Wasserkraft Santoku 18cm, limitierte Edition Flutkatastrophe

JensG.

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Ich war am 5.11.2022 auf dem Messer-Gabel-Scherenmarkt in Solingen, wo mein Blick auf vier Kisten am Stand der Wasserkraft-Manufaktur von Ralf Jahn fiel mit kleinen und großen Santokus in rostfrei und rostend, die mir optisch sehr zusagten. Der Preis war sehr attraktiv mit 39 € für die großen und 29 € für die kleinen Santokus, wobei vermutlich 25 % Messe-Rabatt gegeben wurde und der reguläre Preis entsprechend höher läge. Weil ich noch kein rostendes Messer hatte und mein Culilux-Santoku an einen Freund verliehen ist, griff ich beim großen Santoku zu. Das kleine fand ich zwar noch etwas hübscher, aber das große vernünftiger.
Die Santokus sind nicht im Shop der Wasserkraft-Manufaktur gelistet, aber auf der Instragram-Seite von Ralf Jahn vorgestellt als "Limitierte Auflage. Dünnschliff Santoku mit Kirscholzgriff in Carbon und rostfrei."

Hier gibt es einen alten Passaround-Test zu vier Wasserkraft-Messern: PA Wasserkraft (https://messerforum.net/threads/pa-wasserkraft.131903/)
Hintergrund-Infos für den PA hier: Passaround Wasserkraft Santokus und Kochmesser (https://messerforum.net/threads/passaround-wasserkraft-santokus-und-kochmesser.131743/)

Aufgrund des PAs wusste ich, dass ich auf ungenaue Bearbeitung achten musste. Tatsächlich gab es Griffe mit einer kurzen dünnen Spalte vorne auf einer Seite des Erls, ca. rasierklingendick. Hinten am Anschlag des Erls hatten alle 5 Messer, die ich mir ansah, eine kleine oberflächliche Lücke. Besorgniserregend fand ich das aber nicht. Bei einem Messer fiel mir auf, dass die Griffnieten geringfügig über das Holz hinausragten in einem Ausmaß, das mich gestört hätte. Dass der Erl oben über das Holz hinausragte, fiel mir bei keinem Messer auf. Ich bat Herrn Jahn, mir aus ca. 5 Messern eine Rosine rauspicken zu dürfen. Er stimmte zu und wies mich auf das dann genommene Messer hin, welches auch einen etwas dunkleren und charaktervolleren Griff hatte als die anderen. Bei dem Griff sind die Nieten zwar fühlbar ganz leicht erhaben, aber nicht störend, sondern eher strukturgebend.







Die Klinge ist 18 cm lang mit 17,5 cm langer Schneide, maximale Höhe ist 4,3 cm. Eine Balligkeit/Konkavitat habe ich nicht bemerkt. Der Schwerpunkt liegt ca. 0,5 cm im Schneidenbereich. Zur Spitze hin verjüngt sich die Klinge. Der Griff ist ca. 1,5 cm dick und 13,5 cm lang. Das Messer wiegt ca. 110 g. Bei starkem Druck mit dem Daumennagel ist leichtes Buckeln zu sehen, wobei mir das bei den anderen Messern, die ich zur Auswahl hatte, teilweise etwas leichtgängiger vorkam. Da fehlt mir allerdings die Erfahrung, um das kompetent beurteilen zu können.
Ein Gerät zur genauen Messung der Klingendicke habe ich nicht.
Die Finger passen beim Schneiden auf dem Brett nicht vollständig unter den Griff, was sie bei meiner Griffhaltung aber auch nicht müssen.
Außer der Schneide gibt es keine scharfen Kanten; Kehl und Klingenrücken sind abgeschrägt, was man auf den Fotos auch sehen kann.




Die Schneidfase erschien mir im Mikroskop sehr grob und auch etwas unregelmäßig, jedenfalls im Vergleich zu den hier sonst gezeigten Bildern. Ich vermute, dass dieses Schliffbild von den alten runden Schleifsteinen stammt. Sie war allerdings scharf genug für Zeitungspapier und Unterarmhaare. Bei ersten Schneidversuchen fiel mir auf, dass die Schneide in die Längsfasern meines Bambusbretts biss, weshalb ich es um 90° drehte. Nach ein wenig Gemüse und Chop-Versuchen an einer Möhre erschien mir die Schneide unterm Mikroskop auch schon etwas lädiert:



Ich habe dann mit meinem Ruixin Apex-Klon eine 15°-Fase geschliffen und darauf eine kleine (größer als "mikro") 20°-Fase. Das erschien mir nicht minder scharf und es verbiss sich nicht so ins Holz.
Den Griff habe ich mit Leinölfirnis behandelt.

Meine Erfahrung nach drei Familien-Mittagessen:
Mit der Schneidleistung bin ich sehr zufrieden. Bei Möhren ist mitunter noch ein leicht reißendes Geräusch zu hören, aber der Schnitt ist schon etwas leichter als mit meinem Standard 20 cm Kochmesser von Burgvogel (Oliva, dünne Variante), mit dem ich insbesondere nach neuem Schliff durchaus auch zufrieden bin. Auch bei Zwiebeln geht vor allem der Horizontalschnitt leichter. Tomate, Paprika, Pastinake, rohe Kartoffel, Apfel, Ananasscheiben, Hühnerfilet sind kein Problem, Tomaten sind auch freihändig zu schneiden. Bei einer Zwiebel habe ich erstmals ansatzweise erfolgreich gechoppt, was ich bislang nur bei Gurken sicher kann :). Die Stücke haften zwar an der Klinge, lassen sich aber sehr leicht runterwischen. Da habe ich mit anderen Messern auch schon deutlich schwereres Abwischen erfahren. Petersilie lässt sich gut wiegen.
Reaktivität habe ich bei Paprika und roher Kartoffel riechen können und bei den Kartoffelwürfeln auch geschmeckt. Hätte ich nicht bewusst darauf geachtet (mein erstes rostendes Messer!), wäre es mir vielleicht aber gar nicht aufgefallen. Es war also eher schwach.
Heute, vier Tage nach Kauf, hat das Messer eine deutliche Patina, wobei ich auch etwas mit Kaffeepads und Bacon nachgeholfen habe.



Was mir noch auffiel: Das Messer haftet deutlich stärker an der Magnethalterung als mein Burgvogel-Kochmesser, obwohl das mehr Klingenfläche und Masse hat.


Mein Fazit:
Für mich ist es ein sehr leichtes handliches Santoku von eleganter Schlichtheit und guter Schneidleistung. Ich bin sehr zufrieden und freue mich, für so einen geringen Preis mein erstes Carbonstahlmesser bekommen zu haben, zudem noch mit einem durchaus interessanten Hintergrund. Für manchen Sammler ist die Story eines Messers ja sogar Kaufgrund.
Für einen blutigen Anfänger ohne Schleifkenntnisse ist es vermutlich nicht geeignet wegen der im Auslieferungszustand zu aggressiven und empfindlichen Schneide, um die man sich kümmern muss. Aufgrund der kleinen Makel am Griff ist ein Blindkauf, wenn man da pingelig ist, ohne Absprache mit etwas Risiko verbunden.


Das Messer schreit geradezu nach einem Vergleich mit dem kleinen Herder-Santoku. Kann ich leider nicht mit dienen. Ich glaube nicht, dass ich dafür den deutlichen Mehrpreis (von mindestens 50 %) zahlen wollte, zumal mir der schräge Kehl des Wasserkraft-Santokus optisch viel besser gefällt.
Vergleich mit dem Culilux-Santoku geht gerade auch nicht, weil es verliehen ist. Das ist allerdings 50 % schwerer und etwas grifflastiger, weshalb es von der Handhabung auch andersartig ist.

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Nachtrag 4.12.2022:
Ich habe das Messer jetzt vier Wochen gerne als mein Standardmesser in der Küche benutzt und bereue den Kauf nicht. Ein wichtiges Detail ist noch zu ergänzen: die Schneide scheint recht empflindlich auf saures Schnittgut wie Tomaten zu reagieren und stumpft dadurch ab, besprochen hier: Nicht rostfreier Messerstahl und saures Schnittgut
Das Problem ist schnell durch Wetzen erledigt, aber wer das nicht mag und wie ich viel Tomaten schneidet, für den ist das Messer wohl weniger geeignet. Da wäre es natürlich interessant, ob und wie sich die rostfreie Version des Messers in den Schneideigenschaften unterscheidet.
 
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Mein Like gab es für die Mühe, die du dir für diesen Beitrag gemacht hast! Sonst finde ich das einigermaßen gruselig, was ich da so sehe!
Sorry! rocco26
 
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Danke, Rocco! Kritik an der Verarbeitung wurde auch im alten PA deutlich geäußert, wobei das ja wohl Vorserienmodelle waren, wie sich später herausstellte. Ich denke, man muss berücksichtigen, für welchen Preis dieses vorgestellte Messer angeboten wird. Ich habe schon mehrfach gelesen und gehört, dass gerade der Holzgriff besonders viel Handarbeit benötigt, und die kostet. Bei Herder-Messern wird die Verarbeitung auch immer wieder angesprochen und selbst bei teuren japanischen Messern wird es achselzuckend hingenommen. Ich habe das bei diesem Messer akzeptiert. Aber ganz klar: da gehört ein wenig Liebe zur Bastelei dazu, um so ein Messer zu mögen. Daher auch meine Einschätzung, dass das nichts für einen blutigen Anfänger ist. Insgesamt spricht eine rostende Dünnschliff-Klinge ja eher nicht den Verstand, sondern die Emotionen an.
 
Also jetzt mal so aus dem Bauch raus:
Hier wird, zurecht, die Verarbeitung der Griffe beanstandet. Doch wie ist denn sowas überhaupt möglich ?
Mutwillig bzw. absichtlich, bzw. nachlässig geht ja fast nicht. Denn wenn NACH dem Montieren der Holzgriffe nochmal drübergeschliffen würde, wären die Klingenkanten am Griff nicht soo scharfkantig wie beschrieben, sondern zumindest irgendwie auch minimal abgerundet...
Die einzige schlüssige Erklärung ist für mich tatsächlich das Schwinden der Holzgriffe NACH der Montage. Und hier ist die Vermutung der hohen Luftfeuchtigkeit in der Kotten absolut nachvollziehbar ! Das relativ aufgequollene Holz wird montiert...und entwickelt dann in der Verpackung oder in einem Lagerraum ein völlig unkontrollierbares Eigenleben.
Und was soll der Hersteller jetzt tun ? Die eigentlich fertigen Messer wieder zerlegen und neue Griffe montieren ?
Mit viel Aufwand und Fingerspitzengefühl am Schleifband die hervorstehenden Klingenkanten über den Griffen irgendwie flacher kriegen ??
Aus meiner Sicht ein Ding der Unmöglichkeit, schon allein aus Kostensicht, von handwerklichem Aufwand noch gar nicht zu reden...
Also versucht er sie halt irgendwie zu verkaufen und daraus zu lernen ...?
Mich würde eine (offen und ehrliche ! ) Stellungnahme des Herstellers interessieren, denn an und für sich ist dieses Projekt mit Tradition und Wasserkraft höchst unterstützenswert !!!
Fokus der fachlichen Beurteilung hier im Forum wären deshalb für mich hauptsächlich Geometrie, Schliff, Taper Klingenprofil usw.
DARIN liegt wohl das meiste Erfahrungs- und Entwicklungspotential für den Hersteller.
PLUS: Holzlagerung - und Trocknung völlig neu überdenken und anders "in die Griffe kriegen"...
Die individuell erforderlichen Lösungen für die schon montierten Griffe sind tatsächlich Bastelarbeit für Liebhaber.

Gruß von einem Messerliebhaber, dessen Vater, Großvater und Urgroßvater Äxte und Forstwerkzeuge schmiedeten. Mit Wasserkraft...
 
Vielleicht wäre die (arbeitsteilige ) Lösung tatsächlich die Produktion von gut gefertigten, geschliffenen und geschärften Klingen...
Und die Freaks hier montieren und end-bearbeiten sich ihre individuellen Griffe selbst...
Und irgendwann findet der Schmied/Schleifer schon einen Holz-Fuchs, der ihm diese Arbeit spezialisiert und fachlich sauber abnimmt.
 
Klar, Holz arbeitet. Aber Holz in feuchter Umgebung verarbeiten, wenn klar ist, dass es danach in eine trockene Umgebung kommt...auch nicht zwingend professionell, sollte darin das Problem liegen.
Bei Herder zumindest kommt noch dazu, dass die doch arg an Öl geizen. Die Messer haben ihre Ölung vor der ersten Nutzung wie ein trockener Schwamm angenommen.

Den Preis darf man hier allerdings trotzdem nicht ganz vergessen.

Danke für den Bericht.
 
Man sollte vielleicht bedenken das solch ein Messer weniger kostet als ein halber Stundenlohn , nicht gerechnet die Rohstoffe und ein möglicher Gewinn.
Bessere Qualität gibt es eben auch für erheblich mehr Geld.
 
Mein Erschrecken wiederfuhr mir beim Betrachten des Kehlshots (4_kehlcxdtq.jpg).
Da weiß ich echt nicht wie man sowas hin bekommt. Das würde ich nicht einmal verschenken.
rocco26
 
Da war ich auch überrascht, dass es einseitig geschliffen aussieht. War mir beim Betrachten mit dem Mikroskop nicht aufgefallen. Eventuell sorgen aber auch die abgeschliffenen Kanten des Kehls für Verwirrung.
 
Ich habe das Messer in den letzten Tagen nicht geschont. Goudawürfel, Butternut-Kürbis und Fladenbrot gingen auch zu schneiden, aber da bevorzuge ich doch andere Messer. Bei Äpfeln und sauren Gurken gabs keine weitere Reaktivität. Halbe Möhren und Zwiebeln kann ich jetzt mit einer leichten Zugbewegung auch choppen.
Heute waren Tomaten dann schwierig einzuschneiden und bei Zeitungspapier griff nicht jeder Schnitt. Unterm Mikroskop sah ich nichts Auffälliges.
Nach ca. 20 Wechselzügen mit dem Dick Micro war alles wieder in Ordnung und Tomaten freihändig zu köpfen.
 
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