Praxisgerechte Anschliffgeometrien für Kochmesser

ebenezer

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Inspiriert von der Diskussion um sinnvolle Schliffwinkel im Thread Monostahl oder San Mai möchte ich dieses Thema mal ausgegliedert behandeln.
Grundsätzlich hat die Wahl der Anschliffgeometrie ja unterschiedliche , sich teilweise widersprechende Aspekte.
Ich denke, allgemeiner Konsens ist es, dass möglichst leichter Schnitt mit möglichst gutem Foodrelease erzielt werden soll, wobei eine Robustheit vorliegen soll, die zumindest bei umsichtigem, bestimmungsgemäßem Gebrauch Ausbrüche an der Schneide weitestgehend vermeidet.
Bei klassischen Klingengeometrien ohne aufwändige Spirenzchen in der Flanke erzielt man das am Besten durch einen Anschliff Ballig auf 0.
Am häufigsten anzutreffen (unter den Messern, die uns interessieren) sind jedoch Messer mit Primär- und Sekundärfase bei einer Klingendicke von 0,1-0,2mm 1mm über der Wate.
Bei diesem Konzept muss man sich nun entscheiden, ob einem höchste BESS-Schärfe oder eine gewisse Robustheit der Schneide wichtiger ist.
In ersterem Fall landet man dann bei Anschliffwinkeln um die 10 Grad oder sogar weniger.
Die meisten entscheiden sich aber lieber für den robusteren Weg und wählen um die 15-18 Grad.
Nach meiner Erfahrung sollte am Apex selbst kein kleinerer Winkel als 15 Grad pro Seite vorliegen.
Nicht nur aus Gründen der Robustheit, sondern auch, weil sich das Messer sonst bei Brettkontakt sofort rein beißt, und jegliche Längsbewegung stoppt.
Auch die Sensibilität gegen Ausbrüche nimmt bei kleineren Winkeln überproportional stark zu, so dass diese eigentlich unabhängig von der Schneidhaltigkeit des Stahls nicht sinnvoll erscheinen.
Eine einfache und praktikable Methode, um einem Anschliff ballig auf 0 geometrisch und in den Eigenschaften nahe zu kommen, ist ein Anschliff, der eine sehr flach angeschliffene Sekundärfase mit einer Tertiärfase in Form einer Mikrofase kombiniert.
Ich habe das mal bildlich mit den echten Winkeln dargestellt, was der Vorstellung auf die Sprünge hilft.

Anschliffe.JPG


Diese Methode habe ich bei meinem Culilux Kyoto angewendet.
Das Video zeigt sehr gut, wie wirksam dieser Anschliff ist. Wer damit nicht zufrieden ist, hat schon sehr ungewöhnlich hohe Anforderungen.


 
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Ich mach das auch so, je nach Stahl mit verschiedenen Winkeln. Mit System kann man ja flach sehr einfach und präzise schleifen und das beim Nachschärfen auch gut reproduzieren.

Nachteil ist, dass die Sekundärfase bei sehr flachen Winkeln recht breit wird, selbst bei dünn ausgeschliffenen Messern. Das finden viele unästhetisch und unauthentisch (bei Japanern). Mich stört's nicht.
 
Nachteil ist, dass die Sekundärfase bei sehr flachen Winkeln recht breit wird, selbst bei dünn ausgeschliffenen Messern. Das finden viele unästhetisch und unauthentisch (bei Japanern).
Wenn die breite Sekundärfase poliert ist, sieht dies m.E. ziemlich "scharf" aus. Unauthentisch ist das bei Japanern eigentlich nicht, denn das Konzept geht ja irgendwie in die Richtung der einseitig geschliffenen Wabochos.
 
Ich schleife einige meiner Messer mit 10 Grad pro Seite. Das macht nicht mit jeder Schnitttechnik Sinn. Für Wiegeschnitt oder hackendem Impact auf dem Brett ist das natürlich nichts. Bei ziehendem Schnitt hab ich den kleinen Winkel aber gerne.

Bei manchen Stählen, wie Shirogami, die bei Abnutzung an der Schneidkante mangels größerer Karbide verrunden, bleibt der „Biss“ der Klinge bei kleinem Winkel nach meiner Erfahrung länger erhalten.

Das Thema „Qualität des Schnitts“ lasse ich jetzt mal bewusst offen. Ein Sashimi-Künstler wird da wenig Kompromiss eingehen…

Gruß, Andreas
 
Hallo @ebenezer, wie gut schneidet das Kyoto Gyuto dickere Scheiben/Stücke von Möhren ab? Knackt es oder klebt das Schnittgut an den glatten Flanken und erzeugt einen stärkeren Widerstand beim Schneiden?
Danke!
Gruß
fritzze
 
Wenn die breite Sekundärfase poliert ist, sieht dies m.E. ziemlich "scharf" aus. Unauthentisch ist das bei Japanern eigentlich nicht, denn das Konzept geht ja irgendwie in die Richtung der einseitig geschliffenen Wabochos.
Was hat eine Sekundärfase, die vielleicht eineinhalb Millimeter groß ist, mit einseitigen Messern zu tun?
 
Knackt es oder klebt das Schnittgut an den glatten Flanken und erzeugt einen stärkeren Widerstand beim Schneiden?
Ich schneide bei Karotten nie dicke Scheiben ab, sondern immer ein etwa 10cm langes Teilstück, teile diese dann längs in Scheiben, die ich als Bündel in Streifen schneide und dann würfle.
Der Querschnitt mitten in der Karotte geht ohne Knacken. Bei den Längsscheiben klebt die erste meistens sehr stark an der Flanke fest. Die weiteren dann seltsamerweise häufig nicht mehr.
Die Würfel kleben ebenfalls an der Flanke, lassen sich aber leicht abstreifen.
Bei Schnitten in die massive Karotte ist schon eine gewisse Bremswirkung durch den Ansaugeffekt feststellbar.
Dennoch macht der sehr leichte Schnitt des Messers mir Spaß, und ich nutze es gerne.
 
Ich schneide bei Karotten nie dicke Scheiben ab, sondern immer ein etwa 10cm langes Teilstück, teile diese dann längs in Scheiben, die ich als Bündel in Streifen schneide und dann würfle.
Der Querschnitt mitten in der Karotte geht ohne Knacken. Bei den Längsscheiben klebt die erste meistens sehr stark an der Flanke fest. Die weiteren dann seltsamerweise häufig nicht mehr.
Die Würfel kleben ebenfalls an der Flanke, lassen sich aber leicht abstreifen.
Bei Schnitten in die massive Karotte ist schon eine gewisse Bremswirkung durch den Ansaugeffekt feststellbar.
Dennoch macht der sehr leichte Schnitt des Messers mir Spaß, und ich nutze es gerne.
Vielen Dank, das hört sich gut an!
Ich bin auf der Suche nach ein paar Messern zum Verschenken und ich denke, die Kyoto Serie könnte passen.

Schöne Grüße
fritzze
 
Wenn man ein bisschen in der Vergangenheit sucht, stellt man fest, das Thema ist so alt wie das Messerforum...
Ich denke, allgemeiner Konsens ist es, dass möglichst leichter Schnitt mit möglichst gutem Foodrelease erzielt werden soll, wobei eine Robustheit vorliegen soll, die zumindest bei umsichtigem, bestimmungsgemäßem Gebrauch Ausbrüche an der Schneide weitestgehend vermeidet.
Ich denke, obigen Satz bestreitet niemand. Die notwendige Robustheit ist auch der Grund, weshalb Solinger Messer, wie z.B. Wüsthof oder Burgvogel mit 15 Grad pro Seite geschliffen werden.
Japaner aus rostendem Stahl kommen aber in der Regel mit Schneidenwinkel um die 10 Grad, weil es für das feine, disziplinierte Schneiden die Robustheit einfach nicht braucht.
Messer die auf Schneidperformance hin optimiert sind haben dann oft noch weniger als die 10 Grad. Takamura zum Beispiel schleift mit 7-8 Grad pro Seite.

Am Ende ist es keine Frage von richtig, oder falsch, sondern ob das Messer zur Anwendung passt.

Liebe Grüße,
Andrea
 
Zuletzt bearbeitet:
Die notwendige Robustheit ist auch der Grund, weshalb Solinger Messer, wie z.B. Wüsthof oder Burgvogel mit 15 Grad pro Seite geschliffen werden.
Es macht einfach einen riesigen Unterschied, ob eine konstante 15 Grad Fase an eine Klinge mit 0,5mm Dicke geschliffen wird, oder ob diese 15 Grad Fase gerade mal die Breite eines menschlichen Haares hat.

Messer die auf Schneidperformance hin optimiert sind haben dann oft noch weniger als die 10 Grad. Takamura zum Beispiel schleift mit 7-8 Grad pro Seite.
Dass so eine Schneide eine abseits eines BESS-Meßgerätes wahrnehmbar bessere Schneidperformance hat, ist aus meiner Sicht mehr als fragwürdig.
Aus der Tatsache, dass jemand das so macht, kann ich noch nicht ableiten, dass das besser performt.
 
Dass so eine Schneide eine abseits eines BESS-Meßgerätes wahrnehmbar bessere Schneidperformance hat, ist aus meiner Sicht mehr als fragwürdig.
Aus der Tatsache, dass jemand das so macht, kann ich noch nicht ableiten, dass das besser performt.
Ich habe das beispielhaft genannte Takamura (210mm Gyuto) seinerzeit testweise mit dem original Anschliff und dann mit einer Microfase von 20° pro Seite genutzt und kann deinen Eindruck nur bestätigen, ich habe beim Arbeiten mit dem Messer keinen Unterschied bemerkt.

IMG_20191206_170347_501-01.jpeg


Das mag daran liegen dass ich ein unsensibler Zeitgenosse bin, dem es an Feingefühl fehlt, aber ich denke, wenn bei einem Küchenmesser der zu große Schneidfasenwinkel schon spürbar ist, kann auch die Gesamtgeometrie der Klinge nicht performant sein.

Dort wo es im Sinne der Schneidperformance tatsächlich auf den Schneidfasenwinkel ankommt, beispielsweise in der Holzbearbeitung, wird dies für mich hingegen deutlich spürbar:

20240421_163043-01.jpeg


20240421_145221-01.jpeg


Ein Scandi mit zu großem Winkel der Primärfase oder gar mit zusätzlicher Sekundärfase performt wesentlich schlechter als eine hochgezogene Primärfase mit kleinem Winkel. Ersteres ist dann quasi das Solinger unter den Scandis. ;)
 
Zuletzt bearbeitet:
Servus,

Es macht einfach einen riesigen Unterschied, ob eine konstante 15 Grad Fase an eine Klinge mit 0,5mm Dicke geschliffen wird, oder ob diese 15 Grad Fase gerade mal die Breite eines menschlichen Haares hat.

genau das muss erlebt und verstanden werden, sonst hat eine Diskussion über passende Winkel und deren Auswirkung wenig Sinn.

Gruß, güNef
 
Die Diskussion ist eigentlich nur am konkreten Messer oder Anwendungsfall vernünftig zu führen.



Hier ein kleines Herder Gemüsemesser. Die Schneidfase habe ich auf dem Mousepad ballig auf Null gezogen. Die Flanken treffen sich mit einem Schneidenwinkel von ~20 Grad. Nachgeschärft wird mit Lederriemen (--> geschlossene Schneide).
Kein High-Teck Stahl, trotzdem stabil genug. Gibt weder Ausbrüche, noch legt sich die Schneide bei feinen Arbeiten um.

Braucht man die 20 Grad? --> Nein!
Macht der Winkel Spaß? --> Ja!

Ich behaupte, dass sich die feine Schneide mit der der hohen Schärfe an der Qualität der Schnittoberfläche bemerkbar macht.

Gruß, Andreas
 
Die Diskussion ist eigentlich nur am konkreten Messer oder Anwendungsfall vernünftig zu führen.
Dann muss ich vielleicht das Thema nochmal präzisieren.
Mit "Kochmesser" meinte ich im Eingangspost Messer mit langer und breiter Klinge, deren Nutzungsprofil mit Brettkontakt der Schneide bei praktisch jedem Schnitt verbunden ist.
Bei einem kleinen Schnibbler zieht man ja entweder nur die Spitze übers Brett, oder arbeitet völlig ohne Brettkontakt.
Bei Messern ohne Brettkontakt und ohne Kontakt mit "Störungen" im Schneidgut in Form harter Komponenten oder Einschlüsse ist freilich eine Mikrofase nicht nötig, und es sind sehr schlanke Anschliffwinkel ohne negative Auswirkungen möglich.
 
Servus,

Kein High-Teck Stahl, trotzdem stabil genug. Gibt weder Ausbrüche, noch legt sich die Schneide bei feinen Arbeiten um.

es zählt letztendlich eine präzise Abstimmung individueller Muster.

°) wie dünn ist das Messer über der Schneide
°) Stahl und dessen Eigenschaft
°) Gewicht des Messers
°) Art des Messers und dessen Einsatzgebiet
°) Schnitttechnik
°) Schnittgut
°) Brett
°) Die Fertigkeiten des Anwenders

Wer das alles so zusammenfassen kann, wählt einen Winkel der zu allen Umständen passt die ich oben benannt habe, erhält dann ein Ergebnis mit dem er schadlos arbeiten kann, immer noch einen leichten Schnitt hat und vor allem enormen Spaß am schneiden. ;)

Eine Pauschalempfehlung gibt es nicht, nur Kompromisse die entweder eine Eigenschaft erhält oder verbessert, dafür aber eine andere in den Hintergrund drängt. Erfahrung spielt hier eine große Rolle, in wie weit man eine heikle Geometrie in welchen Winkel an welchem Stahl, mit welcher Schnitttechnik ausreizen kann, ohne ständig rücksetzen zu müssen. 🤔

Gruß, güNef
 
Mit "Kochmesser" meinte ich im Eingangspost Messer mit langer und breiter Klinge, deren Nutzungsprofil mit Brettkontakt der Schneide bei praktisch jedem Schnitt verbunden ist.
Ok, danke fürs klarstellen. Ich hatte "Kochmesser" jetzt tatsächlich als Sammelbegriff für alles in der Küche verstanden ;)

Mit einem langen und schweres Kochmesser schneidet man natürlich anders als, sagen wir mal mit einem hochspezialisierten kurzen (15 cm) Santoku, dass nur 90g wiegt.
Bei kräftigem Brettkontakt bin ich auch bei den 15 Grad. Sind die zu empfindlich, würde ich die Wahl des Materials in Frage stellen.

Gruß, Andreas
 
es zählt letztendlich eine präzise Abstimmung individueller Muster.

°) wie dünn ist das Messer über der Schneide
°) Stahl und dessen Eigenschaft
°) Gewicht des Messers
°) Art des Messers und dessen Einsatzgebiet
°) Schnitttechnik
°) Schnittgut
°) Brett
°) Die Fertigkeiten des Anwenders
Wahre Worte.....

Nicht jeder schneidet mit dem gleichen Winkel gleich gut. Dafür sind die Parameter zu unterschiedlich.

Persöhnlich schneide ich mit einem neuen Messer zuerst mal mit dem Werksschliff, um zu sehen, wie das Messer auf mich passt.
Danach entscheide ich mich für einen Winkel, der meiner Schnittechnik und meiner Unterlage passt.
Das hat bisher immer sehr gut geklappt.
Das heisst aber nicht, das "mein" Winkel auf jeden Andern passt.
Meine Messer werden aber ausschließlich im privaten Haushalt zum Genussschneiden benutzt.
Wird ein Messer gewerblich benutzt, sieht das Ganze wieder anderst aus.

Gruß, Jürgen
 
Was ich als eine Kernaussage transportieren wollte:
Für den, der sich bei einem Serienanschliff von um die 10 Grad eines ohnehin schon dünn ausgeschliffenen Messers für eine Mikrofase entscheidet, kann es durchaus nochmal performanceverbessernd sein, wenn man die Sekundärfase nochmal deutlich schlanker auf 5 oder 6 Grad pro Seite schleift.
Nicht, dass das nötig wäre. Die Culilux zB. schneiden schon ab Werk mit 10-11 Grad sehr leicht und werden mit Mikrofase dann deutlich robuster, ohne an Performance zu verlieren, aber mit dem vorgelagerten 6 Grad Anschliff wird es halt noch ein wenig high endiger.
So eine sehr schlanke Sekundärfase hat darüber hinaus den Vorteil, dass die Mikrofase bei Touchups recht lange sehr klein bleibt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich hatte die ganze Zeit eine experimentelle Studie zum Einfluss des Schneidenwinkels auf die Standzeit im Kopf, die ich jetzt wieder gefunden habe.

Larrin Thomas hat das am Beispiel von CPM154 / 154CM untersucht.
Maximizing Edge Retention - What CATRA Reveals about the Optimum Edge - Knife Steel Nerds (https://knifesteelnerds.com/2018/06/18/maximizing-edge-retention/)

Sein Fazit war:
From this study it should be apparent that lower edge angles lead to superior cutting performance. […] Hardness and edge thickness have less effect than edge angle but are still important.

Das deckt sich bei niedrig legierten Stählen auch mit meiner Erfahrung.
Für mich heißt das: Mikrofase ja, wenn man sie wegen Robustheit braucht, kostet aber Performance im Sinn von Schnitthaltigkeit.

Gruß, Andreas
 
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