhandlicher. Dafür geht es aber mit größerer Leichtigkeit durch. Auch hier läge bei Priorität auf Mengenbewältigung das Gyuto vorn.
Die rote Paprika haben wir am liebsten mit dem Petty filetiert. Mit der Spitze in einem leichten kreisrunden Schnitt - die Schote in der linken Hand liegend - den Strunk raus-operiert, mit zwei Schnitten geviertelt, in Streifen und quer in mundgerechte Stücke. Ideal! Wenngleich das Office für uns hier auch vollkommen in Ordnung geht. Das Gyuto ist für diese Aktion schon sehr groß, man muß vorsichtig zu Werke gehen, will man sich mit dem scharfen Biest nicht selbst filetieren.
Wenn man die drei Kandidaten mal dem Papierschneide-Test unterzieht, liegen sie gefühlt gleichauf. Ihre gemeinschaftlich beachtliche Schärfe wird daran deutlich, daß sie wie Rasierklingen in ein Blatt Papier sowohl in der Längs- wie auch in der Querrichtung beliebig und ohne Druck hineingleiten. Das schaffen nur die wenigsten unserer Messer auf Anhieb. Papier hat ja eine sogenannte Laufrichtung - die Richtung, in die die Faser des Papiers läuft. Ein Schnitt längs zur Laufrichtung sollte jedem gut geschärften Messer gelingen, quer zur Faser klappt es - je nach Papier - manchmal nur schlecht oder auch gar nicht.
Unsere drei Kandidaten machen das mit beeindruckender Leichtigkeit. Von oben in die Seite z.B. einer TV-Spielfilm und von rechts oder links: Cut!! Mehr Schärfe brauchen wir nicht. Aufrecht erhalten wir die mit dem Sharpmaker. Und sonst garnix. Das Zerteilen zufällig vorbeifliegender Tomaten oder Spalten von durch die Gegend segelnden Haaren hat für uns keine Priorität - man braucht sich nur unseren Avatar anzuschauen !
Beim einfachen Schneiden von Tomaten zeigt sich letztlich der feine Unterschied. In die etwas ledrige Haut der hiesigen Sorte dringt das Office mit größerer Leichtigkeit ein - was aufgrund seiner Daten auch eigentlich zu erwarten ist. Für diejenigen, die das interessiert, haben wir Aufwand betrieben, sorgfältig mit einem digitalen Meßschieber gemessen und eine Tabelle angefertigt, aus der die Größe und Geometrie der einzelnen Klingen recht gut hervorgeht. Man möge uns nicht auf den 100stel Millimeter festlegen. Aber wir haben uns echt Mühe gegeben. Die Daten gelten allerdings nur für unsere - von Jürgen Schanz customisierten - Exemplare vom Kleinen Gyuto und Petty und dem uns vorliegenden Standard-Office. Dessen Klinge ist übrigens in der Realität am Rücken direkt am Heft tatsächlich schmaler als bei 1/3. Die Klinge zeigt hier bei 1/3 in der Draufsicht einen kleine „Beule“. Wohl ein Zeichen für Handarbeit in Solingen … Was die Nagelgängigkeit angeht, ist sie bei allen drei Messern gegeben. Auch hier - wie nicht anders zu erwarten - deutlicher beim Office.
Zur Geometrie
Zum Schliff der Messer sei noch gesagt, daß er sowohl beim Office als auch bei beiden Schanz leicht ballig (konvex) verläuft. Legt man ein gerades Lineal auf die Klingen, zeigt sich eine kleine Wippe.
Uns begeistert die Schneidleistung der Messer mit ihrem fabelhaften Eindring- und Durchdringungspotential - mit nur sehr geringen Unterschieden zwischen den drei Kandidaten. Beim Gyuto gefällt dazu bei der Arbeit besonders die Form der Klinge. Dünnschliff - rostend oder edel, aus Solingen oder aus Stutensee - bedeutet für uns Schneiden in seiner schönsten Form. Zum schlanken Messerrücken noch eine Anmerkung. Wenn auch eine möglichst geringe Stärke der Klinge direkt hinter der Schneidfase mit dann nur sehr langsam zunehmender Materialstärke der entscheidende Faktor für echte Schneidfreude sein dürfte, haben wir festgestellt, daß der sehr dünne Messerrücken bei sperrigem Schnittgut mit größerem Durchmesser (Rettich, Kartoffeln …) diese noch erhöht. Insbesondere, wenn man dickere Scheiben schneidet. Es muß schlicht und einfach weniger durch. Bei Tomaten spielt das keine Rolle. Die „Masse“ ist nachgiebig und kann nach beiden Seiten ausweichen, so daß sich kein Widerstand aufbaut.
Was die Größe der Messer angeht, sollte der geneigte Leser berücksichtigen, daß unsere Koch- und Eßgewohnheiten kaum als repräsentativ angesehen werden können. Die Küche ist zumeist kalt. Rohe Kost in kleinen Mengen bestimmt das Tagesgeschäft: Ein Apfel und/oder irgendeine Südfrucht, Tomate, Paprikaschote, Gurke, Knoblauch, Koriander … Manchmal geht es - neben Brot - auch um Käse oder gar um die Wurst! Regelmäßige Leser unserer Geschichten kennen ja unseren Speiseplan. Für zwei „Personen“. Wobei Johnnys Mahlzeiten als vollkommen „wartungsfrei“ anzusehen sind. Zudem kaufen wir Messer nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit sondern auch - und insbesondere - weil wir Spaß daran haben. Und wir mögen kleine und mittelgroße Messer sehr.
Auf dem Tresen im Roadhouse liegen jetzt - ständig im Blickfeld und für den schnellen Zugriff - (noch) das bulthaup Filetiermesser, davor das Kleine Gyuto und das Petty. Unten rechts ein mordsstabiles Küppels. Links davon das Herder 1922 Office und darüber unser bestes Spanisches, ebenfalls gut stabil. Dieses und das Küppels für den Fall, daß es um Biegen und Brechen geht - oder darum, ein Milch- oder Sahne-Tetrapack aufzuschneiden. Die ganze SICO-Bande ist zum Windmühlen-Schälmesser und zum Brotmesser in die Schublade gewandert.
Zum Abschluß ein ausdrückliches Dankeschön an Jürgen Schanz. Dafür, daß er sich so bereitwillig auf die Wünsche seiner "Messies" einläßt. Einziges Problem: Das Kochen bzw. die Essenzubereitung dauert jetzt deutlich länger als früher - weil das Schneiden soviel Spaß macht !
Und Action!
Kleines Schanz Gyuto & Petty und Herder 1922 Office
(Bei den Detailbildern stehen SICO Professional, Schanz und Office nebeneinander. Auf den letzten beiden Bildern liegt das Streichholz zunächst auf dem Office, dann auf dem Petty.)
Im Ganzen
Im Schnitt
Im Detail
Im Prinzip wären wir jetzt fertig. Das stimmt fürs Erste. Aber in Kürze werden wir eine kleine Fortsetzung anhängen. Denn wir sind auf dem Weg zum Katana nicht stehengeblieben. Nach - parallel zu diesem Bericht - weiteren ausgiebigen Recherchen, haben wir die nächste zielführende Entscheidung getroffen. Es hätte nach Gabriels schönem Erfahrungsbericht (http://www.messerforum.net/showthread.php?122138-Suisin-Inox-Honyaki-Wa-Gyuto-240mm-ein-Review) gut ein Suisin Inox Honyaki Wa-Gyuto 240mm werden können. Wenn wir bloß das Design der japanischen Messer leiden könnten. Aus Liebe zu Carbon und zum Dünnschliff - und der Ausgewogenheit wegen - ist es daher das Herder 1922 Kochmesser geworden. Es dürfte das mit 21 cm scharfer Klinge sein, denn sein extraordinär günstiger Preis läßt keine andere Vermutung zu, als daß es sich um das ältere Modell handelt. In Kürze werden wir mehr wissen. Es ist bereits auf dem Weg. Wir sind uns allerdings noch nicht ganz sicher, ob wir uns damit bereits an Zwiebeln herantrauen sollten …
Aus der Jukebox John Hiatt mit „Paper Thin“: https://www.youtube.com/watch?v=RKKasX77r8I
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