Am ehesten findet man überzeugende Antworten nicht in den Kapiteln über Spezialstähle, sondern im allgemeinen Teil.
Rapatz hat z.B. den grundsätzlichen Aufbau des Stahls und die Rolle und Art der Karbide ganz ausführlich beschrieben. Er schreibt auch noch gut lesbares und verständliches Deutsch. Das Kapitel über die Karbide ist aber zugegeben lang und recht kompliziert.
Deshalb will ich einen kurzen Überblick versuchen, der hoffentlich hilft, anstehende Fragen -selbst- zu beantworten.
Noch mal ganz von Anfang an:
Stahl ist - von Sonderfällen abgesehen, die wir hier vernachlässigen können- in der Elementarzelle kubisch- raumzentriert aufgebaut.
Diese bei Raumtemperatur bestehende Modifikation nennt man Alphaeisen.
Sie kann (so gut wie) keinen Kohlenstoff lösen.
Ist also Kohlenstoff im Stahl, so liegt er n i c h t in der Elementarzelle -praktisch als deren Bestandteil- sondern als Verbindung mit dem Eisen in Form des Karbids Fe3 C vor.
Der Stahl besteht dann aus einem Gemisch von Eisen- rein und kohlenstofflos- und eben den Karbidkörnchen.
Dies gibt den Zustand im optimal weichgeglühten Zustand wieder. Die Grundmasse des Stahls ist dann weiches Eisen, durchsetzt mit den Karbidkörnchen.
In diesem Zustand tragen die Karbide zwar auch zur Verfestigung des Materials bei, aber eben nur so, wie härtere Fremdkörper in einer weicheren Grundmasse.
Mit der eigentlichen Härtung hat das n i c h t s zu tun.
Sie beruht darauf, daß der im Stahl -zunächst in den Karbiden- befindliche Kohlenstoff aus den Karbiden befreit und in die bei bestimmter hoher Temperatur neu entstandene, nunmehr kubisch-flächenzentrierte Elementarzelle(=Gammaeisen) auf einem in der größeren Elementarzelle entstandenen Zwischengitterplatz eingelagert wird.
Dort wird er beim je nach Stahlart mehr oder weniger schnellen Abkühlen "eingesperrt" und verspannt das Gitter, in dem er jetzt eigentlich keinen Platz mehr hat und bewirkt dadurch die Härtung.
Zum besseren Verständnis das einfachste Beispiel-ein reiner, exakt eutektoidischer C-Stahl.
Im Idealfall besteht er weichgeglüht aus einem Gemisch von Eisen und den Fe3 C-Karbiden. Um einen solchen Stahl härten zu können, müssen zwei Bedingungen vorhanden sein: Die Elementarzelle muß in die kubisch- flächenzentrierte Modifikation verwandelt werden und der Kohlenstoff muß aus den Karbiden befreit und in das Gamma-Eisen eingelagert werden.
So ist es grundsätzlich auch bei den Wolframstählen. Sie bilden aber Sonderkarbide, da die Affinität des Wolfram zum Kohlenstoff größer ist, als die des Eisens.
Daraus ergibt sich wieder, daß diese Karbide, die zum erfolgreichen Härten ganz oder teilweise gelöst werden müssen, höhere Temperaturen und/oder längere Haltezeiten brauchen.
Um es ganz klar zu machen: Sie entstehen beim Härten n i c h t, sondern werden ganz oder teilweise gelöst. Diese Lösung geschieht bei Überschreiten der AC1 -Temperatur bei einfachen C-Stählen schnell, bei Sonderkarbiden eben verzögert.
Das ist wiederum strikt zu unterscheiden vom Vorgang des Anlassens und Weichglühens, wo der Kohlenstoff aus seinem "Gefängnis" befreit wird und sich mit dem Eisen (oder karbidbildendem Legierungselement) zum Karbid verbindet. Dieser Vorgang geschieht, sobald der Kohlenstoff frei wird, geradezu blitzschnell.
Weiter ist zu berücksichtigen, daß Wolfram, wie die meisten gängigen Legierungselemente (Ausnahme wohl nur Kobalt) in der Elementarzelle ein Eisenatom ersetzen (substituieren) und den Platz für den Kohlenstoff auch im Gamma-Eisen "verkleinert". Er wirkt also so, als sei mehr C- im Stahl enthalten.
Konkret: Schon 1.2552 ist deutlich übereutektoidisch, ganz zu schweigen von 1.2442 oder gar 1.2562.
Übereutektoidische Stähle werden aber grundsätzlich von der niedrigsten Temperatur gehärtet, die eine volle Härtung noch gewährleistet, also so, als seien sie eutektoidisch. Würde man mit der Temperatur höher gehen als nötig, so würde die Härteannahme durch verstärkte Restaustenitbildung leiden und zugleich bestünde die Gefahr eines zähigkeitsmindernden Kornwachstums.
Für die richtige Härtung braucht es also zur Lösung eines genügend hohen Anteils der Karbide wegen deren erhöhter Stabilität eine deutlich höhere Temperatur als bei reinen C-Stählen und eine gewisse Haltezeit.
Die Angaben im Stahlschlüssel oder in den Firmenbeschreibungen sind erprobt und gut.
Für Messerklingen würde ich dabei eher vom unteren Rand der angegebenen Temperaturen härten- und immer in Öl.
Wer will, mag das Öl anwärmen. Erforderlich ist das nicht. Bis zu einem gewissen Grad schreckt angewärmtes Öl schroffer ab als kaltes-für eine normale Messerklinge ist die Abschreckwirkung aber allemal ausreichend.
Bei übereutektoidischen Stählen bleiben bei korrekter Härtung ungelöste Karbide übrig. Der Stahl besteht daher nach der Härtung aus der "verspannten Matrix"=Martensit und den eingestreuten weiteren Karbiden, die noch härter sind, die Verschleißfestigkeit also noch steigern.
Das ist der Grund, warum bei gleicher Härte Stahl a verschleißfester sein kann als Stahl b, und zwar nicht nur ein bißchen, sondern durchaus um´s Vielfache.
Gerade der alte Riffelstahl 1.2562 hat sich bei Verschleißbeanspruchungen ohne Wärmeeinwirkung, wo also Warmfestigkeit nicht gefragt war, den Chromschnittstählen und den Schnellarbeitsstählen als gleichwertig oder überlegen gezeigt
Zu den ergänzenden Fragen:
Unterbrochene Härtung und Warmbadhärtung dienen dem Zweck, die Abschreckspannungen von den unvermeidlichen Umwandlungsspannungen zu trennen. Das ist grundsätzlich gut, bei so einfachen Geometrien wie Messern wird man den Unterschied kaum bemerken. Das wurde auch schon recht ausführlich erörtert.
Freundliche Grüße
U. Gerfin