So ganz einfach kann man das auch nicht beantworten.
1. Bei Stählen unter dem Eutektikum kann man die Kornfeinung, die hier nur die Matrix betrifft, zugleich mit dem Weichglühen/Einformen vornehmen.
Statt lange knapp unter AC 1 zu erwärmen, pendelt man hier um AC 1 und hat zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Das Gefüge wird optimal weich und bearbeitbar und das Matrixkorn wird durch das mehrfache Umkörnen fein.
2. "Karbide, die sonst nur schwer lösbar sind" werden beim Normalisieren- ganz gleich wie scharf es ist- nicht zwangsläufig gelöst.
Es sind hier mehrere Fälle zu unterscheiden:
a) In unlegierten oder leicht legierten übereutektoidischen Stählen tritt meist nur das Eisenkarbid Fe3 C auf oder - wenn das Eisen durch ein anderes Element teilweise ersetzt wird- M(Metall)3 C.
Diese Karbide werden mit steigender Temperatur mehr und mehr gelöst.
Die Einzelheiten kann man dem Eisen- Kohlenstoff-Diagramm entnehmen.
Bei hohem C-Gehalt kann zur völligen Karbidlösung eine Temperatur von 1000-1100 Grad erforderlich sein.
Hier befindet man sich ein bißchen in der Zwickmühle: Solange noch genügend Karbide ungelöst vorliegen, behindern sie das Kornwachstum, sorgen also für eine ordentliche Struktur der Matrix.
Kommt man nun in den Temperaturbereich der völligen Karbidlösung, so setzt das Kornwachstum der Matrix ungehindert ein und man erhält ein grobes, sprödes Grundgefüge.
Bleibt man im Bereich unterhalb der völligen Karbidlösung, so bleibt das Matrixkorn fein, es besteht aber die Möglichkeit, daß ungünstig angeordnete und grobe Karbide stehen bleiben.
In der Praxis vermeidet man bei hoch kohlenstoffhaltigen Stählen die völlige Karbidlösung und nimmt zugunsten einer feinen und zähen Matrix eine möglicherweise nicht optimale Größe und Lage der Karbide in Kauf.
Dem sind wir aber nicht hilflos ausgeliefert:
Beim Schmieden wird die Temperatur der Karbidlösung deutlich überschritten. Durch kräftiges Überschmieden der gesamten erwärmten Zone kann sowohl das Wachstum der Matrix, wie auch das Zusammenballen der Karbide zu größeren Formen verhindert werden.
Bei tüchtigen Schmieden findet ein Normalisieren also schon beim letzten- oder eigentlich bei jedem- Schmiedevorgang statt.
Zur Sicherheit ist es aber ratsam, zur Kornfeinung im gesamten Werkstück zu normalisieren und zur besseren Bearbeitbarkeit weichzuglühen.
b) Verschärft wird die Situation bei Vorliegen von Legierungselementen, die Sonderkarbide bilden.
Diese Karbide sind schwerer in Lösung zu bringen. Vanadiumkarbid etwa würde über 1100 Grad brauchen. Da hofft man am besten, daß das Karbid schon beim Gießen und Walzen hinreichend klein gehalten wurde und nimmt den vorgegebenen Zustand in Kauf.
Dazu muß allerdings gesagt werden, daß Vanadiumkarbid ganz überwiegend bei den Schnellarbeitsstählen auftritt, die ohnehin ledeburitisch sind, deren Karbide also durch Wärmebehandlungen allein nicht mehr vollständig verfeinert werden können.
Diese Stähle stehen hier aber nicht zur Debatte.
Bei normalen Werkzeugstählen wird Vanadium nur in geringen Mengen zur Kornfeinung schon beim Gießen zugesetzt und diese geringen Anteile spielen dementsprechend nur eine geringe Rolle für die Karbidbildung.
Immerhin ist der als Ersatz für die Wolframriffelstähle gedachte 1.2838 mit 3 % Vanadium legiert und zeigt unerfreulich große Karbide.
c) Ganz schlecht wäre die Situation bei "totgeglühten" Wolframstählen.
Da kann sich bei langem, intensivem Weichglühen das Karbid WC bilden, das so gut wie nicht mehr lösbar ist.
Das würde dazu führen, daß der im Karbid gebundene Kohlenstoff für die Härtung nicht mehr genutzt werden kann und das grobe und möglicherweise ungünstig gelagerte Karbid nicht mehr verfeinert werden kann.
Die Antwort auf die Ausgangsfrage ist also, wie meist: "Es kommt darauf an".
Freundliche Grüße
U. Gerfin