Gyuto von Fabian Jäger: Vanadis 8 Super Clean oder "Der Pflug"

güNef

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Servus,

nachdem ich die Arbeiten und die Fortschritte von Fabian Jäger jetzt schon länger aufmerksam beobachte habe ich vor geraumer Zeit Kontakt gesucht und ihm eine ellenlange Liste meiner teils exotischen Wünsche geschrieben. Davor hatte ich durch Forentreffen und ähnlich wie ich gepolte Messerfreunde die Gelegenheit, verschiedenste Messer die den jeweiligen Entwicklungsstand seiner Arbeiten gut abgebildet haben, auf Funktion und Fertigungsqualität zu testen. Es waren deren vier Messer, die mich zu der Überzeugung gebracht haben, ( Danke auch an Jörg ) das hier ein hungriger und talentierter Messermacher heranwächst, den ich mit meinen Ideen und Wünschen belasten kann, ohne vorschnell abgelehnt, oder durch einen hohen Kostenvoranschlag abgeschreckt zu werden.

Zielvorgabe:

°) Materialstärke mindestens 6mm
°) verschleißfester, zäher PM-Stahl für feine Schneiden
°) wuchtige Full Taper „Mehrzonengeometrie, konvex ohne Hook/HK
oder anderer Tricks zur FR-Steigerung
°) perfekter Schwerpunkt
°) Wunschprofil
°) sattes Gewicht
°) 250er Klingenlänge

Special Feature:

°) verschraubte Griffschalen um sie nach belieben gegen andere
austauschen zu können
°) Griffmaterial aus Vintage Micarta/Pertinax Two-Tone-Finish

Fabian hat diese Challenge angenommen und meine hohen Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern auch noch übertroffen. Die Wortkreation Full-Taper „Mehrzonenklinge“ finde ich der Geometrie angemessen und erklärt deren Eigenschaften eigentlich in einem Wort recht gut. Die Spitze ist durchaus fein für diesen „Pflug“ von Messer, für präzises Einschneiden und genaues präparieren. In dieser kurzen „Zone“ rund um die Spitze ist der Schliff Aufgrund von fehlenden Wandstärken natürlich praktisch flach geschliffen. Erst nach der Spitze, wird der Schliff zunehmend konvex ( ballig ) bleibt aber bis knapp über der Hälfte der Klingenlänge noch moderat wie ein klassisches allroundtaugliches Kochmesser um dann Richtung Griff immer mehr an Masse zuzulegen um eine ernsthaft-konvexe Kurve vom Rücken zur Schneide zu spannen, die im Schubschnitt eine haftungsarme Keilwirkung entfaltet, die jedes Schnittgut auseinander treibt. In dieser „Zone“ gibts kein feines, fast lautloses Zischen beim durchschneiden einer Möhre sondern ein sattes „Raaaatsch“

Die Bilder sind nach dem ersten Gebrauch entstanden, daher die Anlaufspuren...

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Das Gewicht von 364 Gramm wuchtet sich durch alles durch, was unter die Schneide kommt. Das ergibt wieder eine neue Erfahrung durch ein davor nicht gekanntes Schnittgefühl, das sich deutlich von allen anderen meiner mit exotischen Geometrien ausgestatteten Messern unterscheidet. Es entfaltet seine Wucht im Schubschnitt wie ein Pflug auf dem Feld.

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Ein paar Eckdaten:

Die Klinge kommt mit 6,12mm aus dem Griff und endet exakt an der Spitze mit 0,17mm. Über der winzigen Schneidfase messe ich im Mittel bis knapp vor der Spitze 0,20mm. Ein idealer Wert an der Grenze zur Nagelgängigkeit, was bei einem Gewicht von 364 Gramm beim Choppen für die nötige Stabilität sorgt. Noch dünner könnte in der Handhabung „komplex“ werden, aber so passt das dem Konzept entsprechend gerade recht. Nutzbare Schneidenlänge 252mm

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Satt eingeschliffene/gefräste Hohlkehlen/Hook-Geometrien wirken auf viele Messerfreaks leider oft hässlich bis sogar abstossend und kommen daher für viele leider nicht in Frage. Für mich machen diese expliziten Klingen einen besonderen Reiz aus, dem ich mich nur schwer entziehen kann, dennoch wollte ich noch die letzte mögliche Geometrie, ohne optische „ Exotik“ an den Flanken, die zu einer relevanten Schnittgutfreisetzung in der Lage ist, die diese Begrifflichkeit auch verdient. Also nicht nur ein leichtes abstreifen und eine ein wenig reduzierte Haftreibung, sondern ein echtes abdrängen und dadurch freisetzen von der rechten Flanke. Durch eine echte konvexe Kurve reduzieren sich auch die Kontaktflächen zum Schnittgut, zwar nicht in der gleichen Dramatik einer HK mit Hook/Abscherkante, aber dennoch ausreichend genug um hier noch von einem tauglichen Foodrelase zu sprechen. Die Wirkung wird aber durch reale Verdrängung provoziert, die mehr Kraft beim Schneiden braucht, diese aber weitgehend von dem Messer selbst durch das satte Gewicht von 364 Gramm bereitgestellt wird, man muss es also nur richtig führen und "der Pflug" arbeitet sich durch alles an Schnittgut.

Im Vergleich zu „massereduzierten“ Geometrien mit HK, wo natürlich viel Material/Masse/Gewicht durch das wegschleifen/fräsen wegfällt und es dadurch noch zu einem moderaten Gewicht im Mittel von 250 Gramm, bei einer Klingenlänge von rund 250mm Länge kommt, bleibt bei einer fetten „Full-Taper-Mehrzonenklinge“ alles an Material erhalten und gerade dort wo bei HK nur mehr wenige 1/10 an Materialstärke verbleibt, ist bei einer konvexen Klinge der meiste Stahl gebunkert.


Das packt dann gleich nochmal 100 Gramm an Masse/Volumen an die Flanke, was eben zu diesem unvergleichlichem Schnittgefühl führt. Als Kochmesserfreak sollte man das schon mal erlebt haben, wenn sich so ein Teil durch einen großen Apfel schiebt. Die Unterschiede zu einer schneidefähigen HK-Klinge sind schon signifikant. Hier ist nicht das kontaktarme Gleiten wie ein Laser ohne Haftreibung das Vergnügen, sondern die brachiale Wucht eines konvex-gespannten Bogens von einer nagelgängigen Schneide bis fast zum Rücken hinauf.

FR im Vergleich zu perfekt gemachten Doppel-HK mit Hook, bzw tief gefräster Doppel-HK mit hart definierter Abscherkante:

Hier ist es klar, das selbst eine stark konvex geschliffene Geometrie mit blanken Flanken seinen Meister findet, ja finden muss. Geschälte, stärkehaltige Kartoffel kleben natürlich an den Flanken, hier haben zerklüftete Oberflächen mit gleicher Geometrie die Nase vorne, Flanken mit HK/Hook wie Uwe Mattern oder Ben Kamon sie fertigen sind hier mit Abstand FR-tauglicher, keine Frage. Blanke und undefinierte HK wie Robin Dalman sie einschleift, kleben genau so an der Kartoffelstärke, wie mein Pflug, die Unterschiede sind minimal. Das lehrt uns das HK nicht gleich HK ist und nicht jede HK immer besten FR garantiert. Wenn JJT ein Messer in den Dimensionen meines „Pfluges“ mit seinen geschmiedeten Flanken bereitstellt, dann spielen die geschmiedeten Täler und Berge der Flanken ihre Stärke aus und Kartoffelscheiben haften deutlich weniger an. Da Fabian aber zu schmieden beginnt, sehe ich in Zukunft noch ein geschmiedetes „Full-Tang-Mehrzonengyuto“ auf meiner Liste, um dessen Fertigung ich ersuchen werde.

Die "großen" Drei....

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Schwerpunkt/Balancepunkt….

Eine Problemstellung ist immer der richtige Balancepunkt, der muss immer ein gutes Stück vor dem Griff liegen um richtig in das Schnittgut zu ziehen. Bei einem Steckerl noch keine Herausforderung, aber bei einem durchgehenden Erl braucht’s schon einen Taper und Bohrungen unter den recht schlanken Griffschalen um das Gewicht am Heck des Messers so weit zu reduzieren, das der Schwerpunkt meinen Vorstellungen entspricht.

Der Griff, das Feature….

Ich habe mich von der Griffform eines „Jiro“ inspirieren lassen, aber ohne dessen ungetaperten Erl. Fabian hat das übernommen und in für mich schön runder und kantenloser Formensprache umgesetzt. Ferner wollte ich mich bei den Griffschalen nicht auf ewig auf ein Material/Holz festlegen, wie das bei Kochmessern fast immer die Regel ist, ich wollte eben die Ausnahme haben und mit Hilfe von Fabian schaffen. Bei kleinen Fixed ist das ja schon längst üblicher Standard, bei erfolgreichen Serien die Griffschalen wechseln zu können. Siehe SK09 von Swen Kinast oder Daily Customs. Cuscadi, Kevin Wilkins oder die vielen SAK-Modder mal aussen vor. Ich wollte das auch bei einem großen Gyuto möglich machen. Ich möchte noch Schalen aus Ultem, Titan, Carbon oder Horn anfertigen lassen. So nebenbei bleibt mir hier auch die Möglichkeit erhalten, bei Bedarf mehr Volumen an den Griff zu bringen.

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Den Torx-Pin hat Fabian übrigens auch beigelegt...

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Fabian ist da mein Mann und absolut kreativer Kopf. Er hat mir eine „Leiste“ angefertigt, wie bei einem guten Schuster meiner Wahl, der einmal Maß nimmt und dann daraus meine nächsten Schuhe macht. So hat Fabian eine „Modellleiste“ angefertigt, so das ich nicht jedesmal das Risiko eines Versandes nebst den Kosten auf mich nehmen muss, wenn ich neue Schalen möchte, sondern hat sich eine Lehre gefertigt, an der er die neuen Schalen formt und mir dann bereits fertig zuschickt, Ich montieren sie dann nur noch. Aktuell sind die Torxschrauben in einer Messinghülse, diese Hülsen könnten aber auch gegen welche aus Edelstahl oder farbig eloxierten Metallen ausgetauscht werden. Alles ist möglich.

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Wenn das schon alles wäre….

Nein ist es nicht. Um die Stahlfrage sind wir lange herumgeschlichen. 14C28N, einer meiner liebsten rostträgen Stähle gibts in diesen Dimensionen aber nicht, CPM3V habe ich schon. Ich wollte mal was neues in fetter Dimension, wenn schon rostend dann bitte wenig reaktiv, zäh und verschleißfest soll der Stahl sein, geeignet für feinen Schneiden und so sind wir auf Vanadis 8 „super clean“ gekommen. Nicht wirklich rostträge, aber auch nicht extrem reaktiv, (die Klinge läuft aktuell nur an und stinkt nicht wie bei reinen C-Stählen), verschleissfest und vor allem zäh und in gewünschter Dimension erhältlich, aber nicht ganz billig und nicht ganz einfach zu verarbeiten. Der Schleifbandverbrauch ist da schon ordentlich hoch.

Fabian hat sich durch den exotischen Stahl gearbeitet und dabei irgendwann beschlossen, jedem der sich das finanziell ( Stahlpreis, Verbrauch an Schleifmittel und der erhöhte Zeitaufwand durch die erschwerte Bearbeitung ) antun möchte, eine Echtholz-Saya beizulegen, sozusagen als das „High-End“ Produkt seiner Stockremoval-Klingen. Ich habe beim auspacken nicht schlecht gestaunt, als ich diese Saya gesehen habe, ein passgenauer Traum mit vielen liebevollen Details, wie ein geprägtes Logo/Stahlsorte/Härte und ein hübscher Zierpin aus dem Griffmaterial als Sicherungsstift.

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Aber dann…..

Wie viele wissen, übt sich Fabian seit kurzem in der Kunst des Messerschmiedens um sich in der Fertigung seiner Messer noch breiter aufzustellen. Ich habe ihm empfohlen seine Skills in Sachen Präzision zu verbessern, in der er zu Übungszwecken versucht Löffel zu Schmieden, was eine gewisses Feingefühl voraussetzt und vor allem ausbildet, so das der Stahl dorthin getrieben wird, wo er sein soll und nicht wo er hin will. Einen Edelstahl-Cocktail-Löffel aus seinen ersten Versuchen hat er mir als Goodie beigepackt. Ich konnte es nicht glauben, will ich doch schon lange einen geschmiedeten Löffel. Er hat in mir angelassen und ein wenig hitzecoloriert. Ich werde ihn zum abschmecken von Saucen und Suppen verwenden, auch wenn er dazu einen Tacken zu wenig Fassungsvermögen hat. Einen richtig großen werde ich bei Fabian in Auftrag geben, wenn er seine Skills auf eine Niveau gebracht hat, mit dem er selbst zufrieden ist.

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Fit und Finish….

Das ist top, alles handwerklich auf höchstem Niveau, so wie ich das mag und von einem Custom auch erwarte.

Kritik und Verbesserungen…..

Hmm, fällt mir nicht viel ein. Für eine Stockremoval-Klingenfertigung in dieser Konstruktion/diesem Konzept ohne unregelmäßige Schmiedespuren an den Flanken generiert einzig die knackig konvexe Geometrie eine Schnittgutfreisetzung durch Masse, Wucht, Verdrängung und Kraft, ohne Unterstützung durch eine optimal zerklüftete Oberfläche der Flanken daher ist das Schnittgefühl auch dem entsprechen knackig und braucht Schub. Für chirurgisches Schneiden ist das nicht gebaut, sondern zum echten Arbeiten am Brett. Wenn man den Spitzenbereich noch dünner machen würde (was ich einen winzigen Moment angedacht habe, weil ich extreme Spitzen gewohnt bin) dann nimmt man dem Messer seine perfekte Homogenität und würde den Gesamtcharakter verschieben. Das wäre dann wie die Beine einer Ballerina am Oberkörper eines Bodybuilders auf Steroiden, das würde nicht passen, weil die Spitze im Wiegeschnitt die 364 Gramm stemmen und führen muss.

Wie das jeder für sich haben möchte steht ja frei und Fabian ist der passende Partner um machbare Wünsche umzusetzen. Aktuell ist er für mich der Macher mit der besten price range, bezogen auf das was man als Funktion, Finish und Service bekommen kann.

Gruß, güNef
 
Zuletzt bearbeitet:
@güNef Und wieder ein wunderbarer Bericht von dir. Mich fasziniert deine Detailverliebtheit. Ich kann mir gar nicht vorstellen wie viel Zeit und Hirnschmalz in dieses Projekt geflossen sind. Aber - ein Mal mehr - zeigt das Ergebnis, dass das Messer auch als Standart für gute Küchenmesser dienen kann. Ob die Industrie so ein Messer in Serie bauen könnte, das bezweifle ich, aber als Benchmark müsste es dienen.

Ich wünsche dir, dass deine Kreativität und deine Energie für die besten Küchenmesser nie versiegen mögen.

Gruss Ulli
 
Servus!

Sehr schöner Bericht, wie nicht anders zu erwarten. Beim nächsten Treffen werde ich das Teil mal ausgiebig testen. 364 Gramm sind eine ordentliche Ansage, mein Grieche hat fast genau 100g weniger und das reicht mir eigentlich dicke. Aber es kommt natürlich immer auch auf die Balance an und die begreift man beim Angreifen.

Viel Spaß damit!

Greez,
Wischi
 
@güNef ein toller Bericht und .... in der Tat, von Fabian werden hier nur wunderschöne und ästhetische Messer vorgestellt und ich liebäugele auch mit einem Auftrag, wenns geht in Magnacut.

Ich habe ein Kaeru Workhorse (shirogami 2, patinierend aber @güNef nicht gammelnd 😉 )mit 21 cm Länge / 220 Gramm, das mit 5mm aus dem Griff kommt. Ich liebe es für relativ weiches und hohes Schnittgut -wie Rinderhüfte / oder -schulter, Aubergine oder Zucchini. Insoweit stelle ich mir -abseits der Hochwertigkeit und der tollen Ästhetik:love: von Deinem Messer die gleiche Frage, wie Wischi.
@güNef Da Du auch mal das Kaeru hattest, kannst Du wesentliche Unterschiede im Konzept bzw. Schnittgefühl aus dem Gedächtnis heraus beschreiben.
Dank und lieben Gruß
Ulrich
 
Und wieder eine wunderbare Vorstellung nebst Inspiration zur Frage nach dem geeignetsten Küchenschneidteufel.

Keine Frage. Erst die detaillierte Beschreibung sowohl als Vorgabe als auch zur Erläuterung des Ergebnisses bringt die gewünschte Erkenntnis - wenn die Umsetzung wie hier gelingt.

Die Antwort für meine Küche liegt nun in Fabian‘s Händen, der durch solche Projekte immer tiefer in die komplexe Materie eindringt und dabei auch die anspruchsvollsten Qualitätsansprüche umzusetzen weiß.

Glückwunsch zu diesem genialen Messer und besten Dank für Deinen Bericht!

grüsse, pebe
 
Zuletzt bearbeitet:
Servus,

erstmal vielen Dank für die netten Kommentare und das rege Interesse.

Beim nächsten Treffen werde ich das Teil mal ausgiebig testen. 364 Gramm sind eine ordentliche Ansage, mein Grieche hat fast genau 100g weniger und das reicht mir eigentlich dicke. Aber es kommt natürlich immer auch auf die Balance an und die begreift man beim Angreifen.

Der Grieche und der Pflug habe wenig gemein, bis auf das sie beide Kochmesser sind. :D Du wirst das aber beim nächsten Treffen selbst feststellen können, zu unterschiedlich war die Zielsetzung, ist das Schnittgefühl und die Haptik.
Das erhebt Fabian dann wohl final in den Adelsstand der besten Messermacher. (y)

Da kommt unweigerlich die Frage auf was macht den besten Messermacher aus und wie sind dessen Messer beschaffen. Wenn du Fabian anschreibst und sagst: "Mach mir eines der besten Kochmesser", weil du ja angeblich einer der Besten seins sollst, wird nicht viel dabei rauskommen. :D

Wenn der "Adelsstand" bedeutet, das er Vorgaben versteht und in der Lage ist sie auch umzusetzen und an seinem Fortkommen arbeitet und das noch zu einem der besten Preis-Leistungsrelationen, dann gehört er dorthin, wobei es wie bei allen Talenten immer Verbesserungspotential gibt.

Es muss klar sein, das dieses Messer meine Wunschgeometrie erhalten hat, keine Geometrie für Jedermann und massentauglich. Ich habe mich davon befreit mir immer das gleiche Konzept mit nur geringer Abwandlung fertigen zu lassen, ich wollte mal was richtig wuchtiges, etwas das mit Schmackes schneidet und Spaß macht.

Jetzt aber wieder zu den Fakten. Ich habe schon lange kein Mikroskop mehr rausgeholt und musste mein altes Chinateil mit altem Programm auf altem Laptop reaktivieren und bitte daher für die miesen Bilder mit einem alten Handy abfotografiert gleich im Vorfeld um Entschuldigung. Warum Mikroskop? Die letzten Messer die ich gekauft habe, waren von Uwe Mattern, der schärft bekanntermaßen mit System, das er selber fertigt, da brauch ich nix zu kontrollieren, das passt perfekt. Von Kamon weiß ich, das er seine Messer auf Steinen finisht, das sehr gut und mit Routine, bei vielen Dutzend Messer die er im Jahr verkauft. Da weiß ich, Bandschleifspuren, also die "Defektschicht", die tiefen Riefen bis tief in die Schneidenspitze werden entfernt, somit auch etwaige Sollbruchstellen und seitlicher Overgrind. Noch dazu schleift Kamon nass. Wie weit Fabian in die "Nerdwelt" des Schärfens bereits eingedrungen ist, wusste ich ja nicht, daher habe ich die Schneide exakt kontrolliert.

Ergebnis:

Ich habe das Messer tüchtig rangenommen, aber nicht missbraucht und bei einem Gewicht von 364 Gramm und einer sehr feinen Schneide an einem Stahl den ich noch nicht kenne, bin ich vorsichtig.

Ein paar kleine Chips sind mir heute aufgefallen, deshalb das Gedöns mit Mikroskop und Laptop.

Bilder nach mehrfachem Einsatz:

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Wie man sieht, ist da beim Finish der Schneide noch Luft nach oben, die Defektschicht ist noch da. Ohne Mikroskop sieht man das nicht und die Schärfe war gut, ich hab deshalb gleich losgelegt und wahrscheinlich die Schneide richtig gestaucht.

Der Chip am der Spitze war nicht zu sehen, hier ein normales Bild:

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Die Schuld liegt da ganz bei mir, ich predige immer, sich vor dem ersten Einsatz mal die Schneide unter dem Mikroskop anzuschauen, die schauen meist so aus. Ich bin halt auch bequem geworden.

Nach dieser Bestandsaufnahme hab ich mein Zeug aufgebaut und war eigentlich eh neugierig wie sich der V8 schleifen lässt.

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Geschliffen wurde wie immer mit Shapton 1k und Rika 5k. Durch die dünne Schneide ist der Stahl problemlos zu schärfen. Siehe den Abrieb am 5k Rika, der war nach wenigen Zügen schwarz. Von daher sehe ich bei dünnen Schneiden keine Notwendigkeit auf Diamant umzusteigen. Wie das mit einen dickeren Wate ausschaut, kann ich nicht sagen.

Ich weiß, die Bilder sind elend, aber jetzt ist das ein geschlossener Strich an der Schneide:

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So schaut das mit freiem Auge aus:

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Ich habe den Schleifwinkel auf +/- 20° erhöht um für mehr Stabilität zu sorgen. Den Taper habe ich nicht mit einberechnet, ich hab die selbstzentrierende Klemme von Uwe dran geschraubt und gut ist es. Die Zeiten der Fummelei aufs Grad genau sind vorbei. Sauber und geschlossen muss die Schneide sein, Defektschicht weg und gut ist.

Fazit:

Fabian wird um's Nerdschleifen nicht herumkommen, wenn er solche Prügel von Messer ausliefert! ;)

Gruß, güNef
 
@güNef Vielen Dank für den tollen und sehr ausführlichen Bericht. Es ist immer ein kleines Fest deine Beiträge zu lesen :).
@Jaeger-Knives Einfach ein unfassbar schönes Messer. Gefällt mir mal wieder richtig gut. Tolle Arbeit. Du wirst bestimmt bald mit Anfragen überrannt :).
 
Lieber @güNef :danke für den tollen Bericht. Über die prachtvollen Küchenmesser, die hier im Forum vorgestellt werden, lese ich ich immer gerne, auch wenn ich ich um diesen Kaninchenbau bisher noch rumgekommen bin.

Ich habe aber noch eine Frage zur "Defektschicht". Meist hilft es mir, vermeintlich Verstandenes mit eigenen Worten zu wiederholen und nach Rückmeldung zu fragen. Das Messer hat im Grunde einen leicht balligen Schliff "auf null"; an der Spitze aufgrund der geringen Materialstärke nahezu kaum ballig, also eher ein Flachschliff "auf null". Da kam dann noch eine Mikrofase drauf. Die "Defektschicht" ist dann der Bereich der Klinge, bei dem die Schleifspuren des Grundschliffes bis auf die Schneide durchgehen und damit eine Art Mikrosäge bilden, die dann auch zu Ausbrüchen neigt. Du hast jetzt mit dem "Nerdschleifen" diese Mikrofase neu angelegt (bisschen stumpfer) und damit die "groben" Schleifspuren an der Schneide beseitigt. Jetzt hat das Messer eine geschlossenere Schneide und ist hoffentlich robuster gegen Mikro-Chips.

Richtig?

@Jaeger-Knives : zu deinen Messern ist hier schon aus viel sachkundigerem Mund viel positives geschrieben worden. Ich bin einfach nur begeistert.
 
Servus,

Ich habe aber noch eine Frage zur "Defektschicht".

du hast das recht gut erfasst. Die Formgebung der Flanken vom Rücken bis zur Schneide, also der Primärschliff endet bei einer balligen Geometrie in der Regel an der Schneidenspitze. Dann wird je nach Dicke an dieser Stelle ein Fase zur Stabilisierung angeschliffen. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten: Einen V-Schliff, der nach meiner Erfahrung die beste Stabilität bringt oder man zieht diese Stelle mit Schleifleinen progressiver Körnung auf leicht nachgebenden Untergrund so lange ab, bis die letzten Spuren/Riefen vom Bandschliff getilgt sind. Das wäre dann eine ballig-geschlossene Schneide. Ist über der Schneide genügen Material, dann funktioniert das gut. Ist die Schneide aber dünngeschliffen und nur mehr wenig Material über der Schneide bewährt sich ein V-Schliff in einem stabilen Winkel. Da diese Schneidfase sehr dünn ist, oft nur 1-2 Zehntel Millimeter breit, muss der Winkel stumpf genug gewählt werden, weil sonst die Schneide instabil wird und kollabiert. Ist genug Material über der Schneide, ist die Schneidfase deutlich breiter, bis zu 0,5mm oder darüber. Hier kann der Schleifwinkel angepasst und spitzer geschliffen werden. An einem Küchenmesser wünscht man sich aber einen Dünnschliff, der einen leichten Schnitt durch hartes Gemüse ermöglicht. Daher ist in diesem Fall aus meiner Sicht ein geführter Systemschliff die erste Wahl.

Jetzt gilt es alle mechanischen Spuren, also alle "tiefen Schnitte" vom Schleifbandkorn so lange zu entfernen, bis die Schneide mit feiner Progression geschlossen ist. Es gibt dann keinen seitlichen Overgrind mehr in der Schneidfase und keine "Säge" mehr an der Schneidenspitze, die einfach viel anfälliger auf Mikroausbrüche ist, als eine geschlossenen Schneide. So werden Sollbruchstellen die zu einen größeren Ausbruch werden könnten, vermieden. Natürlich ergibt selbst die feinste Progression immer noch eine "Säge" an der Schneidenspitze ( dem eigentlichen Schneidenstumpf ), diese ist aber "glatt" genug um bei sachgemäßer Verwendung langsam in Form einer Parabel natürlich und innerhalb einer physikalischen Abnutzung "schadlos" abzustumpfen.

Mechanische Schäden können auch durch zu heißes Schleifen an der empfindlich dünnen Schneide mit unzureichender Kühlung führen, was die Entfernung dieser "Defektschicht" noch schwieriger macht und ein noch weiteres Rücksetzen der Schneidenspitze einfordert.

Metallurgische Defektschichten sind auch möglich, die es nötig machen, erst "frischen Stahl" an die Schneidenspitze zu bringen um eine dauerhafte Stabilität zu gewährleisten, da sollten sich aber Leute zu Wort melden, die kompetenter in dieser Thematik sind als ich.

Erst wenn die Schneidenspitze eine gute Qualität hat, kann der Stahl seine Eigenschaften entfalten. "Schlechtes Material" muss entfernt werden und ein technisch sauberer Schliff in passendem Winkel angebracht werden, dann passt das.

Gruß, güNef
 
Ich habe aber noch eine Frage zur "Defektschicht". Meist hilft es mir, vermeintlich Verstandenes mit eigenen Worten zu wiederholen

Ja, eine weitere Bedeutungsebene ist, dass eine Schicht existiert die durch Schleifen mit dem Bandschleifer einen meist sehr leichten und nur oberflächlich existierenden Schaden in der Wärmebehandlung hat (quasi leicht weich geglüht). Wir reden hier von Schäden unmittelbar an der Schneide, wenn man nur einige hundertstel weg schleift sind diese Defektschichten in fast allen Fällen weg.

Deswegen legen "Schärfe Extremisten" immer eine eigene Schneide an, die in jeder Hinsicht perfekt ist. Also perfekt ausgeschliffen unter Bedingungen in denen keine Hitze entstehen kann, die Einfluss auf den Stahl nehmen könnte.


Ganz vergessen, ... Goiler Hobel !!! Viel Spaß damit. :D
 
Zuletzt bearbeitet:
Habt mal alle vielen lieben Dank für die netten Worte 🙏😊
Bis zum meisterlichen Anwärter fehlen sicherlich noch einige Jahre voll Blut, Schweiß und Tränen 😄 und wir immer und bei allem ist natürlich noch Luft nach oben. Das soll ja auch so sein, sonst wird's ja öde...

Und wie man an den letzten Bildern von Günter sieht, gibt es noch Baustellen.

Freihand sind solche Stähle einfach nix, dass muss ich zugeben. Die Verschleißfestigkeit ist einfach enorm und das merkt man auch beim schärfen.

Ein System steht jedenfalls schon eine Weile auf der Haben-Wollen-Liste und wird dieses Jahr auch kommen. Das macht für mich auch Sinn da ich ja regelmäßig einen Grundschliff aufbaue usw.

Danke für das Feedback 😉 und nochmal vielen Dank für das coole Projekt! Es war mir eine Freude 😊

VG Fabian
 
Die "Defektschicht" ist dann der Bereich der Klinge, bei dem die Schleifspuren des Grundschliffes bis auf die Schneide durchgehen und damit eine Art Mikrosäge bilden, die dann auch zu Ausbrüchen neigt.
Das ist meiner Meinung nach nicht das, was man mit Defektschicht meint. Schleifspuren sind nur an der Oberfläche, die Defektschicht geht in Form von Mikrorissen in die Tiefe. Diese entstehen durch die extremen Scherspannungen auf mikroskopischer Skala beim Schleifen mit fest gebundenen Schleifkörnern grober Körnung. Wird nicht genügend Material mit feiner Körnung entfernt sind die Mikrorisse auch bei einer polierten Klinge noch da und tückischerweise noch nicht mal mit dem Mikroskop sichtbar.
Besonders kritisch sind in der Beziehung übrigens auch grobe Diamantplatten.

Gruß, Andreas
 
Meiner Erfahrung nach reicht mir Vormittagszeit, um PM-Klingen umzuschleifen. Das mache ich mit den einfachsten, billigsten Mitteln freihändig, ohne jegliche Halterungen oder sonstige Ausrüstung.

Ballig auf 0 zu schleifen ist für PM-Stähle nicht sinnvoll.

PM-Stahlsorten sind meiner Meinung nach vor allem nicht dafür gedacht, "komplizierte Geometrien" mit sich zu bringen. Dafür gibt es Feilen aus AEB-L.

Der Schneidspaß von PM-Stahl kommt durch die Schneide selbst. Die Ausbeute ist am besten, wenn die Schliffqualität stimmt.

Und Qualität lässt sich bei einer V-Schneide wesentlich einfacher liefern als bei einer U-Schneide.
 
Besonders kritisch sind in der Beziehung übrigens auch grobe Diamantplatten.
Warum ich auch nicht wirklich zu Diaplatten rate, wenns nicht sein muss.
Das mit der Defektschicht ist vielen Machern nicht bewusst, kommt gerade bei Stockremoval und leicht ballig geschliffen öfter auf. Hatte da auch schon welche und hab den Macher drauf angesprochen. In der Regel aber relativ leicht behebbar. Ne stärkere Überhitzung ist da schon problematischer. Da muss dann schon mehr Material weg. Gerade die guten Macher schleifen nass und immer mehr Macher fangen zum Glück damit an.

Grüße,
Julian
 
Das ist meiner Meinung nach nicht das, was man mit Defektschicht meint. Schleifspuren sind nur an der Oberfläche, die Defektschicht geht in Form von Mikrorissen in die Tiefe. Diese entstehen durch die extremen Scherspannungen auf mikroskopischer Skala beim Schleifen mit fest gebundenen Schleifkörnern grober Körnung. Wird nicht genügend Material mit feiner Körnung entfernt sind die Mikrorisse auch bei einer polierten Klinge noch da und tückischerweise noch nicht mal mit dem Mikroskop sichtbar.
Besonders kritisch sind in der Beziehung übrigens auch grobe Diamantplatten.

Gruß, Andreas
jetzt wirds ja spannend! Also: ich lege jetzt mit nem 80er CBN-STein eine neue Schneide an: wo ist dann der Körnungsbereich, wo evtl. Mikrorisse weg sind, oder mit welcher Könrnung sollte ich dann mal "lange" schleifen? Bisher habe ich immer die Schneide angelegt mit grober Körnung und dann immer nur bis zur Gratbildung geschliffen...

ich schleife nur mit cbn und Diamant: gibt es eine Körnung, wo es sich zur Problemvermeidung lohnen würde, als Zwischenstufe mit normalem Stein zu schleifen? Also z.b. dass man sagt cbn 80, Diamant 150, dann 400er mit normalem Stein (welcher?) und dann weiter mit Diamant?
 
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