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Gast
[...] Warum hat jemand Angst vor einem Messer-Träger, wenn er ihm - bewußt oder unbewußt - nichts Böses unterstellt? [...]
Weil Messer auch ein Machtmittel sind, Macht aber immer ein asymmetrisches Verhältnis zwischen Personen anzeigt. Macht zu haben bedeutet ganz allgemein, überlegene Kraft ausüben zu können (zu können, nicht aber: zu müssen). Der Macht auf der einen Seite korrespondiert so eine gewisse Machtlosigkeit oder Ohnmacht auf der anderen Seite. Die kann bewusst oder unbewusst empfunden werden. Niemand aber fühlt sich gerne ohnmächtig. Von daher stammt m.E. das unterschwellige Ressentiment gegen Messerträger.
Für die These, das Messer immer auch als Machtmittel zu sehen sind, gibt es Belege aus der Soziologie. In einem anderen Thread hatte Artur einen Link zu einer soziologischen Arbeit von Liane Greim gepostet, die ich auch in diesem Rahmen als aufschlußreich empfinde:
http://www.schleibinger.com/waffe0/waffe0.pdf
Das Kapitel 5.2 daraus zur Psychologie des Waffengebrauchs finde ich sehr aufschlußreich, begründet es doch, warum insbesondere Jungen u.a. so durch Messer fasziniert sind. Grein zitiert eine franz. Psychoanalytikerin:
"Die Waffe ist für Kinder ein Machtzuwachs und gibt ihnen
das Gefühl, nicht ganz wehrlos zu sein." (Greim 1995, S. 47)
Greim selbst erklärt, dass Waffen bei Kindern zur Aufwertung des Selbst führen. Die Faszination durch Waffen kann so durchaus positve Effekte für die Entwicklung des Kindes haben. Ihr Fazit lautet:
"Die Faszination von Waffen liegt primär darin begründet, daß Waffen Symbole der Macht repräsentieren. Kindliche Unzulänglichkeiten können mit Waffen ausgeglichen und Selbstwertgefühle gestärkt werden." (ebd., S. 104)
Greim bezieht sich hier auf Waffen im Spiel, also Spielzeugwaffen ebenso wie Äste und Steine, die Waffen symbolisieren können, und natürlich auch auf Messer. Diese Form der Faszination von Jungen durch Messer, also die Erweiterung des eigenen Wirkungskreises und Steigerung des Selbstwertgefühls, haben wohl viele der hier Postenden in ihrer eigenen Jugend erfahren. Sie erklärt m.E. die affektive Bindung an das Objekt Messer. Einige Männer scheinen diese affektive Bindung ihr Leben lang bei zu behalten. Zu dieser Gruppe gehöre ich auch. Dazu kommt dann noch der Nutzwert des Messers als Werkzeug.
Auf der anderen Seite ergibt sich daraus, dass die Bevökerungsgruppe, denen diese affektive Objekt-Bindung fehlt, und dazu zählt insbesondere die Gruppe der Frauen, nicht per se Verständnis für die Faszination vieler Jungen und Männer durch Messer aufbringt. Im Gegenteil: Da Messer durch ihre Waffeneignung eben auch Machtsymbole sind, empfinden sie sich bewusst oder unbewusst als bedroht.
Je stärker das eigene Selbsbewusstsein ausgeprägt ist, desto weniger wird man sich gestört fühlen, wenn andere über Objekte, die als Machtsymbole verstanden werden, verfügen oder diese zur Schau stellen. Getunte Autos als Potenzausweis gehören wohl in eine ähnliche Kategorie.
Menschen mit schwach ausgeprägtem Selbstbewusstsein, die sich implizit immer als gefährdet wahrnehmen, werden dagegen die ersten sein, die aufschreien und "Mördermesser" rufen. Sie zeigen damit ihre Unsicherheit und machen daruf aufmerksam, dass sie sich in einer unterlegenen Position wähnen. Unsicheren Menschen gegenüber sollte man m.E. nicht aggressiv, sondern freundlich auftreten. Solche Ängste dürfen aber nicht Richtlinien sozialen Zusammenlebens werden. Leider versteht sich die Politik im Moment bestens darauf, gerade solche Ängste und Unsicherheiten für das Ziel einer möglichst weitgehenden Überwachung und Regelementierung des Individuums zu instrumentalisieren.
Gruß
Michael
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