Verständnisfrage zu Cryobehandlung/ Restaustenit

rolynd

Mitglied
Beiträge
272
Mein genereller Wissensstand zur Tiefkühlbehandlung besagt dass min. eine Temperatur von -70°C erreicht werden muss sonst ists wirkungslos.

Ich bin jetzt auf eine Aussage im Verhoeven Seite 145 gestossen , die ich mir dann so nicht erklären kann:

The measurement of retained austenite with x-ray diffraction analysis is a
somewhat complicated and non-standard technique. Reference [13.9] presents a simple
technique that can be used as a guide to qualitatively evaluate the amount of retained
austenite in the steels of Table 13.7 and thereby estimate if the austenitization
temperature is near the desired level. Immediately after the room temperature quench
and prior to any tempering, blank samples need to be cold quenched to at least -31 oF (-35 oC) and their hardness compared to that of the room temperature quenched samples. The
cold quench will cause the hardness to rise due to loss of retained austenite. Their
guidelines [13.9] are as follows: (1) If hardness rises by more than 1.5 Rc points the
austenitization temperature was too high (too much retained austenite). (2) If hardness rises
by less than 0.5 Rc points the austenitization temperature was too low.

Das heisst für mich dass auch bei -35°C bereits eine zumindest teilweise Umwandlung des Restaustenits stattfindet, oder hab ich das jetzt falsch verstanden?

Im Umkehrschluß heisst das , daß z.B. eine Behandlung mit Kältespray (-50°C) bereits zu einer Verminderung des Restaustenits führt?

Wäre halt Interessant wenn man mal schnell eben eine Klinge aus Rostfrei härtet ohne Trockeneis oder Flüssigstickstoff zur Hand zu haben. Kältespray steht halt auf dem Regal und selbst wenns nicht Optimal (Besser ist Trockeneis/Stickstoff, ist mir schon klar, darum gehts hier nicht) wäre ist es dann besser als ohne?
Laut Roman erfolgt die Umwandlung des Restaustenits ja in Schallgeschwindigkeit, d. H. eigentlich ist eine Haltezeit außer um die Klinge komplett durchzukühlen unnötig.
Selbst wenn nur eine unvollständige Reduzierung des Restaustenits möglich ist wäre es doch besser als garnix???

Grrr, muss natürlich RESTaustenit im Titel heissen, ****** Tippfehler, Sorry
 
Hallo rolynd,
sehe ich auch so.Der Umwandlungspunkt sinkt ja in einem Gradienten unter die 0°C Grenze. (Werkstoffabhängig)
Simpel gesagt ,je kälter desto mehr wird umgewandelt , da dürfte man mit -50°C schon ein ganzes Stück wegkommen.
Mal gespannt was unsere Experten sagen!!
gruss fritz
 
Man wird zweierlei unterscheiden müssen:

Die Abschreckwirkung ist grundsätzlich größer, wenn nicht nur auf Raumtemperatur, sondern z.B. auf minus 20 Grad abgeschreckt wird.
Dann bleibt eben etwas weniger Restaustenit zurück.

Ganz vermeiden läßt sich Restaustenit nicht, er ist in geringen Anteilen aber nur sehr schwierig und mit aufwändigen Methoden nachweisbar.

Um ihn wenigstens teilweise zu zersetzen und in Martensit umzuwandeln, ist die Tiefkühlung das Mittel der Wahl.

Haufe schreibt dazu (S. 71 ) "Die Zersetzung geht bei Kältegraden bis zu etwa minus 20 Grad C nur langsam, dann bis zu minus 100 Grad C schnell zunehmend und bei weiterem Sinken der Temperatur wieder langsamer vor sich".
Man kann getrost sagen, daß Restaustenit, der sich nach dem Härten schon etwas stabilisieren konnte, bei minus 20 Grad kaum noch angegriffen wird, jedenfalls nicht in tragbaren Zeiten.

Für die Härtereipraxis hat sich als vernünftiger Kompromiß zwischen Wirksamkeit und Aufwand ein Tiefkühlen bei ca. minus 80 Grad herauskristallisiert.

Verhoeven geht es in dem angesprochenen Zitat wohl nicht in erster Linie um die Wirksamkeit der Tiefkühlung, sondern darum, die richtige Austenitisierungstemperatur zu finden.

Die Vermeidung oder weitgehende Beseitigung des Restaustenits ist sicher eine sinnvolle Maßnahme, um zu optimalen Ergebnissen zu kommen.
Es ist aber leider nicht so, daß der Zugewinn an Härte durch Tiefkühlen 1 zu 1 beim Anlassen erhalten bleibt. Es ist eher zu erwarten, daß Werkstücke aus identischem Material, die unterschiedliche Ansprunghärten zeigen, nach dem Anlassen etwa gleich hart sind. (Vergl. Haufe, S.68).
Das ist auch logisch, weil beim Anlassen von Stählen, die durch viel Restaustenit nur eine geringe Ansprunghärte haben, der Härteverlust beim Anlassen geringer sein wird, weil sich ein Teil des Restaustenits eben in Martensit umwandelt. Das kann bei sehr harten, restaustenitarmen oder-freien (eine schöne Illusion) Werkstücken natürlich nicht stattfinden.

Freundliche Grüße

U. Gerfin
 
Das mit den -80°C kenne ich aus der Kugellagerindustrie, die machen das mit flüssigem Stickstoff.
Habe bei Eckstein ähnliches gefunden wie bei den schon genannten Autoren.
Auch er schreibt, bei -35°C beginnt die RA Umwandlung und ist bei
-120° beendet (am 100Cr6)
Damit kommt man unter 13% RA
Er empfiehlt noch eine Abkühlrate nicht schneller als 50K /h um Risse zu vermeiden.
Ausserdem soll der daraus gewonnene Martensit spröder sein als der ,,normale,,
Gibt es irgendwelche verlässliche Quellen über die Höhe des anfallenden RA bei unseren Messerstählen.???
Wenn nur 10-15% RA anfallen , dann lohnt der ganze Aufwand nicht.
Ich findedas eishärten, ist von der Messer Industrie werbewirksam umgesetzt worden.
Glaube nicht das jemand aus unserer Sparte grossartig unter 15% RA
kommt.
Die Kugellagerleute machen Kopfstände um bei 13% zu liegen - allerdings weniger der Härte wegen - mehr um Maßstabilität zu erreichen.
Gibt es in unserer Sparte Berichte und konkrete Versuchsergebnisse , wäre sehr interessiert daran
gruss fritz
 
Ob es taufrische Untersuchungen gibt, weiß ich nicht.
Die "klassische" Literatur beschäftigt sich mit diesem Thema wenig, eben weil es in der Regel keine so massive Auswirkung hat, die den Aufwand lohnen würde.

Urs Wyss (Wärmebehandlung der Bau- und Werkzeugstähle, Herausgeber Hanns Benninghoff) ist dazu noch am ausführlichsten, obwohl er die Frage mehr beiläufig, nämlich unter dem Gesichtspunkt der Vorgänge beim Anlassen behandelt (Vergl. dort S. 98 ff). Recht interessant ist eine Gegenüberstellung der Ansprunghärte eines Stahles ähnlich D2 bei unterschiedlichen Härtetemperaturen und die Veränderung der Härte bei unterschiedlichen Anlaßtemperaturen.

In Kurzfassung: Er bestätigt dort die Beobachtung, daß Stähle mit zuviel Restaustenit beim Anlassen härter werden können und erklärt dies mit dem Zerfall des Restaustenits zu neugebildetem Martensit-woraus sich auch die Notwendigkeit mehrfachen Anlassens ergibt.

Rapatz führt als Beispiel einen reinen C-Stahl mit 1,7 % C an, der beim Austenitisieren bei 790 Grad C und Ablöschen in Wasser mit 51 Grad C 14 % Restaustenit aufwies, beim dirtekten Abschrecken in Wassr von 20 Grad sogar nur 9 % und nach Tiefkühlen bei minus 193 Grad nur noch 2,9 %. Bei leicht legierten Stählen wird man wegen des stabileren Restaustenits eher von höheren Prozentzahlen ausgehen müssen.

Mein Eindruck ist, daß man sich um dieses Thema nicht besonders gekümmert hat, weil bei unlegierten und leicht legierten Stählen die Auswirkung n a c h dem Anlassen eher gering ist.

Als der Fachmann in Fragen Restaustenit gilt Prof Dr. Ing. Hanns Berns, der u.a. ein sehr lesenswertes Büchlein über die Geschichte des Härtens geschrieben hat. Roman hat mir von einem Gespräch mit ihm berichtet, dessen Tenor im wesentlich war, daß die völlige Vermeidung oder Zersetzung von Restaustenit a) eine Illusion und b) überflüssig sei.

Freundliche Grüße

U. Gerfin
 
Vielen Dank Herr Gerfin für die Ausführungen!

Das heißt für mich , Insofern ich nicht die Maximale Härte Herauskitzeln möchte bin ich genauso gut dran, wenn ich beim Härten eher vom unteren Bereich der Härtetemperatur bei etwas verlängerter Haltezeit arbeite , wie wenn ich die Höhere Temperatur, kurze Haltezeit + TK wähle, und irgendwelche Abkühlungen oberhalb -80°C kann man sich getrost schenken.

Im ersten Fall habe ich eine geringere Endhärte aber auch wenig Restaustenit, im Zweiten Fall Höhere Härte durch Verminderung des Restaustenits durch TK.

Wenn jetzt beide Klingen auf z.B. 57-58RC Angelassen werden sollten doch keine wahnsinnig großen Unterschiede im der Performance feststellbar sein, oder habe ich was entscheidendes Übersehen? Ich glaube noch irgendwo gelesen zu haben dass die Rostbeständigkeit unterschiedlich hoch ist?

Ein brauchbares Messer aus einem einfachen Rostfreien Stahl wie, 13C26 ,AEB-L ist also auch ohne TK durchaus drin, will man Max. Härte wird man um eine TK nicht herumkommen.

Ich hab noch etwas AEB-L hier liegen den ich wegen der TK-Frage bisher nie grossartig benutzt hab, Ich werde bei Gelegenheit mal eines ohne und eines mit TK machen und dann kann ichs ja vergleichen. Ich war mir nur nicht so ganz sicher ob Rostfrei ohne TK überhaupt sinnvoll ist.
 
Korrosionsbeständige Stähle sind hoch legiert und neigen zur kräftigen Bildung von Restaustenit. Das erklärt die geringere Härte im Vergleich zu einfachen Werkzeugstählen mit vergleichbarem C-Gehalt.
(Vorsicht: Bei hoch legierten Stählen kann man in vielen Fällen davon ausgehen, daß der C-Gehalt so wirkt, als sei er etwa doppelt so hoch.
Stahl 1.4034 mit ca. 0,45 % C ist von der Wirksamkeit des C-Gehalts an sich einem Stahl mit gut 1 % C gleichzusetzen. Wenn man sich Gefügeaufnahmen im weichgeglühten Zustand ansieht, so sieht man, daß der Karbidgehalt in etwa dem eines Stahls mit über 1 % C gleichkommt ).

Die Konsequenz, die rolynd gezogen hat, ist richtig.

Wenn man sich mit 57 HRC begnügen will, ist es ziemlich gleichgültig, ob man tiefkühlt oder nicht.

Auswirkungen auf die Korrosionsbeständigkeit würden sich ergeben, wenn nicht genug Karbide gelöst waren und deshalb die Grundmasse die erforderlichen mindestens 12 % Chrom nicht enthielte.

Man könnte sich in diesem Zusammenhang folgende Szenarien vorstellen- als Beispiel sei der 1.4034 gewählt, die Grundprinzipien lassen sich auf andere korrosionsbeständige Stähle übertragen.

1. Korrekt gehärtet: Fast alle Karbide sind beim Austenitisieren gelöst worden. Der Stahl hat eine gute Härte und gute Korrosionsbeständigkeit.
Ansprunghärte in diesem Fall ca. 59-60 HRC, nach dem Anlassen 57, 58 HRC.

2. Korrekt gehärtet und tiefgekühlt.
Ausgangsgefüge wie im Fall 1- Härte und Korrosionsbeständigkeit gut.
Durch das Tiefkühlen wird ein Teil des Restaustenits zersetzt und wandelt sich in Martensit um. Das führt zu einer leichten Härtesteigerung-an mehr als 1-2 HRC-Einheiten glaube ich nicht- eine Verbesserung der Korrosionsbeständigkeit sehe ich nicht- wenn nach korrekter Härtung gut 12 % Chrom in der Grundmasse vorhanden sind, ist eine befriedigende Korrosionsbeständigkeit gegeben, die sich bei mehr Chrom in der Grundmasse nicht entscheidend verbessert.
Härte also nach dem Tiefkühlen 60-61 HRC..
Bei gleichem Anlassen bleibt möglicherweise ein geringer Härtevorteil übrig, beim Anlassen auf gleiche Härte könnte ein minimaler Gewinn an Zähigkeit gegeben sein.

3. Unterhärtet, also bei zu geringer Temperatur gehärtet.
Härte und Korrosionsbeständigkeit mangelhaft, da sowohl für die Härtung, wie für die Korrosionsbeständigkeit zu wenig C aus den Karbiden gelöst worden ist.
Tiefkühlen ist hier wirkungslos.

4. Überhärtet, also von zu hoher Temperatur gehärtet.
Härte unbefriedigend, da zu viel Restaustenit vorliegt, Korrosionsbeständigkeit gut, weil die Karbide ganz oder weitestgehend gelöst waren, das Chrom also in die Grundmasse gehen konnte.
Beim Anlassen verzögert sich der Härteabfall und kann sogar völlig zum Stehen kommen, da sich neuer Martensit bildet.
Gewinnbringend kann man das nicht einsetzen, da die Zersetzung des im Übermaß vorhandenen Restaustenits und die Umwandlung in Martensit erst bei Anlaßtemperaturen stattfindet, die schon zu einem nicht hinnehmbaren Härteverlust führen.
Tiefkühlen wäre hier -zur Beseitigung vorher begangener Fehler- am wirksamsten. Besser ist es aber allemal, Fehler zu vermeiden, statt sie beseitigen zu müssen.

Nur nebenbei aus meiner persönlichen Erfahrung: Ich habe mit den einfachen martensitischen korrosionsbeständigen Stählen wenig gearbeitet, weil ich vor meiner Damastzeit die Extreme gesucht habe-also hoch und höchst legierte PM-Stähle testete.
Aus Stücken 1.4034 habe ich also einige wenige Dolche und Kampfmesser gemacht und war ganz erstaunt, daß diese Klingen nach dem Anlassen auf 200 Grad noch 60 HRC aufwiesen, also viel "besser" waren, als ich gedacht hatte.

Die Edelabwandlungen dieses Stahls, insbesondere die Qualität von Sandviken mit erhöhtem Stickstoffanteil, kann man ganz sicher bestens empfehlen-ob mit oder ohne Tiefkühlen.

Freundliche Grüße

U. Gerfin
 
Vielen Dank für die ausführliche Darstellung . Fühle mich in der Grundidee
bestätigt.
Danke für den Hinweis auf den RA ,,Papst,,hoffe mich einlesen zu können.
Solche Informationen sind immer wieder interessant, einer hat das gelesen ,
der andere kennt Leute aus der Praxis usw.
Da macht solch ein Thema Freude.
Dank an alle Beteiligten - ne Menge gelernt.
gruss fritz
 
Zurück