Herr Carstensen;
zunächst einmal vielen Dank für Ihre Antwort.
Ich möchte auf ein paar Punkte konkret eingehen; die ein paar weitere Fragen aufwerfen.
Sie schrieben: "Allerdings müssten begründete Ausnahmen zugelassen sein, so würde ein "harmloses" Taschenmesser, das nicht nur mit einer Hand zu öffnen ist, wohl nicht unter die Regelung fallen."
Zu den Merkmalen eines typischen modernen Taschenmessers /gehört/ eine einhändige Bedienbarkeit und eine festehende Klinge. Allein aus Komfort- und Sicherheitsgründen (für den Nutzer). Vielleicht ist Ihnen das ja nicht bewusst; aber die Änderung würde mehr als 90% der sich im Handel befindlichen Klappmesser treffen; und nicht nur, wie der Entwurf vortäuscht; ein paar spezielle Modelle.
Weiter: "Auch ich halte das stete bei sich führen von Waffen (incl. Messern) für bedenklich, da es der Gewalt Vorschub leistet." - Ich trage jeden Tag eine /Mordwaffe/ bei mir (und das seit bestimmt 10 Jahren) - nämlich ein Klappmesser mit feststehender Klinge und Einhandbedienung. Ich kenne viele Leute, die das auch machen. Ein spontanes Bedürfniss, damit Menschen zu verletzten, hatte ich bisher nicht. Die meisten Menschen, die ein Messer tragen, sehen es als Werkzeug. Es ist Unsinn; wegen ein paar Idioten anderen das Leben schwer zu machen und sie mit Regelungen zu kriminalisieren.
Der Kiez zB ist ganz klar ein Brennpunkt - wenn viele Menschen und Alkohol aufeinander treffen; wird es immer Probleme geben. Ob dann ein Messer, eine Bierflasche, ein Queue oder eine Bordsteinkante zur [uU. tödlichen] Waffe wird, kann mir als ziemlich egal sein. Ich studiere Medizin; ich sehe oft genug; wie Menschen sich gegenseitig verletzten. Ein Verbot von Tatwaffen wird das nicht ändern.
Die Ausnahmen; die Sie ansprachen; betreffen mich nicht. Ich sehe keinen logischen Grund; der für ein Verbot spricht. Wer bei einer Gewalttat ein Messer nutzt, wird bereits härter bestraft - das ist bereits im Gesetz verankert; und hält dennoch niemanden davon ab. Solange ich niemandem Schaden zufüge; möchte ich ein modernes(!) Messer tragen dürfen. Es gibt keinen Grund; warum unbescholtene Bürger dieses Recht nicht haben sollen. Sie könnten ja erstmal damit anfangen; vorbestraften Tätern das Tragen von Messern zu verbieten. (Oder Messerstecher wie zB "Erol" nicht zu einem Jahr auf Bewährung verurteilen; damit er danach munter den nächsten absticht - beim 2ten Mal hatte er ja mehr Erfolg. Vielleicht kriegt er jetzt 1,5 Jahre auf Bewährung.)
Selbst wenn sich Ihnen die Logik nicht erschließen sollte; so reicht doch ein Blick über den Tellerrand - in Großbritanien ist es seit Jahren verboten, Messer und generell gefährliche Gegenstände (das kann dort auch ein schwerer Schlüsselbund sein) zu tragen - dennoch meldete die Times dieses Jahr im August, dass sich Messerattacken verdoppelt haben. Folgt man Ihrer Argumentation, so wäre das nicht möglich; da Messer ja dort bereits verboten /sind/.
http://www.timesonline.co.uk/tol/news/uk/crime/article2284258.ece vom 19. August 2007:
[...]
"“The government has embarked on endless law and order initiatives, yet knife-related robberies appear to be increasing, if the latest figures are to be believed,” he said.
“This challenges the notion that there is a policing or punishment solution to this problem. Success in tackling knife-related violence will require a concerted strategy to deal with the causes of violence, of which the social antagonisms caused by poverty and inequality are key.”
[...]
Interessant wäre vielleicht auch dazu der Bericht des "Centre for Crime and Justice Studies" vor dem "Select Committee on Home Affairs" in GB von 2006.
Auszug aus dem Bericht
http://www.publications.parliament.uk/pa/cm200607/cmselect/cmhaff/433/433we03.htm :
" 5.4 There is also no convincing evidence that tougher sentences will impact on knife crime by acting as a deterrent. The Halliday review of sentencing carried out on behalf of the government in 2001 found that "
t is the prospect of getting caught that has deterrence value, rather than alterations to the "going rate" for severity of sentences." The doubling of the penalty for knife carrying will almost certainly mean more children go to prison for longer—given that knife carrying peaks in the 16 to 18 age group. It does not, however, mean that there will be less "knife violence", as the story of firearms offences has shown despite the introduction of harsher sentences. The most recent data available, police recorded crime statistics for 2005-06, show that firearms offences are on the rise again. There were 4,036 firearm robberies in 2005-06, a 10% increase on the previous year. Both handguns and shotguns were used in 7% more offences in 2005-06 than 2004-05 and there were 474 firearm offences that resulted in serious injury in 2005-06—a 16% increase over 2004-05.
[...]
6.1 [...]Furthermore, a reduction in the use and carrying of knives will only occur if the incidence of violence is addressed by a long term strategy. The knife is merely an implement used in crime. Without dealing with the underlying causes of violent crime—such as inequality and relative deprivation—initiatives to reduce knife usage will have only a limited impact. Ultimately, stabbings are not caused merely by the presence of a knife. More essential is the context within which the resort to extreme acts of violence unfolds."
Ich kann verstehen, dass Sie Angst vor wilden Messerstecherhorden haben - logisch begründet ist das jedoch nicht.
Seit '96 sind die Vorgänge mit Waffen im Zusammenhang mit Jugendkriminalität um fast ein Drittel gesunken. Es ist /sicherer/ in Deutschland geworden; und das, obwohl es ohnehin schon ziemlich sicher hier ist, zumindest im internationalen Vergleich.
Der Anstieg der Messerdelikte, von dem auch der Berliner Senat spricht; ist zum Teil auf Erfassungsmängel aus dem Vorjahr zurückzuführen.
Nachlesen können Sie das gerne in der Berliner Kriminalitätsstatistik (http://www.berlin.de/imperia/md/content/polizei/kriminalitaet/pks/pks_berlin_2006.pdf) ; auf die sich auch (!) der Berliner Senat bezog - leider wurden in der Argumentation ein paar wichtige Zahlen unterschlagen.
Unter anderem auch, dass über 60% der Delikte /nicht/ im öffentlichen Raum stattfanden - es wäre also sinniger, Privathaushalte mehr zu kontrollieren und Küchenmesser zu verbieten. Vielleicht mag das jetzt sehr ironisch klingen; aber in England gab es den Vorschlag tatsächlich schon, man solle nur noch Küchenmesser mit stumpfer Spitze erlauben. Sie steuern zumindest ideologisch in genau die gleiche Richtung.
Zum Schluss - Was die Hamburger Initiative angeht - ab Dezember soll der Kiez zur "Waffenfreien Zone" werden. Geldbußen bis 10000€ sollen verhängt werden, der mitgeführte Gegenstand wird nicht wieder rausgegeben - mit anderen Worten: er wird enteignet.
Analog zur Strassenverkehrsordnung würde das folgendes bedeuten: Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung, egal wieviel km/h, egal ob dabei jemand zu Schaden kam oder nicht, bezahlen Sie [bis zu] 10.000€, und ihr Benz/Audi/BMW wird verschrottet.
Klingt das vernünftig?
Ich freue mich auf Ihre Antwort;
Gruss, Keno Roskam