Wonach richtet sich die Anlassdauer?

Floppi

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Frage von einem absoluten (aber interessierten) Laien: Wonach richtet sich die Anlassdauer? Soweit ich hier im Forum lesen konnte dient das Anlassen ja dem "Restaustenitzerfall und Martensitumwandlung von tetragonal in kubisch" ...erm ja. :argw:
Aber wie lange dauert das z.B. bei einem einfachen Kohlenstoffstahl? Gibt es Mindestanlasszeiten und kann man auch zu lange anlassen? Was sind ggf. die negativen Konsequenzen aus zu langem Anlassen?

Ich hoffe hier kann irgendjemanden 'nem ver(w)irrten Nichtmetaller weiterhelfen.


Ja, ich weiß, steht alles in Romans derzeit nicht verfügbaren Buch drin. Ist halt Murphys' Law... seufz :rolleyes: Roman, tritt dem Verlag mal auf die Füße ... Ende 2005 für die nächste Auflage stürzt mich in ernsthafte Probleme!
 
Hm, Floppi, also eine Tabelle mit Kochrezept kann ich auch nicht liefern. Aber grundsätzlich ist ist es ja so: Das Härten (ich meine das Abschreckhärten mit der allotropen Umwandlung Austenit zu Möchtegernferrit und nicht rauskommendem Kohlenstoff zur metastabilen Phase Martensit) ist ein Umklappprozess. Das Anlassen ist ein Diffusionsprozess. Beim ersten genügt das Über-/Unterschreiten bestimmter Grenztemperaturen(Enerigen), um den Effekt hervorzurufen, der Effekt selbst vollzieht sich quasi instantan. Beim zweiten, dem Anlassen, braucht es
a) eine Mindestaktivierungsenergie (Temperatur)
b) eine genügende Zeit, den Prozess vollständig ablaufen zu lassen.

So, soweit so gut, genügend Zeit ist relativ. Aktivierungsenergie hängt noch von der Stabilität des Ausganszustandes ab.

Wenn man also verdammt hoch gehärtet hat, so vollzieht sich das Anlassen mit den gewünschten Effekten
entweder früher
oder schneller.

Die Grenztemperaturen hängen natürlich noch von den Legierungsbestandteilen ab, so dass die Verhältnisse erst recht komplex werden.

Theoretisch ist es so, dass die letzten paar Prozent Effekt erst nach sehr sehr langen Zeiten vollständig ablaufen. Darum gibt es auch nur Erfahrungswerte.

Die einschlägige Literatur geht immer von mehr oder weniger genormten Querschnitten aus, und die Anlassdauern sind immer so gemessen, dass

a) der gewünschte Effekt sicher eintritt
b) die gewünschte Temperatur per Ausgleich im Volumen überall erreicht ist.

Fürs erste Anlassen ist manchmal eine halbe Stunde genug, aber ich persönlich lasse immer erst mal eine Stunde an. Das zweite Anlassen mache ich manchmal erst wesentlich später.

Ich persönlich mache immer Zyklen von einer Stunde, und mindestens 2 mal. Bei Sekundärhärtern auch öfter.

Wenn man eine Abhängigkeit a la Larson - Miller zugrunde legt, macht die Temperatur das meiste, die Zeit geht im Wesentlichen logarithmisch ein, d.h. oberhalb einer Stunde ist im Allgemeinen bei Stählen der Gewinn an Effekt vernachlässigbar.

So, genug der theoretischen Ergüsse, aber ich denke, Du solltest wissen, warum man es so macht, und wie sich die Empfehlungen begründen.

Wenn man seinen Stahl genau kennt, kommt man mit weniger aus. Aber man macht keinen Fehler, generell 2 mal eine Stunde bei der jeweiligen Anlasstemperatur zu fahren.

Wollte Dich nicht langweilen, aber es mußte ja mal gesagt werden. Sorry.
 
Vielleicht macht es Sinn, ein Beispiel zu diskutieren:

Nehmen wir mal der Einfachheit halber einen untereutektoiden Stahl, beispielsweise C 60.
Den erhitzen wir über Ac1 und geben etwas Zeit, alle Karbide aufzulösen, so dass der Kohlenstoff von 0,6% nun völlig gelöst ist. Wenn wir nun unendlich langsam abkühlen, scheidet sich der Kohlenstoff gemütlich aus, es bilden sich die Gleichgewichtsphasen aus (Ferrit und Zementit).
Beim HÄrten kühlen wir unendlich schnell ab (theoretisch), so dass sich nix an Phasenneubildung tut. Der Stahl gerät in eine Zwangslage, eigentlich nämlich Ferrit, und Zementit, aber der Kohlenstoff kann nicht raus aus dem Gitter, der Martensit mit der Verzerrung in tetragonaler Richtung entsteht. Je härter die Zwangslage ist, also je vollständiger alles gelöst ist, und umso weniger Zeit zur Ausscheidung war, um so ärger ist diese Zwangslage, und umso weniger Energie ist nötig, die Diffusion in Gang zu setzen. Hier könnte man mir wenig Zeit und Temperatur einiges erreichen, aber nicht vollständig, Daher die Mindestenergie. Aber schneller geht es.
Der einfachste Ansatz ist, Temperatur mal Zeit als Maß für die eingebrachte Energie zu nehmen, aber die Größen sind nicht einfach austauschbar. Also, nach Larson Miller:

Effekt = Konstante (Temperatur + Konstante2 (log Zeit+ noch ne Konstante))

im Prinzip jedenfalls.

Die wichtige Steuergröße ist also die Temperatur, die Zeit muß nur noch ("nur noch" ist ja wohl der Kern Deiner ursprünglichen Frage) lang genug sein, die Vollständigkeit zu gewährleisten.

Dazu gilt das oben gesagte.

Früher hat man zu jedem Stahl Anlasshauptkurven aufgestellt, in denen die Abhängigkeiten der HÄrte von Temperatur und Anlassdauer für festgelegte Härtetemperaturen und Haltedauern ermittelt wurden. Macht man nicht mehr. Ist zu teuer. Schade drum.
Anlasshauptkurven wären für uns Messermacher genau das, was wir brauchen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo,

habe noch zwei Sachen dazu im Kopf:
Herbert: wenn die Anlasstemperatur erhöht ist (>300°C), dann beginnt sich doch aus dem Martensit Zementit auszuscheiden. Können hier nicht lange Haltezeiten zu wesentlich größerem Härteverlust führen, wie kurze Haltzeiten? (o.k., gilt hauptsächlich für niedrig-/ unlegierte Stähle ohne Cr o.ä.).

hier noch mal ein Link , in dem U.Gerfin eine Methode des Anlassens von H.Bergland wiedergibt, die viel weniger Zeit benötigt, als die 2 mal 1h.
Im Prinzip ist 2 mal 1h ja das, was man immer wieder in der Literatur findet. Sucht man dann nach Detailinfo, dann kriegt man alles mögliche raus und stellt fest, das 2 mal 1h (für dünnere Werkstücke) ein Erfahrungswert ist, wo gleichzeitig die Interessen Kosten/ Nutzen mit einfließen.
gruß,
torsten
 
Hallo Floppi!
Langsam durchatmen, ich denke so komplex sollten wir die Sache nicht bertachten letztendlich kommt es ja auf das Ergebnis an. Mein Tipp als Praktiker beim Anlassen von Werkzeugstählen für Kaltarbeit 3x20min bei ca.200°C mit Abschrecken in Wasser zwischendurch und am Ende der Prozedur. Diese Behandlung resultiert eigentlich unweigerlich in eine ausreichend harte und doch zähe Klinge. Ich teste meine Klingen nach dem Anlassen nach dieser Methode indem ich sie mit dem Hammer durch einen Nagel schlage. Zu diesem Zeitpunkt hat die Schneide eine Stärke von ca. 0,3mm, sie beschädigt dabei nicht. Gerade die Dreilagigen Klingen, lassen sich teilweise mehrfach um 90° hin und zurückbiegen ohne das der härtere Stahl bricht. Ich denke diese Leistung ist OK.
Um die nötigen Temp. für einen bestimmten Stahl noch genauer definieren zu können, solltest Du dir einen Stahlschlüssel besorgen. Die Taschenausgabe reicht für diese Zwecke absolut und ist auch günstig und jederzeit verfügbar. Die große Ausgabe berücksichtigt noch zusätzlich ausländische Stahlsorten ist aber ein riesen Wälzer.
Sollte es dich nach sehr ausführlichen Informationen über Stahl dürsten versuch dir das Buch Die Edelstähle von Franz Rapatz zu besorgen, leider wird es nicht mehr gedruckt. Bei einschlägigen Auktionshäusern solltest Du allerdings noch Erfolgsaussichten haben.
In diesem Sinne, Klingenschmieden ist keine Hirnchirurgie!
MfG Lars
 
Rapatz...

... findet sich immer wieder beim Antiquariat Abebooks, falls das mal jemand sucht.

gruß,
torsten
 
@xtorsten:

wieder mal eine interssante Fragestellung.

zu der HB Methode beim Anlassen. Kann man wie bewiesen war auch machen, ist halt für absolute Profis.

ich vergleiche gerne das anlassen mit der notwendigen arbeit einen Karton auf eine bestimmte höhe zu hiefen.

Das kann man über einen langen weg mit wenig Höhengewinn pro/ zurückgelegten Meter machen oder wenn man genug Kraft hat, das din aus dem Stand einfach nach oben werfen.

Letzendlich ist es eine Frage der eingebrachten Arbeit die mit unterschiedlichen methoden das gleiche ergebnis liefert.

Für Anlassen spreche ich daher vom eingebrachten Wärmevolumen, das Ergebnis ist dann für uns Messerschmiede, ob nun durch kurze hohe Erwärmung oder langasme niedere Erwärumng in den wichtigen Rahmenparameter, als gleich anzusehen.

Das Was herbert so geschrieben hat ist das Grundlegende vielleicht eins noch dazu es geht darum einen möglichststabilen zustand im Werkstoff zu erreichen (Zwangslage) dazu sollte eben genug zeit zur verfügung stehen.

Auch mal ein Beispiel aus der Praxis:

Für ultraschallsonotroden die aus 1.2379 gefertigt waren galt es besondere homogenität im Frequenzverhalten zu erzeugen. Dazu wurde der "Schwinger" nach dem Härten zunächst TK dann bei 560° Angelassen für 2 Stunden dann wieder TK und dann bei 570°-580° wieder 2 h lang angelassen das ganze wurde sooft wiederholt bis die exakte Härte die vorgegeben war erreicht wurde. Das ganze konnte dann schon mal 4-5 Anlassvorgäge enthalten bis sich der gewünschte Zustand eingestellt hatte.
 
@xtorsten: klar, hast Recht. Was dann an Härte rauskommt, ist dann abhängig vom C-Gehalt und der Karbidmenge. Der Martensit verliert bei 300° natürlich viel Härte, Zementitausscheidung erhöht dann, wenn genug davon da ist, die Gesamthärte.
Aber wollen das ganze nicht dahin kommen lassen.
Die Sachen von Floppi sollte man tiefer anlassen, aber das ist ja klar.

Was Lars Scheidler sagt, trifft ja genau das, was den Messermacher ausmacht: wenn man seine Stähle genau kennt, und das Ergebnis überprüfen kann mit Kriterien, die einem wichtig sind, so kann man durchaus die normalen Vorgaben zum Anlassen verlassen und selber Parameter sich erarbeiten.

Was den Rapatz und den Stahlschlüssel angeht, so kann ich nur sagen, dass man sich die Sachen besorgen sollte. Der Stahlschlüssel kostet glaub ich als TB so um die 10 Euro, und den rapatz hab ich vor einem Jahr auch antiquarisch für 9,80 Euro erhalten. Auch wenn man nicht alles sofort versteht:
Wozu hat man denn das Forum und die Fragen?
Ich glaub, hier ist noch keiner ohne fundierte Antwort weggegangen.
 
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