Jan und Klaus haben sich viel Mühe gemacht und Tendenzen aufgezeigt, die für die praktische Behandlung der Stähle sinnvoll genutzt werden können.
Man kann die Ergebnisse ihrer Untersuchungen aber nicht einfach eins zu eins auf die eigne Arbeit übertragen oder sie als generell geltende feststehende Regel betrachten. Das haben sie ja auch nicht gewollt.
Zur Ergänzung will ich ein paar Hinweise aus der Literatur und daraus zu ziehende Folgerungen darstellen und ein paar Beobachtungen aus der Praxis anschließen.
Auf das in jeder Beziehung lesenswerte Werk von W. Haufe-"Die Werkzeugstähle" hat Roman schon hingewiesen.Es ist leider so gut wie nicht mehr aufzutreiben. Mein Exemplar habe ich verliehen und nicht zurückerhalten. Ich glaube den Täter ermittelt zu haben, kann es aber nicht beweisen. Herbert hat es mir aber als pdf geschickt- danke schön noch mal !-und die Sache soll damit vergessen sein. Haufe berichtet von einer sehr interessanten Beobachtung, nämlich, daß selbst Holzkohle mit Bariumkarbonat- an sich das wirksamste feste Aufkohlungsmittel- bei Temperaturen um 800 Grad eine leichte Entkohlung nicht ganz verhindert. Eine Erklärung dafür gibt er nicht.Sehr ausführlich behandelt O.H.C. Messner im Buch von Benninghoff "Wärmebehandlung der Bau- und Werkzeugstähle" das Problem der Verzunderung, H. Kunst, D. Liedtke und U. Wyss befassen sich im gleichen Werk mit dem Einsatzhärten. Das ist sehr ingenieurmäßig mit vielen Formeln, Taupunkten, Kohlenstoffpegeln usw. beschrieben. Von den Grunderkenntnissen her ist das interessant und für die industrielle Fertigung, wo mit gleichbleibenden Bedingungen gearbeitet werden kann (könnte ?) sehr gut brauchbar. Für die praktische Arbeit am Feuer kann man davon aber nur Tendenzen ableiten.
Warum ?-
In der Praxis der Arbeit ohne großtechnischen Aufwand ist es so gut wie unmöglich, die einzelnen Faktoren wie C-Pegel, C-Aktivität, C-Übergangszahl Beta, Diffusionskoeffizient D usw, usw. zu messen und auf dem gleichen Niveau zu halten.
Aus der Theorie und Praxis lassen sich aber einige Grundtendenzen ableiten, mit denen man recht gut arbeiten kann:
Fangen wir mal ganz einfach an: Da Kohlenstoff im Ferrit so gut wie unlöslich ist, ist es ausgeschlossen, eine Aufkohlung unterhalb AC 1 zu bewirken. Kohlenstoff, der im Eisen als Karbid enthalten ist, kann sich aus dieser Bindung unter AC 1 auch nicht befreien, also auch nicht verloren gehen. Da sich allerdings auch unter AC 1 bereits Zunder bildet, geht der Kohlenstoff, der in der Zunderschicht liegt mit verloren, die darunter liegende Schicht bleibt aber "gesund".
Im Austenit ist Kohlenstoff gelöst, nutzt Zwischengitterplätze und kann von freiem Gitterplatz zu freiem Gitterplatz wandern. Das kann man sich vereinfacht so vorstellen, daß der lose Geselle es sich möglichst bequem machen will, also von Stellen, wo für ihn wenig Platz ist, zu Stellen, wo viel Platz ist, wandert. Die Beweglichkeit im Atomgitter ist umso größer, je höher die Temperatur ist, also können Aufkohlung und Entkohlung bei höherer Temperatur schneller stattfinden, als bei niedrigerer.
Auf diese Beweglichkeit haben auch die übrigen im Eisen enthaltenen Legierungselemente einen gewissen Einfluß. Da sie- mit Ausnahme des Stickstoffs- in der Elementarzelle Eisen substituieren, können sie dem auf Wanderschaft befindlichen C den Weg versperren oder erleichtern.
Das kommt in den Diffusionskoeffizienten, die Jan angeführt hat, zum Ausdruck. Ich denke auch, daß die Angaben, daß Nickel die Diffusion erleichtere, richtig sind. Es geht ja nicht um Reinnickelschichten, sondern um Nickel als Legierungselement, das auf einem "Eisenplatz" in der Elementarzelle sitzt. Unterstellen wir mal vereinfacht, ein Nickelatom wäre kleiner als ein Eisenatom, dann wäre der "Wanderweg" für den Kohlenstoff erweitert und die Diffusion wäre schneller als in einer reinen Eisen-Kohlenstofflegierung.
Einen gewaltigen Unterschied macht das nicht, wie die doch recht nahe beieinanderliegenden Werte der Diffusionskoeffizienten zeigen.
Hier gibt es aber eine weitere Komplikation zu bedenken: Kohlenstoff, der im Austenit gelöst ist, wandert im Stahl von den Bereichen höherer Konzentration zu den Bereichen niedrigerer Konzentration (Vorsicht:meistens!, es gibt auch Ausnahmen !).
Das heißt aber nicht, daß er die Barriere zwischen C- abgebendem Medium und Eisen ebenso leicht überwindet, wie er dann im Austenit
wandern kann. Ich glaube, Jan hat auch diesen Punkt zu recht angesprochen: Wegen der bei korrosionsträgen auftretenden passiven Oberflächenschicht ist es sehr schwierig, oder eigentlich nur mit Tricks möglich, solche Stähle aufzukohlen. Von innen nach außen kann der Kohlenstoff aber sehr wohl entweichen.
Nun kommen wir zum wichtigsten Faktor: dem Medium, das den Stahl bei der Erwärmung umgibt.
Bei der Erwärmung im Elektroofen ohne Schutzpackung ist der Stahl der Oxidation schutzlos ausgesetzt. Also wird er hier am stärksten entkohlen !-Falsch- hier entkohlt er so gut wie nicht, da die Verzunderung der Entkohlung voranläuft. Man hat also hier bei hohen Temperaturen und längerer Einwirkung einen massiven Materialverlust durch die Verzunderung, der verbleibende Rest ist aber wenig oder nicht abgekohlt.
In einer Gasesse kann man fast zunderfrei erhitzen, also hat man da die geringste Entkohlung-wieder falsch-hier oxidiert zwar kaum etwas, der Kohlenstoff der Stahloberfläche kann aber durchaus in die Atmosphäre des Ofens entweichen. Wird das Gasfeuer allerdings mit C-Überschuß betrieben, wird es je nach Zeit und Dauer sogar zu einer leichten Aufkohlung kommen
Bei hoher Temperatur und hohem C-Überschuß kann die Aufkohlungswirkung sogar sehr stark sein. W. Haufe zeigt in dem weiteren Standardwerk "Die Schnellarbeitsstähle" ein Beispiel, wo ein Werkzeug durch eine Reparaturschweißung mit rauschender Acetylenflamme auf 2,6 % C aufgekohlt wurde und bei Härten schlicht abgeschmolzen ist.
Ähnlich sieht es in einem guten Schmiedefeuer aus. Hier gibt es eine Zone mit C-Überschuß, in der man aufkohlen kann. Wirklich nutzen kann man das nur bei kleinen Gegenständen, bei denen die erzeugbare dünne Aufkohlschicht sich technisch nutzen läßt. Ich habe hier schon öfters mal von den Pfeilspitzen erzählt, die ich aus Baustahlstäben von 10mm Durchmesser mache. Wenn ich die an der richtigen Stelle des Feuers stark erhitze, bekommen sie eine Haut von ca 1 % C und sind äußerst belastbar. Mit so gefertigten Bodkinspitzen habe ich Beschußversuche mit 2,5 mm Blech gemacht und die Spitzen zeigten keine Beschädigung.
Eine Warnung noch zum Schluß: Ich glaube nicht, daß Jan bei seinen Versuchen den "worst case" zugrunde gelegt hat. Immer wieder höre ich von Härteversuchen nach intensivem Weichglühen, bei denen die zu erwartende Härte bei weitem nicht erreicht wird. Will man wirklich stundenlang weichglühen, so sollte man das mit reichlich Materialreserve machen. Bei schon fast auf Endform geschliffenen Klingen greift die mögliche Entkohlung ja von der Schneidenspitze und von beiden Seiten an. Da kann es leicht sein, daß sich der Kohlenstoff gerade dort, wo man ihn braucht, verdünnisiert hat.
Sollte jemand meinen, ich habe meinen Konfusionskoeffizienten noch nicht ausreichend angewandt, so bitte ich um Nachsicht.
MfG U.Gerfin