AW: nochmal PM-Stahl vs. "Geometrie rulz" (aus: Stahlbestimmung)
Zwei Überlegungen noch zum Thema:
1. Mit der Verdoppelung der Dicke eines rechteckigen Querschnitts verdoppelt sich die Biegesteifigkeit nicht, sondern verachtfacht sich. Soweit sind wir wohl einig. Mit dem Bruchverhalten hat das nur mittelbar zu tun. Bleibt man im elastischen Biegebereich, so ist die Biegekraft bei doppelter Dicke eben acht mal größer. Der Bruch tritt aber durch eine lokale Überbeanspruchung auf. Für diese Beanspruchung spielt die Dicke eine "negative" Rolle. Ich versuche, es möglichst allgemeinverständlich und ohne ingenieurmäßige Formeln zu erklären: Wird ein rechteckiges Metallstück von 40 cm Länge und 2 mm Dicke gebogen, so entstehen auf der Außenseite Zugspannungen und auf der Innenseite Druckspannungen. Bei so dünnen Abmessungen sind Außen- und Innenseite nicht weit von der "ruhenden Faser" und man kann ein solches Stück auch bei hoher Härte recht weit biegen, ohne daß es bricht . Macht man das Stück, bei sonst gleichen Proportionen noch dünner, kann es noch viel weiter im elastischen Bereich gebogen werden. Achim hat mal in einem ähnlichen Zusammenhang zu recht erklärt, bei genügender Länge und Dünne könne man auch in einen Glasfaden einen Knoten machen.
Verdoppelt man die Dicke des Prüfkörpers, so gerät die Außenseite bei gleicher Biegung unter eine Zugspannung, die sie vielleicht schon nicht mehr verträgt und es kommt zum Bruch.
Die Problematik verschärft sich, wenn man nicht von rechteckigen, sondern von unregelmäßigen Querschnitten ausgeht. Nimmt man im Modellfall an, eine Messerklinge habe einen exakt dreickigen Querschnitt von 0 auf 5 mm verlaufend, so ist bei einer Biegung die dünnen Schneide wenig belastet, der dickere Rücken dagegen mehr. Von der Mechanik macht es also durchaus Sinn, wenn man dort zähere Strukturen hat. Zu beachten ist weiter, daß in der Praxis immer auch Querbeanspruchungen auftreten, wie- Fuchsbau- schon zu recht betont hat.
2. Leider kann man sich jetzt nicht in Sicherheit wiegen und meinen, die dünn ausgeschliffene Schneide sei ja nach dem oben Gesagten in der Lage, sich elastisch zu verformen und deshalb recht stabil. Für Beschädigungen in diesem Bereich reichen eben geringere Kräfte und gerade seitliche oder Torsionsbeanspruchungen wirken hier besonders schädlich.
Und gerade in diesem Bereich wirken Karbide besonders gefährlich. Ich nehme mal sehr konservativ an, die Bindekraft zwischen Karbid und Grundmasse ist 80 % der Bindekraft der einfachen Grundmasse- es ist mir nicht bekannt, wie der Wert exakt ist, ich fürchte aber, er liegt eher niedriger. Man stelle sich nun einen Stahldraht aus 70 % Grundmasse und 30 % Karbiden vor. Sind die Karbide fein und gleichmäßig verteilt, wird sich die negative Auswirkung auf die Festigkeit ausmitteln und die Festigkeit würde sich nur um ca 6 % verringern ( Ich bitte, diese Zahlen nicht als exakte Werte zu nehmen, es soll nur das Argument verdeutlichen). Macht man aus dem gleichen Material nun in Gedanken einen Draht von 5 my, so mittelt sich nichts mehr aus. Ein Karbid von 5 my Größe, das exakt in der Mitte des Drahts liegt, würde dann die Festigkeit um 20 % verringern. Karbide, die nur halb im Draht eingebettet wären, würden beim Herausbrechen sogar Kerben mit den entsprechenden negativen Folgen bilden. Das ist der Grund, weshalb eine extrem fein ausgeschliffen Schneide mit vielen Karbiden Stabilität verliert und große Karbide feine, geschlossene Schneiden geradezu unmöglich machen.
Für die Praxis kann man daraus folgende Schlüsse ziehen: Eine Schneide
von 3-5 my Dicke rasiert noch, wenn auch nicht mehr gut. Karbide von 1 my könnten in dieser Schneide noch stabil eingeschlossen werden und würden die Verschleißfestigkeit erhöhen. Karbide von 3-5 my hätten schon die starke Tendenz auszubröckeln und würden zu einer offenen, sägeartigen Schneide führen, die für viele Schneidanwendungen wegen ihrer "Bissigkeit" gut geeignet wäre, auch und gerade zum Zertrennen von Papierstreifen im Schnitthaltigkeitstest. Ich führe das hervorragende "Abschneiden" von Achims Wootzklinge in Olivers Test auf diese Gesetzmäßigkeiten zurück.
Für feinste Schneiden und hohe mechanische Belastungen halte ich aber nach wie vor richtig behandelte Werkzeugstähle für die erste Wahl.
Worauf man nun den größten Wert legt, ist eine Entscheidung, die jeder für sich treffen muß.
MfG U. Gerfin