Hallo
Bezüglich dem Thema „Wie kommen Legierungselemente aus den Erzen in den Stahl ?“ möchte ich in diesem Beitrag zuerst auf das folgende Publikation hinweisen: „Das Schmiedehandwerk im nordalpinen Raum von der Eisenzeit bis ins frühe Mittelalter“ – Naturwissenschaft und Technologie 5 - von Frau Dr. Marianne Senn – herausgegeben im Verlag Marie Leidorf GmbH, Rahden/Westf. 2005.
Aus dieser Publikation möchte ich zuerst folgende Stellen aus dem Kapital Rennfeuer Eisen - Die Charakterisierung eines heterogenen Materials, zitieren:
„Die chemische Zusammensetzung von im Rennofen hergestellten Eisen ist aus zahlreichen metallographischen Untersuchungen gekoppelt mit chemischen Analysen bekannt. Es handelt sich nach heutigem Begriff um unlegierten Stahl (Schuhmann 1991, 443), der auch phosphor- oder arsenreich sein kann. Gewisse Materialeigenschaften von Rennfeuer-Eisen sind aus älteren Untersuchungen bekannt (Schulz 1955, 365-371). Es wird als gut schmied- und feuerschweissbar beurteilt, da es silizium- und kohlenstoffarm ist, wobei die zahlreichen Schlackeneinschlüsse fast wie Schweisspulver wirken. …
… Wie aus dieser Übersicht hervorgeht, ist das bei der Verhüttung entstehende Eisenprodukt und damit auch die Materialeigenschaften abhängig von der chemischen Zusammensetzung und den Prozessbedingungen während der Herstellung. Welche Stoffe sich unter den gegebenen Bedingungen in einem binären System bilden können, wird durch so genannte Zustandsdiagramme beschreiben. …
… Im Rennofen hingegen (im Gegensatz zum Hochofen) verläuft die Reduktion im festen, teigigen Zustand bei Temperaturen unterhalb des Schmelzpunktes von Eisen im Bereich von 900 bis 1200 C (Flunzin 2002). … Am stärksten wird die chemische Zusammensetzung von Roheisen und Rennfeuer-Eisen durch die Zusammensetzung der Ausgangserze und Brennmittel (Holzkohle und Koks) beeinflusst. …
… Die unterschiedlichen Herstellungstemperaturen führen zu unterschiedlichen chemischen Reaktionen der beteiligten Materialien (Erz, Brennstoff, Zuschläge) und beeinflussen so die Zusammensetzung des Produkts. Im Hochofen sind es die Elemente Eisen, Silizium, Mangan und Phosphor aus dem Erz, die neben Kohlenstoff aus dem Brennmittel die Produktzusammensetzung bestimmen. Rennofen-Eisen enthält die Elemente Eisen, Kohlenstoff, Phosphor und Arsen. Neben der Temperatur bestimmen weitere thermodynamische Gegebenheiten die Metallzusammensetzung. So ist von Phosphor bekannt, dass er sich in unterschiedlichem Ausmass an der Metallbildung beteiligt (Kronz 1997, 10). Als Beispiele von phosphorreichen, dänischem Raseneisenerz reduziert wurde (Buchwald/Voss 1992, 34) sowie verschiedende englische, die mit dortigen phosphorreichen Eisenerzvorkommen in Verbindung gebracht werden können (Crew 1994, 347). …
… Neben Eisenverbindungen und Begleitbestandteilen enthalten die Eisenerze auch verschiedene Spurenelemente wie Nickel, Cobalt, Kupfer und Arsen, die sich bei der Verhüttung im Eisen anreichern. Selten treten Nickel und Arsen auch in höheren Konzentrationen als Begleitbestandteile in Eisenerzen auf, so im Ferro-Nickel-Vorkommen auf dem griechischen Euböa und im eisernen Hut von Rio Tinto in Spanien. Als eiserner Hut wird im deutschen Sprachraum der Ausbiss der Oxidationszone von Brauneisenerz bezeichnet (Tylecote 1987, 52-53, und Tylecote/Thomson 1973, 194). Beschrieben wurde auch die Anreicherung von Silber, Gold, Blei, Titan und Zink. Die anderen Spurenelemente (Zr, Y, Sr, Rb, Ba, V, Cr u. w.) reichern sich in der Schlacke an, weil sie erst bei höheren Temperaturen reduzierbar sind. …
… Für die Elemente Mangan, Vanadium und Chrom, die sich im Rennofen vorwiegend in der Schlacke anreichern, ergaben sich sehr geringe Anreicherungsziffern.
Nun zum neuen Zwischenstand meiner Mittelwert-Erhebung von chemischen Analysen antiker und mittelalterlichen Klingen:
Wie im Beitrag Nr. 8 vom 8.12.2009 erwähnt, erfasse ich die gefunden chemischen Analysen über Blankwaffen aus der Latènezeit bis und mit ca. Ende des 16. Jh. in einer Tabelle, um daraus Tendenzen bezüglich Gehalt von Kohlenstoff- und weiteren Legierungselementen sowie ihrer geografischen Herkunft und Zeitepoche zu erhalten.
Die Mittelwerte beinhalten zurzeit primär Schwertklingen sowie Pfeile und Lanzenspitzen aus der Latènezeit bis und mit Frühmittelalter. Bei den Mittelwerten inkl. VO (Vergleichsobjekte) handelt es sich um die zusätzlich erfasste Analysen von Vergleichsobjekten, wie Luppen, Tamahagane, Scharsachstahl, Toledo-Dolch aus dem 18. Jh., etc.)
Aufgrund der bis jetzt erfassten Daten fällt auf, dass sich die Mittelwert der Kohlenstoffgehalte der Artefakte hauptsächlich im Bereich 0.05 – 0.4% (Durchschnittswert ca. 0.2%) bewegen. Der Phosphorgehalt kommt mit einem Mittelwert von ca. 0.125% auf den 2. Rang der „natürlichen“ Legierungselemente.
Mittelwerte der Erhebungen - Zwischenstand 9.1.2010 (mögliche Fehleingaben sind nicht ganz auszuschliessen, Danke für Euer Verständnis):
C - Kohlenstoff: 0.195%, inkl. VO 0.262%
P - Phosphor: 0.125%, inkl. VO 0.140% (unleg. nach DIN EN 1020 Gehalt < 0.045%)
Mn - Mangan: 0.045%, inkl. VO 0.042% (unleg. Nach DIN EN 1020 Gehalt < 1.650%)
Si - Silizium: 0.007%, inkl. VO 0.023% (unleg. nach DIN EN 1020 Gehalt < 0.600%)
Cr - Chrom: 0.001%, inkl. VO 0.003% (unleg. nach DIN EN 1020 Gehalt < 0.300%)
Ni - Nickel: 0.056%, inkl. VO 0.049% (unleg. nach DIN EN 1020 Gehalt < 0.300%)
W - Wolfram: 0.001%, nur beim Tizona Schwert gemessen (unleg. nach DIN EN 1020 Gehalt < 0.300%)
S - Schwefel: 0.073%, inkl. VO 0.046% (unleg. nach DIN EN 1020 Gehalt < 0.045%)
Cu - Kupfer: 0.031%, inkl. VO 0.027% (unleg. nach DIN EN 1020 Gehalt < 0.400%)
Co - Kobalt: 0.054%, inkl. VO 0.048%
AS - Arsen: 0.040%, inkl. VO 0.040%
Mo - Molybdän: 0.000%, inkl. VO 0.003% (unleg. nach DIN EN 1020 Gehalt < 0.080%)
Zn - Zink: 0.040%, inkl. VO 0.040%
AI – Aluminium: unter Nachweisgrenze, inkl. VO 0.001% (unleg. nach DIN EN 1020 Gehalt < 0.030%)
V - Vanadium: unter Nachweisgrenze, inkl. VO 0.001% (unleg. nach DIN EN 1020 Gehalt < 0.100%)
Der bisherige Stand der Erfassung der „chemischen Zusammensetzungen“ von westeuropäischen Klingen aus Raffinierstahl als „Schmiedegrundmaterial“ bestätigt, dass diese mit Ausnahme des Kohlenstoff- und Phosphorgehalt als faktisch legierungsfrei angesehen werden können. Die Werte der vorhandenen Spurenelemente (dementsprechend ohne C und P-Gehalt) liegen weit unter den Grenzwerten für unlegierte Stähle nach heutigen Normen.
Bezüglich der chemischen Analysen von „vorindustriellen“ Eisen- bzw. Stahlobjekten sowie des relativ erhöhten Phosphorgehaltes möchte ich folgende Abschnitte aus der erwähnten Publikation von Frau Dr. Marianne Senn zitieren:
… Genau so schwierig ist es mit der chemischen Zusammensetzung der untersuchten Metalle: obwohl bereits in den 60iger Jahre des 20. Jh. der Verband deutscher Eisenhüttenleute dazu aufrief (Schulz 1963), Metall und Schlackeneinschlüsse wegen ihrer vollständig verschiedenartigen chemischen Zusammensetzung getrennt zu analysieren, gibt es bis heute Beispiele von Metallanalysen, die dies nicht berücksichtigen (Zimmermann 2000, 105-132).“
„Waffen, Werkzeuge und Messer wurden untersucht, um ihre Qualität mit modernen Objekten zu vergleichen und um zu überprüfen, ab wann heutige Qualitätsvorstellungen und Verfahren systematisch angewandt wurden. Es zeigte sich allerdings bald, dass in der Vergangenheit auch Eisen benutzt wurde, das in der Gegenwart als minderwertig definiert wird. Das bekannteste Beispiel ist das „phosphorreiche Eisen“, dessen Gebrauch heut auf wenigen Sonderanwendungen beschränkt ist, das sich aber in der Eisenzeit grosser Beliebtheit erfreute. Phosphor ist im modernen Eisen unerwünscht, weil es sich heterogen im Metall verteilt bzw. zu Seigerungen neigt, die nur mit technisch nicht vertretbarem Aufwand ausgeglichen werden können. Schaut man auf die Entwicklung der Metallurgie zurück, so wird ersichtlich, dass vor zweihundert Jahren weit höhere Phosphorgehalte im Eisen und Stahl als unschädlich galten als heute (Ehrenreich 1985, 66-67).
Also müssen vermutlich chemische Analysewerte von Elementen mit grösseren Abweichungen zu den erhobenen Mittelwerten mit entsprechender Vorsicht interpretiert werden. Möglicherweise wurde die entsprechende Probe aus einem Schlackeneinschluss entnommen.
Dieser Zwischenstand der erwähnten Erhebungen bestätigen die nachstehende Schlussfolgerung von U. Gerfin in seinem Beitrag 34 bzw. auch die vorgängig gemachte diesbezügliche Aussage von Volker Hollmann, welche der Auslöser dieser spezifischen Forumsdisskusion war.
„Für den Schweißdamast aus Raffinierstählen hätte die Legierungsfreiheit die einfache Folge: In der uns bekannten Form hätte es ihn nicht geben können. Die Vielzahl der Muster- und Farbgestaltung moderner Damaste beruht eben auf den unterschiedlich auf den Säureangriff reagierenden einzelnen Schichten. Gibt es aber keine unterschiedlich legierten Schichten, so kann sich auch kein Muster zeigen.
Es bliebe dann nur die Musterbildung über die Verunreinigung mit Phosphor oder über den unterschiedlichen Kohlenstoffgehalt. Phosphorhaltiges Eisen oder phosphorhaltiger Stahl werden viel weniger angegriffen als entsprechendes phosphorfreies Material. Diese Schichten würden also silberhell zeichnen.
Musterbildung über den Kohlenstoffgehalt ist nur bei geringer Lagenzahl und möglichst niedrigen Schweißtemperaturen möglich, da der Kohlenstoffgehalt sich über den Querschnitt recht schnell durch Diffusion ausgleicht.
Historischen Befunden widerspricht das nicht, da Damaszenerstahlgegenstände meist mit niedriger Lagenzahl und oft bewusst auch mit Phosphoreisen gefertigt wurden.“
Bei den durchgesehenen Schwertklingenanalysen fällt auf, dass die Kohlenstoffunterschiede innerhalb der Schwertkerne höchstens ca. 0.3% betragen. Die vorhandenen Kohlenstoffgehalte innerhalb der Klingenkerne bewegen sich gemäss den durchgesehenen Analysen hauptsächlich im Bereich zwischen 0.0 und 0.4%. Interessant ist auch das die meisten Schneiden C-Gehalt von höchstens 0.4% (in seltenen Fälle 0.7-0.8%) haben. Die Klingenkerne sowie -schneiden bestehen somit anscheinend aus Eisen und kohlenstoffniedrigen, untereutektoiden Stahl.
Bezüglich der Musterbildung über die Verunreinigung mit Phosphor oder über den unterschiedlichen Kohlenstoffgehalt stelle ich mir aber folgende Frage:
Ist es wirklich möglich dass Schmiedemuster mit so geringem Kohlenstoffgehalt (unter 0.5%) bzw. Kohlenstoffunterschiede innerhalb von feuerverschweissten Raffinierstahllagen von höchstens 0.3%, durch Ätzung optisch klar erkennbare Schmiedemuster ergeben? Im vorerwähnten Buch von Frau Dr. M. Senn finden sich auch verschiedene chemische Analysen und Anschliffübersichten von Schwertklingenproben aus der Latènezeit bis ins Frühmittelalter. Wenn man die mit Nital angeätzten, x-fach vergrösserten Klingenausschnitte betrachtet, wo der C-Gehaltsunterschied eben relativ klein ist, sind keine „eigentlichen“ Schmiedemuster erkennbar. Nur die dunklen, sehr feinen Schweissnähte, welche die einzelnen Lagen trennen werden manchmal erkennbar. Die phosphorreicheren Lagen sind aber mit der Nital-Ätzung nicht oder geringst sichtbar.
Um die phosphorreicheren Lagen erkennbar zu machen, wurde bei den gleichen Klingenausschnitten mit der „Oberhofer“-Methode geätzt. Bei diesem ganz speziellen Ätzverfahren erscheinen seigerungsfreie Stellen dunkel, während Seigerungsstellen nicht angegriffen werden. Ob eine solche oder ähnlich spezielle Ätz-Methode schon in der Antike oder Frühmittelalter bekannt war, um Schmiedemuster sichtbar zu machen, ist mir unbekannt.
Als Alternative zur Säurenbehandlung, um absichtlich Schmiedemuster (auf „unlegiertem“ Raffinierstahl basierend) ersichtlich zu machen, kommt die Methode der qualitativ hochstehender Politur, wie sie Herr Stefan Mäder in seiner Publikation: „Stähle, Steine und Schlagen“ als möglich bis wahrscheinlich darlegt, in Betracht. Dieses Verfahren kennen wir auch von den japanischen Klingenpolituren.
Was denkt Ihr darüber?
Grüsse
Longbow64
P.S. Zur Vermeidung von allfälligen Missverständnissen, möchte ich noch folgendes festhalten: Bei meinen Beiträgen zu diesem Thread, beziehe ich mich zurzeit nur auf die Klingen aus der Latène-Zeit bis ca. Ende des 16. Jh.. Die westeuropäischen Klingen mit Schweissschmiedemustern aus der Zeit ab ca. Mitte des 18. Jh., welche anscheinend primär durch die Nachahmung der orientalischen Wootz bzw. Tiegelstahlklingen und Schweissverbundklingen bzw. -Läufe entstanden sind, müssen meiner Meinung nach, aus entstehungsgeschichtlichen und technologischen Gründen separat betrachten werden.